Vatersehnsucht


 

 

 

 

ODE AN DIE FREUDE

 

FREUDE, schöner Götterfunken,

Tochter aus Elysium,

Wir betreten feuertrunken,

Himmlische, Dein Heiligtum!

 

Deine Zauber binden wieder,

Was die Mode streng geteilt;

Alle Menschen werden Brüder,

Wo Dein sanfter Flügel weilt.

 

Wem der große Wurf gelungen,

eines Freundes Freund zu sein,

Wer ein holdes Weib errungen,

mische seinen Jubel ein!

 

Ja, wer auch nur eine Seele

Sein nennt auf dem Erdenrund!

Und wer's nie gekonnt, der stehle

Weinend sich aus diesem Bund.

 

FREUDE trinken alle Wesen

An den Brüsten der Natur;

Alle Guten, alle Bösen

folgen ihrer Rosenspur.

 

Küsse gab sie uns und Reben,

einen Freund, geprüft im Tod;

Wollust war dem Wurm gegeben,

Und der Cherub steht vor GOTT!

 

Froh wie seine Sonnen fliegen,

Durch des Himmels prächt'gen Plan,

Laufet, Brüder, Eure Bahn,

Freudig, wie ein Held zum Siegen!

 

Seid umschlungen, Millionen!

Diesen Kuss der ganzen Welt!

Brüder, über'm Sternenzelt,

muss ein lieber VATER wohnen!

 

Ihr stürzt nieder, Millionen?

Ahnest Du den SCHÖPFER, Welt?

Such ihn über'm Sternenzelt!

Über Sternen muss ER wohnen!

 

 

 

 

(Text von Friedrich von Schiller,

Musik von Ludwig van Beethoven)

 

 

Ode von Friedrich von Schiller aus dem Jahre 1785, später von Ludwig van Beethoven vertont.

 

 

 

 


 

 

Kind radelt auf Autobahn

Aitrach (AZ) - Aus Sehnsucht nach seinem von der Mutter getrennt lebenden Vater hat ein neunjähriger Junge aus Aitrach (Baden-Württemberg) eine gefährliche Reise unternommen. Mit seinem Fahrrad war er auf der Autobahn 96 in Richtung Lindau unterwegs, wie die Polizei am Mittwoch mitteilte.

Ziel war eine mehr als 100 Kilometer entfernte Gemeinde im Landkreis Konstanz. Mehrere besorgte Autofahrer hatten die Polizei alarmiert. Zufällig war bereits eine Streifenbesatzung auf den kleinen Radler aufmerksam geworden.

In welche Gefahr er sich begeben hatte, war dem Neunjährigen nicht bewusst. Den Heimweg durfte er im Polizeiauto zurücklegen.

15.10.2008

www.augsburger-allgemeine.de/Home/Nachrichten/Aus-aller-Welt/Artikel,-Kind-radelt-auf-Autobahn-_arid,1355619_regid,2_puid,2_pageid,4293.html

 

 


 

 

Vatersehnsucht: Osho - Bhagwan

Im Berliner MAUZ (Mediation Am Ufer Zentrum) habe ich mich heute per Video in die Welt von Osho (Bhagwan) begeben. Gezeigt wird immer Sonntags 10 Uhr ein Osho-Video und dazu gibt es Musik und Meditation. Das Video dokumentierte einen Auftritt des Gurus vor ca. 200 Jüngern. Etwas befremdlich für mich die OSHO-Sprechchöre der Sannyasins im Video und auch der wenigen live im Zentrum anwesenden Jünger. Doch auch als Skeptiker und Nicht-Sannyasin kann man sich wohl nicht der Ausstrahlungskraft des Gurus entziehen. Obwohl ich das englisch gesprochene Wort des 1990 verstorbenen Gurus fast nicht verstand, ging eine suggestive und teilweise beruhigende Stimmung von seiner Sprache aus. Ich hatte einen stressigen Tag hinter mir und mir war, als wenn mein Vater beruhigend zu mir sprach. Körperlich machte sich dies in einer Entspannung meiner Muskulatur bemerkbar. Wahrscheinlich ist es tatsächlich auch die grosse Sehnsucht nach "dem" Vater, den wir nie oder kaum hatten, die uns so empfänglich für männliche Gurus macht. Es liess sich gut beobachten, wie Osho seine Jünger dirigiert und führt. Besonders unter der Weiblichkeit schien er eine erhebliche Wirkung zu erzielen. Der "Führer" hätte es nicht perfekter machen können. 

Doch wer da nun als "rechtschaffender" Christ meint, sein Herkunftsstall sei besser, lese einmal in der Bibel Matthäus (23, 9): "Auch sollt ihr hier auf der Erde niemand <Vater> nennen, denn ihr habt nur einen Vater: den im Himmel. Ihr sollte euch auch nicht <Führer> nennen, denn es gibt nur einen, der euch führt und das ist Christus, der versprochene Retter.

Anton, 7.01.2001

 


 

 

 

Gerhard Amendt

Vatersehnsucht

Annäherung in elf Essays

 

Bremen 1999, 50 DM, ISBN 3887224523

 

Vorwort

 

I Der Weg in die Gesellschaft führt über den Vater

Väterlichkeitssuche - Das Unbehagen an selbstbestimmter Väterlichkeit

 

 

II. Alleinerziehende Mütter und kinderlose Väter

Der erste Anlaß zum Alleinerziehen – Der zweite Anlaß zum Alleinerziehen – Der dritte Anlaß zum Alleinerziehen ist ein Lebensentwurf – Der vierte Anlaß ist eine Reaktionsbildung auf eine enttäuschende Partnerschaft –

Exkurs: Elterliche Androgynität – Zorn auf die Väter - Die wegweisende Stimme des fehlenden Vaters – Die Mutter schützen und den Vater verachten –

Mein Sohn, der geheime Vertraute meiner Frau – "Mein Vater, den ich hasse!"

– "Waren Sie der geheime Vertraute ihrer Mutter?" – Ein trügerisches Gefühl der Beherrschung – Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? Wer mich sieht, der sieht den Vater! – Der Preis der Grandiosität: Die Angst selber zerstört zu werden – Zur Topographie unzufriedener Mütter

 

III. Angst vor der Väterlichkeit

Die Bedeutung der Desidentifikation – Die Ablehnung des Vaters zeugt von ungestillter Vatersehnsucht – Endlose Mutterbindung – Einfühlungsvermögen – Die Schandtat des Vaters - ein Fehler der Mutter!

 

IV.Männer, beugt euch nicht!

Wir wollen Helden keine Sklaven!

Traditionelle Männlichkeit oder: ein Idealtyp moderner Männlichkeit?

 

V. Ohne Vater: motherfucker und mother-fucking

Frauenentwertung und Vergewaltigungsagitation in der Rap Kultur – Die Verleugnung des Vaters gebiert den Staat als Vaterersatz –

Empathiefähigkeit und Vaterlosigkeit

 

VI. Ritual und Übergriff

 

VII. Die Penisküsserinnen

 

VIII. Schweigende Väter:

Mütterliche Verführung

Fall 1: "Ich hab Dich ja! Ich brauche keinen anderen!" – Fall 2: Der Fall

Pete - "Ich fühlte mich, als sei alles mein Fehler!" – Fall 3: Die Tür war

nie abgeschlossen – Fall 4: Die offene Tür – Fall 5: Der tägliche Einlauf –

Fall 6: Richard - Im Bett der Tante

 

IX Pädophilie:

Männlichkeit ohne Väterlichkeit

Grenzenlosigkeit zwischen den Generationen – Ohnmächtige Männer - allmächtige Kinder – Kinder als Ersatzobjekte – Die Pädophilisierung der Erwachsenenwelt – Mit bösen Taten die Dämonen der Kindheit vertreiben

 

X. Vatersehnsucht:

Vater macht und Mutters Macht

Wie Eltern sich arrangieren

 

XI. Neue Väterlichkeit

Ein Leben ohne Verzicht – Die Macht des Mannes - die Ohnmacht des Vaters.

Das Beispiel zur Neuen Männlichkeit – Neue Elterlichkeit

Anmerkungen

Bibliografie

 

 

Leseprobe: 

Das Gerüttel vom Schlitten, das macht mich ganz müde. ...

Ich leg mich zurück und schließe die Augen und vertraue auf Dich, mein Sohn!

Henrik Ibsen: Peer Gynt

Vorwort

Als ich damit begann, mich mit den wenig gesprächigen Beziehungen zwischen Müttern und Söhnen zu beschäftigen, erschien deren alltägliches Verhältnis noch in die Selbstverständlichkeit einer natürlichen Ordnung getaucht. Selbst das Schweigen über die still daneben stehenden Väter war davon nicht ausgenommen, obwohl oder vielleicht gerade weil sie zeitgleich als Väter ihrer Töchter bereits heftig kritisiert, wenn nicht sogar von manchen leichtfertig als universelle Täter an Töchtern und Frauen phantasiert wurden. Aber Männer und Väter schweigen noch immer so vor sich hin, wie sie es bereits als junge Söhne zur Geschichte mit ihrer eigenen Mutter und dem ebenfalls daneben stehenden schweigenden Vater taten. Viel Forschung gab es damals wie heute nicht und was vorlag, sah die Beziehung eher gänzlich ohne Probleme, wenn nicht gar von einem Schleier der Friedfertigkeit und der geruhsamen Ausgeglichenheit bedeckt. Natürlich interessierte mich zu allererst, wie Söhne rückblickend ihre Beziehung zur Mutter mit der Reife erwachsener Männer sehen. Denn nur wer diesen Blick wagt, dem gerät die Beziehung zu seinem Vater ebenfalls in den Blick. Wer die Mutter nicht sieht, sieht nämlich auch den Vater nicht! Interessiert hat mich die sehr einfache, ja, geradezu naheliegende aber gänzlich ungewöhnliche und selten gestellte Frage: Was trägt eigentlich die Beziehung von Mutter und Sohn dazu bei, daß spätestens im Alter von 20 Jahren aus dem kleinen Jungen ein erwachsener Mann geworden ist, der eine unverwechselbare Persönlichkeit und zugleich doch alle Zeichen zeitgenössischer Männlichkeit und Väterlichkeit in sich trägt? Eine Männlichkeit und Väterlichkeit, über die in den letzten drei Jahrzehnten eher Unerfreuliches denn Rühmliches zu hören war. Wie trägt also das dreieckige Beziehungsgeflecht zwischen Söhnen, Müttern und Vätern dazu bei, daß Männer so werden wie sie später sind. Oder sind Männer ganz einfach nur deshalb so wie sie sind, so lautet eine weit verbreitete These, weil spätestens mit der Pubertät die männliche Kultur wie ein verheerendes Unwetter über die Jungen hereinbricht und sie dazu zwingt, sich der maroden Männlichkeit und der nichtssagenden Väterlichkeit ihrer Väter anzupassen? Ja, und daß sie damit - wie von einem unwiderstehlichen Sog - der heilen Welt der Mutter entrissen würden. Mit der schrecklichen Folge, daß all die segensreichen Erfahrungen der ersten Lebensjahre unwiederbringlich verloren gehen und die gute Aussaat im widrigen Wetter verrottet. Allein der Versuch, für die heftig kritisierte Männlichkeit Erklärungen nicht in den himmlischen Gefilden der Natur, sondern auf dem irdischen Boden alltäglicher Arrangements zwischen Männern und Frauen, Vätern und Müttern zu suchen, hat Kritikerinnen zu der Vermutung verführt, ich wollte den geschädigten Ruf der Männlichkeit "zu Lasten der Mütter" wieder herstellen. Da das Geschlechterarrangement von Macht und Ohnmacht, mehr noch, von stillschweigenden Übereinkünften handelt, führt ein Streit für den guten und gegen den schlechten Ruf nur in die Leere. Wer die Alltäglichkeit des Geschlechterarrangements in seinen Tiefen und gegenseitigen Abhängigkeiten verstehen, wer sie für Veränderungen überhaupt offen halten will, der muß sich der Suche der Wahrheit, nicht der Rücksicht und schon gar nicht der Selbsttäuschung verpflichten. Und solange die unmittelbare Erziehungsmacht wie in diesem Jahrhundert fast vollständig noch immer in den Händen der Mütter liegt, tragen sie unmittelbar die Verantwortung dafür, wie sie diese ausüben. Die frühe Erziehung in der Familie ist das Herrschaftsterrain der Frauen, egal ob sie viel Gutes, weniger Gutes oder viel Schlechtes daraus machen. Das Elternarrangement läßt sich nur verstehen, wenn auch die Welt der Frau als Mutter untersucht wird. Das sich einzugestehen, ist für beide Geschlechter zur Jahrtausendwende der allgemeinen Zeitrechnung durchaus eine zumutbare Perspektive, der sich der Einzelne, die Politik und selbstverständlich ebenso die Forschung nicht mit politischen oder psychischen Einwänden widersetzen sollte. Das heißt, daß Männlichkeit und Väterlichkeit in einer Art und Weise besichtigt werden müssen, die verstehen will, wie beides entstanden ist und wie es sich im Alltag von Familien und Gesellschaft über Generationen hinweg kulturell fortpflanzt oder vor sich hin vegetiert. Allein diese Besichtigung macht Änderungen in der Väterlichkeit und damit überhaupt erst im Arrangement von Elterlichkeit möglich. Dieser Zugang verzichtet auf offene oder unterschwellige Unwerterklärungen, die neben dem kurzfristigen und flüchtigen Gefühl der moralischen Überlegenheit nichts bewirken. Es gibt ein stetig wachsendes Interesse daran, nicht nur über die Arbeitsweisen männlicher Macht in der außerhäuslichen, sondern ebenso über die Mechanismen weiblicher Macht in der häuslichen Sphäre mehr zu verstehen. Daß dabei die Grenzen ins Terrain des anderen Geschlechts jeweils überschritten werden, ist selbstverständlich. Gerade daraus bezieht der Begriff des Geschlechterarrangements und der Elterlichkeit als einer besonders wichtigen Erscheinungsweise dieses Arrangements seine überragende Bedeutung. Der Wunsch nach Veränderung rückt immer mehr ins Zentrum und das ewige Gezeter, ob nun Männer oder Frauen das bessere Geschlecht seien und ob das von Natur aus so gegeben sei, wird in den Hintergrund treten. Ausgeprägterscheint mir dieses Interesse schon unter den jungen Männern und Frauen, deren Generation den verdammenden Feminismus und das sprachlose männliche Wegducken nur als Rückblick auf einen Kosmos von schwer nachvollziehbaren Feindseligkeiten kennengelernt hat. Das sind wegweisende Anzeichen dafür, das die alle Veränderungen lähmende Spaltung der Geschlechter in gute Frauen und gute Mütter und böse Männer und schlechte Väter und umgekehrt sich allmählich entschärft.

Es zeichnet sich eine neue Gelassenheit ab, die Männer auf ihre Mutter und deren Weiblichkeit voller Interesse blicken läßt. Egal auf welche Überraschungen sie dabei stoßen. Und Mütter werden sich ebenso fragen, was in ihrer Beziehung zu den Söhnen es hat gewesen sein können, was die Söhne so hat werden lassen, wie sie es sich nicht gewünscht hatten. Nämlich eine höchst zwiespältige Männlichkeit, in welcher der Haß auf die Frauen und die Abwertung des Weiblichen immer noch eine überbordende bewußte wie unbewußte Bedeutung einnehmen. Und zugleich geraten durch die anstehenden Rückblicke der Söhne und der Töchter die Väter ins Visier. Denn ohne den Vater geht es nun einmal nicht. Dabei ist es einerlei, ob er klug und weise die Realität vertritt, ob er sich seinen Pflichten entzieht, sie begeistert wahrnimmt oder ob die Kinder ihn nicht einmal kennen. Der Vater gehört zur Kindheit dazu. Sowohl im Zorn der Mutter auf ihn, wie in ihrer Verachtung für seine Unaufmerksamkeit oder in der Enttäuschung der Kinder über das väterliche Schweigen wird er vorausgesetzt. Er ist zumindest symbolisch gegenwärtig. Denn totschweigen kann man nur einen Lebenden und zornig sein nur auf einen, der enttäuscht. So wird die neue Gelassenheit daraus entstehen, daß die Beziehung der Mutter zum Sohn oder zur Tochter ebenso als eine Beziehung des Sohnes oder der Tochter zum Vater gesehen wird. Ebenso wird man sich daran gewöhnen, Vater und Mutter nicht nur als zwei Personen, sondern als Elemente eines gemeinsamen Dritten, nämlich von Elternschaft zu sehen. Man wird wahrnehmen, was der Vater getan, was er gemildert oder was er unterlassen hat. Denn immer gibt es Vater und Mutter. Es gibt sie als konkrete Personen, und es gibt sie als Vorstellung und als Phantasie in den Kindern. Für viele Kinder ist der Vater aber oft nur noch eine nebulös zwiespältige Figur, die sich öffentlich abwerten und in der Familie an den Rand drängen läßt oder die sich sprachlos selbst zerfleischt. Der Vater droht als inneres Bild zu verblassen. Und das ist die eigentliche Gefahr für die Kinder wie die Gesellschaft als Ganzes. Aber wie immer Männer ihre Väterlichkeit gestalten werden, der Vater wird immer Anlaß für heftige Reibungen sein.

Aus dem Schwinden der Vatererfahrung entsteht die Vatersehnsucht. Die Vatersehnsucht ist ein sehr intensives Gefühl, das allerdings zumeist verleugnet wird. Ob Männer sich als Väter selbst zerfleischen oder ob sie geschmäht werden, ist für Kinder, ja, sogar für Erwachsenen einerlei. Was sie nicht hatten, was sie vermißten oder worin sie sich ärgerlich fügten, es schuf jene unendliche Vatersehnsucht, die sich kaum zu äußern wagt. Die Angst vor der abermaligen Enttäuschung ist einfach zu groß, sowohl für Kinder als auch Erwachsene. Nur wer die Vatersehnsucht kennt, weiß daß es keine idealen Väter gibt. Vater und Mutter sind die Eltern. Sie sind es gemeinsam. Ob sie ihre Elternschaft praktizieren, ist damit noch nicht gesagt. Wenn sie es gemeinsam nicht sein wollen (oder es nicht sein können), so ist"Einelternschaft" doch nie ein Ausweg. Zumal es gar keine Einelternschaftgibt, allenfalls einzelne Elternteile. "Einelternschaft" ist allenfalls eine Wunschvorstellung von Erwachsenen, die sich über kindliche Elternwünsche hinwegsetzt und aus äußerer Not, aus Schicksalsschlägen, aus Leichtsinn, Haß auf Männer, deren Verachtung oder ideologischen Wahngebilden und vielen anderen Gründen auf den Vater verzichten will. Und dieser Verzicht hat vielfach etwas Heroisches, das von sich meint, auf den Vater verzichten zu können, indem man sich und Teile seines Lebens im Namen und zum Wohl der Kinder opfert. Die Kinder erhalten die Rechnung dafür später. Alle erwachsenen Anstrengungen, wie ehrlich, aufopfernd oder sanft manipulierend zum Wohle des Kindes sie sein mögen, werden nichts daran ändern, daß den Kindern der andere Elternteil fehlt. Und je mehr die Erwachsenen das verleugnen, um so mehr unterdrücken sie den Wunsch der Kinder nach ihrem Vater. Wie Frauen den fehlenden Vater präsentieren, entscheidet letztlich darüber, wie Kinder sein Fehlen merken und ob ihnen erlaubt wird, ihn überhaupt zu vermissen. Das werde ich eingehend untersuchen. Ich werde zeigen, in welche inneren und äußeren Konflikte Kinder gestürzt werden, wenn ihr Wunsch nach dem Vater in unendlichen Spielweisen an der äußeren Welt der Verleugnungen zerschellt. Eben wenn sie sich nicht einmal ein Bild von ihm machen, ja, noch nicht einmal ein schlechtes von ihm haben dürfen. Aber alle Kinder haben ein Recht auf ihre Eltern und ihre Phantasien über diese. Sie sind nicht als idealisierte, realitätsferne Bilder zu verwerfen, sondern als ambivalente Vorstellungen, eben als innerpsychische Wirklichkeit der Kinder ernst zu nehmen. Es geht darum, daß beide Elternteile eine widersprüchliche und spannungsreiche Einheit in der Vorstellungswelt der Kinder bilden dürfen. Deshalb hat gerade die zunehmende Abwertung und Verleugnung der Väterlichkeit ein paradoxes Phänomen entstehen lassen. Paradox deshalb, weil es hervorbringt, was im Namen eines mißverstandenen Kindeswohls unterdrückt werden sollte: die Bindung an den Vater. Je mehr die Väterlichkeit verschrieen oder als unabdingbares Element von Kindheit in Abrede gestellt wird, um so heftiger wird die Sehnsucht nach ihm entfacht. Daraus ist jenes leidenschaftliche Begehren im Untergrund entsprungen: die Vatersehnsucht. Paradoxerweise entzündete sie sich sowohl an der Feindseligkeit wie der sachlichen Kritik, die an der Väterlichkeit geübt wurde.

Aber wo, so läßt sich fragen, zeigt sich denn das leidenschaftliche Gefühl der Vatersehnsucht? Wie kann ein leidenschaftliches Sehnen nach dem Vater verbreitet sein, wenn niemand die Sehnsucht spürt und statt dessen nur Entwertungen zu vernehmen sind? Auf diese Frage will ich versuchen, in elf Essays aus höchst unterschiedlichen Blickwinkeln Antworten zu geben. So sei als erste Orientierung angemerkt, daß gerade Gefühle von besonderer Leidenschaft den Weg ins bewußte Fühlen mitunter besonders schwer finden. Das wird immer dann der Fall sein, wenn der Leidenschaft zugleich sich große Gefühle der Angst zugesellen und wenn - wie bei der Vatersehnsucht - die Leidenschaft fürchtet, ihr Ziel nicht zu finden und das Hoffen vergeblich gewesen sein könnte. Vatersehnsucht zu verleugnen, wirkt dann wie ein Schutz gegen die gefürchtete Enttäuschung. Aber es ist bei weitem nicht die individuelle Angst allein, die sich dem bewußten Erleben der Vatersehnsucht hemmend entgegenstellt. Was individuell als Angst vor der bewußten Sehnsucht sich zu erkennen gibt, wird ebenso durch die Kultur wie die politisch und wissenschaftlich geübte Vaterverachtung hervorgebracht. Die Vaterfeindlichkeit der Kultur wirkt wie eine Gefühlszensur. Man könnte sagen, daß das Gebot, Du sollst Vater und Mutter ehren in der Moderne den Vater ausschließt. Von selbst wird die Vatersehnsucht den Weg ins bewußte Erleben nicht finden. Dazu bedarf es eines anderen Verständnisses von Elternschaft und neugieriger Kinder in jedem Alter, die ihrer Sehnsucht folgen möchten. Um die Sehnsucht nach dem Vater zu verstehen, war ich auf die Mitarbeit von Müttern und Söhnen angewiesen. Fast fünfhundert Männer und mehr als eintausend Frauen haben dankenswerterweise den sehr umfangreichen Fragebogen ausgefüllt, der die empirische Grundlage für einige meiner wesentlichsten Überlegungen bildet. Die Fragen waren beschwerlich, weil sie Antworten erbaten, die für viele in intime Bereiche führten, in denen sie sich bislang nicht bewegt hatten.

Mein Dank gilt den Frauen und Männern, die den Fragebogen ausfüllten, aber auch den anderen, die den Fragebogen zwar angefordert haben, dann aber aus sehr persönlichen Gründen darauf verzichteten, ihn zurück zuschicken. (...)

 

http://uni-bremen.de/~sozarbwi/deutsch/institut/igg.html#Textauszüge

 

 

 


 

 

"Der gegenwärtige Vater, der am Rand der Familie steht.


Über allein erziehende Frauen, veränderte Mütterlichkeit und die Sehnsucht der Kinder nach Väterlichkeit."


von Gerhard Amendt in: "Frankfurter Rundschau" 20.12.99, ganzseitig

Ein hervorragender Artikel über "vier Arten von Alleinerziehen" und die Rolle  der Väter. 
Typ 1: Alleinerziehen infolge Tod des Partners
Typ 2: als Folge von Scheidung
Typ 3: als einen Lebensentwurf, der den Mann als Vater ausschlägt
Typ 4: als breit strömende psychische Reaktion auf enttäuschend verlaufene  Beziehungen zu Männern, die sich von der Kindheit bis ins erwachsene Leben 
erstrecken



ein gekürztes Kapitel aus dem Buch von Amendt "Vatersehnsucht. Annäherung in elf  Essays", 50 DM, ISBN 3887224523, 
zu beziehen auch mit Scheck über: Uni Bremen, Institut für Geschlechter und Generationenforschung, PF 330440, 28334 Bremen

Leseprobe hier

 

 


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