Blumentopf


 

 

 

Berlin

Kommt die Todes-Mutter früher raus?

MENSCHEN VOR GERICHT Von ANNE LOSENSKY

Kommt die Todes-Mutter früher raus?

Arzthelferin Sabine H. (41) bekommt neuen Prozess

Manchmal saß sie auf dem Balkon in ihrer Plattenwohnung. Sie will sich dann ihren unter den üppigen Kräutern in den Blumenkästen verscharrten Babys „nahe“ gefühlt haben – und alle neun Monate eine neue Babyleiche, ein neuer Blumentopf.

„Sie entwickelte im Gebären und Töten Routine“, hatte die Staatsanwältin gesagt und lebenslang wegen Mordes gefordert.

Doch das Urteil fiel milder aus: Todesmutter Sabine H. (41) wurde nur zu 15 Jahren Haft für acht getötete Kinder verurteilt. Für das neunte Baby war die Arzthelferin gar nicht erst angeklagt worden (verjährt).

Viele Menschen verstanden das nicht, waren empört.

Jetzt setzt der Bundesgerichtshof noch eins drauf: Die Strafe für die Todesmutter sei zu hoch! Sie habe ein von ihr „so nicht erwünschtes“ Leben geführt, früh drei Kinder bekommen.

Die Richter sehen eine „Persönlichkeitsstörung“: Sabine H. spiegelte vor, sich um Empfängnisverhütung zu kümmern, habe aber heimlich ein Kind nach dem anderen bekommen und getötet. Ihr „bizarrer“ Umgang mit den Blumenkübeln. Dass sie trotzdem für ihre vier lebenden Kinder eine „treu sorgende Mutter“ gewesen sei.

Sabine H. soll erleichtert sein: Im neuen Prozess kann sie mit einer geringeren Strafe rechnen.

05. April 2007

http://www.bz-berlin.de/archiv/kommt-die-todes-mutter-frueher-raus-article323214.html

 

 

 


 

 

 

Die neun toten Babys der Sabine H.

Von Barbara Möller

Prozeßauftakt: Was war das Motiv für die schlimmste Serie von Kindstötungen in Deutschland? Angeklagte schweigt. Sie betrank sich immer, wenn die Wehen kamen, ließ dann die Säuglinge sterben und vergrub sie in Blumenkästen auf ihrem Balkon. Nicht einmal der Vater der Kinder will von all dem etwas bemerkt haben . . .

Frankfurt/Oder. Weil sie die Aussage verweigert, weiß man nicht, wie ihre Stimme klingt. Daß sie erst 40 ist, mag man kaum glauben, und wer ihr in die Augen schaut, ist vollends ratlos. Schön sind diese Augen: braun, weich und vielleicht eine Spur schwermütig.

Sie passen nicht zu der "Todesmutter", die die Boulevardzeitungen aus ihr gemacht haben. Obwohl andererseits unbestritten ist, daß Sabine H. zwischen 1992 und 1998 acht Kinder zur Welt brachte und sie sofort sterben ließ. Indem sie sich einfach nicht um sie kümmerte. Sie einfach "liegenließ". Sie nicht wärmte, nicht fütterte, nicht wiegte und nicht küßte. Eigentlich sind es sogar neun Babys gewesen, wenn man den ersten, inzwischen verjährten Fall mit dazurechnet. Sieben Mädchen und zwei Jungen.

"Unversorgt" habe sie diese Kinder dem Sterben preisgegeben, heißt es in der Anklageschrift. Diese Form der Unterlassung wird als Totschlag gewertet. Von einer Mordanklage ist die 2. Strafkammer des Landgerichts in Frankfurt an der Oder frühzeitig abgerückt. Begründung: Mordmerkmale wie Habgier, Heimtücke oder besondere Grausamkeit seien nicht zu erkennen gewesen. Sprachlos stehen die Prozeßbeteiligten vor diesem einzigartigen Fall, sogar der Anwalt der Angeklagten findet keine Erklärung. Auf die Frage der Journalisten, warum Sabine H. nie auf die Idee gekommen sei zu verhüten, antwortet Matthias Schöneburg: "Das habe ich meine Mandantin auch gefragt."

68 Zeugen sind geladen. Darunter auch die drei erwachsenen Kinder von Sabine und Oliver H., eine Schwester der Angeklagten und der Neffe Frank K., der im vergangenen Sommer beim Aufräumen die erste Babyleiche fand - in einer mit Blumenerde gefüllten Plastiktüte, die in einem alten Aquarium steckte. Acht Gutachter werden vor Gericht auftreten. Pathologen, Toxikologen und DNA-Spezialisten. Sie werden versuchen, dem Gericht zu sagen, wie die Kinder gestorben sind und daß Oliver H. in allen Fällen der Vater war. Der Mann, der gestern ebenfalls die Aussage verweigerte. Ein gutaussehender brünetter 43-Jähriger in Jeans, T-Shirt und Cordjackett, der - wie man den Akten entnehmen kann - von den vielen Schwangerschaften und toten Kindern nichts gewußt haben will.

Als Oliver H. den Gerichtssaal betrat, hat er seiner Ex-Frau kurz zugelächelt, und als er ihn fünf Minuten später wieder verließ, hat er sich mit einem freundlichen Nicken von ihr verabschiedet. Einvernehmen konnte man da erkennen. Und in diesem Moment hätte man eine Stecknadel fallen hören können, weil alle dasselbe dachten: Daß da zwei beschlossen haben könnten, sich nicht gegenseitig zu belasten.

1987 soll die Ehe geschieden worden sein. Anschließend sei Sabine H. "auf der Suche nach Abenteuern gewesen. Nach Männern. Nach Sex", hieß es nach ihrer Festnahme in der Boulevardpresse. Und: "Neue Männer, neue Schwangerschaften." Heute weiß man, daß es nicht so war. Alle Kinder stammten von dem Mann, den Sabine mit siebzehn kennengelernt und mit achtzehn geheiratet hatte: Oliver H.

Daß es von ihm hieß, er arbeite nicht nur für die Nationale Volksarmee, sondern auch für die Stasi, hat Sabine H. der Familie damals dramatisch entfremdet. Sie zog weg aus Brieskow-Finkenheerd. Weg vom Vater, der sie zu einer Ausbildung gedrängt hatte, die sie nicht wollte - Zahnarzthelferin statt Fotografin -, hin zu Oliver nach Frankfurt an der Oder. 1984 kam das erste Kind, ein Mädchen, 1986 und 1987 wurden die beiden Söhne geboren.

Das dritte Kind hat Oliver H. möglicherweise schon nicht mehr haben wollen. Deshalb die Scheidung. Beendet war die Beziehung damit nicht. Noch in der richterlichen Vernehmung vom 1. August 2005 hat Sabine H. "mein Mann" gesagt, wenn sie Oliver H. meinte. "Mein Mann war beim Zoll, als die nächste Geburt war . . . " "Als mein Mann nachmittags vom Dienst kam, war die Geburt schon vorbei . . . "

Aus dem Protokoll dieser Vernehmung hat der Vorsitzende Richter vorgelesen. Sätze, denen man die zusammenfassende Art der Beamten anhörte: "Ich hatte einmal regelmäßig in der Woche Geschlechtsverkehr", "Ich habe getrunken, wenn die Wehen kammen", "Ich kann mich nicht erinnern, irgendwann gewaltsam auf das Kind eingewirkt zu haben", "Ich wußte nachher nicht, welches Kind in welchem Behälter war . . . "

Daß Sabine H. ihre toten Babys in Eimern, Blumenkübeln und in einem ausrangierten Aquarium versteckt oder vergraben hat, hat die Öffentlichkeit an diesem Fall besonders aufgeregt. Eine Öffentlichkeit, die eine andere Frau frisch im Gedächtnis hatte, eine, die ihre toten Kinder in Tiefkühltruhen aufbewahrt hatte.

Die Überreste aller neun Kinder hat die Polizei in Brieskow-Finkenheerd gefunden. In einem zehn Kilometer südlich von Frankfurt an der Oder gelegenen Dorf mit gerade mal 2700 Einwohnern. Da, wo die Eltern von Sabine H. 60 Jahre lang gelebt haben. Eberhard K., der als Stellwerker bei der Bahn arbeitete, und seine Frau Martha, die sich um die drei Töchter kümmerte. Schon 1988 habe Sabine H. erstmals "einen Blumentopf aus Terrakotta" mit der Bemerkung angeschleppt, sie habe in ihrer kleinen Frankfurter Stadtwohnung keinen Platz dafür, phantasierte eine Zeitung, als Sabine H. gerade erst vom Untersuchungsrichter vernommen wurde.

Neun "Behälter" hat Sabine H. im Schuppen ihrer Eltern deponiert. Ausgerechnet da, wo sie nicht mehr willkommen war. Der psychiatrische Gutachter, den das Gericht bestellt hat, wird dazu sicher viel zu sagen wissen. Einer ihrer beiden Schwestern soll die Angeklagte nachdrücklich gesagt haben, sie möge diese "Behälter" bitte nicht wegwerfen: "Wegen der Blumenzwiebeln . . . "

Der Vater von Sabine H. ist inzwischen tot, die Schwestern und die 81jährige Mutter wollen mit ihr angeblich nichts mehr zu tun haben. Aber sie kümmern sich um ein weiteres Kind - die dreijährige Elisabeth -, das Sabine H. 2003 zur Welt gebracht hat. Das einzige Kind, das von einem anderen Mann stammt. Von dem hat sich die Vierzigjährige nach ihrer Verhaftung getrennt. Aus der Justizvollzugsanstalt Duben hat sie ihm einen entsprechenden Brief geschrieben.

Alles, was sie anfaßt, scheint kaputtzugehen. Dabei ist Sabine H., das bestätigen alle im Dorf, ein fröhliches Mädchen und eine erstklassige Schülerin gewesen. Sie hätte locker Abitur machen können, sagt ihr Verteidiger, und man hört das Bedauern über ein verpfuschtes Leben heraus. Matthias Schöneburg wird auch nicht müde zu beteuern, daß seine Mandantin "kein Ungeheuer" sei. Wenn er kampfeslustig fragt, "ob sieben der acht Kinder bei der Geburt überhaupt gelebt haben?", ahnt man, nach welcher Strategie er vorgehen will.

Daß Sabine H. an Krebs erkrankt ist, wollte Schöneburg gestern nicht bestätigen. Richtig sei allerdings, daß seine Mandantin "eine lebensnotwendige Operation" aufgeschoben habe: "Sie will erst den Prozeß hinter sich bringen." Sabine H. ist außerdem Alkoholikerin. Die neunmonatige Untersuchungshaft hat für sie automatisch Entzug bedeutet. Zwangsentzug. Sabine H. hat also keineswegs nur getrunken, "wenn die Wehen kamen".

Es gibt Baby-Klappen und Ehepaare, die sich nichts sehnlicher wünschen als Kinder. Warum hat Sabine H. ihre Babys nach der Geburt nicht einfach zur Adoption freigegeben, wenn sie sie selbst nicht haben wollte? Man weiß es - noch - nicht. In der Nachbarschaft will niemand etwas von den vielen Schwangerschaften bemerkt haben. Auch Rechtsanwalt Schöneburg findet das "völlig unerklärlich". Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) hat im Zusammenhang damit von einer "von der SED erzwungenen Proletarisierung" gesprochen - und dabei absichtsvoll übersehen, daß dieser Fall fast komplett in die wiedervereinte Wirklichkeit fällt.

Sabine H. drohen 15 Jahre Gefängnis. Das Urteil wird für den 30. Mai erwartet.

28. April 2006

http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article393877/Die-neun-toten-Babys-der-Sabine-H.html

 

 


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