Väternotruf

August 2005


 

 

 

 

 

 

Berlin, 26. August 2005 Mehr Rechte für Bürgerinnen und Bürger: Rechtsbehelf gegen überlange Verfahrensdauer

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat heute einen Gesetzentwurf vorgelegt, der neue Rechtsbehelfe vorsieht, wenn das gerichtliche Verfahren zu langsam ist. „Die Gerichte in Deutschland arbeiten weit überwiegend zügig und nehmen europaweit eine Spitzenstellung ein. Dennoch gibt es bei der Verfahrensdauer erhebliche regionale Unterschiede und negative Einzelfälle. Damit Bürgerinnen und Bürger in diesen Fällen ihr Recht auf ein zügiges Verfahren besser durchsetzen können, wollen wir eine Untätigkeitsbeschwerde einführen“, sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.

Bislang gibt es für solche Fälle im deutschen Recht keinen speziellen Rechtsbehelf. Den Betroffenen bleibt nur, eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Richter oder äußerstenfalls auch Verfassungsbeschwerde zu erheben. Eine rechtliche Möglichkeit, unmittelbar auf den Fortgang eines des konkret anhängigen Verfahrens hinzuwirken, fehlt bislang.

„Dem trägt der Gesetzentwurf Rechnung - Betroffene sollen ihr Recht auf ein zügiges Verfahren innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens auch tatsächlich durchsetzen können“, unterstrich die Bundesjustizministerin.

Fallbeispiel:

Ein Bürger reicht bei einem Gericht Klage ein. Danach hört er längere Zeit nichts mehr vom Gericht. Auch seine Anfrage nach dem Sachstand bleibt erfolglos.

In einem solchen Fall kann der Bürger künftig Untätigkeitsbeschwerde bei dem Gericht erheben, bei dem sein Verfahren anhängig ist. Dieses muss sich zunächst selbst mit dem Vorwurf auseinandersetzen, es habe das Verfahren ohne sachlichen Grund nicht in angemessener Frist gefördert. Hält es die Kritik im Ergebnis für zutreffend, so muss es Abhilfe leisten und rasch Maßnahmen treffen (z.B. ein Gutachten in Auftrag geben oder einen Termin für die mündliche Verhandlung ansetzen), die einen Verfahrensabschluss in einem angemessenen Zeitrahmen erwarten lassen. Diese Maßnahmen muss es unverzüglich, spätestens innerhalb einer Frist von einem Monat nach Einreichen der Beschwerde treffen.

Hält das Gericht im Beispielsfall den bisherigen Verfahrensverlauf für sachgerecht und zusätzliche prozessfördernde Maßnahmen nicht für notwendig, kann es die Beschwerde nicht selbst zurückweisen, sondern muss sie dem nächsthöheren Gericht vorlegen. Dieses trifft dann eine abschließende Entscheidung. Ist das Beschwerdegericht der Ansicht, dass die Beschwerde begründet ist, kann es dem Ausgangsgericht eine Frist setzen, innerhalb derer wirksame Maßnahmen zur Verfahrensförderung ergriffen werden müssen.

Wichtige Anstöße zu dem heute vorgelegten Gesetzentwurf kommen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. In der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, zu deren Vertragsparteien auch Deutschland gehört, wird nicht nur das Recht auf ein zügiges und faires Verfahren garantiert (Art. 6 Abs. 1 EMRK), sondern auch das Recht auf eine wirksame Beschwerde (Art. 13 EMRK). Die Bedeutung dieses Beschwerderechts bei überlanger Verfahrensdauer hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner jüngeren Rechtsprechung stark herausgestellt. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung stets den Rang der Prozessgrundrechte bekräftigt, zu denen das Recht auf angemessene Verfahrensdauer gehört. Nach der Rechtsprechung beider Gerichte sind angespannte Personalsituationen bei den Gerichten nicht geeignet, um Einschränkungen des Rechts auf eine angemessene Verfahrensdauer zu rechtfertigen. Der Staat kann sich zur Rechtfertigung der überlangen Dauer eines Verfahrens nicht auf Umstände innerhalb des staatlichen Verantwortungsbereiches berufen; vielmehr muss er alle notwendigen Maßnahmen treffen, damit Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist beendet werden können.

Der neue Rechtsbehelf der Untätigkeitsbeschwerde stärkt dieses Recht. Gleichzeitig sind die neuen Regelungen so ausgestaltet, dass der Justiz in Deutschland keine unnötige Mehrbelastungen wegen offensichtlich unbegründeter Beschwerden aufgebürdet werden. Wird in einem nicht zu beanstandenden Verfahren Untätigkeitsbeschwerde erhoben, so kann das Gericht den Vorgang mit knapper Stellungnahme zügig an die nächsthöhere Instanz weiterleiten, und der Beschwerdeführer wird von dort ebenso knapp und unaufwändig abschlägig beschieden werden.

Den Gesetzentwurf finden Sie demnächst unter http://www.bmj.bund.de/

Zahlen und Fakten zur Dauer der gerichtlichen Verfahren in den unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten:

Zivilgerichte

Bei den Zivilgerichten dauern Verfahren in der Eingangsinstanz (bundes)durchschnittlich zwar nur 4,4 Monate (Amtsgerichte) bzw. 7,1 Monate (Landgerichte). Die durchschnittliche Verfahrensdauer in den Ländern zeigt aber deutliche Abweichungen sowohl nach oben als auch nach unten. Bei den Amtsgerichten liegt die Spannweite zwischen 3,7 und 5,8 Monaten, bei den Landgerichten zwischen 5,3 und 9,8 Monaten. Fast 11 % der Prozesse vor den Landgerichten dauern im Übrigen mehr als 12 Monate und 4,7 % mehr als 24 Monate.

Verwaltungsgerichte

Erstinstanzliche Verfahren vor den Verwaltungsgerichten dauern im Bundesdurchschnitt 15,3 Monate. Diesem Bundesdurchschnitt stehen in den Ländern deutlich andere Zahlen gegenüber. Die kürzeste durchschnittliche Verfahrensdauer pro Land beträgt 3,9 Monate, die längste durchschnittliche Verfahrensdauer in einem Land 25,7 Monate. Fast 12 % der Verfahren dauern im Übrigen mehr als 24 Monate, über 10 % mehr als 36 Monate. Ähnlich Unterschiede zeigen sich bei der Verfahrensdauer vor den Oberverwaltungsgerichten als Eingangsinstanz. Hier beträgt die Durchschnittsdauer in Bezug auf das ganze Bundesgebiet 19,7 Monate. Der kürzeste Länderwert liegt demgegenüber bei 6,9 Monaten, der längste bei 46,2 Monaten. Mehr als 12 % der erstinstanzlichen Verfahren vor den Oberverwaltungsgerichten dauern länger als 24 Monate, 19 % mehr als 36 Monate.

Finanzgerichte

Die Finanzgerichte brauchen durchschnittlich 17,4 Monate für ein erstinstanzliches Verfahren. In einem Bundesland reichen aber durchschnittlich 8,2 Monate, während die Bürgerinnen und Bürger in einem anderen Bundesland mit durchschnittlich 21,7 Monaten rechnen müssen. Fast 13 % der Verfahren dauern hier länger als 24 Monate, über 15 % länger als 36 Monate.

 

 

 

Herausgegeben vom Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministeriums der Justiz

Verantwortlich: Eva Schmierer; Redaktion: Ulf Gerder, Dr. Henning Plöger, Christiane Wirtz

Mohrenstr. 37 · 10117 Berlin · Telefon 01888 580-9030 · Telefax 01888 580-9046 ·

http://www.bmj.bund.de e-mail: presse@bmj.bund.de

 

 

 

www.bundesgerichtshof.de/gesetzesmaterialien/untaetigkeitsbeschwerde/pm_bmj_26_08_05.htm

 

 

 

 


 

 

 

 

 

"Umgangskosten und Hartz IV"

Christian Müller

in: "Kind-Prax", 1/2005, S. 3-4

 

 

über die Frage, wer die Umgangskosten übernimmt, wenn dies der Umgangsverpflichtete oder Berechtigte finanziell nicht leiste kann.

Sozialamt war bisher zuständig, Arbeitsamt (Jobcenter) fühlt sich nicht zuständig.

Bleibt da nur noch, ein Darlehen beim Jobcenter zu beantragen?

 

 

 


 

 

 

 

"Eltern-Kind-Entfremdung und Sozialwissenschaften"

„Gardner berichtet über 33 Fälle, in denen Entfremdung mehr als zwei Jahre andauerte, und das stimmt mit den Beobachtungen von Hoch und Hoch und auch mit den vielen Berichten überein, die der gegenwärtige Autor erhalten hat, in denen die irrationale Ablehnung durch ein Kind mehr als zwei Jahre dauerte, oft weit über das Alter von 18 hinaus. (19) Trotz des Zitates von Bruch aus einem Telefongespräch mit Wallerstein zur Unterstützung der Vorstellung, dass Eltern-Kind-Entfremdung ein kurzfristiges Phänomen sei, vermitteln einige der veröffentlichten Arbeiten von Wallerstein ein erheblich anderes Bild. Indem sie den Ausdruck `Medea-Syndrom´ einführt, um Elternteile zu beschreiben, die ihr Kind für Rache am früheren Partner benützen, schrieb Wallerstein, `Sie üben Rache aus, indem sie die Beziehung zwischen dem anderen Elternteil und dem Kind zerstören. Dadurch verletzen und zerstören sie manchmal auch die Psyche des Kindes. ... Ich habe viele Hinweise darauf gesehen, dass Medea-artiger Zorn Kinder jedes Alters schwer verletzt.`(21) Man beachte den Hinweis auf Zerstörung, statt temporärer Unterbrechung der Eltern-Kind-Beziehung. Diesen Punkt unterstreichend, fügte Wallerstein hinzu:

`Wenn ein Elternteil oder beide die Medea-Rolle spielen, sind Kinder davon auf Jahre betroffen. Einige wachsen mit einem verzerrten Gewissen auf, indem sie aus dem Verhalten ihrer Eltern gelernt haben, wie man Menschen manipuliert. Einige wachsen mit einer enormen Wut auf, nachdem sie verstanden haben, dass sie als Waffen benützt worden waren. Einige wachsen mit Schuldgefühlen, geringem Selbstwertgefühl und wiederkehrenden Depressionen auf ...` (21)

In einem größeren Zusammenhang betrachtet erscheint die Vorstellung, dass Kinder pathologischen Hass und Angst gegenüber einem Elternteil entwickeln können, überhaupt nicht kontrovers. Es ist wohl bekannt, dass Kindern beigebracht werden kann und wird, andere Menschen ohne Grund zu hassen und zu fürchten, oft auf rassischen oder kulturellen Unterschieden basierend. Und es ist schon hinge erkannt worden, dass einige Kinder irrationale Abneigungen gegenüber Objekten und Situationen entwickeln. Solche Störungen werden unter mehreren verschiedenen Diagnosen von Angst und Phobie klassifiziert. (22) Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass Eltern davon ausgenommen sind, Ziel solch irrationaler Gefühle zu werden. Wenn ein Kind damit beginnt, Rassenhass zu entwickeln, würden das viele vernünftige Leute als ein Problem betrachten, das Aufmerksamkeit verdient. Wenn Kinder unter irrationalen Ängsten leiden, die ihre Funktionsfähigkeit beeinträchtigen, ignorieren wir dieses Leiden nicht in der Hoffnung, dass diese Ängste schließlich überwunden werden. Wir versuchen, diese Ängste zu lindern, um die Lebensqualität des Kindes zu verbessern.

Pathologisch entfremdete Kinder können keine Gefühle von Zuneigung gegenüber einem Elternteil empfinden oder sie teilen. Es erscheint demnach, dass diese Störung zumindest soviel Aufmerksamkeit verdient, wie andere irrationale Abneigungen.“

 

"Eltern-Kind-Entfremdung und Sozialwissenschaften"

Richard Warshak in "Zentralblatt für Jugendrecht", 5/2005, S. 186-200

 

 

 

Link zum Thema:

 

www.warshak.com

 

 

 

 

 


 

 

 

Achtung Neu! Referenten-Entwurf zum FGG-Reformgesetz (PDF-Datei)

 Posteingang 06/2005

 

Interessant im Hinblick auf Kindschaftssachen (Umgang und elterliche Sorge), insbesondere §§ 101-104, 161-174

 

Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz):

 

 

§ 102 Ordnungsmittel

(1) Bei der Zuwiderhandlung gegen einen Vollstreckungstitel zur Herausgabe von Personen und zur Regelung des Umgangs soll das Gericht gegenüber dem Verpflichteten Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft anordnen. Verspricht die Anordnung eines Ordnungsgeldes keinen Erfolg, soll das Gericht Ordnungshaft anordnen.

 

 

§165 Beschleunigungsgebot, Hinwirken auf Einvernehmen

(1) Kindschaftssachen, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, sind vorrangig durchzuführen.

(2) Das Gericht erörtert in Verfahren nach Absatz 1 die Sache mit den Beteiligten in einem Termin. Der Termin soll spätestens einen Monat nach Beginn des Verfahrens stattfinden. Das Gericht hört in diesem Termin auch das Jugendamt an.

(3) Ist eine Antragschrift eingegangen, hat das Gericht diese mindestens eine Woche vor dem Termin den übrigen Beteiligten sowie dem Jugendamt bekannt zu geben. Eine Aufforderung, sich auf den Antrag schriftlich zu äußern, ist nicht erforderlich.

(4) Das Gericht soll in diesem Termin und in jeder Lage des Verfahrens auf ein Einvernehmen der Beteiligten hinwirken. Es weist auf die Möglichkeiten der Beratung durch Beratungsstellen und - dienste der Träger der Jugendhilfe insbesondere zur Entwicklung eines einvernehmlichen Konzepts für die Wahrnehmung der elterlichen Sorge und der elterlichen Verantwortung hin. Das Gericht soll in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit der Mediation oder der sonstigen außergerichtlichen Streitbeilegung hinweisen. Es kann anordnen, dass die Eltern an einer Beratung nach Satz 2 teilnehmen; die Anordnung ist unanfechtbar.

(5) Kann in den Fällen des Absatz 1 eine einvernehmliche Regelung im Termin nicht erreicht werden, hat das Gericht mit den Beteiligten und dem Jugendamt den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erörtern.

 

 

 

§171 Fristsetzung bei schriftlicher Begutachtung: Inhalt des Gutachtenauftrags

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen zugleich eine Frist, innerhalb derer er das Gutachten einzureichen hat.

(2) Das Gericht kann in Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, anordnen, das der Sachverständige bei der Erfüllung des Gutachtenauftrags auch auf die Herstellung des Einvernehmens zwischen den Beteiligten hinwirken soll.

 

 

 

 


 

 

 

 

Don’t Come Knocking

 

Die Helden sind müde

Der Cowboy-Darsteller Howard Spence (Sam Shepard) hat schon bessere Tage gesehen, früher war er so etwas wie ein Star, doch der Ruhm der vergangenen Tage ist ebenso brüchig geworden wie seine Seele. Manchmal sehnt er sich den Tod herbei, der ihn von seinem Leben als drittklassiger Mime befreit. Nach einer durchgesoffenen Nacht haut er einfach ab vom Set des C-Movies und hinterlässt viele leere Flaschen und einen fluchenden Regisseur. Auf seiner Flucht tauscht er die Insignien seines abgebrochenen Daseins, das Pferd und sein Kostüm gegen ein paar Klamotten ein.

Um wenigstens etwas Halt in seinem ziellosen Leben zu finden, flüchtet sich Spence zu seiner Mutter (Hitchcock-Ikone Eva Maria Saint), während er von einem Versicherungsdetektiv namens Sutter (Tim Roth) verfolgt wird. Bei seiner Mutter erfährt Spence etwas, das seinem Leben ein Ziel gibt – er soll angeblich ein Kind haben. Der Lost Cowboy ist von dieser Nachricht wie vom Donner gerührt. Und das unverhoffte Ereignis gibt seinem planlosen Treiben plötzlich wieder eine Richtung. Voller Hoffnung und Enthusiasmus macht er sich auf in jenen Ort in Montana, in dem er einst einen längst zu einem Kultfilm gewordenen Western drehte. Doch die Begegnung mit der hübschen Kellnerin und damaligen Affäre Doreen (Sam Shepards Lebensgefährtin Jessica Lange) und deren Sohn Earl (Gabriel Mann) verläuft ganz anders, als sich Spence das erhoffte. Und dann ist da noch die junge Frau Skye (Sarah Polley), die ständig die Urne mit der Asche ihrer Mutter herumträgt.

Wim Wenders neuer Film Don’t Come Knocking, der bei den Filmfestspielen von Cannes teilweise beinahe frenetisch gefeiert wurde, knüpft nahezu nahtlos an Highlights des Werks von Wenders an, in erster Linie fühlt man sich vor allem an den Klassiker Paris, Texas erinnert, was natürlich auch am Drehort und dem Grundmotiv der beinahe schon esoterisch anmutenden Suche nach sich selbst liegt. Doch es ist vor allem die Art, mit der Wenders uramerikanische Mythen aufgreift, bearbeitet und dekonstruiert, die an frühere Erfolge denken lassen. Sam Shepard als Howard Spence ist ein ähnlich gebrochener und vom Leben gezeichneter Charakter wie damals Harry Dean Stanton und man sieht beiden förmlich in ihren zerfurchten Gesichtern an, welche Mühsal das Leben für sie ist. Sie jagen ihren Träumen, Sehnsüchten und auch den Gespenstern von damals hinterher, doch die Zeit hat sich verändert und sie haben vergessen, die Veränderungen mitzumachen. So ist es denn auch kein Wunder, wenn Doreen und Earl überhaupt nicht erfreut sind, als Howard meint, dreißig Jahre einfach ungeschehen machen zu können. Und wo die Männer respektive die Väter so sehr versagen wie in Don’t Come Knocking, müssen eben die Frauen ihnen den Weg weisen und den Kopf zurecht rücken, was Jessica Lange auf wirklich sehr sehenswerte weise tut.

Don’t Come Knocking ist ein sehenswerter, faszinierender Film, bei dem nahezu alle Register höchster filmischer Meisterschaft gezogen werden, angefangen von betörenden, nahezu hypnotischen Bildern über die flirrende Musik von T-Bone Burnett über ausgezeichnete Schauspieler bis hinzu einer Geschichte, die wichtige Themen wie Identität, Liebe und das Leben mit den Fehlern der Vergangenheit anspricht, ohne den Zeigefinger zu erheben. Der einzige kleine Wermutstropfen für meinen Geschmack ist zugleich die bereits angesprochene Nähe zu Paris, Texas: Es scheint sich einfach nicht viel in der Welt von Wim Wenders verändert zu haben, die Sichtweise, die Menschen und ihre Themen, sie ähneln einander doch sehr. Aber das hat andererseits auch etwas sehr Beruhigendes an sich.

 

 

Daten und Fakten Titel:

Don’t Come Knocking

Regie:

Wim Wenders

Länge:

122 (Min)

Verleih:

Reverse Angle Pictures / UIP

Startdatum:

25.08.2005

Produktionsort/- jahr:

Deutschland 2005

 

Hauptdarsteller: Sam Shepard, Jessica Lange, Tim Roth, Sarah Polley, Eva Marie Saint

 

 

 

 

http://www.kino-zeit.de/filme/artikel/3369_dont-come-knocking.html

 

 

 

 


 

 

Kreidekreis

 

 

Wenn es um familiengerichtlich ausgetragene Streitigkeiten von Eltern geht, wird oft die Geschichte vom Kaukasischen Kreidekreis von Bertolt Brecht bemüht, die die auf eine Beschreibung im Alten Testament zurückgeht, in der König Salomon von Israel darüber zu urteilen hat, welcher von zwei streitenden Frauen das Kind zugesprochen werden soll.

Die beiden Frauen hatten kurz hintereinander zwei Knaben geboren, wovon der eine starb und die Mutter dieses Jungen sich den Sohn der anderen Mutter aneignete und ihr das tote Kind unterschob. Diese Mutter erkannte aber, dass der tote Säugling dies nicht ihr Sohn war und so gelangt der Streit der beiden Frauen vor den König Salomon. Dieser sprach:

Holet mir ein Schwer her, teilt das lebendige Kind in zwei Teile und gebt dieser die Hälfte und jener die Hälfte.

Da sprach das Weib, des Sohnes lebte, zum König: Ach, mein Herr, gebt ihr das Kind lebendig und tötet es nicht!

Jene aber sprach: Es sei weder meins noch dein; laß es teilen"

Der König entscheidet, daß die erste Frau ihr Kind lebendig bekommen soll, denn "sie ist seine Mutter".

 

 

Brecht hat die Geschichte umgeschrieben. Hier läßt die leibliche  Mutter ihr Kind im Stich. Eine andere Frau nimmt sich des Kindes an und zieht es auf (faktisch eine Pflegemutter). Die leibliche Mutter überlegt es sich dann anders und will aus egoistischen Gründen ihr leibliches Kind wieder zurück haben. Der Richter Azdak, der sich übrigens nicht auf dem normalen Dienstweg in sein Amt hochgearbeitete hat, ja nicht einmal ein Studium absolviert hat, sondern nur infolge von Unruhen im Land in dieses Amt gelangt ist, spricht das Kind schließlich der Pflegemutter zu, weil diese es nicht übers Herz bringen will, das Kind aus dem Kreidekreis zu ziehen. Der Richter Azdak packt dann schnell seine sieben Sachen und flieht aus der Stadt.

"Und nach diesem Abend verschwand der Azdak und 

ward nicht mehr gesehen. 

Aber das Volk Grusiniens vergaß ihn nicht und gedachte noch 

Lange seiner Richterzeit als einer kurzen

Goldenen Zeit beinah der Gerechtigkeit"

 

 

Hier sieht man, dass das nichts mit der deutschen Familiengerichtsrealität kaum was zu tun hat, denn es ist noch nie bekannt geworden, dass ein deutscher Familienrichter nach seinem Urteil, untergetaucht wäre, was aber bei einigen Richtern (siehe Oberlandesgericht Naumburg, Fall Görgülü, 2005) doch sehr zu begrüßen wäre.

 

 

Brecht schließt dann mit den Worten:

 

"Daß da gehören soll, was da ist, denen, die für es gut

sind, also

Die Kinder den Mütterlichen, damit sie gedeihen

Die Wagen den guten Fahrern, damit gut gefahren wir

Und das Tal den Bewässerern, damit es Frucht bringt."

 

 

An die Väterlichen hat Brecht wohl nicht gedacht, vielleicht weil er, bei aller dichterischen Größe selbst ein Rabenvater war?

 

 

Doch was sollen diese beiden Geschichten mit dem Streit von zwei leiblichen Eltern, also Mutter und Vater vor einem deutschen Familiengericht zu tun haben? Nun, wahrscheinlich soviel wie Elektrizität mit Eklektizismus, die CDU mit der Bibel oder die "Linkspartei PDS" mit Kommunismus.

Es ist einfach unsinnig, den Streit zweier Frauen, von denen, im Fall der biblischen Geschichte von König Salomon, die eine kein leiblicher Elternteil ist, sondern sich ein fremdes Kind angeeignet hat und im Fall von Brechts Stück vom "Kaukasischen Kreidekreis", die leibliche Mutter kein echtes Interesse an ihrem Kind hat, mit dem üblichen Streit zwischen Vätern und Müttern, die beide ihr Kind lieben und von ihm geliebt werden, vor dem Familiengericht in Beziehung zu setzen. Wer so was tut, ist von Sinnen oder einfach bösartig.

Bestenfalls kann man die Geschichte von Kreidekreis auf die Situation von Pflegeeltern und leiblichen Eltern anwenden, wenn die Pflegeeltern plötzlich behaupten oder so tun würden, als wären sie die leibliche Eltern (siehe die hochpeinliche Provinzposse am Oberlandesgericht Naumburg, in der der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesverfassungsgericht von den ursprünglich zuständigen Richtern am Oberlandesgericht Naumburg für dumm verkauft wurden und eine Mitarbeiterin im Jugendamt der Stadt Wittenberg denkt, sie hätte das Format von Martin Luther und könne der Macht erfolgreich trotzen).

So ganz nebenbei muss man sich auch fragen, was die deutsche Rechtswirklichkeit dazu beiträgt, dass sich Eltern überhaupt so erbittert streiten können, wenn sie den Eltern z.B. erst die Möglichkeit einräumt Anträge zum Sorgerechtsentzug nach §1671 BGB gegen den anderen Elternteil zu stellen und sich dann nach dem Motto "Haltet den Dieb" über diese Eltern entrüstet, die doch nur die vom Staat eilfertig angebotenen Kampfmittel auch nutzen.

 

 

 

 

 


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