Anscheinbeweis


 

 

 

 

Werbung für politische Partei im Briefkasten von Arne S. gelandet?

 

Beschluss vom 26.10.2021 - 52 T 6/21

LG Berlin, Beschluss vom 26.10.2021 - 52 T 6/21
Fundstelle
openJur 2021, 36128

Rkr: AmtlSlg: PM:

Zivilrecht
Rubrum
Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts Spandau vom 20.09.2021, Az. 3 C 174/21, abgeändert:

Dem Antragsgegner wird bei Vermeidung eines in jedem Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer in jedem Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, letztere bei dem Antragsgegner zu vollziehen an dem jeweiligen Bezirksvorstands des Antragsgegners,

untersagt,

dem Antragsteller postalische Werbung trotz eines am Briefkasten des Antragstellers angebrachten Sperrvermerks "Keine kostenlosen Zeitungen und Reklame einwerfen" in dessen Briefkasten einzuwerfen bzw. einwerfen zu lassen.

2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 1.000,00 €.
Gründe

I.

Mit dem vorliegenden Unterlassungsantrag wendet sich der Antragsteller gegen den Einwurf von politischem Werbematerial des Antragsgegners, das er in seinem Briefkasten vorgefunden hat. Der Antragsteller wohnt an der im Tenor angegebenen Anschrift. Auf seinem Briefkasten befindet sich der Hinweis "Keine kostenlosen Zeitungen oder Reklame". Am 19.08.2021 fand er in seinem Briefkasten die als Anlage ASt 3 eingereichte Wahlwerbung des Antragsgegners.

Das Amtsgericht Spandau hat den Antrag des Antragstellers vom 17.09.2021 auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Beschluss vom 20.09.2021 zurückgewiesen. Gegen diesen ihm am 27.09.2021 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 30.09.2021 sofortige Beschwerde eingelegt, der das Amtsgericht mit Beschluss vom 12.10.2021 nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt hat.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. §§ 922 Abs. 1 Satz 1,936 ZPO statthaft und gemäß § 569 Abs. 1 und 2 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden.

2. Die sofortige Beschwerde ist begründet. Es bestehen ein Verfügungsanspruch (hierzu unter a.) und ein Verfügungsgrund (hierzu unter b.).

a. Es liegt ein Verfügungsanspruch vor. Der Unterlassungsanspruch des Antragstellers folgt aus §§ 823 Abs.1, 1004 BGB wegen eines Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers.

aa. Das Einlegen von politischer Werbung in den Briefkasten gegen den ausdrücklichen Willen des Empfängers stellt einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers dar.

Zwar ist Briefkastenwerbung grundsätzlich zulässig, auch wenn keine Einwilligung des Adressaten vorliegt. Die Zustellung unerwünschten Werbematerials kann zwar als belästigend empfunden werden, hat aber - beispielsweise im Vergleich zur telefonischen Werbung - nur eine relativ geringe Beeinträchtigung des persönlichen Bereichs zur Folge. Grundsätzlich ist daher im Interesse der Wirtschaft hinzunehmen, dass durch die unverlangte Zusendung von Werbeschriften der Briefkasten gefüllt wird und der Adressat für die Beseitigung zu sorgen hat. Anders ist dies jedoch zu bewerten, wenn - wie im vorliegenden Fall durch den Flinweis am Briefkasten, dass weder kostenlose Zeitungen noch Reklame erwünscht sei - erkennbar ist, dass der angesprochene Marktteilnehmer diese Werbung nicht wünscht (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 UWG).

Diese Grundsätze sind auch auf Werbung politischer Parteien anzuwenden. Dem Recht der Parteien nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG, ihrer politischen Tätigkeit ungehindert nachgehen zu können, entspricht keine Pflicht des Bürgers, sich von den Parteien informieren lassen zu müssen. Bei Werbematerial, mit der die politischen Parteien ihre Inhalte und Zielrichtungen dem Bürger nahe bringen und auf diese Weise - zumindest mittelbar - auch für Wählerstimmen werben wollen, besteht kein Anlass zu einer unterschiedlichen Behandlung von Konsumwerbung und politischer Werbung, da das Ausmaß der Störung und Beeinträchtigung in beiden Fällen das Gleiche ist. Es besteht mithin kein Anlass, das Recht des Bürgers auf negative Informationsfreiheit gegenüber politischer Parteienwerbung einzuschränken (KG Berlin, Urteil vom 21. September 2001 - 9 U 1066/00, NJW 2002, 379 Rn. 5).

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts Spandau ändert sich an dieser Bewertung auch nichts dadurch, dass das Flugblatt zu Wahlkampfzeiten in den Briefkasten des Antragstellers eingelegt worden ist. Eine Differenzierung zwischen Wahlkampf- und Nichtwahlkampfzeiten findet weder im Gesetz noch in der Rechtsprechung eine Stütze. Für die Abwägung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Antragstellers und der nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Betätigungsfreiheit des Antragsgegners bedeutet dies keinen Unterschied. Politische Werbung mit Flugblättern - unabhängig davon, ob sie in oder außerhalb von Wahlkampfzeiten erfolgt - dient der Einflussnahme auf die politische Willensbildung (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 01. August 2002-2 BvR 2135/01, Rn. 7). Insbesondere kleinere Parteien bedürfen dieses Mittels, um in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu erlangen und ihre Meinung zu verbreiten. Das Ausmaß der Störung und der Beeinträchtigung des Adressaten durch die Flugblätter bleibt ebenfalls in und außerhalb von Wahlkampfzeiten gleich.

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts Spandau ist neben dem bereits an dem Briefkasten befindlichen Hinweis, dass der Antragsteller neben kostenlosen Zeitungen und Reklame auch keine Wahlwerbung erhalten wolle, kein weiterer Hinweis darauf, dass der Antragsteller auch keine Wahlwerbung wünsche, erforderlich. Der hier streitgegenständliche Sperrvermerk macht erkennbar, dass der Antragsteller nicht wünscht, dass in seinen Briefkasten Werbung eingeworfen wird. Hierzu zählt auch Werbung politischer Parteien. Ob ein solcher Sperrvermerk auch für den Einwurf von Wahlwerbung gilt und somit in jedem Fall zu beachten wäre, hängt von der Auslegung der durch den Verbraucher abgegebenen Erklärung ab (BGH, GRUR-RS 2012, 13520; OLG Hamm, GRUR-RR 2011, 469, 470 m.w.N.). Die auf kostenlose Zeitungen und Reklame bezogene ablehnende Willensbekundung ist dabei so auszulegen, dass dem Antragsteller Werbung als solche in allen Formen, also auch Wahlwerbung, unerwünscht ist. Durch die Formulierung des Sperrvermerks, in dem bestimmte Arten von Werbung aufgezählt werden, macht der Antragsteller deutlich, dass er sich gegen alle Arten von Werbung wendet und sicherstellen möchte, dass der Sperrvermerk nicht durch Werbung in Anzeigenblätter mit redaktionellem Inhalt oder ähnliches umgangen wird.

Zuletzt ändert sich auch nichts an der Bewertung durch die pandemiebedingten Einschränkungen. Denn entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist nicht ersichtlich, dass durch die hiesige Untersagung generell eine Flugblattverteilung praktisch verboten werde. Vielmehr bleibt es dem Antragsgegner unbenommen, Wahlwerbung in Hausbriefkästen ohne entsprechenden Sperrvermerk einzuwerfen. Im Übrigen bestanden gerichtsbekannt trotz des Pandemiegeschehens Möglichkeiten klassischer Wahlwerbung wie Informationsstände an öffentlichen Plätzen.

bb. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist ihm dieser Verstoß auch zurechenbar.

Es ist davon auszugehen, dass das streitgegenständliche Flugblatt durch damit beauftragte Verteiler des Antragsgegners und nicht durch Dritte in den Briefkasten des Klägers eingeworfen worden ist. Es handelt sich unstreitig um ein von dem Antragsgegner herausgegebenes und in den Verkehr gebrachtes Flugblatt, so dass nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises davon auszugehen ist, dass die für den Antragsgegner tätigen Verteiler das Flugblatt bei dem Antragsteller eingeworfen haben, da es sich insofern um einen typischen Vorgang handelt. Die lediglich abstrakte Möglichkeit, dass auch Dritte das Flugblatt in den Briefkasten eingeworfen haben ... steht der Bejahung des Anscheinsbeweises nicht entgegen (KG, a.a.O. Rn. 8).

Die lediglich pauschale Behauptung des Antragsgegners, die Verteiler seien angewiesen worden, das verfahrensgegenständliche Flugblatt lediglich im Bezirk Pankow zu verteilen, steht der Bejahung des Anscheinsbeweises ebenfalls nicht entgegen und ist überdies nicht geeignet, diesen zu erschüttern. Dass es eine entsprechende Anweisung des Antragsgegners gab, hat der Antragsgegner in seiner Beschwerdebegründung zulässigerweise mit Nichtwissen bestritten. Eine entsprechende Glaubhaftmachung des Antragsgegners fehlt.

Selbst wenn dies anders sehen würde, wäre der Antragsgegner als Herausgeber des Flugblattes jedenfalls mittelbarer Störer, da er die Störung veranlasst und nicht dargelegt hat, dass er alle ihm zu Gebote stehenden rechtlichen und wirtschaftlichen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um Rechtsbeeinträchtigungen des Empfängers des Werbematerials auszuschließen (KG, a.a.O. Rn. 13).

cc. Die erforderliche Wiederholungsgefahr ist durch den Verstoß indiziert. Eine erneute Einlegung eines Flugblattes ist jederzeit möglich.

2. Der für den Erlass der einstweiligen Verfügung nach § 935 ZPO erforderliche Verfügungsgrund ist auch bei Ansprüchen des Geschädigten wegen unerbetener Werbung nach der ständigen Rechtsprechung des Kammergerichts zu bejahen, wenn - wie hier - nach dem Versand der Werbung bis zur Antragstellung weniger als zwei Monate verstrichen sind (vgl. KG, Urteil vom 02.06.2017, Az. 5 U 196/16, BeckRS 2017, 120098 Rn. 4 m.w.N.).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

4. Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 48 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO.

Gemäß § 3 ZPO ist der Streitwert in bürgerlichen vermögensrechtlichen Rechtsstreitigkeiten nach freiem Ermessen im Wege der Schätzung zu ermitteln. Für die Bemessung ist bei einer auf Unterlassung gerichteten Klage in erster Linie das wirtschaftliche, eigene Interesse des Unterlassungsgläubigers an der Anspruchsverwirklichung maßgebend (KG, Beschluss vom 17. Mai 2016 - 5 W 209/15, BeckRS 2016, 129689 Rn. 4; vgl. auch BGH, Beschluss vom 26. April 1990 - I ZR 58/89, Rn. 19 - Streitwertbemessung). Dieses Interesse ist nach der Gefährlichkeit (dem "Angriffsfaktor") der zu unterbindenden Handlung anhand des drohenden Schadens zu bestimmen. Es hängt unter anderem von den Auswirkungen zukünftiger Verletzungshandlungen (Ausmaß, Intensität und Häufigkeit, indiziert durch die bereits begangene Verletzungshandlung) sowie der Intensität der Wiederholungsgefahr (Verschuldensgrad, nachheriges Verhalten, Unterlassungspflichten gegenüber Dritten) ab.

Auszugehen ist dabei von einem der ständigen Rechtsprechung des Kammergerichts für E-Mail-Werbung an Private anzusetzenden Hauptsachestreitwerts von 3.000,00 € (vgl. KG, Beschluss vom 17.05.2016, Az. 5 W 209/15, BeckRS 2016, 129689 Rn. 9 ff.), der aber aufgrund des erheblich geringeren Belästigungsfaktors und geringeren Beseitigungsaufwands bei Briefkastenwerbung auf 1.500,00 € zu reduzieren ist. Für das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sind nach der ständigen Rechtsprechung des Kammergerichts 2/3 des Hauptsachestreitwerts in Ansatz zu bringen, mithin 2/3 von 1.500,00 €.

https://openjur.de/u/2367509.html

 

 

 

 

Kommentar Väternotruf:

Der Beschluss der Zivilkammer 52 des Landgerichts Berlin, der auf einem sogenannten Anscheinbeweis aufbaut, kann nicht überzeugen, denn es ist nicht dargelegt, dass der Antragsgegner für einen eventuell erfolgten Einwurf einer Wahlwerbung tatsächlich verantwortlich ist. Es ist nicht undenkbar, dass der Antragsteller und Politaktivist Arne S. die Wahlwerbung selber in seinen Briefkasten geworfen hat, um dann hinterher zu behaupten, der Antragsgegner habe dies getan. Das geht ganz einfach, in der Regel steht in jedem Hausflur eine Kiste für Werbemüll, die Mieter werfen dort Werbung rein, die in ihren Briefkästen gelandet sind. Wenn ich in dem Haus wohne oder Zugang zu dem Haus habe, kann ich also solches Werbematerial nehmen und in Briefkästen werfen,  auf denen steht: Werbung unerwünscht.

So könnte ich das z.B. mit Werbung von den Grünen oder der SPD machen, diese Werbung einfach bei Leuten reinwerfen, auf deren Briefkästen steht: Keine Werbung. Und schon haben die Grünen und die SPD eine Abmahnung am Hals und die Zivilkammer 52 am Landgericht Berlin müsste nach der eigenen Rechtsprechung dann diese beiden staatstragenden Parteien in Haftung nehmen, obwohl ihnen nicht nachzuweisen ist, dass sie Werbung in die Briefkästen geworfen haben. Wenn das Schule macht, dann würde es wohl jedes Jahr 100 solcher Fake-Fälle geben, die dann alle bei der 52. Zivilkammer landen, bis die Grünen und die SPD wegen der vielen von der 52. Zivilkammer bejahten Abmahnungen pleite sind, was nicht schlimm wäre, denn diese Parteien braucht kein Mensch mit Selbstachtung.

 

 

 


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