August Strindberg

Der Vater


 

 

Zwangsjacke der Gewöhnlichkeit

Thomas Langhoff inszeniert August Strindbergs "Der Vater" am Münchner Residenztheater

Der späte Strindberg sei süßelnd, nur der frühe stark, schrieb Alfred Kerr, der den Dramatiker entdeckte, bevor man ihn in Berlin an der Zensur vorbei spielte, 1890. Das Urteil entstand rückblickend, ein Vierteljahrhundert später. Kerr war nicht mehr ganz seiner Meinung. Ein gewaltiger Nachromantiker - ja, schon. Ein weisender Menschheitsdichter jedoch ? "Nie". Und jetzt und heute? Strindbergs "Der Vater"? Ein Mann und eine Frau, die (vorderhintergründig) um das Sorgerecht für und die Verfügungsgewalt über die Tochter kämpfen, und am Ende stirbt der Mann? Ehe als Gericht auf dem Theater, nach Bergmann und Noren? Doch wohl kaum, dachte manch einer. Zumal Jürgen Rose für die Inszenierung von Thomas Langhoff am Münchner Residenztheater eine Bühne wie von vorgestern gebaut hat, schön geduckt und breit, grün ausgestrichen in der alten Kammerspielfarbe, mittendrin ein Sofa, darüber ein naives Blumenbild, an der Decke ein Adventskranz. Drei Kerzen brennen. Drei Türen. Eine Truhe.

Es scheint, dass man erst aus Berlin hinaus muss, um (ohne Druck) Theater machen zu können, das in Berlin oft fehlt: ruhiges, genaues Schauspielertheater. Neben Langhoff kehrt auch Cornelia Froboess wieder auf eine Münchner Bühne zurück, als Laura - und ist ein Ereignis. Und es sitzt schon da und wartet: Lambert Hamel, Dieter Dorns feinster Charakterschauspieler, als Rittmeister - und ist ein Ereignis (vielleicht ein noch größeres). An Lambert Hamel nämlich kann man sehen, wie einer zerbrochen ist, bevor er zerbricht. Hamel sitzt da anfangs nur auf dem Sofa, raucht einen Stumpen. Er braucht nicht erst zu schreien, dass man merkt, wie es in ihm tobt, und er schreit sowieso erst viel später (lachend, furchtbar lachend). Man sieht nun also bereits den langen Riss in diesem breiten Mann, der sich hinter Büchern versteckt und die Unterlage im Mikroskop für die Welt hält, halten muss.

Langhoff inszeniert den Vernichtungskampf zwischen Laura und ihrem Mann als eingehende Studie eines Niedergangs in genau getimten Boxrunden, blitzartig geht das Licht zwischen den einzelnen, sich langsam entwickelnden Szenen aus, als schlüge ein unsichtbarer Gong. Man hört aber nur Frauenstimmen in diesem bigotten Haushalt, wenn die Klampfe schlägt und der Jungfrau Maria gehuldigt wird. Dann ist es wieder still. Dann stellen sich die Personen neu auf. Und dann geht es wieder von vorne los zwischen einem Mann und einer Frau.

Ganz langsam, aber sicher träufelt Laura ihrem Mann ins Ohr, was er das "Gift des Bilsenkrauts" nennt. Ist er der Vater seiner Tochter, ist er"s nicht? Je vollmundiger Hamel agiert, umso schmallippiger, schnütchenmäuliger und kopfschüttelnder gibt ihm Cornelia Froboess zurück (sie ist eine großartige Posen-Schauspielerin, wenn sie welche braucht).

Der Rest ist Wahrhaftigkeit.

Und wo er nur noch von Sinnen um sich haut (und mit dem Adventskranz das Glas in der Tür zersplittert), versetzt sie ihm vorher ihren feinsten Stiche, kühl und präzise. Danach räumen die Frauen des Hauses schnell auf, sechzig Sekunden später schaut es so aus, als sei nie etwas passiert hier.

In dem Moment aber, da dem Ehepaar klar wird, was wirklich geschehen ist zwischen ihnen, nämlich: sie waren nie eines, sitzen sie zuerst am nächsten beieinander, halten sich gar an der Hand. Und dann begibt sich der Rittmeister in die Stellung, die er auch einnimmt, wenn er kindisch seine Tochter (Lisa Wagner) bekniet oder vor seiner alten Amme (Inge Keller) wieder zum Kind wird.

Er regrediert zum Fötus, seine Frau trägt ihn gewissermaßen unter ihrem Herzen. Aber da schlägt nichts mehr, nur einen winzigen Moment herrlicher Selbstvergessenheit und ein paar verzweifelte, kurze Küsse lang. Der Rittmeister ist kein Mann mehr (und war vielleicht nie einer). Seine Frau wird als Mensch keine Zukunft haben. Was da bestenfalls passiert, zeigt das Schlussbild, ehe der eiserne Vorhang hinuntergeht, um die Eingeschlossenen von Stockholm sich selbst zu überlassen und unseren Gedanken, denn: Man vergisst sie nicht. Nicht so schnell jedenfalls. Man sieht da also einen Mann hinter einer Truhe, der vorher von seiner Amme in eine Zwangsjacke gesteckt worden ist. Er liegt ganz still. Am Rand der Bühne steht die Frau, die ihn überlebt. Aber sie lebt nicht mehr. Sie schluchzt nur leise. Und dazwischen zappelt wie geisteskrank die Tochter hin und her, mal links, mal rechts schauend, hektisch, ohne jede Orientierung. Strindberg hat gezeigt, was das Leben schlimmstenfalls aus uns macht: lauter bürgerliche Bestien, und Langhoff hat leise, wenig süß, aber ziemlich stark demonstriert, dass dies alles nicht von gestern ist. Wenn man solche Schauspieler hat.

Vorstellungen heute und am 29. November sowie am 1., 6., 13. und 28. Dezember

Von Mirko Weber

http://wneu.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/60189

 

Aktualisiert: 24.11.2001, 05:34 Uhr


 

 

August Strindberg - Der Vater

Das 1887 entstandene Stück "Der Vater" von August Strindberg wird am 2. Juli in der Berliner Volksbühne gespielt. Regisseurin ist Jenny Loerbeck.

Das Stück handelt vom Geschlechterkampf zwischen dem Vater Adolf und der Mutter Laura um die gemeinsame Tochter. Laura, die Mutter gewinnt den Kampf. Das Thema des Stückes ist auch heute noch aktuell. 

Von August Strindberg stammt auch das selten gespielte Stück "Mutterliebe", in dem die pathologische Beziehung zwischen einer Mutter und ihrer Tochter dargestellt wird. Als der Vater, von dem die Tochter bisher nichts wusste, Kontakt zur Tochter aufnehmen will, zieht die Mutter alle Register der Manipulation der Tochter. Nach einem nicht leichten Kampf der Tochter mit der übermächtigen Mutter resigniert die Tochter und beschliesst, das Leben nicht zu wagen und in der Abhängigkeit  von der Mutter zu verbleiben.


Im wirklichen Leben soll Strindberg an Verfolgungswahn gelitten haben. 
In Volker Elias Pilgrims Buch "Muttersöhne" finden sich interessante Informationen über den vermeintlichen oder realen Muttersohn Strindberg.


 

 

Herren und Knechte

Thomas Langhoff zeigt Strindbergs »Der Vater« am Berliner Ensemble

 

Von Gunnar Decker

 

 

Es bleibt immer Advent im Hause des Rittmeisters. Unter der Decke hängt der Kranz beharrlich. Unzerstörbar. Wie tot. Erst brennen zwei, dann drei Kerzen. Die vierte aber, weihnachlichte Erlösung (Frieden!) symbolisierend, bleibt aus. Zwischendurch reißt ihn der Rittmeister herunter und wirft ihn – brennend! – nach seiner Frau. Hilft nichts, schon im nächsten Bild hängt er wieder an der Decke, drei Kerzen an, sie bezeugen die Aussichtslosigkeit der Revolte (des Hausherrn!) gegen die Ordnung der dienstbaren Geister im Hause. Ja, ja, es herrscht wieder Frieden im Land. Der Rittmeister liegt gefällt wie eine Eiche, nein, ein in die Zwangsjacke geschnürtes Bündel am Boden. Tot oder bloß irrsinnig, egal. Diesen Frieden hat der Krieg gebracht, den Laura, des Rittmeisters Frau, gegen ihn – siegreich! – geführt hat.

Thomas Langhoff kommt mit einem Stück nach Berlin, das der (nicht ganz zufällig) von drei unglücklichen Ehen geplagte August Strindberg über die Emanzipation schrieb – gegen Ibsens Plädoyer für die Emanzipation der Frau in »Nora oder Ein Puppenheim«. Emanzipierte sind Prostituierte!, höhnt Strindberg. Womit er beweist, dass auch männliche Urteilskraft gewissen Affekten unterliegt. Strindberg also war gegen die Emanzipation. 1890 konnte man damit wohl niemanden verblüffen. »Der Vater« aber schockierte dennoch. Weil Strindberg den perversen Psychoterror einer ungebildeten Hausfrau gegen ihren naturwissenschaftlich forschenden Mann vorführt. Befund: gegen soviel grausame Heimtücke ist der stärkste Mann machtlos. Wie in Canettis »Blendung« es weder der Forscher Kien noch seine Bibliothek überleben, seine ungebildete Haushälterin geheiratet zu haben. Männer lasst euch nicht verführen, ihr werdet es bitter bereuen!, lautet Strindbergs Botschaft. Die Freuden, die ein Weib bereitet, sind von kurzer Dauer, die Pein aber dauert lebenslang. Und ihr werdet keine Feunde mehr haben, ganz einsam einer fremden Macht ausgeliefert sein. Denn die Frau – als Beute – kann nie der Freund des Mannes sein. D.H. Lawrence beschrieb vor hundert Jahren in »Italienische Dämmerung« seine Beobachtung, wie die jungen Bauern heißblütig den Dorfmädchen hinterher stiegen, jedoch, nach siegreicher Jagd, wenn sie dann verheiratet waren, die Gegenwart ihrer Frauen panisch mieden, nicht mit ihnen sprechen konnten und wieder in männerbündische Kreise flüchteten, wo sie ganz sie selbst seien konnten. Die Frau kann bei Strindberg kein Freund des Mannes sein, denn es fehlt ihr an Geist. Geschlechterkrieg! Diese Drastik der Wahrnehmung schockierte dann allerdings die bigotte Jahrhundertwendeöffentlichkeit. Man verbot Strindbergs Stück erst einmal.

Ist es heute gänzlich antiquiert? In post-emanzipatorischen Zeiten, da die spaßbewusste aber gänzlich unintellektuelle Verona Feldbusch die intellektuelle Alice Schwarzer wegen ihrer unspaßigen Nachdenklichkeit auf dem Fernseh-Unterhaltungsboulevard der neuen Leichtigkeit gnadenlos vorführt? Da denken wir an Ingmar Bergman und daran, dass es wohl zwischen Männern und Frauen ein über das Gesellschaftliche hinausgehendes Hass-Liebes-Zerstörungspotential gibt.

Langhoff inzeniert, wie wir es vom Deutschen Theater her kennen. Ganz das Stück, die Schauspieler und (welche Seltenheit) auch die Zuschauer im Blick. Eine Handbreit nur trennt seine Inszenierung vom bloßen Naturalismus, aber diese Handbreit ist entscheidend. Die Bühne, das Haus des Rittmeisters, ganz in Grün. Eine Handbreit neben dem Hoffnungsgrün. Giftig. Die frömmelnden Frauen des Hauses: dunkel. Der Rittmeister steckt in seiner Uniform wie in einem Panzer. Lambert Hamel spielt den Rittmeister als ewigen Sohn einer Mutter: hilflos gegen die entmündigende Fürsorglichkeit in all seiner äußerlichen Pracht. Er kann auch seine Tochter Bertha (willenlos: Lisa Wagner), um deren Ausbildung der Kampf entbrennt, nicht gewinnen, weil er sie wie einen Teil seines Besitzes (be)handelt. Immerhin, er will sie in Pension bei einem »Freidenker« in der Stadt geben, sie einen Beruf lernen lassen. Für die Mutter Laura heißt das, der Mann will ihr das Kind wegnehmen. Das Kind, das ihre lieblose Existenz allein rechtfertigt. Sie beschließt, ihren Mann zu vernichten. Dazu bedarf es nicht viel. Es genügt, dass Laura (eher modern-übellaunig: Cornelia Froboess) Zweifel an seiner Vaterschaft weckt, um ihn in sichtbare Konfusion zu stürzen. Diese wiederum wird zum Anlass, ihn als geisteskrank entmündigen zu lassen.

Hamel spielt des Rittmeisters Höllenfahrt vielleicht etwas zu ausrechenbar. Wir denken an das Personal, das Langhoff noch vor wenigen Jahren am Deutschen Theater zur Verfügung stand. Böwe, Körner oder Baur hätte uns wohl etwas mehr von den – unerklärlichen – Verborgenheiten der Figur hinter ihrer zur Schau gestellten Maske spüren lassen. Aber eine ist da, die uns das demonstriert: Inge Keller. Sie kommt nach Berlin mit einem Gastspiel des Bayerischen Staatsschauspiels. Wie seltsam. Von Claus Peymann eingeladen, den Berlinern zu zeigen, dass es auch noch anderes Theater gibt als das (Selbst-)Zerstörungstheater, das uns das Theatertreffen bot. Eines, das Stücke interpretiert, die Textgestalt achtet, den Schauspieler zum Geburtshelfer der Selbsterkenntnis versteht. Theater nicht als Event, sondern als Spielraum unbequemer Gedanken. Eine moralische Anstalt? Das (Schimpf-)Wort vom bürgerlichen Theater steht sofort im Raum. Langeweile! Aber den Bürger muss man mittlerweile suchen gehen – und Strindbergs Stücke sind ja so etwas wie die dramatische Fassung von Nietzsches »Wie man mit dem Hammer philosophiert.« Keine Götter-, sondern eine Götzendämmerung.

Inge Keller als die alte Amme des Rittmeisters zeigt uns, dass es einen Realismus der Darstellung gibt, der anderes ist als bildungsbürgerliche Illustration des gehobenen sozialen Status! Sie bleibt ein Zwischenwesen, halb Kunstfigur, halb Bekennerin. Unausrechenbar in der Präzision ihrer Zerrissenheiten. Eine wundervoller alter Geistervogel. Schön und schrecklich zugleich. Mit einer Geste, einem Wort, trifft sie uns. Und wir wissen nie genau, womit und wieso. Es steckt etwas von einer Magie der Verwandlung in ihrem Spiel, die sich selber dabei immer wieder spöttisch kühl zusieht und uns ganz einsam und seltsam verlegen auf unseren Betroffenheiten sitzen lässt, mit denen sie – scheinbar – gar nicht zu tun hat. Gleiches erlebten wir bei Inge Keller schon in Langhoffs genialen »Gespenstern« am Deutschen Theater als Frau Alving. Auch am Rande ein Zentrum bildend, im Kleinsten groß, im Größten kein. So kommt hier Intensität zustande. Am DT gelang es Langhoff einige Male, in seinen Tschechow-Inszenierungen etwa, wo er sich als Seelenbiograf bewies, der seinen Schauspielern traut. Ja, mehr noch, der sie liebt und die es ihm vergelten, indem sie ihr Gesicht zeigen.

Was also heute tun mit Strindberg und seinem längst entschiedenen Kampf um die Emanzipation? Dürrenmatt parodierte den Frauenhass einst mit »Play Strindberg«. Langhoff geht diesen Weg nicht. Er würde geradewegs zu Castorf führen. Er sucht in Strindberg seinen Tschechow. Den gequälten, erlösungsbedürftigen Menschen, der doch an keine Erlösung mehr glaubt. Aber der das nie zugäbe. Er findet in Strindberg den peitschenschwingenden Nietzsche, das Muttersöhnchen, das sich Kraft anträumt. Man lese Strindbergs Briefe an seine drei Ehefrauen und weiß, es war bei ihm genauso. »Was ist jetzt los, dass du wie ein eingekerkertes Ferkel schreist!« schreibt er an seine Frau Frida Uhl.

Volker Braun saß im Publikum. Nicht erst seit seinem Hinze-Kunze-Roman kennt er sich aus mit der Herr-Knecht-Dialektik in Hegels »Phänomenologie des Geistes«. Das tätige Bewusstsein wird immer zum real herrschenden, gegen ein bloß passiv seine Machtposition verteidigendes. Das bleibt aktuell. Oder wie der Rittmeister kurz vor seinem unrühmlichen Ende sagt: »Wir haben die Sonne verschlafen und sitzen im fahlen Mondlicht vor unseren Ruinen.«

(ND 28.05.02)

http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=17888&IDC=4

 

 


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