Bert Hellinger

Familienaufstellung


 

 

 

 

Auf die Opfer schauen statt auf die Täter

TEILNEHMERIN Aus meiner Perspektive war die Aufstellung von Rita ein erster Schritt, was immer dann herauskommt als nächstes. Die Information war, die Mutter wollte den Namen des Vaters nicht sagen, und ich denke mir, da steht ja was dahinter. Da gibt es ja seither auch eine Entwicklung und eine Dynamik, und wer weiß, was dieses Kind antrifft, wenn es zum Vater geht.

HELLINGER Ich möchte dich warnen. Die Gefahr ist, dass wir mit solchen Überlegungen die Erwachsenen schonen und dem Kind, das ja am schwächsten ist, die Last aufbürden, statt sie dort zu lassen und denen zuzumuten, die wirklich verantwortlich sind.

Wenn ich für die Mutter Entschuldigungen suche, kann ich sie nicht mit dem ganzen Ernst der Lage konfrontieren. Wenn ich so tue, als ob es für sie Entschuldigungen oder Entlastung gäbe, dann führe ich mit ihr vielleicht ein langes Gespräch, aber ohne jedes Ergebnis. Erst wenn sie voll mit ihrer Verantwortung konfrontiert ist, merkt sie, was fällig ist, und dann macht sie vielleicht was damit. Du selbst musst diesen Ernst in dir tragen, dann kannst du den Starken die Last der Verantwortung lassen, statt das Kind damit zu belasten, wie das auch viele Jugendämter oder Therapeuten tun.

Ich will noch auf deine Frage zu den Folgen von Ritas Aufstellung eingehen. Du darfst keinen Einwand gegen die Aufstellung machen. Sie hat die Wirklichkeit gezeigt. Nicht ich habe die Aufstellung gemacht. Rita hat sie gemacht. Ich habe nur die Lösung gesucht. Wenn du jetzt sagst, es könnte auch anders sein, da muss man doch auch noch was anderes machen, nimmst du dem die Wucht und nimmst dir heraus, es besser zu wissen als sie.

Nur wenn du die Wirklichkeit, so wie sie offenbar wurde, voll anerkennst, kann sie weiterwirken. Dann ergibt sich aus ihr der nächste Schritt. Aber wenn du sagst, es kann später auch noch was anderes kommen, nimmst du ihr den Ernst und die Kraft. Deswegen gehe ich, wenn ich eine Aufstellung mache, immer an die äußerste Grenze.

Ich habe Rita das Schlimme ihrer Verstrickung offen vor Augen geführt, damit sie diesen Ernst sieht, Dann erst kann man später noch etwas anderes machen. Das Schwere und der Ernst ist das Eigentliche, das wirkt. Wenn man es mildert, nimmt man ihm die Kraft. Mein Blick war immer auf das Kind gerichtet und auf den Vater. Mit ihnen war ich verbündet; denn sie tragen die Last, sie sind die Opfer. Wenn ich die beiden im Auge behalte, finde ich die Lösung. Wenn ich aber von denen weg auf die Mutter schaue und auf das Paar, das sich mit ihr gegen den Vater des Kindes verbündet verfehle ich die Lösung. Dann rechtfertige ich das Problem und die Täter, statt den Opfern zu helfen.

 

Der nächste Schritt

RITA Als das Kind zu uns gekommen ist, wollte ich irgend etwas tun. Sie weint. Ich bin in die Kirche gegangen und habe dort einen Blumenstock aufgestellt und für die Mutter des Kindes gebetet, Ich habe nie das Gefühl gehabt dass etwas zwischen uns steht. An den Vater habe ich überhaupt nicht gedacht. Aber dass ich etwas tun muss, das habe ich damals gewusst.

HELLINGER Eines der Hauptprobleme in der Psychotherapie ist, dass viele Frauen so tun, als hätten die Männer und die Väter keine Rechte. Sie werden nicht einmal in Betracht gezogen, als sei alles, was die Kinder betrifft, nur eine Sache der Frauen. Auffällig ist, dass auch viele männliche Therapeuten kaum ein Herz für die Männer haben. Sie verlassen sich auf das, was Frauen sagen, wenn diese die Männer verteufeln, und nehmen Partei für die Frauen. Doch dann gibt es keine Lösung mehr. Nur wenn der Therapeut dem, der ausgeklammert ist, einen Platz in seinem Herzen gibt, hat er Kraft, Ich habe Kraft für die Lösung, weil der Vater des Kindes einen Platz in meinem Herzen hat. Den hatte er sofort. Daher weiß ich auch und finde die Lösung.

zu Rita Es ist noch gutzumachen. Einverstanden?

 

 

 

aus

Bert Hellinger

"Ordnungen der Liebe"

Carl-Auer-Systeme Verlag, 2000

S. 338-339

 

 

 


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