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„Es ist ein Akt der Notwehr“

Der doppelte Hans-Peter Martin: EU-Abgeordneter und Journalist

HANS-P. MARTIN, 47, parteilos,

ist EU-Abgeordneter. Sein Report über hohe Spesen und geringe Anwesenheitszeiten der Kollegen in Brüssel verursacht derzeit große Aufregung. 

Was sind Sie in diesen Tagen: Journalist, Buchautor, Aufdecker oder doch eher Politiker?

Noch nie habe ich mich so sehr als Volksvertreter gefühlt wie jetzt. Unser Wahlkampfslogan vor fünf Jahren lautete doch: „Aufdecken und verbessern“. Jetzt bemühe ich mich, etwas gegen den skandalösen Spesenmissbrauch im Europäischen Parlament zu unternehmen. Da hilft die Erfahrung als langjähriger Buchautor und „Spiegel“-Redakteur, bei dem ich ja keineswegs rausgeflogen bin, wie es im Tagesspiegel zu lesen war. Jetzt will ich dazu beitragen, EU-Brüssel aufzuräumen, um der Demokratie zu helfen.

Ganz uneigennützig sind Sie dabei nicht. Sie werden doch sicherlich Ihre mediale Präsenz, die Sie in der „Bild“-Zeitung oder in „Stern-TV“ erlangt haben, benutzen, um ein Buch über den angeblichen EU-Spesen-Skandal zu schreiben.

Das ist noch nicht entschieden. Jetzt ist es wie in der 89. Minute eines wichtigen Fußballspiels. Noch kann sich das Europäische Parlament selbst läutern und die schlimmsten Auswüchse des Spesen-Irrsinns mit einfacher Mehrheit Ende April abschaffen. Ich arbeite am Aufbau der „Europäischen Transparenz-Initiative“ (www.eti.info.) Es gibt keine Demokratie ohne Transparenz, und wir brauchen viel mehr Enthüllungen im Brüsseler Schattenreich. Jetzt kommen auch noch zehn weitere Staaten mit ihren jeweiligen Korruptionskulturen dazu. Ist da der Westen schon reif dafür? Und wenn wir versagen: Bekommen wir dann nicht bloß wenig hilfreiche „Vereinte Nationen von Europa“ statt einer modernen, demokratisch durchlegitimierten EU?

Uns geht es weniger um Ihre Ziele als um Ihre Methoden. Hätten Sie als „Spiegel“-Journalist einen ähnlich dichten Report zustande gebracht wie als Politiker?

Grundsätzlich ja.

In Ihren tagebuchartigen Aufzeichnungen werden „Off-Records-Gespräche“ mit Europaparlamentskollegen aufgenommen. Die Befragten, die nun als Spesenritter mit vollem Namen und wenig schmeichelhaften Zitaten in der Zeitung stehen, wussten nicht, dass ihre Aussagen publiziert werden. Würde ein Chefredakteur Hans-Peter Martin Derartiges abdrucken?

Chefredakteur wollte ich nie werden. Doch meine Abgeordneten-Kollegen wussten, wer ich bin und was ich früher gemacht habe. Seitdem ich im EP sitze, haben doch viele immer wieder behauptet, ich würde später etwas veröffentlichen. SPD-Gruppenleiter Martin Schulz spottete doch immer wieder, ich würde wohl etwas enthüllen, er sei da aber ganz gelassen. Die Öffentlichkeit und die Steuerzahler haben doch ein Recht zu erfahren, was im EP wirklich passiert.

Trotzdem: Ist dieser Zugang fair?

Es ist ein Akt der Notwehr, weil sich sonst die Trutzburg der Spesenritter nicht öffnen würde.

Stimmt der Vorwurf, dass Sie bereits zu Beginn ihrer Politikerkarriere vorhatten, ein Buch über das Innenleben des Europäischen Parlaments zu schreiben?

Nein, ich wollte bis in den Sommer 2000 hinein nur ein ordentlicher Abgeordneter sein. Doch die österreichischen Sozialisten haben mich immer mehr ihrem Parteisoldaten- Druck ausgesetzt. Meine Parlamentarier-Arbeit habe ich trotzdem ordentlich weitergemacht, aber auch beobachtet, was andere tun und nicht tun.

Dann stimmt es also, dass Ihre Recherchen eine Abrechnung mit der europäischen Sozialdemokratie sind? Schließlich wurden Sie 1999 von den Sozialdemokraten rasch ausgebootet.

Es geht ums genaue Hinschauen, die Sozialdemokraten haben 1999 mich als parteifreien Spitzenkandidaten geholt und die Wahlen gewonnen, dann aber gleich die Wähler betrogen. Nicht, wie von den Wählern erwartet, wurde ich Delegationsleiter der österreichischen Gruppe, sondern man wollte aus mir einen biederen Parteiapparatschik machen. Jedes Kompromissangebot meinerseits wurde genutzt, mich auszubooten. Als ich für Transparenz eintrat, war das leider für viele Sozialisten – inzwischen nenne ich sie bewusst so – ein vergessenes Lippenbekenntnis. Dabei sollten echte soziale Demokraten doch für Offenheit eintreten, selbst wenn es um eigene Privilegien geht. Eine Parteikarriere hat mich aber nie interessiert, so wollte ich, anders als in den Medien dargestellt, auch niemals stellvertretender Fraktionsvorsitzender werden.

Die ganze vergangene Woche lief eine „Bild“-Serie mit Ihren Enthüllungen, in „Stern-TV“ waren sie ebenfalls. Wie geht es weiter?

IEndlich gibt es ein breiteres Interesse für den offensichtlichen Spesenirrsinn in Brüssel. Selbstverständlich bin und bleibe ich ein Proeuropäer, doch die Missstände müssen beseitigt werden. Man darf sich dabei nicht mundtot machen lassen.

Das Gespräch führte Markus Huber.

 

 

Tagesspiegel 07.04.2004

 

 


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