Amtsvormund

Amtsvormundschaft


 

 

 

 

§ 1791b Bestellte Amtsvormundschaft des Jugendamts

(1) Ist eine als ehrenamtlicher Einzelvormund geeignete Person nicht vorhanden, so kann auch das Jugendamt zum Vormund bestellt werden. Das Jugendamt kann von den Eltern des Mündels weder benannt noch ausgeschlossen werden.

(2) Die Bestellung erfolgt durch Beschluss des Familiengerichts; die §§ 1789, 1791 sind nicht anzuwenden.

 

http://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__1791b.html

 

 

 

 

Die Praxis sieht allerdings oft so aus, dass sich die am Amtsgericht angegliederten Familiengerichte (bzw. vor dem 01.09.2009 die Vormundschaftsgerichte), entgegen der gesetzlichen Vorschrift gar nicht die Mühe machen, einen geeigneten Einzelvormund auszusuchen. Es ist doch so schön bequem mit dem Jugendamt, das kostet die Justizkasse auch nichts, da es ja aus der Kasse des Landkreises oder der Stadt bezahlt wird. Die Justiz spart also zu Lasten der Kommunen. Außerdem versteht sich der Richter mit dem Jugendamt ganz gut, was soll das bloß werden, wenn da irgend so eine Einzelvormund kommt, der vielleicht auch noch eine vom Richter abweichende Meinung entwickelt. Was kümmert uns Recht und Gesetz, wenn es außer uns nur keiner so richtig kennt, mögen die Verantwortlichen vielleicht denken. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann schlampern sie noch heute.

 

 


 

 

SPD: Aus Fall Kevin lernen – Amtsvormundschaft auf höchstens 40 Fälle beschränken

Eine Begrenzung der Amtsvormundschaft auf 40 Fälle pro Person hält die SPD-Fraktion für notwendig. In einem Antrag (17/2411) erinnert sie an den Fall Kevin, der im Jahr 2006 zu Tode kam. Der zuständige Amtsvormund in Bremen habe zu diesem Zeitpunkt 200 Mündel (im Bürgerlichen Gesetzbuch verwandter Begriff für minderjährige Personen, die unter Vormundschaft steht) betreut. Er habe wegen des fehlenden persönlichen Kontakts keine Kenntnis von den katastrophalen Verhältnissen gehabt, in denen Kevin gelebt habe. Zudem müsse die Begrenzung der Zahl der Fälle für alle Formen der Vormundschaft gelten, nicht nur für die Amtsvormundschaft. Damit die Neuregelung in der Praxis umgesetzt werden könne und „keine bloße Absichtserklärung“ bleibe, müssten zudem „erhebliche finanzielle Ressourcen“ bereitgestellt werden. Die Zahl der qualifizierten Jugendamtsmitarbeiter müsse in diesem Bereich „erheblich erhöht“ werden, fordern die Sozialdemokraten. Zu der angekündigten Reform des Vormundschaftsrechts sei – ähnlich wie im Betreuungsrecht – ein gesetzliches Leitbild für die Tätigkeit des Vormunds geschaffen werden. Die Entwicklung und das Wohl des Mündels sollten stärker in den Vordergrund der Amtsführung des Vormunds gerückt werden. Es solle explizit geregelt werden, dass der Vormund bei seiner Tätigkeit das Wohl und den Willen des Minderjährigen zu beachten habe. Die Interessen des Mündels sollten zudem bei Anordnung und Führung der Vormundschaft stärker berücksichtigt werden. Dies gelte für die Auswahl des Vormunds ebenso für die Führung der Vormundschaft. Das Mündel sollte je nach Stadt seiner Entwicklung bei der Entscheidung der ihn betreffenden Angelegenheit durch den Vormund beteiligt sein.

Die Sozialdemokraten fordern außerdem eine Beschwerdeinstanz, an die sich das Mündel wenden kann. Zu prüfen sei auch, in welchem Umfang Pflegeeltern für die Übernahme der Vormundschaft geeignet sind und wie dies durch gesetzliche Regelungen unterstütz werden kann.

Quelle: heute im bundestag vom 7.7.2010

 

 

 


 

 

Die Ersatzmutter

Dagmar Welinski entscheidet als Vormund für Kinder - manchmal gegen den Willen der Eltern. Sie will ihr Gesicht lieber nicht in der Zeitung sehen.

 

Foto: Benjamin Pritzkuleit

 

Dagmar Welinski bestimmt als Vormund über das Leben von 65 Kindern. Manche hat sie nie gesehen

von Julia Haak

Liebe gehört nicht zu ihren Aufgaben. Verantwortung dagegen schon. Dagmar Welinski hat Mutterpflichten, und zwar neben ihrem eigenen kleinen Sohn noch für 65 andere Kinder. Sie sorgt dafür, dass sie gut untergebracht sind und erzogen werden, sie klagt Unterhalt für sie ein, beschließt, ob ein Arztbesuch oder eine Operation nötig ist und vertritt sie auch vor Gericht. Dagmar Welinskis Kinder befinden sich im Heim oder in einer Pflegefamilie. Zu ihr kommen sie nur in Form von Akten. Es sind Kinder, deren Eltern gestorben sind, die Polizei und Jugendamt aus ihren Familien zu ihrem eigenen Schutz herausgenommen haben, Kinder von minderjährigen, entscheidungsunfähigen oder drogensüchtigen Müttern. Dagmar Welinski würde die Kinder gerne alle persönlich gut kennen. Aber mal zusammen ein Eis essen gehen, dafür ist keine Zeit.

Die 42-Jährige arbeitet seit 14 Jahren als Amtsvormund in Charlottenburg-Wilmersdorf. Im Bundesjustizministerium hat man ihren Job derzeit im Blick: Ein Gesetzentwurf wird vorbereitet, der eine persönliche Beziehung zwischen Vormund und Kind vorschreibt. Dafür soll die Anzahl der Mündel begrenzt werden. Ein Amtsvormund wird dann nur noch für 50 Kinder zuständig sein, nicht für 100 oder 200, wie es manchmal vorkommt.

Kaum persönliche Beziehungen

Eigentlich ist eine persönliche Beziehung zwischen Vormund und seinen im Berliner Durchschnitt 70 Mündeln jetzt schon erwünscht. In der Senatsjugendverwaltung gibt man aber zu, dass die „Beziehungsarbeit auf Grenzen gestoßen“ ist. „Wir sollen jedes Kind kennen – bisher ist das nicht möglich“, sagt Welinski. Aus Zeitgründen. Sie hat sich vorgenommen, wenigstens alle einmal zu sehen. Daran arbeitet sie. Aber eine richtige persönliche Bindung? Dagmar Welinski hält das nicht für realistisch, auch nicht, wenn es bald im Gesetz steht. Wahrscheinlich würden nur die Vaterschaftsklagen jemand anderem im Amt übertragen. Im Senat wartet man ab, bis sich der neue Bundestag konstituiert hat. Künftig sollen mehr ehrenamtliche Privatpersonen Vormundschaften übernehmen. So will man die Aufgaben neu verteilen. Welinski hält davon wenig: „Das hat man vor Jahren schon mal versucht, die Resonanz war gleich null. Wer will diese Verantwortung freiwillig übernehmen?“

Dagmar Welinski spricht schnell und bestimmt. Man gewinnt den Eindruck, dass sie ihre 65 Akten im Griff hat, dass sie weiß, wie es jedem einzelnen Kind geht und sich Gedanken darüber macht. „Aber wir können nicht hinter jeder Tür stehen“, sagt sie. Auch bei ihr hat es schon Fälle gegeben, bei denen sie lange nicht mitgekriegt hat, was läuft. Da war zum Beispiel ein Pflegevater, Teil einer sogenannten Profifamilie, bei der sich zwei Erzieher um mehrere Kinder kümmern, der Kinder missbraucht hat. „Man steckt nicht drin. Die Familien sind geprüft“, sagt Welinski. Das Jugendamt besucht jede Pflegefamilie und schreibt ein Gutachten. Dagmar Welinski verlässt sich darauf.

Es ist viel Papier, auf das sich Welinski in ihrem Urteil stützt. Wenn eine neue Akte auf ihrem Tisch landet, beantragt sie beim Familiengericht die Vormundschaft. Das Gericht beschließt und schon ist sie verantwortlich. „Für alles, was sonst die Eltern machen.“ Wo das Kind wohnt, ob es eine Brille oder eine Zahnbehandlung bekommen soll, die Erbschaft muss angenommen oder ausgeschlagen werden, das Eigentum verwaltet, ein Sparbuch eröffnet, die Schule ausgesucht und beschlossen werden, wann es überhaupt eingeschult werden soll. Weil Welinski das nicht allein leisten kann, muss sie viel telefonieren mit Ärzten, Lehrern, Erziehern, Sozialarbeitern, dem Jugendamt.

Sie muss sich eine Meinung über die Berichte dieser Leute bilden – vom Schreibtisch aus. Und dabei muss sie aufpassen, dass sich die 65 Schicksale dort nicht zum unentwirrbaren Kuddelmuddel verknoten: Denn an einem einzigen Tag braucht ja ein Kind eine Zahnspange, ein zweites einen Ausbildungsplatz, für ein anderes empfiehlt der Kinderarzt ein Medikament mit Nebenwirkungen. Im Laufe der Jahre hat sie zu den älteren Kindern manchmal Kontakt. Die rufen an oder tauchen im Büro auf, wenn sie was wollen. Für die Kleinen ist sie nur eine weitere Tante vom Amt.

Wenn die Beziehung zum Mündel persönlich wird, gibt es meist einen gewichtigen Grund dafür. Dagmar Welinski hatte eine 16-Jährige, die ihre Brust verkleinern lassen wollte. Sie telefonierte mit den behandelnden Ärzten und erfuhr, dass es nicht um Kosmetik ging. Das Mädchen hatte massive Rückenprobleme, weil sie zu viel Gewicht trug, bleibende Schäden waren absehbar. Welinski stimmte der Operation zu, aber das reichte dem Arzt nicht. „Da bin ich in die Klinik gefahren und habe dort einen halben Tag verbracht“, sagt sie. Sie saß neben der 16-Jährigen, als der Eingriff und die Narkose erläutert wurden.

„Manchmal läuft alles rund in einer Pflegefamilie, die sieht man selten. Um andere muss man sich dauernd kümmern“, sagt Welinski. Ein anderes 16-jähriges Mädchen büxte immer wieder aus. Das Mädchen tauchte schließlich wieder auf, weil es Geld brauchte. Die Jugendliche war zu ihrem Freund gezogen. Aber dann saßen beide jammernd vor Welinski und verlangten Unterstützung. „Da darf man dann nicht lockerlassen.“ Welinski verweigerte den Unterhalt, bis das Mädchen zurück ins Heim zog. „Nicht zahlen, wenn sie nicht mitspielt“, sagt sie.

Eine private Versicherung

Wer Amtsvormund werden will, muss die entsprechende Persönlichkeit mitbringen. Dagmar Welinski ist Diplom-Verwaltungswirtin, hat einen Lehrgang zum Vormundschaftsrecht absolviert und besucht Fortbildungen. Aber das Verwaltungsrecht hilft nur wenig, wenn sie entscheiden muss, ob ein jahrelang sexuell missbrauchtes Mädchen Umgang mit seiner Ursprungsfamilie haben soll oder ob eine Drogenabhängige das Sorgerecht zurückbekommt, wenn sie clean ist. „Wir haben viel Verantwortung. Das ist nicht ohne“, sagt sie. Die spektakulären Fälle vernachlässigter Kinder, vor allem Kevin, der 2006 in Bremen tot im Kühlschrank gefunden wurde, während er in den Akten seines Vormundes als gesund galt, haben Dagmar Welinski stark mitgenommen. Auch sie könnte falsch entscheiden, das macht ihr zu schaffen. „Ich bin kein Mediziner, ich kann gar nicht beurteilen, ob bei Eltern oder einem Kind Tabletten im Spiel sind, ich muss mich auf Berichte verlassen“, sagt sie, Berichte von Sozialarbeitern, Ärzten, Familienhelfern.

In Charlottenburg-Wilmersdorf hat jeder der fünf Vormünder eine private Haftpflichtversicherung abgeschlossen. Welinski hat sie einmal gebraucht in ihrer Anfangszeit. Es war eine Unterhaltssache. Das Amt hatte einen Vater verklagt, aber der hatte schon einen Teil gezahlt. Weil sich in einer Stressphase die Mitarbeiter gegenseitig vertreten mussten, war das nicht aufgefallen. Anwaltskosten liefen auf. „Man darf Job und Probleme nicht mit nach Hause nehmen, das ist wichtig“, sagt Dagmar Welinski. Schließlich ist sie für jedes Mündel viele Jahre zuständig – bis zur Volljährigkeit.

Berliner Zeitung, 13.10.2009

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/berlin/142170/142171.php

 

 

 


 

 

Zypries: Kinderschutz weiter verbessern – Arbeitsgruppenbericht im Kabinett vorgestellt

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat am 2. September im Bundeskabinett den Abschlussbericht der von ihr eingerichteten Arbeitsgruppe „Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls – § 1666 BGB“ vorgestellt. Der Bericht enthält Empfehlungen für eine weitere Verbesserung des Kinderschutzes, etwa durch Qualitätssicherung bei Vormundschaft und Pflegschaft oder durch Intensivierung der Zusammenarbeit von Jugendämtern und Gerichten.

„Beim Kinderschutz haben wir viel erreicht. So können Familiengerichte seit Mitte letzten Jahres schneller und besser auf Kindeswohlgefährdungen reagieren. Zudem sorgt das erweiterte Führungszeugnis dafür, dass Arbeitgeber im Kinder- und Jugendbereich über einschlägige Sexualdelikte von Bewerbern Bescheid wissen. Schreckliche Einzelfälle wie zuletzt in Bayern zeigen aber, dass wir uns mit dem Erreichten nicht zufrieden geben dürfen. In der nächsten Legislaturperiode brauchen wir nicht nur einen neuen Anlauf beim Kinderschutzgesetz. Auch in den Themenbereichen des Justizministeriums gibt es weitere Verbesserungsmöglichkeiten. Die von mir eingesetzte Arbeitsgruppe hat dazu gute Vorschläge gemacht. Besonders wichtig ist mir eine Reform des Vormundschaftsrechts. Hier müssen wir die Rechte der Kinder mehr in den Mittelpunkt rücken, etwa durch verstärkte Beteiligung an der Auswahl und an Entscheidungen des Vormunds. Mein Ziel ist eine persönliche Beziehung zwischen Vormund und Kind. Dazu müssen wir die Einzelvormundschaft stärken und Amtsvormünder entlasten, denn 60 bis 120 Kinder pro Amtsvormund sind einfach zu viel. Wir sollten auch verstärkt Menschen dafür gewinnen, ehrenamtlich eine Vormundschaft zu übernehmen. Die Zusammenarbeit von Familiengericht und Jugendamt müssen wir weiter verbessern, insbesondere die Teilnahme des Jugendamts beim Gerichtstermin verbindlicher und konkreter regeln. Und es ist wichtig, dass sich Richter und Jugendamtsmitarbeiter optimal fortbilden und fallübergreifend zusammenarbeiten“, sagte Brigitte Zypries. Auf Vorschlag von Bundesjustizministerin Zypries wurde der Kinderschutz in der 16. Legislaturperiode wiederholt verbessert. Das Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls fördert die frühzeitige Einschaltung der Familiengerichte in den Hilfeprozess (www.bmj.de/240408kindeswohl). Und die Reform des Verfahrens in Familiensachen und in Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit baut den Kinderschutz im gerichtlichen Verfahren weiter aus, etwa durch die Stärkung der Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte betroffener Kinder (www.bmj.de/270608famfg). Mit dem erweiterten Führungszeugnis wird Arbeitgebern künftig in deutlich größerem Umfang Auskunft darüber gegeben, ob Stellenbewerber für kinder- und jugendnahe Tätigkeiten wegen bestimmter Sexualdelikte vorbestraft sind (www.bmj.de/140509fuehrungszeugnis).

Die jetzt vorgeschlagenen weiteren Verbesserungen wurden von einer Arbeitsgruppe erarbeitet, die Bundesministerin Zypries bereits im März 2006 eingesetzt hat. Im November 2006 hatte die Arbeitsgruppe erste Vorschläge unterbreitet, die in das Mitte 2008 in Kraft getretene Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls eingeflossen sind. Nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes rief Ministerin Zypries die Arbeitsgruppe im Jahr 2008 erneut zusammen, um erste Erfahrungen mit dem neuen Gesetz auszutauschen. Überdies sollte geprüft werden, ob weitere gesetzliche Änderungen erforderlich sind. Den Abschlussbericht der Arbeitsgruppe hat Bundesjustizministerin Zypries am 2. September im Bundeskabinett vorgestellt.

Zusammenfassung der Vorschläge der Arbeitsgruppe:

1. Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Familiengericht und Jugendamt

Ein Themengebiet der Arbeitsgruppe war die Förderung einer reibungslosen Zusammenarbeit der Familiengerichte mit den Jugendämtern. Hierzu schlägt die Arbeitsgruppe vor, die Teilnahme des Jugendamts am gerichtlichen Termin verbindlicher und konkreter zu regeln. Die gerichtlichen Termine sollen durch eine „mit der Angelegenheit vertraute Fachkraft des Jugendamts“ wahrgenommen werden. Um dieses Ziel zu erreichen, schlägt der Bericht Änderungen im Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) und im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) vor.

2. Fortbildung und fallübergreifende interdisziplinäre Zusammenarbeit

Für einen effektiven Kinderschutz und eine gute Zusammenarbeit zwischen Familiengericht und Jugendamt ist es neben den gesetzlichen Neuregelungen elementar wichtig, dass Familienrichterinnen und Familienrichter über ausreichende, auch interdisziplinäre, Fachkenntnisse verfügen. Auch müssen Familiengerichte und Jugendämter fallübergreifend interdisziplinär zusammenarbeiten. Die Arbeitsgruppe schlägt den Ländern und dem Bund vor, in den Richtergesetzen eine allgemeine Fortbildungspflicht für Richter ausdrücklich gesetzlich zu verankern („Richterinnen und Richter sind verpflichtet, sich fortzubilden.“). Die interdisziplinäre Zusammenarbeit, insbesondere zwischen Familiengericht und Jugendamt, sollte weiter befördert und unterstützt werden. Es sollten mehr Anreize zur Teilnahme an Fortbildungen und an fallübergreifenden interdisziplinären Arbeitskreisen geschaffen werden (beispielsweise Verankerung in den Beurteilungs- und Beförderungsrichtlinien, verstärkte Berücksichtigung im Rahmen der Personalentwicklung, Überprüfung einer Anpassung des Personalbedarfsberechnungssystems Pebb§y, Bereitstellung der nötigen finanziellen und sachlichen Mittel, Ermöglichung der für Fortbildungen nötigen zeitlichen Kapazitäten bei den Richterinnen und Richtern).

3. Gefährdung des Wohls des ungeborenen Kindes

Bei einer Gefährdung des Kindeswohls hat das Familiengericht nach § 1666 BGB die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Das können mit Zwangsgeld oder Zwangshaft durchsetzbare Ge- oder Verbote sein, notfalls auch der Entzug des Sorgerechts. Die Vorschrift findet ihrem Wortlaut nach nur auf das bereits geborene Kind Anwendung. Zu einer vermeidbaren nachhaltigen Schädigung kann es aber bereits vor der Geburt kommen (etwa durch Alkohol- oder Drogenmissbrauch der Mutter in der Schwangerschaft). Oder eine Gefährdung des Kindes nach der Geburt kann schon während der Schwangerschaft absehbar sein. Eine solche vorgeburtliche Gefährdungslage wirft Probleme im Hinblick auf die Handlungsmöglichkeiten des Jugendamts und des Familiengerichts auf. Nach intensiver Diskussion empfiehlt die Arbeitsgruppe, keine gesetzliche Regelung zur Anwendung des § 1666 BGB auf das ungeborene Kind zu treffen, sondern bei einer Gefährdung des Wohls ungeborener Kinder mit den bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten zu reagieren. Gerichtliche Ge- und Verbote gegenüber der Schwangeren wären in dieser Situation kaum durchsetzbar. Die Arbeitsgruppe hält es deshalb für erfolgversprechender, stattdessen auf ausgeweitete Hilfeangebote der Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge zu setzen. Sie empfiehlt dem Gesetzgeber, in das SGB VIII ein Hilfeangebot aufzunehmen, das sich ausdrücklich an schwangere Frauen und werdende Eltern richtet und das Beratung und Hilfe in der Schwangerschaft zum Gegenstand hat.

4. Qualitätssicherung in der Vormundschaft und Pflegschaft

Wird den Eltern nach § 1666 BGB das Sorgerecht ganz oder teilweise entzogen, überträgt das Familiengericht das Sorgerecht auf einen Vormund oder Pfleger. Die Praxis zeigt allerdings, dass es auch im Rahmen einer Vormundschaft oder Pflegschaft im Einzelfall zu einer Kindeswohlgefährdung kommen kann. Die Arbeitsgruppe hält eine Reform des Vormundschafts- und Pflegschaftsrechts für erforderlich und empfiehlt, diesen Reformbedarf in der kommenden Legislaturperiode anhand folgender Eckpunkte zu prüfen:

Rechte des Kindes in den Mittelpunkt stellen: Die Entwicklung und das persönliche Wohl des Mündels stehen in der Praxis häufig nicht im Fokus der Amtsführung des Vormunds. Schwerpunkt ist nicht die Personensorge, sondern die Vermögenssorge und die rechtliche Vertretung des Kindes oder des Jugendlichen. Insbesondere dann, wenn das Kind in einer Einrichtung oder in einer Pflegefamilie untergebracht ist, ist die Tätigkeit des Amtsvormunds eher verwaltender als fürsorgender Natur. Ein persönlicher Kontakt zwischen dem Vormund und dem Kind oder Jugendlichen besteht in diesen Fällen häufig nicht. Um dies zu ändern, empfiehlt die Arbeitsgruppe Maßnahmen, um künftig die Rechte des Kindes in den Mittelpunkt zu stellen (z. B. Recht des Kindes auf Fürsorge, Förderung der Entwicklung, Berücksichtigung seiner Wünsche)

Abbau der hohen Fallzahlen in der Amtsvormundschaft: Amtsvormünder sind nach den Erfahrungen der Arbeitsgruppenmitglieder in der Regel für zahlreiche Kinder und Jugendliche zuständig. Meist hat eine Fachkraft im Jugendamt zwischen 60 und 120, in Einzelfällen auch noch mehr Kinder als Amtsvormund zu vertreten. Aus der Praxis kommt die Empfehlung, 50 Vormundschaften je Amtsvormund als Obergrenze anzustreben. Die Rahmenbedingungen in der Amtsvormundschaft müssen so gestaltet werden, dass eine auf die Rechte des Kindes konzentrierte Amtsführung möglich ist.

Stärkung der Einzelvormundschaft: Obwohl die Einzelvormundschaft nach dem Gesetz Vorrang hat, stellt in der Praxis die Amtsvormundschaft den Regelfall dar. Um den persönlichen Kontakt zwischen Vormund und Kind zu gewährleisten und eine an den Interessen des Kindes orientierte Amtsführung zu ermöglichen, sollte laut Arbeitsgruppe gezielt die Einzelvormundschaft gefördert werden.

5. Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien

Pflegekinder kommen heute in der Regel aus einer Gefährdungssituation in ihrer Herkunftsfamilie. Für diese Kinder ist eine stabile Familiensituation besonders wichtig und förderlich. Viele Pflegekinder leben aber über längere Zeit im Hinblick auf Herkunftsfamilie und Pflegefamilie in unsicheren rechtlichen Verhältnissen.

Die Arbeitsgruppe regt an, in der kommenden Legislaturperiode zu prüfen, ob ein gesetzlicher Handlungsbedarf hinsichtlich langjähriger Pflegeverhältnisse besteht. Insbesondere soll geprüft werden, wie eine langfristige stabile Situation für das Kind erreicht werden kann (Rückführung in die Herkunftsfamilie oder Adoption/stärkere rechtliche Absicherung der seit längerer Zeit bestehenden Pflegeverhältnisse).

Den vollständigen Abschlussbericht der Arbeitsgruppe finden Sie unter www.bmj.de/ag-kindeswohl.

Quelle: Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz vom 2.9.2009

 

 

 


 

 

Amtsgericht Bremen-Blumenthal

Geschäfts-Nr.: 71 b F 0775/03

B e s c h l u s s 10. Mai 2004

 

In der Familiensache

betr. X, geb. ...1988,

ges. vertr. durch das AfSD als Vormund

und die Großmutter als Pflegerin

 

 

.... 27809 Lemwerder

Antragsteller

Verfahrensbevollm.:RAin ... 

 

gegen,

Freie Hansestadt Bremen Amt für Soziale Dienste Sozialzentrum Vegesack, Am Sedanplatz 7, 28757 Bremen

Antragsgegnerin

 

 

Beteiligte:

Großmutter: ... 28757 Bremen

Verfahrensbevollm.: ...

Verfahrenspfleger: RAin McCallion, hier

wegen Regelung des Umgangrechts

bestimmt das Familiengericht nach Anhörung des Kindesvaters, der Großmutter und der Jugendlichen X:

Der Antrag des Kindesvaters auf Einräumung eines regelmäßigen persönlichen Umgangs mit der Jugendlichen wird zurückgewiesen.

 

Der persönliche Umgang wird in Fortschreibung des Ausschlusses mit Beschluss vom 15.03.2001, 71 aF 734/00 bis zur Volljährigkeit ausgeschlossen. Der Kindesvater ist weiterhin zu brieflichen Kontakten einmal vierteljährlich und zum Geburtstag und zu Weihnachten berechtigt. Dem Amtsvormund Amt für Soziale Dienste wird aufgegeben, dem Kindesvater halbjährlich Information über X's schulische Entwicklung zu erteilen.

Die Gerichtskosten werden dem Kindesvater auferlegt.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Geschäftswert beträgt 3.000,00 E.

G r ü n d e :

Die Jugendliche X lebt seit 1991 im Haushalt ihrer Großmutter zusammen mit der Kindesmutter. Nach deren Tod am 01.05.2003 hatte der Kindesvater die Übertragung der elterlichen Sorge gemäß § 1680 11 BGB auf sich beantragt. Dieser Antrag ist mit Beschluss vom 11. 12.2003 zurückgewiesen worden. (71 b F 366/03) Nunmehr begehrt der Kindesvater die Regelung des persönlichen Umgangs mit der Jugendlichen gemäß § 1684 1 BGB, da ihm als überlebendem Elternteil zumindest im Rahmen seines Elternrechts das Umgangsrecht zugestanden werden müsse. Soweit dieses Umgangsrecht in den Vorverfahren X 23691 mit Beschlüssen vom 3.11.1994 und 03.07.1997 sowie 71a F 374100 mit Beschluss vom 15.3.2001 jeweils befristet für die Dauer von 2 Jahren ausgeschlossen worden sei, sei nach dem Tod der Kindesmutter der Ausschluss nicht mehr gerechtfertigt, da dieser nach seinem Verständnis im wesentlichen dem Schutz der psychisch-kranken Kindesmutter gedient habe. Soweit die Jugendliche X den persönlichen Kontakt mit ihm ablehne, sei diese Ablehnung unbeachtlich, weil sie zum einen auf einem inzwischen verfestigten PASSyndrom beruhe und zum anderen auf Beeinflussung der Großmutter der Jugendlichen zurückzuführen sei, die ihn als Person von jeher abgelehnt habe. Die Jugendliche X hat in ihrer Anhörung die Aufnahme persönliche Kontakte sehr entschieden abgelehnt, da der Vater in ihrem Leben keine Rolle spiele und sein Umgangswunsch sie psychisch unter Druck setze, zumal er seit Jahren die Kindesmutter und sie damit bedrängt habe. Sie hat eine Einmischung der Großmutter in diese Problematik in Abrede genommen, da die Großmutter ihr die persönlichen Umgangskontakte freigestellt habe.

Der Antrag des Kindesvaters ist den Stellungnahmen der Verfahrenspflegerin und des Amts für Soziale Dienste folgend zurückgewiesen worden und der weitere Ausschluss des Umgangsrechts angeordnet worden, weil die Anordnung des Umgangsrechts gegen den erklärten Willen der Jugendlichen in diesem Fall eine Gefährdung der psychischen Entwicklung der Jugendlichem mit sich bringt. Denn die verfestigte Abwehrhaltung der Jugendlichen ist als psychische Realität beachtlich ungeachtet der vom Kindesvater behaupteten Genese der negativen Beeinflussung, für die jedenfalls seitens der Großmutter nach dem Versterben der Kindesmutter keine Anhaltspunkte mehr bestehen. Das von Kindesvater und Großmutter unbestritten für die Vergangenheit eingeräumte Spannungsverhältnis ist auch nicht mehr ausschlaggebend für die Abwehr der Jugendlichen. Denn diese hat nachvollziehbar dargelegt, dass ihr ein Beziehungsaufbau zum Kindesvater nicht möglich ist aus Gründen, die in der Person des Kindesvaters selbst liegen, der nicht in der Lage gewesen sei und dies auch heute noch nicht sei, ihre Bedürfnisse zu erkennen. Der Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens bedarf es für die Entscheidung nicht, weil die 16-jährige Jugendliche gegen ihren Willen zu einem Umgang nicht gezwungen werden kann, und für die Jugendliche auch keine Umgangspflicht besteht. Letzteres verkennt der Kindesvater in seinen Beharren auf seinem Umgangsrecht als Ausflugs des Elternrechts. Das Informationsrecht des Kindesvaters bleibt weiterhin bestehen und ist in der Entscheidung festgeschrieben worden. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 30 Kost0, 13a FGG.

28779 Bremen, den 5.5.2004 Das Amtsgericht Familiengericht 

gez. Blank Richterin am Amtsgericht

Für die Ausfertigung:

Justizobersekretärin

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

 


 

 

 

OLG Hamm - BGB §§ 1779 II, 1791b I, 1887; FGG §§ 12, 50

(15. ZS, Beschluß v. 01.12.1998 - 15 W 339/98)

 

1. Zu den Voraussetzungen der Entlassung des Amtsvormundes gemäß § 1887 BGB, wenn Großeltern die Vormundschaft für ihr bei Pflegeeltern lebendes Enkelkind anstreben.

2. Der nach der Neufassung des § 1779 II BGB durch das KindRG bei der Auswahl des Vormundes zu berücksichtigende mutmaßliche Elternwille ist jedenfalls dann nicht bindend, wenn das Kindeswohl mit der Bestellung gefährdet würde. Sind Großeltern i. S. von § 1779 II BGB geeignet, haben sie einen verfassungsrechtlich begründeten Vorrang vor Dritten, selbst wenn diese das Kindeswohl besser fördern könnten.

3. Für das bei einem Aufenthaltswechsel des Kindes von Pflegeeltern zu seinen Großeltern hinzunehmende Risiko ist der Maßstab anzulegen, den das BVerfG (FamRZ 1989, 31 ff.) bei einem Wechsel aus der Pflegefamilie zu seinen Eltern oder Adoptiveltern anlegt, da Großeltern jedenfalls dann zur Familie zählen, wenn die leiblichen Eltern nicht in der Lage sind, ihre Elternverantwortung auszuüben.

4. Die Frage, ob durch die beabsichtigte Herausnahme des Kindes aus dem Haushalt der Pflegeeltern die Gefahr schwerwiegender Entwicklungsstörungen zu besorgen ist, ist durch Sachverständigengutachten zu klären (§ 12 FGG). Der persönliche Eindruck des Berichterstatters bei der Anhörung des Kindes und eines Pflegeelternteils reicht nicht aus.

5. Dem Kind ist gemäß § 50 FGG ein Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn Gegenstand des Verfahrens auch die Wegnahme des Kindes von der Pflegeperson ist und eine Interessenvertretung durch das Jugendamt im Hinblick auf dessen Bestellung zum Vormund nicht gewährleistet ist.

6. Ein im Rahmen einer weiteren Beschwerde gestellter Antrag auf Feststellung einer unangemessen langen Verfahrensdauer der Vorinstanz ist unzulässig, weil das Verfahrensrecht die Feststellung einer zögerlichen Bearbeitung durch das Gericht nicht kennt.

(Leitsätze des Einsenders)

 

 

Aus den Gründen:

I.

Die jetzt fünf Jahre alte I. ging aus der 1992 geschlossenen Ehe der Beteiligten [Bet.] zu 1 und 2 hervor. Die Bet. zu 3 sind ihre Großeltern väterlicherseits.

FamRZ 1999 - Seite 679

Die Bet. zu 1 und 2 sind heroinabhängig. I. und ihr vier Jahre alter Bruder D. wurden in den ersten Monaten und Jahren ihres Lebens mal von den Großeltern mütterlicherseits, mal von den Bet. zu 3 und zwischenzeitlich immer wieder von den Bet. zu 1 und 2 versorgt. Im Juni 1995 trat der Bet. zu 2 eine Therapie an. Er nahm zunächst nur den damals acht Monate alten D. mit in die Therapie; nachdem sich aber herausstellte, daß die Bet. zu 1 aufgrund ihrer Drogenabhängigkeit die Versorgung und Betreuung von I. nicht gewährleisten konnte, wurde auch dieses damals zwei Jahre alte Kind zum Vater in die Therapie gebracht. Im September 1995 brach der Bet. zu 2 die Therapie jedoch wieder ab. Daraufhin brachte das zu 4 bet. Jugendamt [JA] beide Kinder bei der Familie X. in Obhut.

Bei ihrer richterlichen Anhörung v. 5. 10. 1995 sprachen sich die Eltern dafür aus, daß beide Kinder bei den Bet. zu 3 aufwachsen sollen. Das AmtsG holte ein schriftliches Gutachten ein, u. a. zu der Frage, ob eine Erziehung und Versorgung der Kinder durch die Großeltern dem Wohl der Kinder entspreche. Mit Beschluß v. 24. 1. 1996 entzog das AmtsG den Bet. zu 1 und 2 die elterliche Sorge für ihre Kinder und übertrug sie dem JA als Vormund.

Gegen diesen Beschluß legten die Bet. zu 3 Beschwerde ein mit dem Antrag, zu Vormündern ihrer Enkelkinder bestellt zu werden, hilfsweise vorrangig den Großvater zum Vormund zu bestellen.

Eine im Verlaufe des Beschwerdeverfahrens versuchte einvernehmliche Regelung über die Unterbringung der Kinder scheiterte, nachdem sich eine Unterbringung bei den Pflegeeltern K. nicht realisieren ließ.

Seit dem 1. 5. 1996 ist D. im Haushalt der Bet. zu 3, die vom JA betreut werden, untergebracht. I. befindet sich seit dem 23. 5. 1996 bei der Pflegefamilie W.

Das LG hörte durch die Berichterstatterin als beauftragte Richterin I., die Bet. zu 1 und die Bet. zu 3 persönlich an.

Mit Beschluß v. 20. 7. 1998 änderte es die Entscheidung des AmtsG unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde ab. Es entließ das JA als Vormund für D. und übertrug die elterl. Sorge für D. dem Großvater väterlicherseits als Vormund.

Gegen die Zurückweisung ihrer Erstbeschwerde richtet sich die weitere Beschwerde der Bet. zu 3.

II.

1. Die weitere Beschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, soweit sie die Auswahlentscheidung hinsichtlich des Kindes I. betrifft und zur Zurückverweisung der Sache an das LG, weil die Beschwerdeentscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruht (§ 27 I FGG) und für eine abschließende Entscheidung noch weitere tatsächliche Ermittlungen erforderlich sind.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das LG zutreffend von einer zulässigen Erstbeschwerde der zu 3 bet. Großeltern väterlicherseits ausgegangen. Sie waren nach § 57 I Nr. 9 FGG zur Einlegung der Erstbeschwerde befugt. Es handelt sich um eine die Person des Kindes betreffende Angelegenheit, zu deren Wahrnehmung die Bet. zu 3 als Großeltern ein berechtigtes Interesse haben (vgl. Keidel/Kuntze, FG, Teil A, 13. Aufl., § 57 FGG Rz. 38; Staudinger/Engler, BGB, 12. Aufl., § 1779 Rz. 43, jeweils m.w.N.). Zutreffend hat das LG ausgeführt, daß die sich gegen die Auswahl des Vormunds richtende Beschwerde nach dessen Bestellung mit dem Ziel seiner Entlassung zulässig sei. Die Entlassung des JA als Vormund richtet sich nach § 1887 BGB. Danach hat das VormG das JA zu entlassen und einen anderen Vormund zu bestellen, wenn dies dem Wohl des Mündels dient und eine andere als Vormund geeignete Person vorhanden ist. Darüber hinaus ist anerkannt, daß ein Grund für die Abberufung vorliegt, wenn bei Bestellung des Vormunds gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen worden ist (Senat, FamRZ 1996, 1356, m.w.N.).

In der Sache hält die angegriffene Entscheidung der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil das LG ohne ausreichende Sachaufklärung (§ 12 FGG) entschieden hat.

Ist - wie hier - eine Vormundschaft angeordnet und greifen die gesetzlichen Vorschriften über die Berufung bestimmter Personen als Vormund (§ 1776 BGB) nicht ein, so hat das VormG den Vormund nach § 1779 BGB auszuwählen.

Mit zutreffender Begründung hat das LG angenommen, die Bet. zu 3 seien nicht nach § 1776 BGB zum Vormund berufen, denn eine Berufung i. S. dieser Vorschrift setzt nach § 1777 III BGB eine Benennung durch letztwillige Verfügung voraus. § 1777 BGB läßt also nur eine postmortale Bestimmung der Eltern zu.

Nach § 1779 II BGB soll das VormG eine Person auswählen, die nach ihren persönlichen Verhältnissen und ihrer Vermögenslage sowie den sonstigen Umständen zur Führung der Vormundschaft geeignet ist. Nach der Neufassung der Vorschrift aufgrund des KindRG v. 16. 12. 1997 (BGBl I 2942) sind bei der Auswahl unter mehreren geeigneten Personen der mutmaßliche Wille der Eltern, die Verwandtschaft oder Schwägerschaft mit dem Kind sowie dessen religiöses Bekenntnis zu berücksichtigen. Vorschläge und Wünsche der Eltern sind demnach - jedenfalls dann - nicht bindend, wenn das Kindeswohl mit der Bestellung gefährdet wäre (so zur alten Rechtslage Staudinger/Engler, a.a.O., Rz. 11). Die vorzugsweise Berücksichtigung von Verwandten und Verschwägerten des Kindes ist nach der Rspr. des BVerfG verfassungsrechtlich geboten, sofern keine Interessenkollision besteht oder der Zweck der Fürsorgemaßnahme aus anderen Gründen die Bestellung eines Dritten verlangt (BVerfGE 33, 326). Es gilt auch weithin als Selbstverständlichkeit, daß bei intakten Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen Kinder dann, wenn ihre Eltern aus welchen Gründen auch immer als Sorgeberechtigte ausscheiden, von Großeltern oder anderen nahen Verwandten aufgenommen und großgezogen werden, sofern deren Verhältnisse dies ermöglichen. Darin dokumentieren sich gewachsene Familienbeziehungen, Verbundenheit und Verantwortungsbewußtsein. Sind diese Verwandten zur Führung der Vormundschaft geeignet i. S. von § 1779 II BGB, so dürfen sie nicht etwa deswegen übergangen werden, weil ein außenstehender Dritter noch besser dazu geeignet wäre, beispielsweise im Hinblick auf eine optimale geistige Förderung des Kindes.

Andere Personen kommen als Vormund nur in Betracht, wenn ein nach den aufgezeigten Grundsätzen geeigneter Verwandter oder Verschwägerter nicht vorhanden ist. Auch eine Bestellung des JA gemäß § 1791b I BGB ist nur zulässig, wenn eine als Einzelvormund geeignete Person nicht vorhanden ist.

Bei dem Merkmal der "Eignung" i. S. des § 1779 II BGB handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. Staudinger/Engler, a.a.O., Rz. 47, m.w.N.). Das bedeutet, daß das Rechtsbeschwerdegericht an die vom Tatrichter rechtlich einwandfrei festgestellten Einzeltatsachen gebunden ist, daß es aber die Subsumtion dieser Tatsachen unter den unbestimmten Rechtsbegriff voll nachzuprüfen hat (Keidel/Kuntze, a.a.O., § 27 FGG Rz. 30).

Im vorliegenden Fall beruht die Annahme des LG, den Bet. zu 3 fehle es an der erforderlichen Eignung zum Vormund, auf der Erwägung, sie seien bestrebt, auch das Enkelkind I. in ihrer Familie aufzunehmen, und es sei nicht auszuschließen, sondern zu erwarten, daß hierdurch das Kindeswohl gefährdet werde. Nicht zu beanstanden sind insoweit die Feststellungen des LG, I. habe in den ersten drei Lebensjahren nicht die erforderlichen haltgebenden und stabilisierenden Bindungen entwickeln können, weil sie von ständig wechselnden Bezugspersonen betreut worden sei . . . [wird ausgeführt] . . . Dies habe, wie das LG weiter überzeugend ausführt, bei dem Kind zu erheblichen Verhaltensstörungen in Form von Distanzlosigkeit, Bindungsschwäche und fehlender Einordnung, aber auch zur Orientierungslosigkeit geführt; diese Defizite hätten auch noch bei der Aufnahme des Kindes in die Familie W. im Mai 1996 fortbestanden.

FamRZ 1999 - Seite 680

Ohne ausreichende tatsächliche Grundlage ist aber die Annahme des LG, die Herausnahme des Kindes I. aus dem Haushalt der Eheleute W. und der damit verbundene Eingriff in die bereits entstandenen Bindungen zu ihren sozialen Eltern würde die begonnene positive Entwicklung des Kindes unterbrechen und damit das Wohl des Kindes erheblich gefährden, auch wenn die Herausnahme nicht unvorbereitet, sondern gleitend erfolgen solle. Die Bet. zu 3 haben sich zum Beweis des Gegenteils auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens berufen. Diesem Beweisangebot ist das LG ohne Begründung nicht nachgegangen, obwohl die Bindungen des Kindes zu den Pflegeeltern bislang nicht untersucht worden sind. Das LG stützt sich insoweit nur auf den Eindruck der Berichterstatterin bei deren Anhörung des Kindes und der Pflegemutter. Dies reicht aber nach Auffassung des Senats nicht aus, um die Qualität der Bindungen des Kindes zu den Pflegeeltern zutreffend zu beurteilen, zumal auch nicht dargelegt ist, von welchem Bindungsbegriff das LG ausgeht. Grundlage der Beurteilung der Bindung des Kindes an die Pflegeeltern kann nach Auffassung des Senats nur eine fachpsychologische Untersuchung sein, die die Frage einschließt, welche Entwicklungsstörungen drohen, wenn das Kind von den Pflegeeltern getrennt wird. Eine eingehende Untersuchung der Frage, ob die Gefahr schwerer Entwicklungsstörungen zu besorgen ist, wenn das Kind von den Pflegeeltern getrennt und in den Haushalt der Großeltern verbracht wird, war insbesondere auch deshalb angezeigt, weil es hier nicht um einen abrupten Wechsel der Bezugspersonen und der Umgebung geht. Die Bet. zu 3 sind nämlich für das Kind ein vertrauter Umgang. Denn I. kennt sie aufgrund von Besuchskontakten, die nie abgerissen sind, gut.

Hinsichtlich des Risikos, das bei einem Wechsel des Aufenthalts des Kindes von den Pflegeeltern W. zu den Bet. zu 3 zu besorgen wäre, ist der Maßstab anzulegen, den das BVerfG bei einem Wechsel des Kindes aus der Pflegefamilie zu seinen Eltern oder Adoptiveltern anlegt (FamRZ 1989, 31 = NJW 1989, 519). Denn zur Familie zählen nicht nur die leiblichen Eltern, sondern auch die Großeltern jedenfalls dann, wenn die leiblichen Eltern nicht in der Lage sind, ihre Elternverantwortung selbst wahrzunehmen (OLG Celle, Beschluß v. 25. 8. 1995 - 19 W 14/95 -; vgl. auch EuGHMR, FamRZ 1979, 903 = NJW 1979, 2449, Nr. 45, zu Art. 8 EMRK). Diese Betrachtungsweise entspricht auch der Bedeutung, die das Gesetz gewachsenen Familienbeziehungen für das seelische Wohl eines Kindes beimißt; dies zeigt sich an dem in § 1779 II BGB normierten Vorrang Verwandter und Verschwägerter bei der Auswahl des Vormunds und an dem nunmehr in § 1685 I BGB ausdrücklich geregelten Umgangsrecht der Großeltern mit dem Enkelkind. Somit könnte I. aus der Pflegefamilie herausgenommen und in die Familie der Großeltern übergeführt werden, auch wenn psychische Beeinträchtigungen des Kindes als Folge der Trennung nicht schlechthin ausgeschlossen werden können (BVerfG, a.a.O.).

Da im Rechtsbeschwerdeverfahren keine Ermittlungen zur Sache stattfinden, mußte der angefochtene Beschluß aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Das LG wird sich nunmehr durch Einholung eines psychologischen Gutachtens Gewißheit verschaffen müssen über die Fragen, ob die Großeltern in der Lage sind, auch I. zu erziehen, ob das seelische Wohl des Kindes gefährdet ist, wenn es neben D. bei seinen Großeltern aufwächst, welche Beziehungen zwischen dem Kind und den Pflegeeltern bestehen und ob und inwieweit die psychische Entwicklung des Kindes beeinträchtigt wird, wenn es aus der jetzigen Pflegefamilie herausgenommen und in die Familie der Großeltern verbracht wird.

Sollten die weiteren Ermittlungen ergeben, daß bei einer Übersiedlung des Kindes in den Haushalt der Bet. zu 3 außer vorübergehenden Umstellungsschwierigkeiten keine ernsthaften, nachhaltigen Entwicklungsstörungen zu erwarten sind, so wird dem Wunsch der Bet. zu 1 bis 3 zu entsprechen sein, die Bet. zu 3 zum Vormund für I. zu bestellen. § 1775 BGB i.d.F. des KindRG sieht vor, daß die Vormundschaft ab dem 1. 1. 1999 auch von Eheleuten und nicht mehr nur von einer Einzelperson geführt werden kann.

Das LG wird für das weitere Verfahren dem Kind nach § 50 FGG i.d.F. des KindRG einen Verfahrenspfleger bestellen müssen im Hinblick darauf, daß Gegenstand des Verfahrens auch die Wegnahme des Kindes von der Pflegeperson ist und eine Interessenvertretung durch das JA im Hinblick auf dessen Bestellung zum Vormund nicht gewährleistet ist. Weiter werden die Pflegeeltern nach § 50c FGG anzuhören sein. Sollte die Kammer erneut der Auffassung sein, daß eine Anhörung durch den beauftragten Richter ausreichend ist (vgl. hierzu Keidel/Kuntze, a.a.O., § 50a FGG Rz. 15), so wird sie in den Entscheidungsgründen angeben müssen, warum eine Anhörung vor der vollbesetzten Kammer nicht für erforderlich erachtet wurde (vgl. BayObLGZ 1986, 524, 528 = FamRZ 1987, 412).

(Mitgeteilt von RA und Fachanwalt für Familienrecht

G. Rixe, Bielefeld)

Anmerkung:

Der EuGHMR war in einer neueren Entscheidung v. 9. 6. 1998 in Sachen Bronda ./. Italien (40/1997/824/1030) mit der Frage befaßt, ob die Versagung der von den Großeltern angestrebten Rückführung ihres bei Pflegeeltern lebenden Enkelkindes in seine Herkunftsfamilie gegen ihren Anspruch auf Achtung des Familienlebens gemäß Art. 8 I EMRK verstieß.

Das Enkelkind, das seit Geburt mehrere Jahre mit seiner Mutter und zeitweilig mit dem Vater im Haushalt der Großeltern gelebt hatte, wurde auf Grund einer gerichtlich angeordneten Adoptionsfreigabe bei Pflegeeltern untergebracht. Nach Aufhebung dieser Entscheidung durch das Berufungsgericht ordnete das mit der Durchführung der Rückgabe des Kindes beauftragte Jugendgericht auf Grund weiterer Ermittlungen sein Verbleiben in der Pflegefamilie an, schloß im weiteren Verlauf den Umgang mit seinen Eltern aus und gewährte schließlich dem Großvater einen Umgang dreimal im Jahr.

Der Gerichtshof bejahte zunächst im Einklang mit der Kommission und der bekl. Regierung das Bestehen eines Familienlebens i. S. von Art. 8 I EMRK zwischen Großeltern und Enkelkind im Hinblick auf die auch nach Trennung aufrechterhaltenen familiären Beziehungen. Er hatte daraufhin zu prüfen, ob die Versagung der Rückführung des Enkelkindes einen Eingriff in das Familienleben der Großeltern darstellte. Dies bejahte er unter Anwendung der für die Eltern-Kind-Beziehung aufgestellten Maßstäbe und führte dazu aus:

51. Der Gerichtshof weist darauf hin, daß das gegenseitige Erleben der Gegenwart von Eltern und Kind ein grundlegender Bestandteil des Familienlebens ist und daß innerstaatliche Maßnahmen, die einen solchen Genuß verbieten, eine Beeinträchtigung des durch Art. 8 geschützten Rechts darstellen. Dieses Prinzip ist ebenfalls in Fällen wie dem vorliegenden anwendbar, in dem der Gerichtshof mit Beziehungen zwischen Kind und seinen Großeltern befaßt ist, mit denen es für einige Zeit zusammengelebt hatte. Es wurde nicht bestritten, daß die Versagung der Rückführung des Kindes in sein ursprüngliches Zuhause ganz offenkundig eine Beeinträchtigung des durch Art. 8 I garantierten Rechts der Beschwerdeführer auf Achtung ihres Familienlebens darstellt.

Der Gerichtshof sah den Eingriff in das Familienleben der Großeltern unter Berücksichtigung des Beurteilungsspielraums der innerstaatlichen Gerichte jedoch durch überwiegende Gründe des Kindeswohls, insbesondere auch den von dem nunmehr 14 Jahre alten Kind geäußerten Willen, als gemäß Art. 8 II EMRK gerechtfertigt an.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht

Georg Rixe, Bielefeld

 

 

Fundstelle:

FamRZ 1999, 678

 

 


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