Justiz und Euthanasie


 

 

Die Heyde/Sawade Affäre: Der Mord 100.000 Erwachsenen.

Euthanasie, das war organisierter Massenmord an Behinderten und Kranken. Mehr als 5.000 Kinder und 100.000 Erwachsene wurden als sogenanntes "lebensunwertes Leben" umgebracht.

 

Die Heyde Sawade Affäre, Vorwort

 

In diesem Vortrag berichtet uns Herr Klaus-Detlev Godau-Schüttke, Richter am Landgericht Itzehoe von seinen eigenen Ermittlungen um einen hochrangigen Euthanasie Schreibtischtäter der Nazizeit des 3. Reiches.

Der spätere SS-Standartenführer Oberst, Herr Prof. Dr. Heyde war psychiatrischer und neurologischer Obergutachter in der Organisationszentrale der geheimen NS Euthanasie. Er sortierte Kranke und Behinderte als sogenanntes "lebensunwertes Leben" - zur Vernichtung - aus. Diese Verbrechen beging dieser Dr. Heyde - vor der Deutschen Bevölkerung geheimgehalten - lediglich anhand von Meldebögen aus Krankenhäusern und Heilanstalten - gewissermaßen im Fließbandverfahren. Weit mehr als 5.000 Kinder und 100.000 erwachsene Menschen mussten dieser verwerflichen Ideologie der völkischen Bestenauslese ihr Leben opfern.

Nach dem Kriege konnte dieser Verbrecher an der Menschlichkeit, Herr Heyde als ein Dr. med. Fritz Sawade - zusammen mit anderen Größen der Nazizeit - in Schleswig Holsten wirken, 1 1/2 Jahrzehnte lang, scheinbar unerkannt und unbehelligt als Nervenarzt - und u.a. mehr als 7000 fach - schon wieder als anerkannter und geschätzter psychiatrischer und neurologischer Gutachter in Gerichtsverfahren beim Landessozialgericht.

Freunde, Kollegen, auch aus der Nazizeit und andere in Mediziner-, Juristen- und Ministerialbeamtenkreisen, wußten von seinem verheerendem Wirken. Sie hatten ihn aber gedeckt und geschützt oder einfach nichts zu seiner Strafverfolgung unternommen - bis hinauf zu Kai Uwe von Hassel, damaliger Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein.

 

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Sehr interessant ist auch, wie "verständlich" Wohlinformierte nachträglich vor Gerichten und parlamentarischen Untersuchungsausschüssen ihr Schweigen begründeten - trotz Wissens dass der Gerichtsgutachter Sawade in Wirklichkeit der Schreibtisch- Massenmörder Dr. Heyde war: "Man habe nur von einem Gerücht gewusst. Wer in amtlicher Funktion bei einem Landesgericht als Sachverständiger arbeitet, ist auf eine mögliche Nazi- Vergangenheit überprüft worden. Bei einem Gerücht dürfe man nicht die ärztliche Schweigepflicht brechen, sondern nur bei drohenden Verbrechen.

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Den 1. Teil des Vortrags über die Hayde/Sawade Affäre werden wir über die offenen Kanäle am 25.4.00 wie bisher nur als Ton in Lübeck und Westküste, in Kiel und Flensburg in digitaler TV-Qualität in Bild und Ton senden.

(c) 2000 Moldzio

 

Die Heyde/Sawade Affäre/Kapitel 16

 

Wir sprachen von Fällen, die Begünstigungen von befreundeten Personen vermuten lassen. Die Justiz ist nur so gerecht wie ihre Gesetze. Das bewahrheitete sich auf schreckliche Weise im Nationalsozialismus des Dritten Reiches. Wie entstand daraus unsere heutige Justiz in Schleswig-Holstein. Entnazifizierung war das Stichwort der Nachkriegszeit. Die Öffentlichkeit wollte aber von den beschämenden Tatsachen der Vergangenheit nichts mehr hören. Um Aufklärung bemühte sich eine SPD-Regierung durch ein Entnazifizierungsgesetz. 1950 löste eine konservativ rechte Koalition die SPD ab und verschüttete alles, was an Wahrheit über die NS-Zeit noch zu sagen gewesen wäre. Die kollektive Verdrängung ermöglichte es vielen NS-Beamten, im Staatsapparat wieder Fuß zu fassen. Seilschaften entstanden, bei der der eine die Vergangenheit des anderen deckte. In den 50er Jahren wurde der ehemalige NS-Euthanisiearzt Heyde alias Sawade als amtierender Gerichtsgutachter enttarnt. Die Affäre verursachte großes Aufsehen, da viele Juristen und Mediziner um die wahre Identität und Vergangenheit des Dr. Sawade wussten. 94 Personen, Richter, Staatsanwälte und Minister, Ministerialbeamte und Professoren sollen Kenntnis oder Vermutungen über die wahre Persönlichkeit gehabt haben. Keiner der Mitwisser wurde je verurteilt. Selbst die Akten waren bis in die 90er Jahre geheime Verschluss-Sache. Im sogenannten Dritten Reich wirkten 14.031 Richter und 2.517 Staatsanwälte "zum Wohle des Volkes". Viele davon fassten Fuß in der Nachkriegsjustiz. Sie bildeten ihrerseits Richter aus, schrieben Bücher, lehrten an Akademien und hatten Einfluss auf die Personalpolitik. Welche Auswirkungen diese Entstehungsgeschichte auf unsere Justiz heute immer noch hat und ob sich ein roter Faden von damals durch die Geschichte zieht, lässt sich nur vermuten."

Einer, der diese Zeit bestens recherchiert hat, ist der Richter am Landgericht Heiligenstätten Dr. Bosau-Schmalensee. Britta Seidel hat ihn telefonisch für uns interviewt:

"Herr Dr. B-S, warum wurden die Akten über Prof. Heyde erst 1993 freigegeben?"

Dr. B-S: "Das ist eine berechtigte Frage. Nach 1945 hatte sich so ein Konglomerat aus Tätern und Sympathisanten gebildet, die ein Ziel verfolgten, nämlich die NS-Vergangenheit zu verschweigen. Und das haben die auch sehr erfolgreich getan! Und was Schleswig-Holstein angeht, da wurde ich mit diesem Verschweigen im Jahre 1990 konfrontiert, als ich mein Buch schreiben wollte über die Renazifizierung der schleswig-holsteinischen Justiz und da stellte ich fest, dass die Ministerialbürokratie hier in Schleswig-Holstein, obwohl nun nicht mehr NS-belastet, sich vehement dagegen sträubte, dass ich einschlägige Akten einsehen konnte, so u.a. Personalakten von Richtern und Staatsanwälten. Mit Hilfe des heute noch amtierenden Justizministers Dr. Lingenberg, der selbst rechtshistorisch interessiert ist, ist es mir gelungen, alle einschlägigen Akten einzusehen; das war 1990.

Heute haben wir ein Archivgesetz in Schleswig-Holstein und nun ist die Sache ganz einfach. Das ist nun gesetzlich geregelt. Man stelle sich vor, das Landesarchiv in Schleswig hatte eine Sperrfrist von 60 Jahren verfügt. Dann wäre ja gar nichts mehr gegangen. Also mir ist es gelungen, damals eine Generalvollmacht zu bekommen, die heute noch wirksam ist, und so kann ich dann publizieren".

Seidel: "Weshalb kam es dann nicht zu einer Verurteilung des Dr. Heyde alias Sawade".

Dr. B-S: "Ganz einfach! Im Mai 1962 hatte die Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt am Main Anklage gegen Heyde erhoben wegen Mordes an 100.000 Erwachsenen und 5.000 Kindern, und im Februar 1964 nahm er sich unter mysteriösen Umständen das Leben durch Erhängen. Das ist die Antwort."

Seidel: "Man sprach in Sachen Heyde/Sawade über einen sogenannten Juristen- und Medizinerkomplott. Gibt es noch heute Personen, die Angst vor dem Inhalt der Akten haben, wie sehen Sie das?"

Dr. B-S: "Die Frage ist sehr brisant. Also, viele Personen, die in die Heyde/Sawade-Affäre verstrickt waren, sind tot und wenn sie noch leben, brauchen sie strafrechtlich (wegen Verfolgungsverjährung oder Verhandlungsunfähigkeit) nichts zu befürchten. Im übrigen sollten nur gegen zwei Justizjuristen strafrechtliche Schritte unternommen werden. Das war der Präsident des Landessozialgerichts in Schleswig Dr. Buresch und ein ehemaliger Staatsanwalt Dr. Bourwieg. Beide, und das ist der Skandal, sind nicht belangt worden. Die schleswig-holsteinische Justiz, allen voran das Landgericht Flensburg und das Landgericht Kiel, haben diese beiden Verfahren sozusagen im Sande verlaufen lassen, dass es zu keiner Verurteilung gekommen ist. Das ist der eigentliche Skandal!

Seidel: "Mit welchem Hintergrund ist das passiert?"

Dr. B-S: "Ich würde meinen, das will ich in meinem Buch über die Heyde/Sawade-Affäre näher darlegen, es ist wiederum kaum nachvollziehbar, von allen Sympathisanten auch in der Justiz zu sprechen. Man muss wissen, die Euthanasie stieß ja gar nicht auf breite Abwehr in der Bevölkerung, und die Justiz ist ja nicht isoliert zu sehen. Die schleswig-holsteinische Justiz wollte nicht in so ein Mammutverfahren hinein. Das ist der eigentliche Hintergrund. Aber das zu belegen, kann ich heute in diesem Interview nicht, das ist zu kompliziert".

Seidel: "Wie ist heute die personelle Zusammensetzung von der Vergangenheit geprägt?"

Dr. B-S: "Mein Buch "Die Renazifizierung der Justiz" ist biologisch abgeschlossen. Die NS-Staatsanwälte und die NS-Juristen sind überwiegend tot oder pensioniert. Aber die eigentliche Frage muss anders lauten. Viel wichtiger ist nämlich die Feststellung, dass auch heutige Juristen und Juristinnen, die wegen ihres Alters überhaupt nicht NS-belastet sind, sich überwiegend, so ist meine Erfahrung, gegen eine sogenannte Aufarbeitung der NS-Justiz und der Nachkriegsjustiz wenden, auch jüngere Kolleginnen und Kollegen. Hier kommt unübersehbar sog. Kastendenken zum Ausdruck. Bloß die allgemeine Tendenz in Schleswig-Holstein und nicht nur in Schleswig-Holstein in der Justiz ist, dass man die Vergangenheit vergessen will und sozusagen gepaart mit einer gewissen Überheblichkeit denkt, wir sind immun, uns kann das, was während der NS-Zeit abgelaufen ist oder in der Nachkriegszeit, uns passiert so etwas nicht."

Seidel: "Meine letzte Frage an Sie! Für wie handlungsfähig halten sie die Justiz?"

Dr. B-S: "Die Erledigungszahlen stimmen wohl; das wird auch immer nachgeprüft. Eine andere und viel wichtigere Frage ist, ob sich in der heutigen Justiz ein demokratisches Bewusstsein unumstößlich verfestigt hat, so dass die Justiz dagegen gefeit ist, die Fehler aus der Vergangenheit zu wiederholen. Und da bin ich, entgegen der Ansicht vieler Justizpolitiker, sehr skeptisch, auch was meine Erfahrung im Rahmen der Forschung und Vortragstätigkeit angeht. Ich möchte dies hier mal an einem Beispiel deutlich machen:

Wenn in Deutschland eine autoritäre Politik so schleichend die Oberhand gewinnen sollte mit der Folge, dass antidemokratische und menschenverachtende Gesetze erlassen werden, dann stellt sich doch die Frage, wie würde heute die Justiz darauf reagieren, jeder einzelne, Richter, Richterin, Staatsanwalt, Staatsanwältin und daran anschließend muss man wohl feststellen, dass die wohl nicht widerstandsfähig sind. Die Justiz ist ja nicht losgelöst von unserer Gesellschaft, und es liegt nämlich u.a. an einem Grund, warum ich diese Feststellung treffe. In der Nachkriegsjustiz bis heute werden nur wenig Fortbildungen betrieben, die sozusagen demokratischen Fortbildungsseminare. Es wird nur immer auf das rechtstechnokratische Wissen abgestellt, sehr wichtig, aber nicht ausreichend. Und seit 1991/92, vielleicht auch durch meine Forschungen bedingt, hat sich eine gewisse Wandlung in Schleswig-Holstein vollzogen."

Seidel: "Sie sind der Meinung, dass sich schon innerhalb der universitären Ausbildung der Juristen etwas ändern müsste, also in den Anfängen?"

Dr. B-S: "An der Universität müßte sich einiges ändern, und das ist sehr schwierig, da auch die Universität nach dem Krieg ihre Vergangenheit vertuscht und verleugnet hat. Nach dem Krieg hat man an der juristischen Fakultät der Universität Sprottenhausen eine Art Giftschrank eingerichtet. Da wurden alle Veröffentlichungen der NS-Professoren versteckt und da kam man ohne Genehmigung der Fakultät gar nicht heran. Und erst 1988 oder 1989 ist das auf Widerstand gestoßen, so dass man den Giftschrank sozusagen jetzt geöffnet hat und man kann die Schriften von Professoren, die weit in die 60er und 70er Jahre die Juristen ja ausgebildet haben an der Uni, jetzt kann man lesen, was sie während des Dritten Reiches verzapft haben, wie sie ihre Meinung von heute auf morgen geändert haben."

Seidel: "Ja, ich denke mal, wir dürfen auf Ihr Buch gespannt sein, und zwar die Heyde/Sawade-Affäre und ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Dr. S-B.

 

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