Blutrichter


 

 

Karl Bruchhaus

Karl Bruchhaus (geb. 02/1903) - Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Wuppertal (ab 01.02.1938, ..., 1958) - im Handbuch der Justiz 1958 ab 01.02.1938 als Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Wuppertal aufgeführt. Staatsanwalt Karl Bruchhaus, der an mindestens 33 Todesurteilen beteiligt war und erst 1961 pensioniert wurde,[3] vertrat die Anklage. In der Urteilsbegründung heißt es: „Alois Geiger hat einer schwangeren deutschen Frau eines deutschen Soldaten als Arzt aus Anlass ihrer ärztlichen Betreuung ihren Glauben an unseren Sieg geschwächt und sie in Sorge versetzt, ihr Mann könne wegen seiner nationalsozialistischen Berufstellung im Falle unserer Niederlage ermordet werden. Durch diesen Angriff auf unseren Wehrwillen ist er für immer ehrlos geworden. Er wird mit dem Tode bestraft.“ Geiger wurde in Brandenburg gehängt. http://de.wikipedia.org/wiki/Alois_Geiger

 

 

Alois Geiger

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie - 08.06.2010

Todesurteil wegen Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung von Roland Freisler, Hans-Joachim Rehse, Arthur Heß, Hell, Reinecke, Karl Bruchhaus vom 8. September 1943 gegen Alois Geiger

Alois Geiger (* 1. Dezember 1890 in Ellenbach (?), Niederbayern; † 1. November 1943 in Brandenburg an der Havel) war ein deutsches NS-Opfer. Geiger war Arzt und Leiter der Sanitätskolonne von Spiegelau im Bayerischen Wald.

Leben

Während des Zweiten Weltkriegs wurden viele Familien, vor allem aus den großen Städten Norddeutschlands, in die bayerische Provinz evakuiert. So kam durch die erweiterte Kinderlandverschickung, die sogenannte Mutter-und-Kind-Verschickung, auch eine hochschwangere Frau, die in Hamburg ausgebombt war, mit ihren drei kleinen Kindern nach Spiegelau, wo sie bei einer Familie zwangseinquartiert wurde. Sie war die Gattin des HJ-Oberbannführers Will, der zu dieser Zeit als Soldat an der Front stand. Nach späterer Aussage der Frau soll Geiger während zweier Untersuchungen im Juli/August 1943 die Bemerkung gemacht haben, es sei sehr mutig von ihr, in dieser schweren Zeit noch ein Kind zu bekommen. Auf Nachfragen gab Geiger, der selbst Mitglied der NSDAP war, zu erkennen, dass er eine deutsche Niederlage für möglich hielt. Als Frau Will widersprach, warf er ihr vor, sie sei noch zu sehr von der NS-Propaganda beeinflusst und riet ihr, ihren Mann zum Verlassen der NSDAP zu bewegen, da er sonst nach dem verlorenen Krieg Gefahr laufe, als einer der Ersten beseitigt zu werden.[1]

Geigers Bemerkungen erwähnte die Offiziersfrau in einem Schreiben an ihren Mann. Dieser berichtete davon seinen Vorgesetzten, was zur Verhaftung von Alois Geiger durch die Gestapo führte. Er wurde nach Brandenburg an der Havel verbracht, vor dem Volksgerichtshof unter Vorsitz von Roland Freisler angeklagt und wegen Wehrkraftzersetzung und Volksverrat zum Tode verurteilt.[2] Am Urteil waren Kammergerichtsrat Hans-Joachim Rehse, SA-Obergruppenführer Arthur Heß, SA-Oberführer Hell und Kreisleiter Reinecke als Beisitzer beteiligt, Staatsanwalt Karl Bruchhaus, der an mindestens 33 Todesurteilen beteiligt war und erst 1961 pensioniert wurde,[3] vertrat die Anklage. In der Urteilsbegründung heißt es: „Alois Geiger hat einer schwangeren deutschen Frau eines deutschen Soldaten als Arzt aus Anlass ihrer ärztlichen Betreuung ihren Glauben an unseren Sieg geschwächt und sie in Sorge versetzt, ihr Mann könne wegen seiner nationalsozialistischen Berufstellung im Falle unserer Niederlage ermordet werden. Durch diesen Angriff auf unseren Wehrwillen ist er für immer ehrlos geworden. Er wird mit dem Tode bestraft.“[4] Geiger wurde in Brandenburg gehängt.

Nach dem Krieg ließ Geigers Witwe ihren Mann nach Spiegelau überführen. Er wurde dort am 14. August 1947 beigesetzt.

Ehrungen 

Nach ihm wurden die „Alois-Geiger-Straße“ in Spiegelau sowie eine solche in Sankt Oswald-Riedlhütte benannt.

Literatur

* Walter Oehme: Ehrlos für immer. Verlag der Nation, Berlin (Ost) 1962.

Einzelnachweise

1. ↑ H. W. Koch: In the Name of the Volk: Political Justice in Hitler's Germany. London 1997, S. 135.

2. ↑ AZ: J 473/43 - H 78/43; s. Ausschuß für deutsche Einheit (Hg.): Wir klagen an: 800 Nazi-Blutrichter. Stützen des militaristischen Adenauer-Regimes. Berlin (Ost) 1957, S. 55.

3. ↑ Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Westberlin. 3. Aufl. Berlin (Ost) 1968, S. 118 (Text im Internet).

4. ↑ Text auch bei Heinz Scheibe: Niederheimbach und die Zeit unserer Vorfahren (PDF), Niederheimbach 2001, S. 51.

http://de.wikipedia.org/wiki/Alois_Geiger

 

 


 

 

Dr. Walter Fritz Tyrolf (geb. 12.01.1901) - Landgerichtsdirektor am Landgericht Hamburg (ab 01.12.1951, ..., 1964) - im Handbuch der Justiz 1953 und 1964 ab 01.12.1951 als  Landgerichtsdirektor am Landgericht Hamburg aufgeführt. Walter Fritz Tyrolf (* 12. Januar 1901 in Zeitz; † 24. November 1971 in Hamburg) war ein deutscher Staatsanwalt und Richter. Tyrolf war Sohn eines Volksschullehrers und studierte an der neuen Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Rechtswissenschaft. 1921 wurde er im Corps Austria Frankfurt am Main aktiv.[1] Nach dem Abschluss des Studiums (1923), der Promotion zum Dr. jur. (1926) und des Referendariats (1927) wurde er 1930 als Gerichtsassessor eingestellt und 1931 zum Amtsgerichtsrat ernannt. 1934 wurde er Landgerichtsrat, 1937 Richter am Landgericht in Hamburg. Zeitgleich trat er am 1. Mai 1937 der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 5.269.173).
Ab 1940 arbeitete er als Staatsanwalt. 1944 wurde er als Staatsanwalt an das NS-Sondergericht Hamburg versetzt. Dort plädierte er in zahlreichen Fällen, auch wegen Bagatellen[2] (wie leichtem Diebstahl und „Rassenschande“), auf die Todesstrafe und erreichte, dass diese auch vollstreckt wurde. Bislang sind mindestens 18 Gerichtsverfahren bekannt, in denen er Todesurteile beantragte und die in 15 der Fälle auch zur Hinrichtung führten.[3]
Unmittelbar nach Kriegsende wurde er als Untersuchungsrichter wieder am Landgericht Hamburg tätig und dort 1951 zum Landgerichtsdirektor befördert. 1949 leitete Tyrolf das Gerichtsverfahren um die Tätigkeit von Veit Harlan im Dritten Reich und sprach diesen frei. Der Freispruch von Harlan, der den antisemitischen Propagandafilm Jud Süß gedreht hatte und die an Antisemitismus grenzende Urteilsbegründung von Tyrolf erregten internationales Aufsehen in der Presse. Der Sohn von Veit Harlan, Thomas Harlan, bezeichnete Tyrolf deshalb als „Blutrichter“[4] Direkte Folge des Urteils und des Meinungsstreits dazu im Nachfeld war das Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Nachdem Tyrolfs erste Ehefrau im September 1962 gestorben war, heiratete er im März 1963 die frühere Euthanasieärztin Ingeborg Margarete Wetzel, die er zuvor in einem NS-Kriegsverbrecherprozess freigesprochen hatte.[5] Obwohl Ermittlungen und interne Untersuchungen wegen seiner Tätigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus liefen, lehnte Tyrolf ein freiwilliges Ausscheiden als belasteter Jurist ab und ging 1964 offiziell aus Gesundheitsgründen in den vorzeitigen Ruhestand.
Werke
Der nicht rechtsfähige Verein unter besonderer Berücksichtigung seiner Stellung als Erbe. Dissertation 1926
Literatur
Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge. Frankfurt am Main: Internationaler Verlag der Wissenschaften Peter Lang 2005. ISBN 978-3-631-53896-8
Marc Burlon: Die „Euthanasie“ an Kindern während des Nationalsozialismus in den zwei Hamburger Kinderfachabteilungen. Dissertation, Hamburg 2009. S. 191–193.Volltext Online (PDF; 1,7 MB)
Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-039326-5.
Michael Marek: Meine Partei ist Kunst. In: Neue Zürcher Zeitung vom 28. April 1994
Helge Grabitz; Wolfgang Sarodnick; Gunther Schmitz; Hamburger Justizbehörde (Hrsg.): Von Gewohnheitsverbrechern, Volksschädlingen und Asozialen : Hamburger Justizurteile im Nationalsozialismus. Hamburg 1995, ISBN 3-87916-023-6

https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Tyrolf

 

 

 


 

 

Ex-Justizminister Tschadek war ein "Blutrichter"

03. September 2010 18:31

Doppel-Justizminister Otto Tschadek (re.) 1960 am Ende seiner zweiten Amtszeit mit Nachfolger Christian Broda.

Wiener Politologe findet Dokumente, die belegen, dass der spätere SPÖ-Politiker als Militärrichter mindestens vier Menschen zum Tode verurteilt hat

Wien - In Bruck an der Leitha ist die Welt noch in Ordnung:

Dort ist man stolz auf seinen großen Sohn. Man hat ihm sogar eine Ausstellung gewidmet, zählt in einer Broschüre seine 28 Ehrenbürgerurkunden sowie auch die Orden auf,darunter das Große Goldene Ehrenzeichen der Republik, der Gregoriusorden der katholischen Kirche, verliehen vom Papst persönlich, und der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland.

Otto Tschadek, einst Landeshauptmann-Stellvertreter in Niederösterreich und Justizminister der Republik, war ein ehrenwerter Mann. Sogar während des Nationalsozialismus, wo er nach eigenem Bekunden als Militärrichter Milde walten ließ.

So lautete die Vita des SPÖ-Politikers. Nun, mehr als 40 Jahre später, muss Tschadeks Geschichte neu geschrieben werden.

"Es gab schon länger die Vermutung, dass Tschadek nicht der gute Mensch war, als der er sich gerne selbst darstellte" , sagt der Politologe Thomas Geldmacher vom Verein Personenkomitee "Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz" im Gespräch mit dem STANDARD. Ein Aktenfund in deutschen Archiven belegt nun, dass Tschadek ab September 1941 als Marinerichter am Nazi-Gericht im deutschen Kiel zumindest vier Menschen zum Tode verurteilt hat. "Diese Todesurteile zeigen, dass Tschadek genau einer jener Blutrichter war, von denen er sich so hartnäckig distanzieren wollte" , sagt Geldmacher. Denn: "Tschadek war Täter."

Dabei war der Sohn eines Lehrers, der am 31. Oktober 1904 in Trautmannsdorf nahe Bruck an der Leitha geboren worden war, während seines Studiums der Rechtswissenschaften bei den sozialistischen Studierenden aktiv, ab 1927 sogar deren Vereinsobmann. Als im selben Jahr sein Vater starb, half ihm die Partei, besonders der spätere Innenminister und damalige Landeshauptmann-Stellvertreter in Niederösterreich, Oskar Helmer. Tschadek erhielt ein Stipendium und fand in Helmer einen Mentor auf Lebzeit. Seine sozialistische Gesinnung brachte Tschadek während des Austrofaschismus sogar in Haft. Sieben Monate wurde er in den Anhaltelagern Kaisersteinbruch und Wöllersdorf eingesperrt.

Am 25. August 1940 rückte er bei der Wehrmacht ein und wurde zur Marine nach Norddeutschland versandt. Ab September 1941 war er in Kiel Militärrichter. Dort verurteilte er unter anderem Ernst Stabenow am 21. September 1942 wegen Fahnenflucht zum Tode - und zusätzlich auch noch zum "Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebzeiten und zu fünf Jahren Zuchthaus und einer Geldstrafe von RM (Reichsmark, Anm. d. Red.) 400" . Für den Wiener Forscher Geldmacher ist bemerkenswert, dass Tschadek sich bei seinem ersten Fahnenfluchtfall nicht bloß mit der Höchststrafe begnügte. 1943 ließ der spätere SPÖ-Politiker Ludwig Becker als "Volksschädling" hinrichten. Im November 1944 verhängte er gegen den Marinesoldaten Heinrich Laurien wegen angeblicher Plünderung die Todesstrafe. Dieses Urteil war offenbar selbst seinen Vorgesetzten zu hart, es wurde in eine Zuchthausstrafe umgewandelt.

Andere Akten, die Geldmacher bekannt sind, belegen aber auch, dass Tschadek beim Delikt der sogenannten Wehrkraftzersetzung "überwiegend milde Urteile" ausgesprochen habe. Nicht im Fall Kurt Kuschke. Den verurteilte er zum Tode, am 8. Jänner 1943 wurde der Mann hingerichtet.

Schnelle Karriere in Rot

Trotz seiner Richtervergangenheit wurde Tschadek nach dem Krieg von den Alliierten als Bürgermeister von Kiel eingesetzt, wo er bis heute einen Ehrenbürgerstatus genießt. Dort gründete er auch die neue städtische SPD mit. Seine Weste war reingewaschen, die Karriere in der Politik konnte beginnen. 1946 holte ihn sein Mentor Helmer, der damals für die SPÖ in der Regierung saß, ins österreichische Parlament. Drei Jahre später war Tschadek Justizminister, ein Amt, das er von 1949 bis 1952 und von 1956 bis 1960 ausübte. Danach wurde er Landeshauptmann-Vize in Niederösterreich.

Seine Todesurteile hat Tschadek zu Lebzeiten stets verschwiegen. "Viele waren der Meinung, dass ein Kriegsrichter auch ein Blutrichter sein musste. In Wirklichkeit lagen die Dinge vollkommen anders", schrieb er in seiner Autobiografie. In einer vom heutigen Standard-Herausgeber Oscar Bronner mitgestalteten Radiosendung aus dem Jahr 1965 meinte er sogar, "man konnte als Richter in der damaligen Zeit, wenn man einige Zivilcourage hatte, sogar manches Unheil verhindern."

"Was ist sonst ein Blutrichter? Mit diesen vier Urteilen ist er das" , sagt der Wiener Politologe Walter Manoschek und verweist auf den Fall Filbinger, der Deutschland in den 1970er-Jahren beschäftigt hatte. Damals musste der CDU-Politiker Hans Filbinger wegen ebenfalls vier Todesurteilen aus seiner Zeit als NS-Militärrichter als Ministerpräsident von Baden-Württemberg zurücktreten. Manoschek: "Auch der Umgang mit der eigenen Vergangenheit war ähnlich: Beide hatten kein Unrechtsbewusstsein." Dass nach wie vor belastende Akten aus der NS-Zeit auftauchen, überrascht Manoschek nicht: "Es gibt in vielen Berufsständen, bei den Ärzten etwa oder eben bei den Richtern, keine historische Aufarbeitung. Eben weil da noch einige Leichen im Keller liegen, herrscht daran wenig Interesse."

Tschadeks Leben wird nun in die Wanderausstellung "Was damals Recht war..." eingearbeitet, die sich mit den Opfern und Tätern der Militärjustiz beschäftigt und im Herbst 2009 in Wien zu sehen war. "Jetzt kommt die Ausstellung nach Klagenfurt, und Tschadeks Vita wird eine der fünf Täter-Biografien sein, die dort angeführt werden" , erzählt der Politologe Geldmacher. Am 9. September startet die Schau im Künstlerhaus.

Otto Tschadek wurde 1969 in einem Ehrengrab in Bruck an der Leitha beigesetzt. Es mag eine Ironie der Geschichte sein, dass Tschadek sein Ministeramt 1960 ausgerechnet an seinen Parteikollegen Christian Broda übergab. Denn auch Broda hatte Kontakt mit der NS-Militärjustiz. Er war 1943 wegen "Nichtanzeigung eines hochverräterischen Unternehmens" zu einer Haftstrafe verurteilt worden. (Peter Mayr/DER STANDARD, Printausgabe, 4./5. 9. 2010)

http://derstandard.at/1282978899417/Ex-Justizminister-Tschadek-war-ein-Blutrichter

 

 


 

 

DIE ZEIT, 29.11.2007 Nr. 49

Von Hitler zu Adenauer

Von Dörte Hinrichs und Hans Rubinich

Vor 60 Jahren endete der Nürnberger Juristenprozess. Bald darauf gingen ehemalige NS-Juristen in der Bundesrepublik schon wieder auf die Jagd – gegen Kommunisten

Die Elite der NS-Justiz 1942: Roland Freisler, Schlegelberger, Justizminister Otto Thierack und Staatssekretär Curt Rothenberger (v. l. n. r.)

© Bundesarchiv; Bild 182-J03166

Das Urteil gegen den 71-jährigen Franz Schlegelberger fällt am 4. Dezember 1947. Es lautet auf lebenslang Zuchthaus. Schlegelberger ist der ranghöchste Jurist unter den Angeklagten im großen Nürnberger Prozess gegen die NS-Justiz. Die Alliierten wollen mit dem Tribunal einen Neuanfang auch der Rechtsprechung in Deutschland nach den zwölf Jahren des »Dritten Reiches« und dem völligen Zusammenbruch aller zivilen Normen möglich machen.

Schlegelberger, geboren 1876 in Königsberg, während der NS-Diktatur Staatssekretär und 1941/42 kommissarischer Reichsminister der Justiz, gehört zu jenen, die dem Völkermord an Juden und Polen seine gesetzliche Legitimation gegeben haben. Darüber hinaus half Schlegelberger, der selber eher den Typus des preußischen Beamten und Gelehrten verkörperte und alles andere war als ein fanatischer Nationalsozialist, bei den Mordaktionen gegen Behinderte mit. So erläuterte er 1941 vor etwa hundert führenden Juristen in Berlin den Umgang mit der geheimen Euthanasieaktion T4 zur »Vernichtung unwerten Lebens«. Er wies an, dass alle eingehenden Strafanzeigen gegen die Euthanasiemorde von den Generalstaatsanwälten unbearbeitet an das Justizministerium weitergeleitet werden sollten. Dort landeten sie im Reißwolf.

Schlegelberger bekam für seine treuen Dienste vom »Führer« (der ihn persönlich wenig schätzte) eine Dotation von 100.000 Reichsmark. Zu wenig, wie er einmal meinte, denn die Generäle der Wehrmacht erhielten das Dreifache. Von dem Geld kaufte er sich ein Gut.

»Huckepack« kehren die braunen Juristen zurück

Zehn Monate hat der Prozess gegen Franz Schlegelberger und andere Vertreter der juristischen Elite gedauert. Vor dem Hauptankläger Telford Taylor saßen 16 führende Staatsanwälte und Richter sowie Juristen des Reichsjustizministeriums auf der Anklagebank. Blutrichter genauso wie Schreibtischtäter, die mitgewirkt hatten an Rassengesetzen und Euthanasieprogrammen. Ihre Namen standen nicht zuletzt stellvertretend für eine deutsche Justiz, die den Mord an etwa 100.000 geistig und körperlich Behinderten legitimiert und nachweislich 50.000 Todesurteile gegen »Volksschädlinge«, »Defätisten« und »Wehrkraftzersetzer« verhängt hatte. Die wichtigsten Repräsentanten allerdings fehlten auf der Nürnberger Anklagebank: Otto Thierack zum Beispiel, seit 1936 Präsident des Volksgerichtshofs und von 1942 bis 1945 der letzte Justizminister des Regimes – er hatte sich selbst gerichtet –, sowie sein Nachfolger an der Spitze des Volksgerichtshofs, Roland Freisler, der unmittelbar vor Kriegsende, im Februar 1945, von einer Fliegerbombe getötet worden war.

Das Nürnberger Gericht nahm sich Zeit für eine umfangreiche Beweisaufnahme – es befragte 138 Zeugen und prüfte 2093 Dokumente. Keiner der Angeklagten wurde wegen einfachen Mordes oder bestimmter Gräueltaten belangt. Vielmehr argumentierten die amerikanischen Richter, die Verbrechen der Angeklagten seien so unermesslich, dass im Vergleich dazu bloße Einzelfälle unbedeutend erschienen. Sie seien Teil eines von der Regierung organisierten Systems der Grausamkeit und Ungerechtigkeit gewesen, und sie hätten im Namen des Rechts gegen die Gesetze der Menschlichkeit verstoßen: »Der Dolch des Mörders war unter der Robe des Juristen verborgen.«

Die deutschen Juristen verteidigten sich mit dem vertrauten Argument, sie hätten nur nach geltendem Recht gehandelt. Doch selbst die NS-Gesetze enthielten oft große Ermessensspielräume. Dass viele Richter selbst für kleinste Delikte und Bagatellsachen die Todesstrafe verhängt hatten, zeigt indes den hohen Grad der Anpassungsbereitschaft auch dieser Berufsgruppe.

Typisch dafür ist der Fall Oswald Rothaug, ebenfalls Angeklagter im Nürnberger Prozess. Von 1937 bis 1943 war er Vorsitzender des Sondergerichts Nürnberg, das als besonders brutales Instrument der NS-Herrschaft galt. So verurteilte er zum Beispiel 1941 den Vorsitzenden der Nürnberger Kultusgemeinde, Leo Katzenberger, wegen Rassenschande zum Tode. Der über 60-jährige Katzenberger soll eine intime Beziehung mit einer jungen »Arierin« eingegangen sein. Vor Gericht hatte die Frau das Verhältnis bestritten: Katzenberger sei nicht mehr als ein väterlicher Freund gewesen. Während eines Fliegeralarms hätten sie nur gemeinsam Schutz in einem Keller gesucht. Rothaug aber blieb unerbittlich. Er brachte die Frau wegen »Meineids« für zwei Jahre ins Zuchthaus; Leo Katzenberger aber schickte er aufs Schafott. »Für mich reicht es aus«, tat Rothaug kund, »dass dieses Schwein gesagt hat, ein deutsches Mädchen hätte ihm auf dem Schoß gesessen.«

Die Amerikaner verurteilen Oswald Rothaug zu lebenslanger Haft. Das gleiche Urteil erhalten drei weitere Angeklagte. Acht Juristen bekommen Zuchthausstrafen zwischen zehn und zwanzig Jahren, darunter der Staatsekretär im Berliner Ministerium und vormalige Hamburger Justizsenator Curt Rothenberger (7 Jahre). Vier Angeklagte werden freigesprochen. Die differenzierten Urteile seien auch »ein Zeichen dafür, dass es sich nicht um eine sogenannte Siegerjustiz gehandelt hat«, meint Helmut Kramer, ehemaliger Richter am Oberlandesgericht Braunschweig, der 1998 mit anderen Juristen den in Berlin ansässigen Verein Forum Justizgeschichte gegründet hat. Gemeinsam untersuchen sie die Rolle der NS-Juristen vor und nach 1945.

Nicht nur mit dem Nürnberger Prozess, auch durch den Aufbau eines neuen deutschen Justizwesens wollen die Alliierten Maßstäbe setzen. Doch der Neuanfang scheitert letztlich. In den nächsten Jahren werden alle NS-Richter und Staatsanwälte wieder eingestellt, mit Ausnahme der 1947 in Nürnberg Verurteilten. Das Ganze erfolgt in mehreren Stufen. Zunächst wird auf Drängen der Oberlandesgerichtspräsidenten im Oktober 1945 die sogenannte Huckepackregel in der britischen Zone eingeführt. Die Regel sieht vor, dass neben jedem »Unbelasteten« ein »Belasteter« in den öffentlichen Dienst zurückkehren darf. Und so geht es weiter: Bald schon wird die Regel ausgeweitet. Jetzt darf jeder »Unbelastete« gleich zwei »Belastete« mitnehmen.

Auch in den anderen westlichen Besatzungszonen lockern sich die Bestimmungen allmählich. Anfang der fünfziger Jahre können alle Nazibeamte – falls sie nicht gerade Gestapo-Agenten waren oder von den Entnazifizierungsausschüssen als schwerbelastet eingestuft sind – wieder zurück in den Dienst. Wer zu alt dafür ist, erhält Versorgungsbezüge, die allein bis 1989 bis um das Zehnfache steigen; die Entschädigungszahlungen an die Opfer werden dagegen nicht erhöht. Dazu passt der Satz der niedersächsischen Landtagsabgeordneten Maria Meyer-Sevenich (SPD), die anlässlich des Entnazifizierungsschlussgesetzes am 1. Juli 1951 erklärt: »Die Entnazifizierung ist nichts anderes als ein Mittel zur Bolschewisierung des westdeutschen Raumes.«

Aus dem Osten hingegen kommt Druck ganz anderer Art. Denn aus der sowjetischen Besatzungszone, wo zunächst alle NS-Richter und Staatsanwälte ihrer Ämter enthoben wurden, strömen viele Nazijuristen auf der Flucht vor den neuen Machthabern in den Westen. Auch sie wollen beschäftigt sein.

1951 führt eine Welle von Begnadigungen auf Druck der Regierung Konrad Adenauers dazu, dass selbst die Verurteilten des Nürnberger Juristenprozesses wieder auf freien Fuß kommen – bis auf den »Blutrichter« Oswald Rothaug, der erst 1956 aus der Haft entlassen wird. Franz Schlegelberger kommt ebenfalls 1951 frei. Für die Zeit seiner Inhaftierung von 1945 bis 1951 werden ihm 280.000 Mark Ruhegehalt nachgezahlt. Die Adenauer-Regierung plädiert – ganz im Sinne weiter Bevölkerungskreise – für einen »Schlussstrich« unter die Vergangenheit.

Der Ex-Nazirichter verurteilt den ehemaligen Widerstandskämpfer

Während immer mehr ehemalige NS-Richter und Staatsanwälte wieder in Amt und Würden gelangen, müssen sich immer weniger Naziverbrecher vor Gericht verantworten. Zur selben Zeit – der Kalte Krieg versetzt die Welt in permanenten Alarmzustand – beginnt in Westdeutschland die Jagd auf alles »Kommunistische«. Von 1951 bis 1968 leitet die bundesdeutsche Justiz 138.000 Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Kommunisten und Sympathisanten ein. Es kommt zu etwa 7000 Verurteilungen.

In dieser Atmosphäre sorgt der Fall Philipp Müller für Aufsehen. 1931 in München-Neuaubing geboren, war der gelernte Schlosser 1950 in die KPD eingetreten und hatte ein Jahr später wegen »kommunistischer Umtriebe« seine Arbeit verloren. Am 11. Mai 1952 beteiligte sich der junge Mann, als Mitglied der FDJ, in Essen an einer verbotenen Demonstration gegen die geplante Wiederaufrüstung. 30.000 Menschen waren auf der Straße. Die Polizei griff ein. Zwei Kugeln eines Polizisten von der Einsatzgruppe Knobloch trafen Philipp Müller in den Rücken, eine durchbohrte sein Herz.

Die juristische Aufarbeitung des Skandals gerät zur Farce: Das Dortmunder Landgericht stuft in seinem Urteil vom 2. Oktober 1952 die Schüsse als Notwehr ein. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der KPD im Bundestag, Heinz Renner, fordert einen Untersuchungsausschuss. Doch dazu kommt es nicht. Das politische Klima verschärft sich weiter.

Unter maßgeblicher Beteiligung von Kommunisten bilden sich sogenannte Ausschüsse für Volksbefragungen. Sie wenden sich gegen die Wiederaufrüstung und sammeln Unterschriften. Im Nu entwickelt sich daraus ein Fall für den Bundesgerichtshof. Zwei Funktionäre des Hauptausschusses, Oswald Neumann und Karl Dickel, werden am 2. August 1954 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Ihr Vergehen, stellt Helmut Kramer vom Forum Justizgeschichte fest, war es, dass sie sich als »Rädelsführer einer verfassungsfeindlichen und kriminellen Vereinigung« engagiert hatten.

Konsequenterweise geht man jetzt auch gegen die Partei selbst vor, die bei der Bundestagswahl 1953 auf gerade noch 2,2 Prozent gekommen ist. 1956 verbietet das Verfassungsgericht in Karlsruhe die KPD. Parteizentralen werden gestürmt, zahlreiche Funktionäre und Mitglieder verhaftet und zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt.

Ein beispielhafter Fall ist der Walter Timpes, Journalist und KPD-Mitglied. Er und seine acht Kollegen schreiben für die Tageszeitung Die Wahrheit / Neue Niedersächsische Volksstimme. Im Mai 1955 stehen sie vor der Großen Strafkammer des Lüneburger Landgerichts – wegen kritischer Zeitungsartikel über Konrad Adenauer und seine Pläne zur Wiederbewaffnung. Anklagevertreter ist, und hier schließt sich der Kreis zum »Dritten Reich«, der ehemalige NS-Staatsanwalt Karl-Heinz Ottersbach, der Richter heißt Konrad Lenski.

Karl-Heinz Ottersbach war 1940/41 Staatsanwalt im oberschlesischen Kattowitz und zuständig für die Sondergerichtsverfahren. Ottersbach war besonders gegen Polen brutal vorgegangen. 1941 verurteilte er eine jüdische Frau, Mutter von fünf Kindern, der vorgeworfen wurde, auf dem Schwarzmarkt ein Kaninchen eingetauscht zu haben. Das Strafmaß des Sondergerichts: acht Jahre Zwangsarbeit. Ottersbach hielt das sogar noch für zu milde und verlangte mehr. Das älteste Kind der Angeklagten, es war acht Jahre alt, schrieb schließlich ein Gnadengesuch an Ottersbach. »Wir sind schon fast am Verhungern, das Jüngste ist erst 6 Monate alt. Wir haben nichts mehr zu essen.« Ottersbach kannte keine Gnade und legte das Schriftstück zu den Akten.

Auch Richter Konrad Lenski war kein unbeschriebenes Blatt: Erst hatte er am Reichskriegsgericht sehr viele Todesurteile gefällt. Später verurteilte er als Militärrichter in Straßburg zahlreiche französische Widerstandskämpfer zum Tode.

Zehn Jahre nach Kriegsende sitzen nun Ottersbach und Lenski in Lüneburg über den kommunistischen Journalisten Walter Timpe und dessen Gefährten zu Gericht. Die politische Sonderstrafkammer des Landgerichts Lüneburg ist besonders fleißig. In den fünfziger und sechziger Jahren führt sie durchschnittlich 600 Staatsschutzverfahren pro Jahr durch. Lüneburg nimmt damit eine Spitzenposition in Niedersachsen ein. Die Anklagen lauten auf hochverräterische Unternehmungen, Geheimbündelei, landesverräterische Beziehungen, Staats- und Verfassungszersetzung oder Verunglimpfung der Staatsorgane. Letzteres wird Walter Timpe vorgeworfen.

Staatsanwalt Ottersbach, berichtet Timpe heute, sei für ihn »so ein Freisler-Verschnitt« gewesen. »Der wollte einschüchtern. Lenski war der Gutbürgerliche, aber zynisch und ein wenig hinterhältig.« Timpe und seine Kollegen werden zu einem Jahr beziehungsweise zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Unter den Verurteilten befinden sich auch Leo Heinemann und Werner Sterzenbach. Sie sind beide Juden und Kommunisten, beide waren sie im französischen und im holländischen Widerstand aktiv. Dass sie noch Jahre nach dem Ende des Krieges im befreiten Deutschland (ehemaligen) Nazijuristen in die Fänge geraten würden, haben sie gewiss nicht erwartet.

Ähnlich bizarr ist das Schicksal des Kommunisten August Baumgarte, geboren 1904 in Hannover. 1933 verurteilten die Nazis ihn zu einem Jahr Haft und verschleppten ihn in die Arbeitslager Moringen und Esterwegen. 1935 kam er für sechs Jahre ins Zuchthaus nach Waldheim. Während der Kriegsjahre 1941 bis 1945 durchlitt Baumgarte die Vernichtungslager in Sachsenhausen und Mauthausen. Nach Kriegsende übernahm er 1947 die KPD-Bezirksleitung Niedersachsen und war einer der Gründer der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Als 1956 die KPD verboten wird, verurteilt dasselbe Landgericht Lüneburg, das ein Jahr zuvor bereits Timpe zum Verhängnis geworden ist, auch August Baumgarte zu drei Jahren Gefängnis.

Es versteht sich von selbst, dass mit dieser Justiz die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht aufzuarbeiten sind. Am 6. November 1958 gründen die Justizminister der Länder die Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg bei Stuttgart. Sie soll vor allem die Untaten aufdecken, die in den besetzten deutschen Gebieten geschahen. Rund 100.000 Tatverdächtige werden in den nächsten vierzig Jahren ausfindig gemacht, davon allerdings nur 6500 rechtskräftig verurteilt. Denn die Zentralstelle ist nicht befugt, Anklage zu erheben. Ihre Beweise gehen an die zuständigen Staatsanwaltschaften, die dann darüber befinden, ob es tatsächlich zur Anklage kommt.

Auch gegen ehemalige Richter und Staatsanwälte wird ermittelt, angeklagt wird keiner. »Das lag an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes«, berichtet Willy Dreßen, der ehemalige Leiter der Zentralstelle, die es inzwischen nicht mehr gibt. Die Nazirichter hätten nur dann zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie gegen ihre Überzeugung gehandelt hätten. »Die sagten aber immer, sie seien damals ideologisiert gewesen. Und infolgedessen glaubten sie Recht zu sprechen, indem sie dieses oder jenes Todesurteil verkündeten. Das Gegenteil ließ sich schlecht nachweisen.«

Offensichtlich ist der Bundesgerichtshof jener Jahre an der Beschäftigung mit der NS-Zeit nicht interessiert. Der legendäre hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (1903 bis 1968), einer der Mitinitiatoren des Auschwitz-Prozesses von 1963 bis 1965, bezeichnete den Bundesgerichtshof als eine »Traditionskompanie des Reichsgerichts«. Und in dem 2005 erschienenen Buch des Richters Klaus-Detlev Godau-Schüttke über den BGH heißt es resümierend, die Richterschaft habe »kein Bekenntnis zu den eigenen Verbrechen in der NS-Zeit« abgelegt. »Das skandalöse Verhalten vieler Juristen sowie erzkonservativer und deutschnationaler Politiker nach 1950 hatte schließlich zur Folge, dass zahlreiche NS-Justizverbrecher am Bundesgerichtshof wieder ›Im Namen des Volkes‹ Recht sprechen konnten.«

Mit den Bestimmungen des Bundesgerichtshofs müssen auch die Ermittler der Zentralstelle in Ludwigsburg leben. So dürfen sie nur gegen Täter ermitteln, die wegen Mordes oder wegen Beihilfe zum Mord angeklagt werden können. Alle Totschlagsdelikte und Körperverletzungen mit Todesfolge gelten seit 1960 als verjährt.

Erst 2002 werden die verfolgten Kommunisten als Opfer anerkannt

Dafür werden in den fünfziger und sechziger Jahren eben andere verfolgt: Laut BGH-Urteil vom 20. März 1963 macht sich strafbar, wer kommunistische Auffassungen und Ziele unterstützt. Als staatsgefährdend gilt zum Beispiel jeder, der sich für die Verständigung mit der DDR einsetzt und die Oder-Neiße-Linie als endgültige östliche Grenze akzeptiert. »Die juristische Brücke zur Staatsgefährdung und damit zur Strafbarkeit«, bemerkt Helmut Kramer vom Forum Justizgeschichte, »schlugen die Gerichte mit der Begründung, das alles seien bekanntlich auch Forderungen der SED. Dasselbe galt für Flugblätter, die sich gegen die beabsichtigte atomare Aufrüstung der Bundeswehr und gegen die geplanten Notstandsgesetze wandten. Auch das seien bekannte Schlagworte kommunistischer Propaganda.«

Für Kramer ist dies ein Gesinnungsstrafrecht, das auf die Staatsschutzgesetze aus dem Jahr 1950 zurückgeht – verdächtig ähnlich dem von den Alliierten abgeschafften NS-Staatsschutzrecht von 1934. Kein Zufall, denn an der Ausarbeitung beider Gesetze hatte Josef Schafheutle maßgeblichen Anteil. Der Jurist, Jahrgang 1904, war sozusagen übergangslos vom Berliner ins Bonner Justizministerium übergewechselt. 1945 gehörte er zu den Mitbegründern der CDU.

Die Kommunisten, aber auch Sozialdemokraten, Gewerkschafter und Pfarrer, die man während der Adenauer-Zeit als Staatsfeinde verurteilt hat, kämpfen bis heute für die Anerkennung des erlittenen Unrechts. Die Initiativgruppe zur Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges Niedersachsen setzte sich unter anderem für Walter Timpe ein. Mit Erfolg: Aufgrund einer Eingabe aus dem Jahre 2002 beschloss der Niedersächsische Landtag einstimmig, die Opfer anzuerkennen. Er entschuldigte sich im Namen des Landes Niedersachsen bei Timpe.

Ein später Neuanfang.

Die Autoren sind Wissenschaftsjournalisten und leben in Köln und in Rosbach bei Frankfurt a. M.

DIE ZEIT, 29.11.2007 Nr. 49

http://www.zeit.de/2007/49/A-Juristenprozess?page=all

 

 

 


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