Flüchtlingskinder


 

 

 

 

Flüchtlingskinder in Deutschland

Eine Familie auf Zeit

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kommen aus aller Welt nach Deutschland. In München gibt es ein Haus, in dem sie versorgt werden - bis klar ist, was geschieht.

VON GABY HERZOG

 

Burhan* wurde nicht gefragt. "Die Familie hat Geld gesammelt. Wir wollen, dass du nach Deutschland gehst", hatte sein Vater kurz verkündet und seinem ältesten Sohn die Hand auf die Schulter gelegt. Ein paar Tage später brachte er den 14-Jährigen über verminte Lehmpisten zum Flughafen. Mit einem Koffer voll Kleidung, dem Koran des Großvaters, einem Familienfoto und dem Flugticket Bagdad-Teheran, Teheran-München, 2. Klasse. Oneway. Burhan hat getan, was der Vater wollte. Er ist allein in den Flieger gestiegen, ohne zu wissen, wo dieses Deutschland liegt und was ihn dort erwartet.

 

Das war vor drei Monaten. Heute lebt der schlaksige Junge mit einem Silberblick im Haus Chevalier in Hallbergmoos, im Norden Münchens. In der "Clearingstelle" kümmern sich Sozialpädagogen und Erzieher um Kinder wie Burhan. Zhang Li kommt aus China, Khutulan aus der Mongolei, John aus Sierra Leone, Efe, Emrah und Nuri stammen aus dem Irak. 15 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (so genannte UMFs) wohnen derzeit in dem grauen Betonklotz neben Schloss Birkeneck, in der Nähe des Flughafens. Hier werden die unter 16-jährigen UMFs, also Jungen und Mädchen, die ohne sorgeberechtigte Eltern alleine nach Deutschland geflohen sind, sechs Monate lang einquartiert. So lange dauert es, bis alle Hintergründe der Flucht geklärt sind, ein Antrag auf Asyl oder Duldung gestellt werden kann und bis feststeht, wo die Jugendlichen künftig wohnen werden.

 

 

ALLEIN AUF DER FLUCHT

 

Die Kinder: Rund 300 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kommen pro Jahr nach Deutschland. Wer keine Papiere hat, wird meistens von einer Amtsperson auf sein Alter hin beurteilt. Ärzte oder Vormundschaftsrichter werden selten hinzugezogen. Kritiker fürchten deshalb, dass Jugendliche absichtlich älter geschätzt werden, damit sie wie Erwachsene behandelt und in Auffanglagern untergebracht werden können.

Die Rechtslage: Unter 16-Jährige haben das Recht auf einen Vormund, der beim Asylantrag hilft. Doch auch nach dem "Clearing" ist ihr Status selten abschließend geklärt. Wenige werden ausgewiesen und nur wenigen Asylanträgen wird stattgegeben. Die Mehrheit der Kinder wird geduldet, erhält aber nur vorläufige Papiere.

Die Praxis: In jedem Bundesland wird unterschiedlich mit "UMFs" verfahren. Hamburg, Berlin, Frankfurt, Hallbergmoos, Fürstenwalde, Karlsruhe, Magdeburg: Es gibt nur sieben "Clearingstellen", bei denen auf die Bedürfnisse der Minderjährigen eingegangen wird, erklärt Albert Riedelsheimer vom Fachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (www.b-umf.de). Das "Clearing" dort sei in der Regel gründlich und die Kinder gingen vom ersten Tag an in die Schule. Ganz anders geht es zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zu: Hier werden die Flüchtlinge oft in Kinder- und Jugendheimen einquartiert, oft zusammen mit verhaltensauffälligen oder straffällig gewordenen Mitbewohnern. Hier fehlt eine spezielle Betreuung und die Möglichkeit, eine Schule zu besuchen. GH

 

27.08.2008

www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/eine-familie-auf-zeit/

 

 

 


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