Widerspruchsverfahren im Verwaltungsverfahren


 

 

 

 

Widerspruch (Recht)

Der Begriff Widerspruch (als rechtliche Gegenrede) bezeichnet in der deutschen juristischen Fachsprache einen Rechtsbehelf gegen behördliche und gerichtliche Entscheidungen, ein spezielles Rechtsinstitut des Grundbuchrechts sowie die Möglichkeiten des Wohnraummieters, bei Kündigung des Vermieters gegen ebendiese zu protestieren, oder des Arbeitnehmers, den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber zu verhindern.

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Verwaltungsrecht
→ Hauptartikel: Vorverfahren

Nach allgemeiner Auffassung dient das Widerspruchsverfahren im Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensrecht im Wesentlichen drei Zielen: Der Selbstkontrolle der Verwaltung, dem Rechtsschutz des Bürgers und der Entlastung der Verwaltungsgerichte.[1]
Allgemeine Bedeutung

Im Verwaltungsrecht können Betroffene, die durch den Verwaltungsakt einer Behörde beschwert sind, gegen diesen innerhalb der Rechtsbehelfsfrist (ein Monat) ab seiner Bekanntgabe Widerspruch erheben und damit die zuständige Behörde veranlassen, die Rechtmäßigkeit und die Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes nachzuprüfen. Entsprechendes gilt für den Fall, dass die Behörde den Erlass eines begehrten Verwaltungsaktes (z. B. eine Genehmigung) ablehnt.

Ist über das Widerspruchsrecht nicht oder nicht richtig belehrt worden, soll das Widerspruchsrecht erst nach einem Jahr verwirken. Der Widerspruch muss schriftlich oder zur Niederschrift erhoben werden. Der Widerspruch eröffnet im Verwaltungsprozess das Vorverfahren vor einer verwaltungsgerichtlichen Klage, § 69 VwGO. Ohne Vorverfahren kann, abgesehen von der Möglichkeit einer Untätigkeitsklage (vgl. § 75 VwGO), grundsätzlich keine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage erhoben werden (vgl. § 68 VwGO). Ausnahmen hiervon gibt es jedoch sowohl im Bundesrecht als auch im Landesrecht. Hier ist dann sofort Klage zu erheben.
Besonderheiten in einzelnen Bundesländern
Niedersachsen

In Niedersachsen ist das Widerspruchsverfahren seit 2005 mit wenigen Ausnahmen – z. B. im Baurecht, im Schulrecht und im Sozialrecht – dauerhaft abgeschafft.

Rechtsgrundlagen:

§ 80 Niedersächsisches Justizgesetz (NJG)[2]
§ 105 Niedersächsisches Beamtengesetz (NBG)[3]
§ 4a Niedersächsisches Ausführungsgesetz zum Sozialgerichtsgesetz (Nds. AG SGG)[4]

Bayern

In Bayern ist das Widerspruchsverfahren in vielen Bereichen abgeschafft. Ohne Widerspruchsverfahren ist gegen einen Verwaltungsakt direkt Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht zu erheben. Lediglich gegen Verwaltungsakte, welche die in Artikel 15 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO)[5] genannten Bereiche zum Gegenstand haben, sind sowohl Widerspruch als auch sofortige Klage möglich.
Nordrhein-Westfalen
In Nordrhein-Westfalen wurde im April 2007 das Widerspruchsverfahren für das Bau- und Gewerberecht abgeschafft. Der Landtag Nordrhein-Westfalen hat danach durch das 2. Bürokratieabbaugesetz auch fast alle weiteren Widerspruchsverfahren nach Landesrecht mit Wirkung zum 1. November 2007 (befristet bis zum 31. Dezember 2013) abgeschafft. Ausgenommen bleiben hauptsächlich Prüfungsentscheidungen, Verwaltungsakte durch Schulen, Universitäten, den Westdeutschen Rundfunk Köln (WDR) und die GEZ, Beihilfebescheide im Beamtenrecht sowie Drittwidersprüche. Der Wegfall des Widerspruchsverfahrens betrifft auch nicht die Fälle einer allgemeinen Leistungsklage und Feststellungsklage bzw. Fortsetzungsfeststellungsklage.

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https://de.wikipedia.org/wiki/Widerspruch_(Recht)

 

 

 

 


 

  


Gerichtsort


Neustadt/Wstr.
Datum


03.11.2010
Aktenzeichen


4 K 535/10.NW
Titel


Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr.

Urteil vom 03.11.2010 - 4 K 535/10.NW

Jugendhilferecht
Text


Verkündet am: 03.11.2010




Justizbeschäftigte als Urkunds-
beamtin der Geschäftsstelle



Verwaltungsgericht
Neustadt an der Weinstrasse

Urteil

Im Namen des Volkes

In dem Verwaltungsrechtsstreit

1. der Frau S.,

2. des Herrn E.,

- Kläger -



Prozessbevollmächtigte zu 1-2: Rechtsanwälte Maisenbacher, Hort & Partner, Südring 6, 76829 Landau,



gegen



den Landkreis Südliche Weinstraße, vertreten durch die Landrätin, An der Kreuzmühle 2, 76829 Landau,

- Beklagter -





wegen Jugendhilferechts, Tagespflege



hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 3. November 2010, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Butzinger
Richter am Verwaltungsgericht Kintz
Richter am Verwaltungsgericht Bender
ehrenamtliche Richterin Hausfrau Ziegler
ehrenamtlicher Richter Schornsteinfegermeister Bauer

für Recht erkannt:

Der Bescheid vom 16. Dezember 2008 und der Widerspruchsbescheid vom 23. April 2010 werden aufgehoben.



Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.



Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.



Tatbestand



Die Kläger wenden sich gegen ihre Heranziehung zu einem jugendhilferechtlichen Kostenbeitrag.

Ihre am 12. März 2008 geborene Tochter L.... erhielt vom Beklagten seit Juni 2008 Leistungen der Jugendhilfe in Form der Betreuung des Kindes in Kindertagespflege. Die Geldleistung wurde vom Beklagten unmittelbar an die Pflegeperson überwiesen. Für diese Leistung zog der Beklagte die Kläger mit Bescheid vom 12. Juni 2008 entsprechend den damals geltenden Richtlinien des Beklagten zur Durchführung der Tagespflege nach § 23 SGB VIII zu einem monatlichen Kostenbeitrag in Höhe von 117,90 Euro heran. Nachdem seit 01. Januar 2009 die Einkünfte der Tagespflegepersonen aus ihrer Tagespflegetätigkeit auch dann uneingeschränkt der Einkommenssteuerpflicht unterliegen, wenn die Tagespflegepersonen vom Jugendamt bezahlt werden, beschloss der Kreistag des Beklagten am 15. Dezember 2008, ab 01. Januar 2009 das Pflegegeld für die Tagespflegepersonen zum Ausgleich der Besteuerung zu erhöhen und die bestehenden Richtlinien des Beklagten entsprechend zu ändern. Gleichzeitig beschloss der Kreistag eine Neufassung der Beitragstabelle für die Erhebung einer pauschalierten Kostenbeteiligung für die Kindertagespflege. Daraufhin setzte der Beklagte mit Bescheid vom 16. Dezember 2008 ab 01. Januar 2009 den monatlichen Kostenbeitrag der Kläger auf 182,25 Euro neu fest.

Am 18. Dezember 2008 ging beim Beklagten ein von der Klägerin zu 1) unterschriebener Schriftsatz ein. In der Kopfzeile waren beide Kläger als Absender angegeben, der Betreff lautete „Antrag auf einen teilweisen Erlass, Widerspruch gegen die Neuregelung“. Im Text des Schreibens heißt es u.a. wie folgt: „Wir möchten auch hiermit einen Einspruch zu der Neufestsetzung bzw. der Gesetzesänderung einlegen“.

Den Erlassantrag lehnte der Beklagte mit an beide Kläger gerichtetem Bescheid vom 21. Juli 2009 ab. Dagegen legten die Kläger am 18. August 2009 Widerspruch ein.

Mit weiterem Schreiben an die Kläger vom 21. Juli 2009 teilte der Beklagte diesen mit, dass dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 16. Dezember 2008 nicht abgeholfen werde und er daher an den Kreisrechtsausschuss weitergeleitet werde. Dieser wies die Klägerin zu 1) mit Schreiben vom 02. Februar 2010 darauf hin, dass der Widerspruch nur von ihr unterschrieben sei und sie deshalb um Vorlage einer Vollmacht des Klägers zu 2) gebeten werde, dass sie berechtigt gewesen sei, Widerspruch einzulegen. Am 17. Februar 2010 legte der Kläger zu 2) die geforderte Vollmacht vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 2010, den Klägern zugestellt am 27. April 2010, wies der Kreisrechtsausschuss des Beklagten die Widersprüche der Kläger zurück. Zur Begründung führte der Kreisrechtsausschuss u.a. aus, die Klägerin zu 1) werde durch den nur von ihr angefochtenen Bescheid vom 16. Dezember 2008 nicht in ihren Rechten verletzt. Zwar fehle dem Bescheid die inhaltliche Bestimmtheit. Der Kreisrechtsausschuss übe das ihm bei der Konkretisierung des Bescheids eingeräumte Ermessen aber dahin aus, dass der im Bescheid festgesetzte Gesamtbetrag in Höhe von 182,25 Euro zu 35,1% = 63,97 Euro auf die Klägerin zu 1) und zu 64,9% = 118,28 Euro auf den Kläger zu 2) entfalle. Auch die Ablehnung des Erlassantrags der Kläger mit Bescheid vom 21. Juli 2009 sei rechtmäßig, da die Kläger keinen Anspruch auf den begehrten Beitragserlass hätten.

Die Kläger haben am 25. Mai 2010 Klage erhoben. Sie führen aus, der Zulässigkeit der Klage stehe nicht entgegen, dass nur die Klägerin zu 1) gegen den Bescheid vom 16. Dezember 2008 Widerspruch eingelegt habe. Bei einer Mehrheit von Klägern sei die Durchführung des Vorverfahrens für den Kläger zu 2) entbehrlich, wenn das Vorverfahren durch einen Kläger durchgeführt worden sei. Denn die Zwecke des Vorverfahrens sei bereits durch diesen erreicht worden. Der Kostenbescheid vom 16. Dezember 2008 sei rechtswidrig, da es an einer ausreichenden Rechtsgrundlage für dessen Erlass fehle. Die Richtlinien des Beklagten zur Durchführung der Tagespflege nach § 23 SGB VIII genügten nicht dem Erfordernis einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage. Um den Förderanspruch aus den §§ 23, 24 SGB VIII materiell-rechtlich zulässig zu begrenzen, hätte es einer Satzung bedurft. Ungeachtet dessen sei die Beitragserhöhung unverhältnismäßig. Sollte das Gericht den Kostenbescheid dennoch als rechtmäßig ansehen, hätten sie jedenfalls einen Anspruch auf einen Teilerlass der Beitragsforderung.

Die Kläger beantragen,



den Bescheid vom 16. Dezember 2008 und den Widerspruchsbescheid vom 23. April 2010 aufzuheben,



hilfsweise



den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 21. Juli 2009 und des Widerspruchsbescheids vom 23. April 2010 zu verpflichten, über den Teilerlassantrag vom 18. Dezember 2008 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.





Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die Klage des Klägers zu 2) teilweise für unzulässig, weil dieser keinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 16. Dezember 2009 eingelegt habe. Im Übrigen sei die Klage unbegründet.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die von dem Beklagten vorgelegte Behördenakte verwiesen. Ihr Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.



Entscheidungsgründe

Die im Wege des Hauptantrags verfolgte Anfechtungsklage gegen den Kostenbescheid vom 16. Dezember 2008 ist zulässig (I.) und begründet (II.). Über den Hilfsantrag der Kläger musste die Kammer daher nicht mehr entscheiden (III.).



I. Der Zulässigkeit der Klage gegen den Bescheid vom 16. Dezember 2008 steht nicht entgegen, dass der Kläger zu 2) kein ordnungsgemäßes Vorverfahren durchgeführt hat.



Dabei braucht die Kammer nicht näher auf die von den Klägern aufgeworfene Frage einzugehen, ob das Vorverfahren für den Kläger zu 2) entbehrlich war, weil die Klägerin zu 1) das Widerspruchsverfahren durchgeführt hat (vgl. dazu BVerwG, NJW 1976, 1516). Denn der Kläger zu 2) hat nach Ansicht der Kammer wirksam Widerspruch eingelegt. Gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Widerspruch u.a. „schriftlich“ einzulegen. Diesem Erfordernis wird bei bestimmenden Schriftsätzen in der Regel zwar nur durch eine eigenhändige Unterschrift des dazu Berechtigten genügt (vgl. BVerwG, IR 2010, 210). Daran fehlt es hier, denn das Widerspruchsschreiben vom 18. Dezember 2008 ist nur von der Klägerin zu 1) unterschrieben. Es bedarf keiner Entscheidung, ob im Hinblick auf den Umstand, dass in der Kopfzeile auch der Kläger zu 2) als Absender angegeben ist und im Text des Schreibens stets davon die Rede ist, dass sich beide Kläger gegen den Kostenbescheid wenden, vom Schriftformerfordernis ausnahmsweise abgesehen werden kann, weil seinem Sinn und Zweck auf anderem Wege genügt ist (vgl. BVerwG, IR 2010, 210). Denn der Kläger zu 2) wurde im Vorverfahren wirksam von der Klägerin zu 1), die das Widerspruchsschreiben unterschrieben hat, vertreten. Gemäß § 1 LVwVfG i.V.m. 14 Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann sich ein Beteiligter in einem Verwaltungsverfahren - ein solches ist auch das Vorverfahren – durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf Verlangen hat der Bevollmächtigte seine Vollmacht schriftlich nachzuweisen (§ 14 Abs. 1 Satz 3 VwVfG). Dem ist der Kläger zu 2) hier nachgekommen. Die nach Widerspruchseinlegung und Ablauf der Widerspruchsfrist auf Verlangen des Beklagten nachgereichte schriftliche Vollmacht des Klägers zu 2) wirkte als Genehmigung entsprechend § 177 Abs. 2 § 180 Satz 2, § 184 BGB bis zur Einleitung des Vorverfahrens durch die Klägerin zu 1) als vormalige Vertreterin ohne Vertretungsmacht zurück (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Auflage 2010, § 14 Rdnr. 20, 21; OVG Niedersachsen, AuAS 2007, 266).



II. Die Anfechtungsklage ist auch in der Sache begründet. Der Bescheid vom 16. Dezember 2008, mit dem die Kläger ab dem 01. Januar 2009 zu einem Beitrag von zusammen 182,25 Euro monatlich zu den Kosten der Jugendhilfeleistung für ihre Tochter L.... herangezogen worden sind, und der hierzu ergangene Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses vom 23. April 2010 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).



Der Beklagte konnte den Kostenbescheid vom 16. Dezember 2008 nicht auf die Vorschrift des § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII stützen. Danach können für die Inanspruchnahme von Angeboten der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege nach den §§ 22 bis 24 SGB VIII Kostenbeiträge festgesetzt werden. Soweit Landesrecht nichts anderes bestimmt, sind Kostenbeiträge, die für die Inanspruchnahme von Tageseinrichtungen und von Kindertagespflege zu entrichten sind, zu staffeln (§ 90 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII in der ab dem 16. Dezember 2008 gültigen Fassung). Als Kriterien für die Staffelung können insbesondere das Einkommen, die Anzahl der kindergeldberechtigten Kinder in der Familie und die tägliche Betreuungszeit berücksichtigt werden (§ 90 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII).

Machen die Länder von der bundesrechtlich vorgesehenen Ermächtigung zur Festsetzung der Kostenbeiträge Gebrauch, so können auch sie im Hinblick auf die vom SGB VIII vorgesehene soziale Staffelung die genannten Kriterien berücksichtigen. In der landesrechtlichen Regelung kann die Staffelung selbst festgesetzt sein; sie kann diese aber auch dem örtlichen Träger der Jugendhilfe und sonstigen Gemeinden übertragen (Winkler in: Rolfs/Giesen/ Kreikebohm/Udsching, BeckOK SGB VIII, Stand September 2010, § 90). Dem Landesgesetzgeber bzw. dem Satzungsgeber ist dabei ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt (vgl. BVerwG, NVwZ 1995, 173 und BVerwGE 107, 188; OVG Rheinland-Pfalz, AS 31, 102).

Von der bundesrechtlich vorgesehenen Ermächtigung hat das Land Rheinland-Pfalz teilweise Gebrauch gemacht. Das Kindertagesstättengesetz - KitaG - vom 15. März 1991 (GVBl. Seite 79) i.d.F. des Gesetzes vom 07. März 2008 (GVBl. Seite 52) sieht in § 13 vor, dass Elternbeiträge für den Besuch von Kindertagesstätten nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Sorgeberechtigten unter Berücksichtigung der Zahl ihrer Kinder gestaffelt werden sollen (§ 13 Abs. 2 und 4 KitaG).

Eine entsprechende gesetzliche Regelung für den Bereich der Kindertagespflege hat der rheinland-pfälzische Landesgesetzgeber hingegen bisher nicht erlassen. Damit sind in Rheinland-Pfalz die kommunalen Gebietskörperschaften als Träger der Kinder- und Jugendhilfe aufgerufen, für die Elternbeiträge in Kindertagespflege Kostenbeiträge festzusetzen. Auch ihnen ist bei der Gestaltung des Kostenbeitrages der Eltern in der Tagespflege ein Gestaltungsfreiraum verblieben. Dieser ist jedoch gegenüber dem potenziellen Gestaltungsspielraum des Landesgesetzgebers erheblich eingeschränkt. Nach den bundesrechtlichen Vorgaben sind nämlich in diesem Fall die Kostenbeiträge zu staffeln. Der jeweiligen kommunalen Gebietskörperschaft verbleibt damit lediglich hinsichtlich der Art der Staffelung ein Spielraum. Wird die Höhe der Kostenbeiträge von den Einkommensverhältnissen abhängig gemacht, so besteht bei der Bestimmung des maßgeblichen Einkommensbegriffs ein weiter Gestaltungsspielraum (VG Osnabrück, Urteil vom 27. Januar 2010 - 4 A 185/08 - , juris).

Der Beklagte hat für eine einheitliche Handhabung der Kindertagespflege im Jahre 2001 die „Richtlinien zur Durchführung der Tagespflege nach § 23 SGB VIII“ erlassen. Zum 01. Januar 2009 hat er die Richtlinien im Hinblick auf den Umstand, dass ab diesem Zeitpunkt die Geldleistungen an die Tagespflegepersonen zu versteuern sind, angepasst und das Tagespflegegeld erhöht. Bei der Festsetzung des Kostenbeitrags wendet der Beklagte die am 15. Dezember 2008 vom Kreistag beschlossene, ab 01. Januar 2009 gültige Beitragstabelle an. Diese Tabelle sieht eine Staffelung des pauschalierten Kostenbeitrags für Kindertagespflege nach dem durchschnittlichen wöchentlichen Betreuungsumfang, einem gemäß § 93 SGB VIII ermittelten monatlichen Nettoeinkommen der Eltern sowie der Anzahl der Kinder in der Familie vor. Dieses Vorgehen ist rechtlich zu beanstanden. Die Kammer schließt sich der Auffassung des VG Osnabrück in seinem Urteil vom 27. Januar 2010 - 4 A 185/08 - (juris) und des VG Göttingen in seinem Urteil vom 05. August 2010 - 2 A 118/09 - (juris) an, wonach es für die Festsetzung von Kostenbeiträgen für die Inanspruchnahme von Kindertagespflege einer gesetzlichen Grundlage - vorliegend also einer Satzung des Beklagten - bedarf. Eine solche liegt jedoch nicht vor.

Zwar ist § 90 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII die Ermächtigungsgrundlage für die Festsetzung von Entgelten für die Inanspruchnahme von Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege nach den §§ 22 bis 24 SGB VIII; eine zusätzliche landesrechtliche Regelung ist nicht erforderlich (vgl. BVerwG, NVwZ 1995, 173). Dies bedeutet nach Auffassung der Kammer jedoch, dass die Regelungszuständigkeit an die örtlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe in ihrer Funktion als kommunale Gesetzgeber weitergegeben wird und nicht durch Verwaltungsvorschriften erfolgen kann. Die vom örtlichen Träger zu treffenden Regelungen haben unmittelbare Außenwirkungen gegenüber Dritten und sind somit als materielle Gesetze durch den kommunalen Gesetzgeber zu verabschieden und öffentlich bekannt zu machen (VG Osnabrück, Urteil vom 27. Januar 2010, a.a.O.; VG Göttingen, Urteil vom 05. August 2010, a.a.O.; vgl. auch BVerwG, NVwZ 1995, 575 zu kommunalen „Richtlinien für die Schülerbeförderung“).

Diese Voraussetzungen erfüllen die „Richtlinien zur Durchführung der Tagespflege nach § 23 SGB VIII“ des Beklagten nicht. Sie sind zwar vom Kreistag des Beklagten beschlossen worden, ihnen fehlt aber schon deshalb die Außenwirkung, weil sie nicht in der gebotenen Form öffentlich bekannt gemacht worden sind. Aus den in den Gerichtsakten befindlichen Unterlagen ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass sie die Formerfordernisse erfüllen, die gemäß § 20 der Landkreisordnung für Satzungen des Kreises vorgeschrieben sind. Auch hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 03. November 2010 nichts Gegenteiliges behauptet.

Die Richtlinien des Beklagten zur Durchführung der Tagespflege nach § 23 SGB VIII sind somit nur Verwaltungsvorschriften. Verwaltungsvorschriften sind nach Struktur und Inhalt im Allgemeinen generelle und abstrakte Regelungen, die innerhalb der Verwaltungsorganisation von übergeordneten Verwaltungsinstanzen oder Vorgesetzten an nachgeordnete Behörden oder Bedienstete ergehen, und zwar zur einheitlichen Auslegung und Anwendung von Gesetzen und Rechtsverordnungen (vgl. Bonk/Schmitz in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Auflage 2008, § 1 Rdnr. 212). Sie wenden sich regelmäßig nur an die damit befassten Behörden und sind für sie nur im Innenverhältnis verbindlich, also „Innenrecht“. Im Außenverhältnis haben sie regelmäßig keine Bindungswirkung wie Rechtsnormen; deshalb bedürfen sie keiner Verkündung in einem dafür vorgesehenen Publikationsorgan. Verwaltungsvorschriften unterliegen aber dann dem rechtsstaatlichen Publikationsgebot, wenn die Verwaltungsvorschriften unmittelbare Außenwirkung gegenüber Dritten enthalten (vgl. BVerwG, NVwZ 1995, 602).

Vorliegend beinhalten die Richtlinien des Beklagten zur Durchführung der Tagespflege nach § 23 SGB VIII jedoch nicht nur Anweisungen für eine einheitliche Rechtsanwendung durch Bedienstete des Landkreises, sondern entfalten auch eine rechtliche Außenwirkung gegenüber dem einzelnen Bürger, indem sie mit den Regelungen über die Heranziehung zu den Kosten auf dessen subjektiv-öffentliche Rechte unmittelbar einwirken. Die Bestimmungen des Beklagten betreffend die Kostenbeiträge bei Inanspruchnahme von Tagespflege sind somit nicht nur binnenrechtlich wirkende Ausführungsbestimmungen auf der Grundlage der bundesrechtlichen Ermächtigung, sondern sie haben auch Bindungswirkung für die Personensorgeberechtigten, die Tagespflege für ihre Kinder in Anspruch nehmen. Sie geben der Höhe des zu leistenden Kostenbeitrags die abschließende Gestalt (s. VG Osnabrück, Urteil vom 27. Januar 2010, a.a.O.; VG Göttingen, Urteil vom 05. August 2010, a.a.O.). Der Beklagte wäre somit gehalten gewesen, als Satzungsgeber tätig zu werden, die vom SGB VIII vorgegebene Regelungsbefugnis in Form einer Satzung wahrzunehmen und diese in einem dafür vorgesehenen amtlichen Medium zu veröffentlichen.

III. Da der Kostenbescheid vom 16. Dezember 2008 aufgrund seiner Rechtswidrigkeit aufzuheben war, bedurfte es keiner Entscheidung mehr über den hilfsweise gestellten Antrag der Kläger auf Teilerlass.



Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.



Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung ...

 

 

 

 


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