Väterabwesenheit


 

 

Vaterabwesenheit und Narzissmus

"Die Betonung der männlich fordernden Aspekte in der Erziehung des Mädchens hängt stark von der Beziehung und der Rollenverteilung unter den Eltern ab. In der Literatur wird übereinstimmend die Abwesenheit des Vaters als Hauptmerkmal bei der Ausbildung narzißtischer Persönlichkeiten hervorgehoben. In den meisten Krankengeschichten ist ebenfalls vom tatsächlichen oder emotionalen Verlust des Vaters die Rede. Das bedeutet, daß er entweder durch Trennung oder Tod physisch nicht vorhanden oder körperlich zwar anwesend war, aber eine distanzierte Beziehung zu dem betreffenden Kind besaß. Die Abwesenheit des Vaters verstärkt die narzißtische Problematik in zweierlei Hinsicht. Zum einen fühlt sich die Mutter vom Partner verlassen und zu wenig unterstützt, da durch seine >Randexistenz< die Verantwortung für die Kinder und die emotionale Versorgung der Familie ihr zufällt. Trauer und Zorn über ihre eigene Verlassenheit verstärken die narzißtische Besetzung des Kindes.

Zum anderen muß die Mutter neben ihrer Mutterrolle auch noch die Vaterrolle übernehmen und >männlich-patriarchale< Werte vertreten. Dadurch wird die mütterliche Haltung fordernder und weniger empathisch. Und das um so stärker, je weniger der Vater anwesend ist und die männliche Position mit vertritt. Der Mangel an mütterlicher Empathie ist jedoch, wie wir bereits sahen, ein Kristallisationspunkt, um den sich die Entstehung der narzißtischen Störung bildet."

S. 114

 

aus: 

"Weiblicher Narzissmus. Der Hunger nach Anerkennung"

Bärbel Wardetzki, Kösel, 1991, ISBN 3-466-30320-6, 32 DM


 

"Abwesende Väter. Folgen der Kriegskindheit in Psychoanalysen"

H. Radebold, Göttingen: Vandenhoeck Ruprecht; 249 S., DM 50,-

Rezension von Barbara Gussone in:

"Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie", 50, 2001; S. 478-480

 

Schon die Rezension zeigt deutlich auf, dass das Gerede von Unwichtigkeit gelebter Vater-Kind-Beziehung eine reine Rechtfertigungsakrobatik ist, um mit ungewollter oder auch von der Mutter gewollter und geförderter Vaterlosigkeit umzugehen.

Interessant der Hinweis darauf, dass viele ältere Psychotherapeuten (Psychoanalytiker) dem Thema des fehlenden Vaters in ihrer therapeutischen Arbeit ausgewichen sind, weil sie häufig ihre eigene Vaterlosigkeit noch nicht aufgearbeitet hatten. Gleiches lässt sich wohl in Analogie auch für viele heute sozialarbeiterisch-psychologisch arbeitende Menschen sagen, die auf Grund ihrer eigenen unbewältigten Vatergeschichte nur eingeschränkt oder gar nicht in der Lage sind, Vätern in Krisensituationen angemessen zu begegnen und zu unterstützen.

Philipp


zurück