Barbara Salesch


 

 

 

Gerichtshows im Fernsehen

Folgenreich für echte Richter

Von Melanie Amann

 

Dauerbrenner: Richterin Barbara Salesch sprach über schon 1500 Urteile im Fernsehen

10. Juni 2009 Heute bringt eine Heizdecke den Mörder zur Strecke. Genauer gesagt, ihre Besitzerin, die Nachbarin des Mordopfers. Sie meldet sich spontan von der Zuschauerbank des Gerichts zu Wort: Sie hätte der Toten ihre Heizdecke geliehen, nun sei das gute Stück spurlos verschwunden. So liefert sie der Fernsehrichterin Barbara Salesch den entscheidenden Tipp für ihr Urteil über Staffel 10, Folge 253.

"Hitzige Schwestern" heißt die Episode, die an diesem Morgen in den Sat.1-Studios von Köln Hürth aufgezeichnet wird. Eine Schülergruppe aus Bonn ist zum Zuschauen da. Heute wird eine verhängnisvolle Dreiecksaffäre juristisch durchgespielt: Da sind zwei Schwestern, eine verheiratet, aber kinderlos, die andere männerlos, aber schwanger - und jetzt tot. Der Vater des Kindes war der Mann ihrer Schwester. Hat also die Betrogene aus Wut getötet?

 

Über 1500 Fernsehurteile

Richterin Barbara Salesch und ihr Team ermittelt seit dem 27. September 1999.

Richterin Barbara Salesch ist seit dem 27. September 1999 auf Sendung. Die 59 Jahre alte Juristin hat sich vom Landgericht Hamburg beurlauben lassen und sich als erste deutsche Richterin ins Fernsehen gewagt. Anfangs dümpelte die Sendung mit mäßiger Quote vor sich hin. Dann änderten ihre Produzenten das Konzept, weg von echten Zivilrechtsfällen mit echten Parteien hin zu erfundenen Strafrechtsfällen mit Laienspielern. Seitdem erlebt die Show einen Dauer-Höhenflug, die Quote liegt bei 20 Prozent. Manche Folge erreicht zwei Millionen Zuschauer. Andere Sender zogen nach, aber Richterin Salesch hat viele Konkurrenten überlebt. Am 20. März 2008 sprach sie ihr 1500. Fernsehurteil.

Johannes Nüsse hat auch schon mal mitgezählt bei Frau Salesch. Er kam auf 26: "In einer Folge gab es 26 Punkte, die anders liefen als in echten Verfahren", berichtet der Vorsitzende einer großen Strafkammer am Landgericht Dortmund. "Das fing mit der Sitzordnung an. Da saß der Angeklagte zeitweise meterweit entfernt von seinem Verteidiger." Dann die "Ungezogenheiten", die Frau Salesch den Beteiligten habe durchgehen lassen, die Schreie und Beleidigungen, das spontane Aufspringen. Nicht zu vergessen der Staatsanwalt, der Zeugen eingeschüchtert und die Verteidigerin beschimpft habe. "Diese Sendung schadet der Würde des Gerichtsverfahrens", klagt Nüsse.

Erfundene Fälle, die sich in 45 Minuten lösen lassen

Zum Thema

* Invasion der Fernseh-Richter

Barbara Salesch wundert sich über die Kritik. Noch ungeschminkt, im bequemen Pulli und Schlabberhose sitzt die Neunundfünfzigjährige in ihrer Garderobe in der Hürther Studiobaracke. Vor ihr liegen die "Akten", die Drehbücher der neuen Folgen. "Wir vermitteln Justiz mit dem Mittel der Unterhaltung. Die ganze Sendung läuft nach deutschem Prozessrecht ab. Ich bin ja weiter Vorsitzende einer Strafkammer und habe einen Ruf zu verlieren."

In ihrer 15 Kopf starken Redaktion sitzen mehrere Juristen. Sie erfinden Fälle, die sich in 45 Minuten lösen lassen, mit festem Ausgang, aber Platz für "Verdachtsschleifen", wie Barbara Salesch es formuliert. Sie oder Kollege Alexander Hold müssen etwa klären, ob die Prostituierte Sylvie ihre Tochter unter Drogen setzte, um sie Freiern zuzuführen. Und hat der skrupellose Boulevardjournalist Michael das Gesicht der Schauspielerin Denise mit einer Whiskey-Flasche zerschnitten? Hat die frustrierte Bauunternehmerin Katharina den "Männlichkeits-Trainer" Nicolas mit einem Bagger angegriffen? Angeklagte und Zeugen treten vor das TV-Gericht meist in Arbeitskluft: Handwerker kommen im Blaumann, Prostituierte in Minirock und Netzstrumpfhose, Diskobesitzer mit Glitzerjacke.

Die bayerische Landesmedienanstalt verglich im Jahr 2002 die Häufigkeit der Delikte in TV-Shows mit den Fällen echter Gerichte. Das Ergebnis: Während Frau Salesch und Hold es in 45 Prozent ihrer Fälle mit Körperverletzung oder Schlimmerem zu tun haben, beschäftigen sich ihre echten Kollegen mit Unfällen und Diebstählen.

 

Folgen der Show für Richter

Nur die Handschellen sind echt: Die Fälle, die Kläger und Ankläger sind fiktiv

Wie stark die Shows das Image des Strafprozesses prägen, wurde noch nie umfassend untersucht. Die Schüler in Hürth zucken in der Pause die Achseln: Naja, ein bisschen übertrieben sei das hier schon alles. Aber die Juristen seien ja echt. 2003 befragte die Sozialwissenschaftlerin Barbara Thym knapp 400 Studenten, wie realistisch sie die Shows finden. Die meisten konnten sie von der Wirklichkeit gut unterscheiden. Aber Akademiker sind auch nicht unbedingt die Zielgruppe der Sendung, eher Kandidaten wie "Alex", Nutzer des Internetforums "wer-weiss-was.de". Er habe gehört, schreibt Alex, dass Richterin Salesch "kein echtes Gericht zeigt, dass alles gespielt ist. Heißt das, alle inklusive der Richterin sind Schauspieler und alle Fälle frei erfunden?" Allein in diesem Forum drehen sich ein halbes Dutzend Debatten um diese Frage.

"Die Richter bekommen die Folgen der Show zu spüren", sagt Brigitte Kamphausen, Vize-Vorsitzende des Deutschen Richterbundes. Teils findet die Zivilrichterin das amüsant: "Manche Zeugen, die ich belehren will, sagen: Nicht nötig, kenne ich aus dem Fernsehen." Aber nervig sei es, dass Zuschauer sich immer öfter einschalten, um schnell mal etwas klarzustellen. "Früher trauten sich das nur sehr Ungeduldige." Viele Kollegen klagten, dass sich die Störer schwer zum Schweigen bringen ließen. "Natürlich müssen Richter den Saal im Griff haben", sagt Kamphausen. "Aber wir erzeugen mit der Zurechtweisung bei den Leuten Unverständnis, Frust und Empörung. Das ist eine gefährliche Wirkung." Immer wieder sei zu hören: "Bei Salesch ist das erlaubt." Im Fernsehen beschäftigen sich 45 Prozent der Fälle mit Körperverletzung oder...

Im Fernsehen beschäftigen sich 45 Prozent der Fälle mit Körperverletzung oder Schlimmerem, die echten Kollegen hingegen mit Unfällen und Diebstählen.

Die hält die Kritik für vorgeschoben: "Einerseits nutzen die Richter meine Sendung zum Angstabbau bei den Zeugen. Aber wenn es ihnen zu viel wird, heißt es, wir sind hier nicht im Fernsehen." Ihre Zuschauer seien im Durchschnitt 50 Jahre alt. "Die wissen, wie man sich bei Gericht verhält." Sie habe den Zuschauern nicht den Respekt vor Gerichten genommen, sondern unnötige Ängste.

Verzerrtes Bild der Arbeit

Im Fall der hitzigen Schwestern landet nach 23 Minuten der "deus ex machina". Alle Shows müssen auf Zeugen zurückgreifen, die aus heiterem Himmel Hinweise liefern oder Verwirrung stiften. An diesem Tag ist es eine Feindin der Angeklagten: "Ich hab' zufällig aus der Zeitung von dem Mord und dem Prozess erfahren. Da hab' ich mich gleich auf den Weg gemacht." Nach ihrer Aussage steht die Angeklagte richtig dumm da, ihr fehlt ein Alibi für die Tatzeit. Sogleich zitiert ihre Verteidigerin die Frau in einen Nebenraum und kanzelt sie ab. "Wenn Sie Ihre Schwester nicht umgebracht haben, wer dann, Herrgott noch mal?!" Barbara Salesch und Alexander Hold sind TV-Richter.

Barbara Salesch und Alexander Hold sind TV-Richter.

Wie Löwen kämpfen TV-Verteidiger für den Freispruch ihrer Schützlinge. So viel Einsatz wollen auch echte Mandanten: "Manche erwarten, dass wir flügelschlagend durch den Saal laufen und die Zeugen so richtig auseinandernehmen", sagt Stefan König, Vorsitzender des Strafrechtsausschusses im Deutschen Anwaltverein. Sendungen wie mit Frau Salesch sehe er mit "ziemlichem Entsetzen": "Sie zeichnen ein völlig verzerrtes Bild unserer Arbeit. Manchmal sagt ein Verteidiger besser nichts." Die Schuld für das Zerrbild gibt König aber vor allem amerikanischen Filmen.

Anders als dort müssen deutsche Anwälte die Richter auch mal im drögen Rechtsgespräch überzeugen. Alle Beteiligten lassen endlose Wiederholungen, Vernehmungen und das Verlesen Dutzender Seiten von Dokumenten über sich ergehen. Staatsanwälte und Polizei haben den Fall schließlich detailliert "ausermittelt". Spontan auftauchende Zeugen könnten zwar jederzeit befragt werden, sagt Anwalt König. "Nur eben nicht zusammen mit anderen, wie in Talkshows. Sie müssen den Saal verlassen, bis sie an der Reihe sind."

Urteil nach 45 Minuten

Aber so wäre das Geheimnis der Heizdecke nie aufgeklärt worden. Als sie im Studio zur Sprache kommt, horcht Frau Salesch demonstrativ auf. Ein feines Lächeln zieht sich durch ihr dick geschminktes Richterinnengesicht: "Dass ich das übersehen habe! Den Fall hatte ich schon zu Anfang meiner Schwurgerichtszeit!" Dann verrät sie dem Publikum den Trick, eine Leiche mit Heizdecken warm zu halten. So errechnet der Arzt einen falschen Todeszeitpunkt.

"Wollen Sie dazu etwas sagen, Herr Kramer?" Salesch fasst den Kindsvater, ihren neuen Angeklagten, ins Auge. Der windet sich auf der Zuschauerbank. "Mach' das Maul auf!", kreischt seine Frau. Die Verteidigerin keift, der Staatsanwalt bohrt, die Richterin hakt nach - und der Gatte gesteht.

Nach 45 Minuten muss ein Urteil fallen, haben die Macher von Salesch gelernt. Vertagen gilt nicht, die Leute wollen wissen, wer der Mörder ist. Aber bloß nicht immer der Angeklagte, das wäre langweilig. So bringt Frau Salesch es auf eine unrealistisch hohe Freispruchquote. Aber auch bei ihr erhält der wahre Täter seine Strafe: "Sie lasse ich gleich festnehmen", droht der Staatsanwalt im Schlussplädoyer.

Text: F.A.S.

Bildmaterial: CINETEXT, Cinetext Bildarchiv, Cinetext/VE, ddp, dpa

  http://www.faz.net/s/Rub867BF88948594D80AD8AB4E72C5626ED/Doc~EB22F3180C31C40E4BBB174EE90A305E8~ATpl~Ecommon~Scontent.html?rss_aktuell

 

 


zurück