Väternotruf
2024
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Elterliche Sorge ist unkündbar. Elternentsorgung beenden. Verfassungswidrigen §1671 BGB streichen.
Selbstbestimmungsgesetz: „Diese Stigmatisierung als etwas Unnatürliches durch
die Gesellschaft soll gerade enden“
21.01.2024
Justizminister Marco Buschmann (FDP) plant einen Umbau des Sorgerechts und
neue Unterhaltsregeln für Trennungskinder. Sorgen vor verschärftem
Betreuungsstreit weist er zurück. Und er erklärt seine Absicht hinter dem
Selbstbestimmungsgesetz für eine leichtere Änderung des Geschlechtseintrags.
WELT: Herr Buschmann, Sie haben nach Ihrem Amtsantritt die größte
familienrechtliche Reform der vergangenen Jahrzehnte angekündigt. Inzwischen
liegen ihre Vorschläge zur Reform von Abstammungsrecht, Kindschaftsrecht,
Unterhaltsrecht und Namensrecht vor. Worin liegt die historische Dimension?
Marco Buschmann: Wir haben im Familienrecht seit langer Zeit einen großen
Reformstau. Denn die Gesellschaft hat sich verändert, das Recht aber nicht. Die
klassische Ehe und die Familie aus Vater, Mutter und Kindern sind weiterhin ein
wunderbarer Weg zum Glück. Daneben gibt es heute aber auch viele andere Formen
des Zusammenlebens: Paare ohne Trauschein, Trennungsfamilien, Patchworkfamilien,
gleichgeschlechtliche Partnerschaften – auch mit Kindern. Für sie bietet das
Recht noch keinen passenden Rahmen.
Wir wollen das Familienrecht auf die Höhe der Zeit bringen. Nicht um der
Gesellschaft etwas aufzudrängen, sondern um das zu tun, was viele Experten seit
Langem fordern: vernünftige und faire Regeln für Lebensentwürfe schaffen, die
längst Realität sind.
WELT: Wenn eine Familie auseinanderbricht und minderjährige Trennungskinder
zurückbleiben, ist das zunächst mal eine private Tragödie. Welche Verpflichtung
ergibt sich für den Staat, hier steuernd einzugreifen?
Buschmann: Es entspricht grundsätzlich dem Kindeswohl, Umgang mit beiden
Elternteilen zu haben. Wir greifen hier natürlich auch nicht steuernd oder
paternalistisch ein. Aber wenn die Eltern sich nicht zum Wohle des Kindes
einigen können, müssen wir für solche emotionalen und konfliktbelasteten
Situationen im Interesse des Kindeswohls für die entsprechenden rechtlichen
Instrumente sorgen. Das ist ein Auftrag des Grundgesetzes.
WELT: Sie wollen vor allem das Wechselmodell stärker befördern, also die
wechselseitige Betreuung durch beide Eltern nach der Trennung. Möglich ist das
schon heute, was kann eine zusätzliche gesetzliche Verankerung hier bewirken?
Buschmann: Die ausdrückliche Regelung des Wechselmodells kann die Sichtbarkeit
und Akzeptanz dieser Betreuungsform fördern. Außerdem: Viele kennen nur das
symmetrische Wechselmodell, in dem das Kind von beiden Elternteilen exakt
hälftig betreut wird. Diese Gestaltung ist selten und auch besonders
anspruchsvoll. Es gibt aber auch das sogenannte asymmetrische Wechselmodell, in
dem ein Partner zwar weniger betreut, aber dennoch einen substanziellen Anteil
übernimmt – etwa 30 oder 40 Prozent. Auch diese Möglichkeit soll als
gleichberechtigte Alternative im Gesetz sichtbar gemacht werden. Denn auch
dieses Modell kann im Interesse des Kindeswohls sein.
Generell gilt: Das Wechselmodell setzt immer voraus, dass die ehemaligen Partner
vernünftig miteinander umgehen und ihre Konflikte nicht auf dem Rücken der
Kinder austragen. Auch diese Voraussetzungen sollen Eingang ins Gesetz finden.
WELT: Relevant ist diese Reform vor allem im Zusammenspiel mit der
Unterhaltsreform. Sie soll Unterhaltspflichtige, die sich zeitlich intensiver um
ihre Kinder kümmern, stufenweise von Unterhaltszahlungen entlasten.
Buschmann: Heute haben oft beide Eltern das starke Bedürfnis, sich in der
Erziehung der Kinder zu engagieren – auch wenn die Partnerschaft
auseinandergegangen ist. Für das Kindeswohl ist das meistens vorteilhaft. Das
Unterhaltsrecht trägt dem leider noch nicht Rechnung. Es geht immer noch von der
Formel aus: Einer bezahlt, einer betreut. Bei den Unterhaltszahlungen macht es
oft keinen Unterschied, ob ein Elternteil einen substanziellen Anteil an der
Erziehung leistet oder sich nur selten einbringt. Das ist ungerecht. Denn wer
sich in der Erziehung seines Kindes einbringt, übernimmt natürlich auch mehr
Kosten.
Wir wollen diese Ungerechtigkeit beseitigen. Wir haben dazu eine Formel
entwickelt, die die jeweiligen Betreuungsanteile, das Einkommen und die
Fixkosten berücksichtigt und gleichzeitig sicherstellt, dass das Kind
ausreichend versorgt ist. Damit werden wir nicht nur mehr Fairness schaffen –
sondern auch mehr Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit. Es wird künftig viel
einfacher sein, den Unterhalt zu berechnen. Das ist ein guter Weg, um Streit
frühzeitig beizulegen.
WELT: Interessenverbände befürchten, dass zerstrittene Paare sich jetzt noch
mehr um jede Stunde mehr oder weniger Betreuung streiten, weil sie finanzielle
Folgen fürchten. Wie lässt sich dieses Dilemma auflösen?
Buschmann: Gutes Recht begegnet Konflikten dadurch, dass es transparent und
verständlich ist. Das wollen wir leisten. Ein Streit um einzelne Stunden wird es
nach unserem Modell gerade nicht geben – denn auf eine Stunde mehr oder weniger
wird es nicht ankommen. Das Modell arbeitet mit Schwellenwerten und Pauschalen.
Gerade auch dazu haben wir viele positive Rückmeldungen bekommen.
WELT: Bei häuslicher Gewalt soll ein gemeinsames Sorgerecht „regelmäßig nicht in
Betracht kommen“ heißt es in Ihren Vorschlägen. Wie groß ist hier der
Handlungsbedarf?
Buschmann: Völlig klar ist: Ein Elternteil, der Gewalt gegen sein Kind ausübt,
kann für dieses Kind nicht die Verantwortung bekommen. Diese Fälle sind
eindeutig. Wir wollen jetzt klarstellen, dass auch Partnerschaftsgewalt in
Sorge- und Umgangsverfahren berücksichtigt werden muss. Wenn es um den Umgang
geht, also den tatsächlichen Kontakt zum Kind, darf das Umgangsrecht nicht zu
einer konkreten Gefährdung von Leib und Leben eines Elternteils führen.
WELT: Viele Kinder wachsen heute in Patchwork- und Stieffamilien auf, wenn ihre
Eltern nach der Trennung neue Partner finden. Sie sollen über das sogenannte
kleine Sorgerecht eine rechtlich gesicherte Beziehung zu den Kindern bekommen.
Warum ist das wichtig?
Buschmann: Für alle Eltern kann das kleine Sorgerecht nützlich sein. Man kann es
zum Beispiel Großeltern oder Nachbarn einräumen, die immer mal wieder bei der
Betreuung einspringen, das Kind von der Kita abholen oder mit ihm zum Arzt
gehen. Viele praktizieren das heute schon so. Denn Erziehung ist viel Arbeit,
und Hilfe von vertrauenswürdigen Menschen ist vielen Eltern willkommen. Wir
schaffen jetzt einen rechtssicheren Rahmen dafür. Interessant ist das kleine
Sorgerecht auch für Patchwork- und Regenbogenfamilien, wo die Partner der
leiblichen und rechtlichen Eltern dauerhaft Verantwortung für Kinder übernehmen
sollen.
WELT: Ist das der erste Schritt zur Mehrelternschaft?
Buschmann: Nein. Die Strukturprinzipien des Abstammungsrechts bleiben
unangetastet: Kinder haben immer nur zwei rechtliche Eltern. Die Frau, die das
Kind gebiert, ist immer die rechtliche Mutter. Und der rechtliche Vater bleibt
regelmäßig der Mann, der das Kind zeugt.
WELT: In einem Fall weichen Sie aber von diesem Prinzip ab, nämlich bei der
lesbischen Mitmutterschaft.
Buschmann: In dieser Konstellation wollen wir schlicht die Benachteiligung
gleichgeschlechtlicher Paare und ihrer Kinder abbauen. In einer Ehe zwischen
Frau und Mann wird immer der Ehemann rechtlicher Vater eines in die Ehe
geborenen Kindes – auch, wenn er nicht der leibliche Vater ist. Entsprechendes
wollen wir gleichgeschlechtlichen Frauenpaaren ermöglichen. Sie müssen bisher
einen aufwendigen Adoptionsprozess durchlaufen.
Wenn der Mann, der seinen Samen spendet, damit in einer Ehe zwei Frauen ein Kind
gezeugt wird, selbst rechtlicher Vater des Kindes sein möchte, soll auch das
möglich sein: über eine vor der Zeugung geschlossene Elternschaftsvereinbarung.
Wir stärken hier die Autonomie der Menschen. Dagegen spricht auch nichts aus
Sicht des Kindeswohls. Denn wir wissen, dass Kinder in gleichgeschlechtlichen
Partnerschaften genauso behütet aufwachsen wie in verschiedengeschlechtlichen.
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https://www.welt.de/politik/deutschland/article249650442/Selbstbestimmungsgesetz-Diese-Stigmatisierung-als-etwas-Unnatuerliches-durch-die-Gesellschaft-soll-gerade-enden.html