Christian Dettmar

Solidarität mit Familienrichter Christian Dettmar.  


 

 

 

 


01. August 2025

Der unbeugsame Richter aus Weimar: „Es waren sehr, sehr belastende Jahre“

Interview

Ein Richter entscheidet gegen die Corona-Maßnahmen. Heute weiß man: Er hatte recht. Doch das half ihm nicht. Er verliert seinen Job. Gibt es Gerechtigkeit?

Franz Becchi
Michael Maier
01.08.2025

Christian Dettmar, ehemaliger Familienrichter Weimar für Berliner Zeitung Weimar, 30.07.2025Dominique Wollniok

Der Weimarer Familienrichter Christian Dettmar hat seinen Job verloren und steht vor dem Nichts. Er wurde rechtskräftig verurteilt, weil er in einem Urteil zum Maskenzwang Formfehler beging: Er hätte zu seiner Kommunikation mit den Betroffenen Aktenvermerke anlegen müssen. Plötzlich stand er als Verschwörer da. Keine Instanz beschäftigte sich mit der Sache an sich. Die von Dettmar angeforderten Gutachten wurden nicht gewürdigt– obwohl die RKI-Files und andere wissenschaftliche Erkenntnisse die Fragwürdigkeit der Maßnahmen im Nachhinein vollumfänglich bestätigten. Protokoll eines Falls, bei dem man den Glauben an die Gerechtigkeit verlieren könnte.

Herr Dettmar, wie sind Sie dazu gekommen, richterliche Anordnungen gegen den Maskenzwang und die Testpflicht in Schulen zu erlassen?

Ende 2020, Anfang 2021 sind immer wieder Eltern an mich herangetreten, manchmal in Sitzungspausen von Verhandlungen oder bei anderen Gelegenheiten. Sie haben mich gefragt, ob man nicht irgendetwas gegen diese Maßnahmen in den Schulen tun kann, die ihre Kinder und indirekt auch die Eltern extrem belasten. Ich hatte mich mit dem Thema bereits beschäftigt. Ich bin Anfang 2021 gemeinsam mit einem Kollegen hier aus Weimar dem Netzwerk „Kritische Richter und Staatsanwälte“ (KRiStA) als Gründungsmitglied beigetreten. Um eine rechtliche Maßnahme zu erwirken, kann ein Betroffener eine „Anregung“ einreichen.

Irgendwann hatte ich eine Anregung auf dem Tisch von einer Mutter, die zwei Söhne hier in zwei Weimarer Schulen hatte. Einen im Grundschulalter und einen in einer Regelschule, also in einer weiterführenden Schule. Sie hat angeregt, dass die Maßnahmen überprüft werden. Es ging um den Maskenzwang und das Testen. Ich habe das gemacht, was ich schon oft in meiner Berufskarriere gemacht habe. Ich habe ein einstweiliges Anordnungsverfahren eingeleitet und parallel dazu auch ein Hauptsacheverfahren. In dem Hauptsacheverfahren habe ich drei Gutachten eingeholt, nämlich von der Hygiene-Professorin Ines Kappstein, der Biologin Ulrike Kämmerer und dem Psychologen Christof Kuhbandner, die für verschiedene Fachrichtungen stehen.

Das Gericht hat Ihnen vorgeworfen, dass die Gutachter alte Bekannte von Ihnen seien. Stimmt das?

Ich hatte mich erst nur an Frau Prof. Kappstein gewendet. Ich habe ihr geschildert, welche Fragestellungen ich habe oder haben könnte. Das habe ich immer so gemacht. Wenn ich Sachverständige hatte, die ich noch nie bei mir im Saal hatte, dann habe ich die immer angerufen und zwei Fragen gestellt. Nämlich erstens, ob sie für bestimmte Fragestellungen von mir die notwendige, wissenschaftliche Expertise mitbringen. Und zweitens, ob sie auch ein mögliches Gutachten in einer vertretbaren Zeit erstellen können. Oft haben Gutachter nämlich gar keine Zeit. Diese Fragen hatte ich auch Frau Kappstein gestellt. Sie hat mir gesagt, dass sie für bestimmte, aber nicht für alle Fragen Expertise habe. Für die weiteren Fragen hat sie mich an die beiden Kollegen verwiesen. Von denen hatte ich zwar vorher schon gehört, kannte sie aber nicht. Ich habe also von drei Professoren mit verschiedenen Fragestellungen Gutachten eingeholt in dem Hauptsachverfahren. Die kamen dann. Sie waren die einzigen Gutachten, die es bis dahin zu der Thematik gab. Auf dieser Grundlage habe ich dann eine einstweilige Anordnung erlassen.

Der Urteil gegen Sie liest sich, als wäre das eine Verschwörung gewesen. Wer steckt hinter dem Netzwerk KRiStA?

Also das Wort Verschwörung ist völlig fehl am Platz. Das sind honorige Kollegen, also Staatsanwälte und Richter, entweder aktive oder auch im Ruhestand befindliche. Wir haben eine Homepage. Die kann jeder im Internet finden. Da steht auch unsere Satzung und unser Selbstverständnis. Wir veröffentlichen auf dieser Homepage seit mehreren Jahren inzwischen Beiträge zu rechtlichen Themen. Man kann auch Leserbriefe dazu schreiben. Es ist alles vollkommen transparent. Manche Leute versuchen, den Eindruck zu erwecken, KRiStA sei unseriös. Das ist grundfalsch.

Würden Sie sagen, dieses Netzwerk ist sozusagen eine Fachinformationsplattform, die es schon vor Ihrem Tätigwerden in der Maskensache gab?

Ja, das hat sich Anfang 2021 gegründet und meine Entscheidung stammt vom 8. April 2021.

Haben Sie den Gutachtern gesagt, was in deren Gutachten rauskommen soll?

Ich habe gesagt, welche Fragen ich habe, und ich habe mir erhofft, wie immer von Gutachtern, dass die in der Lage sind, mir die Fragen mit hoher wissenschaftlicher Qualität zu beantworten. Ich wollte Gutachten haben, die über jeden Zweifel erhaben sind.

Welche Fragen haben Sie gestellt?

Bei Frau Kappstein ging es vor allen Dingen um die Pflicht zum Maskentragen, ob das Tragen von Masken durch Laien im öffentlichen Raum, im Allgemeinen und von Kindern im Besonderen, irgendeinen Sinn habe. Bei Kuhbandner ging es um die Schäden, die Masken bei Kindern verursachen können. Bei Frau Kämmerer ging es um die Aussagekraft der PCR-Tests und der Schnelltests. Es gibt einen differenzierten Beweisbeschluss. Die Entscheidung, die ich getroffen habe, ist bei openJur veröffentlicht, wo das jeder nachlesen kann.

Haben die Gerichte beziehungsweise das Bundesverfassungsgericht diese Gutachten studiert oder zumindest gelesen?

Ob die sie gelesen haben, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Aber es hat sich inhaltlich bisher kein einziges Gericht mit den Gutachten beschäftigt. Auch nicht das Thüringer Oberlandesgericht, das meinen Beschluss aufgehoben hat. Dagegen wurde dann Rechtsbeschwerde eingelegt. Auch der Bundesgerichtshof in Zivilsachen hat sich nicht damit beschäftigt. Und das Landgericht Erfurt, das mich verurteilt hat, hat sich auch nicht damit beschäftigt, ebensowenig der Bundesgerichtshof in dem Verfahren gegen mich und das Bundesverfassungsgericht. Kein einziges Gericht hat die Gutachten gewürdigt. Die haben gemeint, das sei nicht nötig. Mit wurde lediglich vorgeworfen, dass ich Gutachten aus einer bestimmten Richtung beauftragt hätte.

Wurden die Gutachten nicht in den Plädoyers der Staatsanwaltschaft erwähnt?

Erwähnt nur in dem Zusammenhang, dass meine angebliche Voreingenommenheit auch darin zum Ausdruck komme, dass ich Gutachter aus einer bestimmten Richtung beauftragt habe.

Also mit dem Inhalt hat sich niemand befasst?

Das ist ja das Kuriose: Die Gutachterauswahl war einer der Vorwürfe, die mir gemacht wurden. Aber ob mir da wirklich ein Vorwurf gemacht werden kann, das hätte man nur feststellen können, wenn man sich mit den Gutachten inhaltlich beschäftigt. Das hat man aber nicht.

Es wurde Ihnen vorgeworfen, Sie hätten vorher gemauschelt. Das ist also unzutreffend?

Was bitte heißt mauscheln? Ich bin, soweit wir das überblicken, der erste Richter gewesen, zumindest im deutschsprachigen Raum, der überhaupt Gutachten eingeholt hat. Sie können ja einen solchen Beweisbeschluss nicht einfach mal irgendeinem Gutachter per Post schicken.

Die Gutachten sind deswegen so wichtig, weil sie im Grund zum gleichen Ergebnis wie die RKI-Protokolle kommen. Das hätten die Gerichte doch berücksichtigen müssen.

Die Gutachten haben sich in vollem Umfang bestätigt, wenn man als Maßstab nimmt, was jetzt nach der Veröffentlichung der RKI-Protokolle bekannt ist. Und das eigentliche Problem ist doch: Es wird immer gesagt, ja, mit dem Wissen von heute ist das doch klar, dass die Maßnahmen eben vielfach keiner kritischen Nachfrage standhalten. Aber mit dem Wissen von damals sei es halt nicht anders gegangen, da wusste man das alles noch nicht. Das stimmt einfach nicht. Die entscheidenden Punkte waren dem RKI schon von Anfang 2020 an bekannt. Es stellt sich die Frage, wenn das von Anfang an bekannt war und man es damals nicht nur besser hätte wissen können, sondern es sogar besser gewusst hat, warum trotzdem diese Maßnahmen angeordnet worden sind. Und das ist für mich die zentrale Frage, mit der sich eigentlich Untersuchungsausschüsse, Staatsanwaltschaften und Gerichte beschäftigen müssten.

Die Gutachten von Fachleuten hatten damals also schon dieselben Erkenntnisse wie das RKI?

Ja, was die Gutachter herausgefunden haben, das wusste das RKI damals auch schon, und heute wissen es eigentlich alle. Leider hat die Justiz bisher, soweit ich das sehe, die Veröffentlichung der RKI-Protokolle nicht genutzt, um eine Selbstkorrektur einzuleiten.

Es wurde Ihnen vorgeworfen, Sie hätten die Eltern selbst herangekarrt und ihnen beim Erstellen ihres Antrags geholfen.

Die Eltern waren mir völlig unbekannt. Drei oder vier Tage, bevor die Anregung eingegangen ist, hat mir ein Freund, der diese Eltern kannte – aber ich kannte sie eben nicht! –, die Anregung der Eltern geschickt. Er hat mich sinngemäß gefragt, ob man das so einreichen könne. Ich habe ein paar winzige redaktionelle Änderungen vorgenommen. Zum Beispiel habe ich gesehen, dass da irgendwas stand von Vorschriften aus Nordrhein-Westfalen, die ja in Thüringen nicht einschlägig sind. Aber im Grunde wäre es auch egal gewesen, es hätte ein Satz als Anregung genügt. Ich hätte ja das Verfahren auch ganz ohne Anregung eröffnen können.

Ich bin vielfach gefragt worden, warum ich eigentlich auf eine solche Anregung gewartet habe. Dafür gibt es einen guten Grund. Ich habe vorhin schon erwähnt, dass viele Eltern mich angesprochen haben, ob und was man gegen die Maßnahmen tun könne. Das hätte ich ja zum Anlass nehmen können, rein theoretisch sozusagen, na gut, dann leite ich jetzt mal Verfahren ein. Ich muss nicht auf eine Anregung warten. Ich kann das von Amts wegen tun. Viele Eltern haben aber gesagt, sie haben Angst, dass ihre Kinder durch den Kakao gezogen werden, dass sie dann eine schlechte Behandlung vielleicht in ihrer Schule erfahren, wenn sie keine Masken tragen.

Ich wollte nicht ein solches Verfahren Kindern und Eltern aufzwingen, die sagten: Wir sind zwar nicht mit den Maßnahmen einverstanden, aber bevor unser Kind in der Klasse gemobbt wird, ertragen wir es lieber still und wütend. Ich wollte Eltern haben, die ganz bewusst zu dem Verfahren stehen und habe deswegen gewartet, bis Eltern das ausdrücklich anregen. Rechtlich nötig wäre es nicht gewesen.
Christian Dettmar, ehemaliger Familienrichter Weimar für Berliner Zeitung Weimar, 30.07.2025
Christian Dettmar, ehemaliger Familienrichter Weimar für Berliner Zeitung Weimar, 30.07.2025Dominique Wollniok

Es wurde Ihnen vorgeworfen, befangen zu sein, weil Sie mit den Eltern gesprochen haben.

Es ist in der Fachkommentarliteratur zum Familienrecht in mehreren Kommentaren ausdrücklich ausgeführt, dass nicht nur der Beamte in der Geschäftsstelle oder der Rechtspfleger, sondern auch ich als zuständiger Familienrichter selber eine solche Anregung aufnehmen darf. Und ich soll sogar darauf hinwirken, dass der mutmaßliche Wille des Anregers erfragt wird. Und soll für eine klare Formulierung des Begehrens sorgen. Das ist ausdrücklich in der Kommentarliteratur ausgeführt. Und das Interessante ist ja, dass der BGH in seiner Entscheidung mir auch ausdrücklich zugestanden hat, dass es so ist. Er hat gesagt, ja, ich durfte an der Formulierung dieser Anregung mitwirken und da Hilfestellung geben. Aber, und jetzt kommt das, was mir der BGH vorwirft, ich hätte darüber einen Aktenvermerk machen müssen. Das hätte ich unterlassen. Und das ist der Vorwurf des BGH.

Es kann halt nicht jeder so sorgfältig arbeiten wie Frau von der Leyen, die über jeden ihrer Deals genaueste Aktenvermerkte anlegt. Sie haben die Anregung für zwei Kinder aus einer Familie erlassen, aber gleichzeitig auch für zwei Klassen, also für mehrere Schüler.

Wenn man es ganz genau nimmt, das waren zwei Schulen, eine Regelschule und eine Grundschule. Ich habe die Anordnung für die beiden Kinder und alle Kinder an beiden Schulen erlassen.

Damit haben Sie allen Kindern, die das auch wollten, die Möglichkeit gegeben, sich den Maßnahmen nicht auszusetzen?

Ich habe ja nicht nur die Gutachten eingeholt. Ich habe für diese beiden Kinder auch einen Verfahrensbeistand bestellt, eine Rechtsanwältin. Es ist im Gesetz geregelt, dass das in bestimmten Fällen passieren kann oder auch passieren muss. Dieser Verfahrensbeistand ist eine Art Anwalt der Kinder, der muss und soll deren Interessen wahrnehmen. Die Rechtsanwältin hat mir einen ausführlichen Bericht über die Situation der beiden Kinder geliefert. Teile davon sind auch in meiner Entscheidung abgedruckt. Aus dem Bericht wurde für mich deutlich, dass die Lage nicht nur für die beiden Kinder, sondern für alle Kinder an diesen beiden Schulen gleich ist. Das hat mich dazu bewogen, nicht nur für diese beiden Ursprungskinder, wenn ich sie so nennen darf, sondern auch für ihre Mitschüler an beiden Schulen eine Entscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung zu erlassen.

Und diese Entscheidung ist so gewesen, dass man sagte, okay, wer trotzdem freiwillig Maske tragen will, sich testen will, kann das tun?

Wichtiger Punkt, der häufig falsch berichtet wurde. Ich habe ja nicht „verboten“, dass Kinder Maske tragen oder sich testen, sondern nur verboten, dass ihnen das vorgeschrieben wird. Wer das freiwillig tun wollte, hätte das jederzeit weiter machen können.

Dann haben Sie diese Anordnung rausgegeben, was ist danach passiert?

Die wurde gar nicht umgesetzt.

Oh. Warum?

Das ist eine gute Frage. Das Ministerium hat vermutlich darauf hingewirkt, dass das nicht umgesetzt wird. Es wurden dann auch Rechtsmittel eingelegt.

Aber wenn Sie einen Beschluss machen und der wird rechtsverbindlich, dann hätten wir gedacht, dass man sich zunächst mal dran halten muss, bis der aufgehoben wird.

Nageln Sie mich nicht darauf fest, ich kann Ihnen nicht genau sagen, ob der vielleicht doch für einen halben Tag umgesetzt wurde. Soweit ich weiß, wurde meine Entscheidung überhaupt nicht umgesetzt und es wurden dann Rechtsmittel eingelegt durch den Freistaat Thüringen und das Thüringer Oberlandesgericht hat dann meine Entscheidung aufgehoben.

Ihnen wurde unter anderem vorgeworfen, dass die Verwaltungsgerichte für einen solchen Beschluss zuständig seien und nicht ein Familiengericht.

Das war zum Zeitpunkt meiner Entscheidung rechtlich völlig ungeklärt. Meine Entscheidung hat sich da auf eine bestimmte gesetzliche Bestimmung gestützt, nämlich den § 1666 Absatz 4 BGB, wonach ich auch Entscheidungen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen kann. Wer ein solcher Dritter ist, zum Beispiel hier die Lehrer und Direktoren oder die Schulverwaltung, und ob ich denen als Familienrichter eine solche Weisung erteilen kann oder nicht, war zum damaligen Zeitpunkt völlig ungeklärt. Erst heute gibt es durch meinen Fall obergerichtliche Rechtsprechung dazu.

Sie hatten also den Beschluss gefasst. An wen erging der?

Der ging an alle Beteiligten. An die Eltern, die das angeregt haben. Es ging an die beiden Schulen, an den Freistaat Thüringen, an die Rechtsanwältin, die als Verfahrensbeistand der Kinder eingesetzt war, an das Jugendamt.

Ein breiter Kreis. Eigentlich hätte jetzt jeder in der Schule sagen können: Hier ist ein richterlicher Spruch, es braucht hier überhaupt niemand Maske zu tragen, richtig?

Ja, aber so war es eben wohl nicht, weil der Beschluss, soweit ich gehört habe, nicht umgesetzt wurde.
An den Kleiderhaken im Flur einer Grundschule in Rietberg hängen Masken, die vor einer Infektion mit dem Coronavirus schützen sollen.
An den Kleiderhaken im Flur einer Grundschule in Rietberg hängen Masken, die vor einer Infektion mit dem Coronavirus schützen sollen.Kirchner-Media/imago

Aber das heißt, irgendjemand muss den Eltern und Lehrern gesagt haben, ja, ihr habt zwar einen Beschluss von einem unabhängigen Richter, aber der gilt nicht. Richtig?

Wer da was genau gesagt hat, da kann ich jetzt auch nur mutmaßen. Jedenfalls wurde im Ergebnis der Beschluss nicht umgesetzt.

Innerhalb einer Woche hat dann das Land Thüringen Beschwerde eingelegt.

Damit waren dann die Schulen fein heraus. Sie haben gesagt, hier ist eine Beschwerde, wir haben nichts mehr damit zu tun.

Als nächstes kamen die Hausdurchsuchungen?

Die erste Hausdurchsuchung, ich hatte zwei, kam ziemlich schnell. Die war noch im April 2021, und dann gab es nochmal eine zweite im Juni 2021. Die Entscheidung war am 8. April, die Hausdurchsuchung am 26. April, also nur zwei Wochen später.

Wie ist die abgelaufen? Die standen bei Ihnen morgens früh vor der Haustür, wieviele Polizisten waren da, waren die vermummt?

Vermummt waren sie nicht, aber es waren eine ganze Reihe. Es war ein Staatsanwalt dabei, es waren mehrere Polizisten dabei und die haben den Durchsuchungsbeschluss vorgezeigt und haben dann halt meine Wohnung und auch mein Büro und mein Auto durchsucht.

Was haben Sie damals gedacht?

Ich war völlig überrascht. Ich hatte damit gerechnet, dass über meine Entscheidung diskutiert wird und dass vor allem die Sachdiskussion in Gang kommt, dass man darüber spricht, ob diese Maßnahmen aufrechterhalten werden können. Aber ich hätte im Leben nicht erwartet, dass jetzt ein Ermittlungsverfahren gegen mich in Gang kommt.

Wie war Ihre Reaktion?

Ich war alleine bei der Hausdurchsuchung und ich war erschreckt und völlig verblüfft und musste das erstmal verdauen. Ich erfuhr ja erst in diesem Moment, dass ein Ermittlungsverfahren gegen mich läuft. Sie haben ja auch keinen ruhigen Moment, um das zu verdauen, denn um Sie herum läuft ja die Durchsuchung.

Haben die die Wohnung richtig auf den Kopf gestellt oder höflich nach dem Computer gefragt?

Also, die haben sich einigermaßen zivilisiert verhalten, das kann ich schon sagen, aber sie haben halt nach allem Möglichen gesucht: Ich hatte den Eindruck, dass die zwar vordergründig wussten, was sie suchen – Telefone, Computer –, aber im Tieferen eigentlich selber nicht genau wussten, wonach sie suchen sollen.

Haben Sie darüber mit der Polizei geredet oder schließen Sie das aus dem Zusammenhang?

Naja, ich habe zum Beispiel gesehen, die haben aus meinem Papierkorb irgendeinen Zettel rausgezogen. Da hatte ich einen Paragrafen notiert, nur den Paragraf so und so, ich weiß nicht mehr, in welchem Zusammenhang. Das mache ich ja schon seit Jahrzehnten so, wahrscheinlich habe ich da über irgendwas nachgedacht und mir eine Notiz gemacht. Und dann gucken die den Zettel an und überlegen sich, ist das nun eine Spur oder nicht? Das hat mir gezeigt, eigentlich wissen die nicht, wonach die suchen sollen.

Danach sind sie wieder abgezogen mit Ihren Computern?

Also mein dienstlicher Computer, der steht ja nicht bei mir zu Hause, sondern im Büro. Der wurde natürlich auch durchsucht. Da war auch eine Gruppe von Beamten und Staatsanwälten, die mein Büro durchsuchten. Die haben sich natürlich auch meinen Dienstcomputer angeschaut.

Es wurde behauptet, auf Ihrem privaten Computer sei nichts mehr zu finden gewesen, weil Sie ein neues Betriebssystem draufgespielt hätten.

Das ist nicht richtig. Mein Computer, den ich damals hatte, der war schon steinalt und hätte gar kein neues Betriebssystem mehr akzeptiert. Der hat auch keine Software-Updates mehr akzeptiert. Und dann ging er auch noch kaputt und deswegen habe ich ihn ersetzt. Also es war nicht ein neues Betriebssystem, sondern ein neuer Computer, ein neuer Laptop, um genau zu sein. Der hatte natürlich auch ein neues Betriebssystem.

Wie ging es dann weiter?

Ich habe noch bis Januar 2023, also noch ungefähr eindreiviertel Jahre, voll weitergearbeitet, auch mit unverändertem Aufgabenzuschnitt in meinem Dezernat. Erst im Januar 2023 wurde ich vorläufig vom Dienst suspendiert.

Sie wurden suspendiert, nachdem die ganze Pandemie schon vorbei war? Nachdem alle schon eine ganz andere Erkenntnislage hatten?

Ich kann hier nur Vermutungen anstellen, dass sich das Ermittlungsverfahren so lange hingezogen hat, weil die Staatsanwaltschaft ewig damit beschäftigt war, ihre Daten auszuwerten. Es gab ja auch noch Hausdurchsuchungen bei einem Kollegen und bei den Eltern, bei den Gutachtern und bei zahlreichen Personen. Und da fallen natürlich jede Menge Computer, Mobiltelefone und anderes an. Auch bei der Anwältin, die als Verfahrensbeistand der Kinder aufgetreten ist, gab es eine Hausdurchsuchung.

Ist das eigentlich okay, dass man bei einer Anwältin so vorgeht?

Also, ich finde das nicht okay. Ich habe ja schon gesagt, ich weiß nicht, wonach man eigentlich gesucht hatte. Mein Anwalt Dr. Strate hat einmal gesagt, das einzige „Tatwerkzeug“ von mir ist der Beschluss, den ich gefasst habe. Und den muss man nicht suchen, der steht in der Akte. Da hätte man einfach reingucken müssen.

Sie wurden dann verurteilt, die Berufung und das Verfassungsgericht haben auch letztinstanzlich praktisch alles abgeschmettert, richtig?

Ich wurde im August 2023 erstinstanzlich verurteilt. Dagegen gibt es keine Berufung, sondern wir haben Revisionen zum Bundesgerichtshof eingelegt. Am 20. November 2024 hat der Bundesgerichtshof seine Entscheidung verkündet, nämlich unsere Revision und auch die der Staatsanwaltschaft zu verwerfen.

Und jetzt sind Sie endgültig raus aus dem Dienst, haben alles verloren, Ihre Renten, Bezüge, alles?

Mit der Verkündung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs am 20. November 2024 wurde meine Verurteilung, die vorher durch das Landgericht Erfurt erfolgte, rechtskräftig. Ich bin also kein Richter mehr, auch kein Richter außer Dienst, sondern gar keiner mehr. Ich erhalte auch keine Bezüge mehr. Ich bin vollkommen aus dem Justizdienst ausgeschieden.
Christian Dettmar, ehemaliger Familienrichter Weimar für Berliner Zeitung Weimar, 30.07.2025
Christian Dettmar, ehemaliger Familienrichter Weimar für Berliner Zeitung Weimar, 30.07.2025Dominique Wollniok

Wovon leben Sie jetzt?

Von der Unterstützung freundlicher Menschen um mich herum. Ich darf ja auch nicht als Anwalt arbeiten. Ich habe keine Anwaltszulassung und würde die auch über Jahre hinaus nicht bekommen. Ich darf auch nicht für irgendeine Partei, egal für welche, zur Wahl antreten. Das ist eine Nebenfolge meiner Verurteilung, dass ich ein solches Amt, ich glaube, für fünf Jahre nicht antreten dürfte. Also da bin ich schon einigermaßen gehandicapt.

Sie wirken dennoch nicht verbittert, sondern freundlich, fröhlich, ausgeglichen. Ist das alles Show, oder haben Sie irgendwas in der Hinterhand, womit Sie sagen, Sie können mit der Situation umgehen?

Das ist keine Show. Das waren schon sehr, sehr belastende Jahre für mich. Aber im Moment komme ich klar und freue mich darüber, dass es Menschen gibt, die mich unterstützen. Das gibt mir Halt.

Fühlen Sie sich gesellschaftlich geächtet oder sehen Sie sich eher als ein stillen Helden?

Ich sehe mich nicht als Held, auch nicht als stillen. Ich habe nur versucht, meine Arbeit zu machen. Die gesellschaftliche Spaltung, die nehme ich wahr, aber da habe ich nichts Besonderes zu erzählen. Das können Millionen andere Menschen in Deutschland, und nicht nur in Deutschland, auch erzählen.

Haben Sie eigentlich noch eine Chance auf den Rechtsweg, etwa auf der europäischen Ebene?

Das müssen wir noch besprechen und bedenken. Es gäbe einen Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dem EGMR.

Würden Sie auch heute wieder so entscheiden wie damals, mit dem Wissen über alles, was Ihnen danach widerfahren ist?

Ich würde dasselbe machen wie damals, nämlich alles sorgfältig zu prüfen und dann eine Entscheidung zu treffen. Es gibt ja auch Unterschiede zur damaligen Situation. Heute gibt es obergerichtliche Rechtsprechung, zum Beispiel zur tatsächlichen oder vermeintlichen Zuständigkeit. Die gab es damals noch nicht.

Hinweis zum Nachhören: Im folgenden Video ist die Begründung des BGH zu hören. Es wird klar, dass sich der BGH das Narrativ der Vorinstanzen zu eigen macht, es habe sich beim Vorgehen des Richters um eine Art hinterlistige Verschwörung gehandelt. An keiner Stelle erwähnt der BGH den Inhalt der Gutachten, geschweige denn die Erkenntnisse aus den RKI-Files. Der BGH insinuiert die Möglichkeit einer Rechtsprechung quasi im luftleeren Raum, diskreditiert ohne Sachgrundlage die Gutachter („ein Gutachter hat sich zuvor kritisch geäußert“) und ignoriert die Tatsache, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung eine öffentliche Debatte über die Maßnahmen von politischer Seite teils mit brachialen Methoden („Panikpapier“ des Innenministeriums) unterbunden wurde. Der Senat des BGH hält die in keiner Weise belegte Möglichkeit aufrecht, der Richter habe sich gar nicht für das Kindeswohl interessiert. Er schlägt sich letztlich auf die Seite des Freistaats Thüringen, der durch die Anregung des Richters Nachteile erfahren habe. Worin diese Nachteile bestanden haben, erläutert der BGH nicht. Es entsteht der Eindruck, dass die Justizorgane in diesem Verfahren - ungeachtet ihrer Verpflichtung zur Neutralität, die gegenüber dem Richter mit Pathos angemahnt wird - der unbedingten Durchsetzung der staatlichen Maßnahmen auch „ex post“ und ohne Würdigung von sachbezogenen, neuen Erkenntnissen den Vorrang einräumen wollten.

https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/fall-christian-dettmar-verurteilter-richter-corona-massnahmen-wuerde-dasselbe-tun-li.2345560


 

 


 


Entscheidung vertagt. Die Revisionshauptverhandlung im Strafverfahren gegen Christian Dettmar

04.09.2024

Matthias Guericke

Am 28.08.2024 fand vor dem 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe die Revisionshauptverhandlung im Verfahren gegen Richter Christian Dettmar statt. Dass im Revisionsverfahren eine Hauptverhandlung stattfindet, ist eher selten, war hier aber vom Generalbundesanwalt, der Staatsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof, selbst beantragt worden. Der Autor hat die Verhandlung im Saal verfolgt.1

Zur Erinnerung: Richter Dettmar war am 23.08.2023 vom Landgericht Erfurt zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Staatsanwaltschaft Erfurt hatte in ihrem Plädoyer zuvor eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren gefordert, die von Gesetzes wegen (§ 56 StGB) nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Sie wollte den Angeklagten im Gefängnis sehen. Gegen das Urteil legte sodann nicht nur der Angeklagte, sondern auch die Staatsanwaltschaft Erfurt Revision ein.

Fast genau ein Jahr später nun die Revisions­haupt­verhandlung. In der Revisionsinstanz geht es nur um Rechtsfragen, nämlich darum, ob in dem erstinstanzlichen Prozess Gesetzesnormen über das Verfahren verletzt wurden und das Urteil auf der Gesetzesverletzung beruht und/oder ob die von dem Gericht getroffenen Feststellungen zur Tat den Schuldspruch und den Strafausspruch tragen können, das Gericht also auf den von ihm festgestellten Sachverhalt das Recht zutreffend angewandt hat. Ersteres wird von der Partei, die Revision eingelegt hat, dem Revisionsführer, mit der Verfahrensrüge geltend gemacht, letzteres mit der Sachrüge. Neue Tatsachenerhebung, etwa durch die Vernehmung weiterer Zeugen oder die Einholung von Sachverständigengutachten, findet dagegen – anders als in der Berufungsinstanz – in der Revisionsinstanz nicht statt. Kommt das Revisionsgericht zu der Auffassung, dass weitere Feststellungen erforderlich sind, um die Schuldfrage zu beantworten, hebt es das Urteil auf und verweist das Verfahren an das Landgericht zurück, damit dieses in einem – im Grundsatz wieder bei null beginnenden, aber an die Vorgaben der Revisionsentscheidung gebundenen – neuen erstinstanzlichen Prozess diese Tatsachenerhebung nachholt.

In der Revisions­haupt­verhandlung kann es also für den oder die Revisionsführer nur darum gehen, rechtliche Argumente vorzutragen, mit denen der bereits in Schriftsätzen vorgetragene Angriff auf das Urteil weiter untermauert wird. Das Gericht selbst kann ihm ungeklärt oder strittig erscheinende Rechtsfragen zur Diskussion stellen und die Auffassung der Parteien dazu erfragen. Da die Parteien in aller Regel bereits im Vorfeld umfangreich schriftlich vorgetragen haben, ist in der Verhandlung für die informierten Beteiligten nicht unbedingt Neues zu erwarten.

Aus diesen Umständen erklärt sich, dass Revisionshauptverhandlungen meist ruhig, sachlich und sehr respektvoll ablaufen. Emotionale Auftritte, die man in erstinstanzlichen Verhandlungen erleben kann, haben hier eher keinen Ort. Auch die Revisionsverhandlung am 28.08.2024 entsprach diesen Erwartungen. Nach einem einführenden Bericht des Berichterstatters des Senats, der im Wesentlichen nur das erstinstanzliche Urteil zusammenfasste, trug Rechtsanwalt Dr. Strate, der Wahlverteidiger des Angeklagten, etwa eine Viertelstunde lang rechtliche Überlegungen vor, wobei er sich auf die Frage, ob Behörden Dritte i. S. v. § 1666 Abs. 4 BGB sein können, fokussierte. Der Pflichtverteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Tuppat, ergänzte diese Ausführungen mit einem knappen Hinweis auf die nach dem Urteil des Landgerichts Erfurt zwischenzeitlich veröffentlichten Protokolle des RKI-Krisenstabes (RKI-Files), die die Bewertung der Coronamaßnahmen durch den Angeklagten in seinem strittigen Beschluss vom 08.04.2021 bestätigt hätten. Im Anschluss erhielt der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Staatsanwalt beim BGH Dr. Handschell, das Wort. Es folgten Fragen von mehreren Mitgliedern des Senats an Dr. Strate, die auf dessen Ausführungen Bezug nahmen und Fragen an Dr. Handschell. Nach einer Stunde war die Verhandlung auch schon vorbei.

Das Interessanteste war zweifellos der Antrag und die – in der Verhandlung allerdings nur angedeuteten – rechtlichen Erwägungen des Generalbundesanwalts. Denn der Generalbundesanwalt vertrat – im Unterschied zur Staatsanwaltschaft Erfurt – die Auffassung, dass die vom Landgericht Erfurt in seinem Urteil vom 23.08.2023 getroffenen Feststellungen den Schuldspruch nicht tragen können, das heißt, dass das Landgericht Erfurt den Angeklagten aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen nicht hätte verurteilen dürfen. Das kann man durchaus als Paukenschlag bezeichnen. Gleichzeitig vertrat der Generalbundesanwalt aber die Auffassung, dass die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen Rechtsbeugung nicht ausgeschlossen sei. Dazu müssten aber weitergehende Feststellungen zum subjektiven Tatbestand, d. h. zur Frage des Vorsatzes des Angeklagten, getroffen werden, weshalb er Aufhebung und Rückverweisung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Erfurt beantragte.

Um dies im Detail zu verstehen, muss man die zuvor eingereichte schriftliche Stellungnahme des Generalbundesanwalts kennen. Dort wird folgende Rechtsauffassung vertreten:

Das Landgericht habe bei seinem Urteil allein auf einen Verstoß des Angeklagten gegen die Pflicht zur Selbstanzeige gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 FamFG in Verbindung mit § 42 Abs. 1, Abs. 2, § 48 ZPO abgestellt. Dieser Verstoß liege zwar tatsächlich vor, er stelle aber keinen elementaren Rechtsverstoß im Sinne der Rechtsprechung des Bundegerichtshofs zu § 339 StGB dar. Die Verletzung der Pflicht zur Selbstanzeige habe keine konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung zum Vor- oder Nachteil eines Verfahrensbeteiligten zur Folge gehabt.2 Es komme aber hinzu, dass der Angeklagte mit dem von ihm eingeleiteten Verfahren die Rechtswegzuständigkeit der Verwaltungsgerichte verletzt habe und die Summe der beiden Rechtsverstöße könnte einen für eine Rechtsbeugung ausreichenden elementaren Rechtsverstoß ergeben.3 Allerdings habe die Strafkammer keine Feststellungen zum Vorsatz hinsichtlich der Rechtswegzuständigkeit getroffen, was (nach Rückverweisung) nachzuholen sei.

Was ist von diesen Darlegungen zu halten? – Die Frage, ob Richter Dettmar eine Selbstanzeige hätte anbringen müssen, ist auf dieser Webseite andernorts bereits intensiv erörtert worden.4 Dies soll hier nicht wiederholt werden. Ebenso ist die Frage der Rechtswegzuständigkeit in allen Aspekten ausführlich dargestellt worden.5 Zu dieser Frage dennoch einige Ergänzungen:

Der Generalbundesanwalt vermischt bei dem Vorwurf der Zuständigkeitsanmaßung – wie schon zuvor das Oberlandesgericht Jena und der 12. Zivilsenat des BGH – die Frage der Rechtswegzuständigkeit mit der Frage, ob Dritte im Sinne des § 1666 BGB auch Behörden sein können. Dass das von Amts wegen eingeleitete Kinderschutzverfahren nach § 1666 BGB ein familiengerichtliches Verfahren ist, für das nur die Familiengerichte zuständig sind, ist geradezu tautologisch. Das hat letztlich auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 21.06.2021 (6 AV 4/21) ausgesprochen, was vom Generalbundesanwalt jetzt aber genauso übergangen wurde wie zuvor schon vom 12. Zivilsenat des BGH (Beschluss vom 03.11.2021, XII ZB 289/21, NZFam 2022, 63).6 Davon zu unterscheiden ist die Frage, welche Kompetenzen sich für den Familienrichter aus § 1666 BGB ergeben, insbesondere, ob er auch Gebote und Verbote gegenüber Trägern hoheitlicher Gewalt aussprechen darf, diese also Dritte i. S. v. § 1666 Abs. 4 BGB sein können.7 Diese Frage stand, wie erwähnt, auch im Zentrum des Vortrages der Verteidigung in der Revisionsverhandlung. Rechtsanwalt Dr. Strate versuchte dabei, den Gedanken stark zu machen, dass es nicht plausibel sei, dass das maßgeblich den Familiengerichten anvertraute staatliche Wächteramt über das Kindeswohl dort eine strikte Grenze finden soll, wo Träger hoheitlicher Gewalt kindeswohlgefährdend handeln.

Ein Rechtsverstoß, an den ein Rechtsbeugungsvorwurf anknüpfen kann, setzt als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung, voraus, dass sich eine getroffene Entscheidung als unvertretbar8 bzw. – bei Verfahrensverstößen – ein prozessuales Handeln des Richters als zweifellos rechtswidrig erweist. Die Rechtswidrigkeit muss evident sein. Wo noch diskutiert wird, ist Rechtsbeugung von vornherein ausgeschlossen. Unvertretbar ist eine Rechtsauffassung aber nicht etwa schon dann, wenn sie nicht von der Mehrheit der Gerichte geteilt wird oder wenn der Bundesgerichtshof sie abgelehnt hat. Ein Amtsgericht kann ohne weiteres entgegen der Rechtsauffassung des BGH entscheiden, es sollte nur Gründe dafür vorbringen können. (Allerdings ist das Risiko, dass die Entscheidung in der nächsten Instanz aufgehoben wird, dann selbstverständlich hoch).

Der 12. Zivilsenat hat die Frage, ob Dritter i. S. v. § 1666 Abs. 4 BGB auch Behörden sein können, in seinem Beschluss vom 03.11.2021 mit der Begründung verneint, dies würde einen Eingriff in das Gewaltenteilungsprinzip bedeuten, für den es an der erforderlichen Rechtsgrundlage fehle. Insbesondere legitimierten die §§ 1666, 1666a BGB i. V. m. dem staatlichen Wächteramt einen solchen Eingriff nicht. Dass dieses Argument keinesfalls zwingend ist und am Ende sogar zirkulär wird, ist nicht zu übersehen. Legislative, Exekutive und Judikative sind nicht strikt getrennt, sondern vielfältig miteinander verschränkt. Die Verwaltungsgerichte sind explizit dazu berufen, in staatliches Handeln durch gerichtliche Entscheidungen einzugreifen und auch der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist das nicht fremd, wie das gerichtliche Bußgeldverfahren zeigt. Man kann es also so sehen wie der Bundesgerichtshof, aber auch anders. Eindeutig wäre die Sache nur, wenn in § 1666 Abs. 4 BGB auf Satz 1 noch der Satz: „Behörden und andere Träger hoheitlicher Gewalt sind nicht Dritte im Sinne dieser Vorschrift“ folgen würde.

Dem „Zuständigkeitsstreit“ ist damit unter keinem der beiden zu differenzierenden Gesichtspunkte der Vorwurf eines Rechtsverstoßes zu entnehmen, der zu der vom Generalbundesanwalt als nötig – und zulässig – erachteten Summenbildung mit dem Vorwurf der unterlassenen Selbstanzeige herangezogen werden könnte, um das erforderliche Gewicht für einen Rechtsbeugungsvorwurf zu erreichen. Auf die – nach Auffassung des Generalbundesanwaltes – im Urteil der Strafkammer unterbliebenen Feststellungen zum subjektiven Tatbestand kann es daher nicht ankommen, so dass für eine Rückverweisung kein Grund besteht.

Ob der Senat bei seiner Entscheidungsfindung die Stellungnahme des Generalbundesanwalts für maßgeblich erachtet oder ob er bereits von der entgegenstehenden Argumentation der Verteidigung überzeugt ist, ist für Außenstehende nicht zu beurteilen. Der Senat hat in der Verhandlung – jedenfalls nach Einschätzung des Autors – insoweit kaum Tendenzen erkennen lassen. Anders als in den meisten Fällen erging das Urteil auch nicht am Tag der Revisions­haupt­verhandlung, sondern die Entscheidung wurde vertagt. Erst am 20. November soll das Urteil verkündet werden.
Endnoten

1
Der Beitrag bemüht sich um Verständlichkeit auch für Leser, die nicht vom Fach sind. Er setzt aber die beiden auf dieser Webseite früher veröffentlichten Artikel zur Anklage und zum Urteil in dem Verfahren gegen Christian Dettmar zumindest in Teilen voraus.
2
Der Generalbundesanwalt vermischt hier tatbestandsmäßige Handlung und tatbestandsmäßigen Erfolg: Dass kein elementarer Rechtsverstoß vorliegt, begründet er gleich im nächsten Satz damit, dass keine konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung zum Vor- oder Nachteil eines Verfahrensbeteiligten vorgelegen habe. Dogmatisch richtig muss die Frage, ob ein elementarer Rechtsverstoß gegeben ist, unabhängig von der Frage nach dem Vor- oder Nachteil für eine Partei beantwortet werden. Erst nachdem sie positiv beantwortet wurde, stellt sich die Frage nach dem tatbestandsmäßigen Erfolg.
3
Ob eine solche Summenbildung möglich ist und damit aus zwei (oder mehreren) nicht ausreichend gewichtigen Rechtsverstößen ein „elementarer Rechtsverstoß“ werden kann, ist äußerst zweifelhaft; abgelehnt in Nur ein Schwächeanfall der Justiz? Noch einmal: Das Urteil des Landgerichts Erfurt gegen Christian Dettmar, Abschnitt 4.
4
Nur ein Schwächeanfall der Justiz? Noch einmal: Das Urteil des Landgerichts Erfurt gegen Christian Dettmar, Abschnitt 3.
5
Die Anklage der Staatsanwalt­schaft Erfurt gegen den Weimarer Familienrichter Christian Dettmar. Eine kritische Analyse, Abschnitt 3.
6
Ebd.
7
Ebd., Unterabschnitt „Nachtrag: Die inhaltliche Reichweite des § 1666 Abs. 4 BGB“.
8
BGH, 29.11.2022, 4 StR 149/22, juris, Rn. 14.

BGH, Rechtsbeugung, Rechtsweg



https://netzwerkkrista.de/2024/09/04/entscheidung-vertagt/


8 Kommentare

Obiter Dicdum auf 7. September 2024 bei 12:00 #

“Wie wird das Bundesverfassungsgericht jetzt entscheiden?

Juristisch hat das Bundesverfassungsgericht jetzt kaum mehr Spielraum. Aber es sollte den Schwarzen Peter der Letztentscheidung als goldene Brücke sehen, die eigene Restglaubwürdigkeit wieder aufzubauen und die gänzlich entgleiste Corona-Debatte wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen. Das geht nur, wenn das Bundesverfassungsgericht über sich und auch über die Sachfrage hinauswächst.

Ohne Fremdschutz der Impfung war der Impfzwang eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit. Das Tätigkeitsverbot ist eine subjektive Berufswahleinschränkung, die ebenfalls nicht durch wichtige Gemeinwohlbelange (Fremdschutz entfällt) gerechtfertigt ist. Doch es geht nicht nur darum, wie das Bundesverfassungsgericht jetzt entscheidet, sondern in welcher Form das geschieht.

Die Erwartungen sind hoch: Die Corona-Jahre offenbarten eine Überforderung und ein Versagen des Bundesverfassungsgerichts. Sowohl das Urteil zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht als auch besonders das Urteil zur Bundesnotbremse gelten als Tiefpunkte der Rechtsprechung der letzten Jahrzehnte. Aus diesem Tief muss sich das höchste Gericht nun erst herausarbeiten. Das Bundesverfassungsgericht ist jetzt gefragt, das Verhältnis von rechtlicher Entscheidung und wissenschaftlicher Evidenz neu zu kalibrieren, schlicht Orientierung zu schaffen.

Darin liegt eine Chance, das Tor der Debatte über staatliche Verfehlungen aufzustoßen und endlich die längst überfällige Aufarbeitung anzugehen. Das Bundesverfassungsgericht kann diesen Vorlagebeschluss aus Osnabrück als Basis nehmen, um grundsätzliche und überfällige Ausführungen auch über die Streitfrage hinaus zu liefern (obiter dictum). In einem Verwirrspiel der Verantwortungslosigkeit braucht es nun ein Machtwort. Falls dieses ausbleibt, droht ein Fiasko. Das Bundesverfassungsgericht muss sich jetzt entscheiden, was es retten will: Die eigene Restglaubwürdigkeit oder ein doktrinäres Corona-Narrativ. Beides gleichzeitig geht nicht.

Es genügt in Deutschland scheinbar nicht, Gesetze und Prinzipien zu haben und zu kennen. Es braucht immer noch eine Autorität, die sie ausspricht. Autoritätsspruch ersetzt Autoritätsspruch. Das ist noch nicht der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, aber vielleicht der Beginn eines heilsamen Erwachens aus einem Pandemiealbtraum.”

https://www.freischwebende-intelligenz.org/p/beendet-das-bundesverfassungsgericht

 

 

 


 

 

Nur ein Schwächeanfall der Justiz? Noch einmal: Das Urteil des Landgerichts Erfurt gegen Christian Dettmar

15.12.2023

Das Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte hat sich bereits in zwei Beiträgen zum Strafverfahren gegen den Weimarer Amtsrichter Christian Dettmar geäußert: Der erste Artikel analysierte die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Erfurt (im Folgenden: Artikel zur Anklage), der zweite kommentierte kurz nach Verkündung das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 23.08.2023 (im Folgenden: Artikel zur Urteilsverkündung). Zwei Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen Rechtsbeugung, so lautete das Urteil der 2. Strafkammer des Landgerichts, das nicht rechtskräftig ist. Inzwischen liegt die schriftliche Urteilsbegründung vor.1 Dies ist der Anlass für diesen Beitrag. In ihm soll die Argumentation der Kammer nachgezeichnet und der Kritik unterzogen werden. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, wie ein solches Urteil überhaupt möglich ist: Ist es allein durch Unvermögen zu erklären oder muss man auch nach anderen Gründen suchen?

Der Beitrag setzt die beiden früheren Artikel inhaltlich voraus. Insbesondere werden rechtliche Erläuterungen zum Tatbestand des § 339 StGB, die in dem Artikel zur Anklage gegeben wurden, hier nicht noch einmal wiederholt.

1. Überblick

Das schriftliche Urteil des Landgerichts Erfurt umfasst 139 Seiten. Zum Aufbau eines Strafurteils muss man Folgendes wissen: Es besteht aus Rubrum (Angaben der Verfahrensart, der Verfahrensbeteiligten, ihrer Rollen, der Verhandlungstage u. a.), Urteilstenor (= Urteilsformel) und den Gründen. Die Gründe sind üblicherweise in fünf Abschnitte unterteilt: (1) persönliche Verhältnisse des Angeklagten, (2) Sachverhalt, von dem das Gericht ausgeht („Was ist passiert?“), (3) Beweiswürdigung („Woher weiß das Gericht das?“), (4) rechtliche Würdigung („Welche Straftatbestände sind damit erfüllt?“), (5) Strafzumessung („Wie ist die Tat zu ahnden?“).

Die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten werden in dem Urteil auf einer Seite geschildert, die Darstellung des Sachverhalts nimmt 44 Seiten ein, die Beweiswürdigung sogar 77 Seiten. Minutiös werden hier die Einlassung des Angeklagten, die Aussagen von Zeugen, der Inhalt von Schriftstücken, E-Mails und SMS wiedergegeben. Die rechtliche Würdigung ist mit 11 Seiten dagegen eher knapp, die Strafzumessung findet auf 4 Seiten Platz. Die Feststellungen zum Sachverhalt müssen hier nicht explizit erörtert werden, weil das äußere Geschehen zwischen Gericht und Verteidigung im Wesentlichen unstrittig ist.2 Strittig ist die rechtliche Würdigung, weshalb sich der Beitrag vor allem darauf konzentriert.

2. Anklagevorwürfe, die den Tatbestand nicht erfüllen

Wie in dem Artikel zur Anklage dargelegt,3 hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten eine Vielzahl von (angeblichen) Rechtsverletzungen vorgeworfen, die alle den Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllen sollen. Bis zum Schluss der Hauptverhandlung hat sie daran keine Abstriche gemacht. Auch der Vorwurf, Rechtsbeugung liege vor, weil der Angeklagte gewusst habe, dass (angeblich) die Verwaltungsgerichte zuständig gewesen seien, wurde bis zum Plädoyer aufrechterhalten (und auch in der Begründung der von ihr eingelegten Revision wiederholt).4

Die Kammer erklärt auf knapp eineinhalb Seiten, dass nach ihrer Auffassung sämtliche von der Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwürfe bis auf einen nicht den Tatbestand des § 339 StGB erfüllen. Den Zuständigkeitsvorwurf räumt sie unter Verweis auf die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Oberlandesgericht ab und die anderen Vorwürfe mit der Begründung, dass jeweils keine für den Tatbestand der Rechtsbeugung ausreichend schwerwiegende Rechtsverletzung (ein „elementarer Rechtsverstoß“) vorliege.

3. Der Vorwurf der Befangenheit

a. Unterlassen der Selbstablehnung als tatbestandsmäßige Handlung oder Befangenheit an sich?

Der einzige Vorwurf, der der Kammer zufolge von der Anklage übrigbleibt und der die Verurteilung wegen Rechtsbeugung tragen soll, ist der der Voreingenommenheit und Befangenheit. Der einleitende Satz dieses Teils der Begründung lautet: „Der Angeklagte hat sich der Rechtsbeugung jedoch dadurch schuldig gemacht, indem (sic!) er die verfassungsrechtlich gebotene richterliche Unabhängigkeit aus sachfremden Motiven missachtet hat.“ (S. 125)

Abgesehen davon, dass sachangemessene Motive für eine Missachtung der richterlichen Unabhängigkeit nicht vorstellbar sind,5 kann das bloße Fehlen gebotener Achtung niemals einen Straftatbestand erfüllen. Im geltenden Strafrecht wird tatbestandsmäßiges Verhalten, das in einem Tun oder einem Unterlassen bestehen kann, bestraft. Gedanken, Gefühle, Überzeugungen sind nicht strafbar.

Ganz so meint die Kammer das auch nicht, wenngleich sie bei der Frage des Vorsatzes (dazu unter Abschnitt 5 mehr) nur prüft, ob Vorsatz bezüglich der (angeblichen) Befangenheit bestand, also die Befangenheit als Tathandlung behandelt. In dem dem zitierten Satz nachfolgenden Satz wird vielmehr deutlich, dass sie der Auffassung ist, die Rechtsbeugung bestehe darin, dass der Angeklagte das Verfahren trotz seiner Befangenheit geführt und entschieden habe. Die gesamte richterliche Tätigkeit bei dem Verfahren soll gewissermaßen den Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllen, weil sie im Zustand der Befangenheit erfolgt sei. Auch das ist aber falsch und zwar aus dem einfachen Grund, dass es keine Rechtspflicht für Richter gibt, bei der Leitung eines Verfahrens unbefangen zu sein bzw. keinen Anlass für eine Besorgnis der Befangenheit zu liefern. Dies klingt vielleicht für den juristischen Laien überraschend, erklärt sich aber damit, dass zum einen in vielen Fällen der Richter die Besorgnis der Befangenheit gar nicht selbst in der Hand hat, etwa wenn sie sich aus persönlichen Beziehungen zu den Beteiligten ergibt (Beispiel: zu einer Partei des Verfahrens besteht eine enge Freundschaft), und es zum anderen kein „Selbstablehnungsrecht“ gibt, das es einem Richter ermöglichen würde, sein Ausscheiden aus einem Verfahren selbst herbeizuführen.

Die einzige Pflicht, die insoweit besteht, ist die zur Selbstablehnung (hier gem. § 6 FamFG i. V. m. § 48 ZPO).6 Wird diese von dem darüber zur Entscheidung berufenen Richter als begründet beurteilt, scheidet der Richter aus dem Verfahren aus. Wird sie aber für unbegründet erachtet, muss der Richter das Verfahren weiterführen und zwar auch dann, wenn die Entscheidung falsch ist, weil tatsächlich die Besorgnis der Befangenheit besteht.

Als Rechtsverletzung i. S. v. § 339 StGB kommt danach allein das Unterlassen einer gebotenen Selbstablehnung in Betracht. Sieht man hier klar, wird eine wesentlich sachlichere Betrachtung möglich, als wenn – wie im Urteil – mit hoher moralischer Aufladung das gesamte Verfahren vom Beginn bis zur Entscheidung zur Rechtsbeugungshandlung erklärt wird.

Zwar führt die Kammer auch an, dass der Angeklagte (nach ihrer Auffassung) verpflichtet gewesen wäre, eine Selbstanzeige anzubringen, aber das soll nur ein untergeordneter Teil der Tat sein. Sie meint, weil der Angeklagte nicht nur die Selbstanzeige unterlassen habe, sondern auch das Verfahren geführt und entschieden habe, liege der Schwerpunkt auf einem aktiven Tun und nicht auf einem Unterlassen (S. 127).7 Das ist, wie dargelegt, falsch. Es kommt grundsätzlich nur ein Unterlassungsdelikt in Betracht. Das hätte wiederum eine Absenkung der Mindeststrafe – eine sog. Strafrahmenverschiebung – von einem Jahr auf 3 Monate Freiheitsstrafe (§ 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB) und über § 47 Abs. 2 StGB sogar die Verhängung einer Geldstrafe ermöglicht.8

b. Rechtsbeugung durch Unterlassen der Selbstablehnung

Man muss an dieser Stelle noch einmal einen Schritt zurücktreten, um die Besonderheiten des Vorwurfs der Rechtsbeugung durch Unterlassen einer Selbstablehnung in den Blick zu bekommen.

Die Behauptung der Besorgnis der Befangenheit ist in Gerichtsverfahren, vor allem in Strafverfahren keine Seltenheit. Die meisten Ablehnungsanträge von Verteidigern haben zwar keinen Erfolg, aber es gibt selbstverständlich auch Fälle, in denen die Besorgnis der Befangenheit für begründet erklärt wird. In all diesen Fällen könnte man fragen, ob der betreffende Richter nicht verpflichtet gewesen wäre, noch vor der Ablehnung durch einen anderen Beteiligten eine Selbstablehnung bzw. Selbstanzeige anzubringen. Und da er dies offensichtlich nicht getan hat, würde sich nach der Logik der Kammer (und der Staatsanwaltschaft) stets die Frage eines Verdachts der Rechtsbeugung durch Unterlassen der Selbstanzeige stellen.

Tatsächlich wird die Frage aber in der Praxis so gut wie nie gestellt. In der Rechtsprechung und in der Kommentarliteratur zu § 48 ZPO und § 30 StPO wird bei den Folgen einer pflichtwidrig unterlassenen Selbstablehnung ausschließlich erörtert, ob dies in der Revisions- oder Berufungsinstanz gerügt werden kann, und es wird außerdem darauf hingewiesen, dass eine pflichtwidrig unterlassene Selbstablehnung für sich allein oder in der Zusammenschau mit weiteren Umständen ein Ablehnungsgesuch rechtfertigen könne.9 Nirgendwo wird hier erörtert, dass eine pflichtwidrig unterlassene Selbstablehnung als Rechtsbeugung strafbar sein könnte.

Soweit aus den veröffentlichten Entscheidungen zu § 339 StGB ersichtlich, gibt es nur einen einzigen Fall, bei dem ein Richter bei unterlassener Selbstablehnung wegen Rechtsbeugung angeklagt wurde:10 Bei diesem Fall hatte ein Richter als Gefälligkeit für einen Bekannten, der einen Zivilprozess am Amtsgericht führte, ein Ablehnungsgesuch gegen den für das Verfahren zuständigen Amtsrichter verfasst. Nachdem das Ablehnungsgesuch von dem dafür zuständigen Richter als unbegründet verworfen worden war, verfasste er auch die Beschwerde dagegen. Als die Beschwerde dann aufgrund des Geschäftsverteilungsplanes (was nicht vorhersehbar war) in seinem Dezernat landete, unterließ er die Selbstablehnung und entschied selbst über die Beschwerde. Dass dies ein wirklich schwerwiegender Fall richterlichen Fehlverhaltens ist und der Richter unter keinen, wirklich keinen denkbaren Umständen die Selbstablehnung hätte unterlassen dürfen, dürfte unter Richtern und Staatsanwälten Konsens sein.11 Die Verurteilung wegen Rechtsbeugung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten auf Bewährung wurde vom Bundesgerichtshof bestätigt.12

Dass dies der einzige Fall einer Verurteilung wegen Rechtsbeugung wegen unterlassener Selbstanzeige ist, zeigt zugleich, dass nur im absoluten Ausnahmefall eine pflichtwidrig unterlassene Selbstanzeige das Gewicht einer für den Tatbestand des § 339 StGB erforderlichen elementaren Rechtsverletzung haben kann.

Dies ergibt sich auch daraus, dass darauf zu achten ist, dass eine Rechtsverletzung, die für sich genommen nicht das Gewicht eines elementaren Rechtsverstoßes i. S. v. § 339 StGB hat, nicht über den „Umweg“ der unterlassenen Selbstablehnung doch noch den Vorwurf der Rechtsbeugung begründen soll. Denn ein Verstoß gegen das Verfahrensrecht, der für einen Rechtsbeugungsvorwurf nicht gewichtig genug ist, kann doch ohne weiteres die Besorgnis der Befangenheit begründen. Würde nun in diesem Fall das Unterlassen der Selbstanzeige als Rechtsverletzung i. S. v. § 339 StGB gewertet, würde dies zu einem Wertungswiderspruch führen.

Zu bedenken ist insoweit auch, dass letztlich bei jedem Rechtsbeugungsfall auch ein Fall der Befangenheit vorliegt, denn bei einer Rechtsbeugung zum Vor- oder Nachteil einer Partei besteht begriffsnotwendig auch die Besorgnis der Befangenheit. Es ist bisher aber noch kein Gericht auf die Idee gekommen, nachdem es bei einer Rechtsbeugungsanklage die Verwirklichung des Tatbestandes verneint hat, im Anschluss zu prüfen, ob der Richter wegen des angeklagten Verhaltens sich nicht hätte selbst ablehnen müssen und das Unterlassen nun seinerseits einen Rechtsbeugungsvorwurf tragen könnte.

Daraus ergibt sich vorliegend die Frage, wie ein nicht ergebnisoffenes Führen des Verfahrens oder eine nicht korrekte Auswahl der Sachverständigen13 – Vorwürfe, die niemals den Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllen können – über die sich daraus (angeblich) ergebende Befangenheit und die unterlassene Selbstanzeige dann doch eine Rechtsbeugung begründen sollen. Diese Frage stellt sich die Kammer aber schon deshalb nicht, weil nach ihrer Auffassung bereits die Verfahrensleitung im Zustand der Befangenheit das tatbestandsmäßige Verhalten sein soll.

Diese grundsätzlichen Einwände vorangestellt, soll im Folgenden dennoch die Argumentation der Kammer im Einzelnen nachgezeichnet werden.

c. Eine eigene Meinung als Befangenheitsgrund?

Der Vorwurf der Befangenheit soll sich nach dem Urteil aus Folgendem ergeben:
Der Angeklagte sei schon ab Februar 2021 entschlossen gewesen, „eine gerichtliche Entscheidung zur Maskenpflicht mit Öffentlichkeitswirkung zu treffen“. In diese Entscheidung habe er Sachverständigengutachten einführen wollen, „um damit den Argumentationsdruck für weitere gerichtliche Entscheidungen zu erhöhen.“ Zur „Verschleierung seiner Voreingenommenheit“ habe er für eine Anregung eines Verfahrens nach § 1666 BGB gezielt nach geeigneten Betroffenen gesucht und während des Verfahrens darauf geachtet, „dass seine vorgefasste Position … nicht nach außen erkennbar wird.“ Auch dass er das Anregungsschreiben der Familie B. „mitbearbeitet“ habe, soll ihn befangen machen (bis hier S. 125 f.). Bei der Auswahl der Sachverständigen habe er keine Objektivität walten lassen, sondern diese ergebnisorientiert ausgewählt (S. 128). Insgesamt sei das Verfahren von ihm nicht ergebnisoffen geführt worden (S. 127). Und schließlich sei er auch befangen „aufgrund seiner vorgefassten Auffassungen zu der SARS-CoV-2-Pandemie und der Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen“ (S. 127).

Auf den letztgenannten Vorwurf soll hier zuerst eingegangen werden: Die Kammer behauptet tatsächlich, der Angeklagte hätte in dieser Sache nicht entscheiden dürfen, weil er sich im Vorfeld bereits intensiv mit der Coronakrise und insbesondere den Coronamaßnahmen auseinandergesetzt und sich eine Meinung dazu gebildet hatte. Wenn das stimmen würde, dürften auch Richter, die wissenschaftliche Literatur über illegale Drogen gelesen haben und sich eine Meinung zum Thema gebildet haben, kein Betäubungsmittelverfahren mehr führen. Das ist so absurd, dass man dazu gar nichts weiter sagen muss.14 Es stellt sich allerdings die Frage, warum der Kammer die Absurdität nicht selbst auffällt.

Die Antwort scheint zu sein, dass die Kammer in Bezug auf Kritik an Coronamaßnahmen selbst befangen ist und diese Befangenheit sie daran hindert, hier klar zu sehen. Der implizite Obersatz, der das Denken der Kammer steuert, ist nämlich nicht: „Richter, die sich bereits vor einem Verfahren mit (nichtjuristischen) Fragen aus anderen Wissenschaften, die für das Verfahren bedeutsam sind, beschäftigt haben, dürfen solche Verfahren nicht führen“, der implizite Obersatz (der allerdings nicht explizit reflektiert werden darf, weil dann doch die Absurdität offenkundig würde) lautet vielmehr: „Coronamaßnahmenkritiker dürfen keine Verfahren zu Coronamaßnahmen führen.“ Dieser implizite Obersatz „funktioniert“ deshalb für die Kammer, weil grundsätzliche Kritik an der Coronapolitik in ihrem Verständnishorizont als vernunftwidrig, in gewisser Weise sogar illegitim, während Konformität mit dieser Politik als vernunftgemäß gilt. Die Idee, dem Angeklagten könnte zum Vorwurf gemacht werden, dass er sich eine kritische Meinung zu den Coronamaßnahmen gebildet hat, während einem vorbehaltlosen Befürworter der Maßnahmen ein solcher Vorwurf niemals gemacht würde, beruht damit letztlich auf der im gesellschaftlichen Diskurs erfolgten Abwertung der Maßnahmenkritiker als „Querdenker“, „Coronaleugner“, „Wissenschaftsleugner“, auch wenn die Kammer solche Vokabeln nicht verwendet und an anderen Stellen des Urteils wiederholt betont, dass sie über die Frage, ob der Beschluss des Angeklagten in der Sache richtig war, nicht entschieden habe. Mit dem Vorwurf an den Angeklagten, er habe wegen seiner kritischen Meinung zu den Coronamaßnahmen das Verfahren nicht führen dürfen, ist jedenfalls ein erster Tiefpunkt des Urteils erreicht.

d. Der Vorwurf fehlender Unparteilichkeit bei einem Verfahren von Amts wegen

Im Artikel zur Anklage15 war ausführlich die Frage erörtert worden, was eigentlich Befangenheit bei einem amtswegigen Verfahren nach § 1666 BGB bedeutet.

Die Kammer beschäftigt sich mit dieser Frage nicht. Sie zitiert, wie schon die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen das Gebot von Unparteilichkeit und Neutralität der Richter aus Art. 97 Abs. 1 und Art. 101 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz abgeleitet wird,16 wirft dem Angeklagten vor, diesem Gebot von Unparteilichkeit und Neutralität nicht genügt zu haben und damit ist die Argumentation auch schon fast beendet. Dass die zitierten Aussagen vom Bundesverfassungsgericht alle im Kontext von Parteiverfahren getroffen wurden, also in Verfahren, die von einer Partei und nicht vom Gericht begonnen werden und in denen sich zwei Parteien im Streit gegenüberstehen, und sich daher die Frage stellt, inwieweit diese Aussagen der Interpretation bedürfen, wenn es um amtswegige Verfahren geht, wird von der Kammer dabei übergangen.

In einem Kinderschutzverfahren gibt es keine sich gegenüberstehenden Parteien, es gibt ein oder mehrere betroffene Kinder und das Verfahren wird von Amts wegen vom Gericht eingeleitet, wenn ein Verdacht der Kindeswohlgefährdung besteht. Man kann sagen: Der Richter ist von der ersten Minute des Verfahrens an auf der Seite des Kindes und damit parteiisch. Man kann die Rolle des Familienrichters in einem solchen Verfahren sogar mit der Rolle eines Staatsanwaltes im Ermittlungsverfahren vergleichen: Wie ein Staatsanwalt hat der Richter das Verfahren einzuleiten, sofern es einen Anfangsverdacht gibt und hat den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (durch Anhörung von Beteiligten, ggf. auch Zeugenvernehmungen, Einholung von Gutachten etc.).17 Von der Staatsanwaltschaft wird aber keine Unparteilichkeit und Neutralität (Wem gegenüber auch, dem Verbrechen?) erwartet. Was von ihr erwartet wird, ist Objektivität. Die Staatsanwaltschaft ist der Wahrheit verpflichtet und hat deshalb nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung des Beschuldigten dienenden Umstände zu ermitteln (§ 160 StPO). Und dieselbe Objektivität in der Sache wird selbstverständlich auch von einem Richter in einem Kindesschutzverfahren nach § 1666 BGB erwartet.

Um aber die Frage zu beurteilen, ob der Angeklagte die gegenüber der Sache erforderliche Objektivität hat walten lassen, also insbesondere bei der Aufklärung der Frage, ob die Maskenpflicht in der Schule das Wohl der betroffenen Kinder gefährdet, müsste die Kammer sich mit der Sache selbst beschäftigen. Das lehnt sie aber ab und behauptet, dazu nicht verpflichtet zu sein. Welche Gefahren tatsächlich von dem SARS-CoV-2-Virus ausgingen, welchen Anteil Kinder am Infektionsgeschehen hatten, ob Maskenpflichten einen relevanten Einfluss auf das Infektionsgeschehen haben und welche Folgen physischer, psychischer und psychisch-sozialer Art eine Maskenpflicht für Kinder hat – diese Fragen hat die Kammer sämtlich für irrelevant für die Entscheidung erklärt und einen Beweisantrag der Verteidigung, der auf die Aufklärung dieser Fragen gerichtet war, zurückgewiesen.

Ganz kommt die Kammer in dem Urteil allerdings an der Frage des amtswegigen Verfahrens doch nicht vorbei. Ein diesbezüglicher Einwand der Verteidigung wird zumindest erwähnt, um dann aber mit einer beinahe kuriosen Argumentation beiseitegeschoben zu werden:

„Der Einwand des Angeklagten, ein amtswegiges Verfahren gemäß § 24 FamFG hätte keiner Anregung bedurft, sondern er hätte die Verfahren von Amts wegen einleiten können, entkräftet nicht den verwirklichten Rechtsbeugungstatbestand.18 Grundsätzlich ist eine Einleitung eines Kinderschutzverfahrens von Amts wegen gemäß §§ 1666 BGB, 24 FamFG möglich. Entscheidend ist insofern aber, dass der Angeklagte bewusst gerade keine Einleitung des Kinderschutzverfahrens von Amts wegen vorgenommen hat, wodurch die von ihm vertretene Auffassung einer Kindeswohlgefährdung durch die Maskenpflicht und der weiteren, bezüglich der SARS-CoV-2-Pandemie geltenden Regelungen nach außen hin erkennbar gewesen wäre. Selbst wenn die Verfahren von Amts wegen eingeleitet werden können, ist ein solches Verfahren nach dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens ergebnisoffen in der gebotenen Neutralität zu führen.“ (S. 128)

Dem Einwand, dass bei § 1666 BGB immer das Gericht das Verfahren einleitet und bei hinreichendem Verdacht auch einleiten muss, weshalb es grundsätzlich unproblematisch gewesen sei, dass der Angeklagte das Verfahren selbst angestrebt und der das Verfahren anregenden Familie B. Hilfestellung hinsichtlich der Formulierung der Verfahrensanregung gegeben habe, wird also mit der Behauptung begegnet, der Angeklagte habe das Verfahren gar nicht von Amts wegen eingeleitet. Die Kammer hat offensichtlich nicht verstanden, dass „Einleitung von Amts wegen“ nur heißt, dass das Gericht entscheidet, ob im Hinblick auf einen bestimmten Sachverhalt ein Verfahren begonnen wird. Das geschieht bei § 1666 BGB fast immer aufgrund einer Anregung von Dritten (meist dem Jugendamt). „Einleitung von Amts wegen“ und „aufgrund einer Anregung“ schließen sich daher überhaupt nicht aus.

Die Kammer meint offensichtlich: Wäre der Angeklagte in eine Schule gegangen, hätte sich mit Schülern über die Maskenpflicht unterhalten, sich ihre Namen sagen lassen und anschließend hinsichtlich dieser Schüler Verfahren eingeleitet, dann wäre das unproblematisch. Weil er aber auf eine Anregung einer Familie gewartet habe,19 sei er befangen. In dieser Richtung hat der Vorsitzende der Kammer in der mündlichen Urteilsbegründung am 23.08.2023 an den Angeklagten gerichtet formuliert: „Ich weiß nicht, ob man dann zu einer Rechtsbeugung gekommen wäre, wenn Sie den mutigen Weg gegangen wären, ein Verfahren von Amts wegen eingeleitet hätten und dann so entschieden hätten – quasi mit offenem Visier.“20

Abgesehen davon, dass der Vorwurf fehlenden Mutes an den Angeklagten etwas grotesk erscheint, räumt die Kammer damit selbst ein, dass es dem Angeklagten letztlich nicht vorgeworfen werden kann, dass er das Verfahren wollte und darauf aktiv hingearbeitet hat. Genau dieser Vorwurf wird dem Angeklagten aber an anderer Stelle wieder und wieder gemacht! Dort, wo die Kammer sich für einen kurzen Moment gezwungen sieht, doch die Besonderheiten eines Verfahrens nach § 1666 BGB zur Kenntnis zu nehmen, muss sie diesen Vorwurf fallenlassen und an ihre Stelle tritt sozusagen ein „Heimlichkeitsvorwurf“, der aber nur in neue Widersprüche hineinführt. Denn die Aussage des Vorsitzenden bei der mündlichen Urteilsbegründung bedeutet im Ergebnis, dass es Rechtsbeugung ist bzw. sein kann, wenn ein Richter etwas verbirgt, was er gar nicht verbergen muss. Dass das abwegig ist, liegt auf der Hand.

Festzuhalten ist daher: Der Angeklagte war verpflichtet, ein Verfahren nach § 1666 BGB anzustreben und einzuleiten, sobald er den Verdacht einer Kindeswohlgefährdung hatte. Dass die Verfahrenseinleitung aufgrund einer Anregung erfolgt, ist keine Besonderheit dieses Verfahrens, zu der der Angeklagte gegriffen hat, weil er irgendetwas verschleiern wollte, sondern es ist der Normalfall.

Genauso selbstverständlich durfte der Angeklagte Familie B. auch Unterstützung bei der Formulierung der Anregung geben. Anregungen gemäß § 24 FamFG können gemäß § 25 FamFG auch „zur Niederschrift der Geschäftsstelle“ abgegeben werden. Diese Niederschrift muss nicht durch einen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (§ 153 Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz) erfolgen, auch der Richter (oder Rechtspfleger) kann dies tun.21 Bei dieser Niederschrift soll der Urkundsbeamte dafür Sorge tragen, dass sie inhaltlich dem Begehren des Erklärenden entspricht. Insoweit besteht im Rahmen der Fürsorgepflicht und der Möglichkeiten eine Verpflichtung, den mutmaßlichen Willen zu erfragen sowie für eine klare Formulierung des Begehrens zu sorgen.22

Wenn dies alles rechtlich möglich war, durfte der Angeklagte zweifelsohne auch die bereits vorformulierte Anregung der Familie B., die ihm per E-Mail übersandt wurde, gegenlesen und auf Unklarheiten oder Fehler hinweisen, bevor sie dann tatsächlich eingereicht wurde. Nichts ist daran rechtswidrig, aber die Kammer ist in völliger Verkennung der Rechtslage der Auffassung, das „Mitbearbeiten“ der Anregung der Familie B. disqualifiziere den Angeklagten als Richter in diesem Verfahren und zwar mindestens im gleichen Maße wie den Freiburger Richter das Verfassen der Beschwerde für seinen Bekannten.

e. Gute Gutachten, aber von den falschen Sachverständigen?

Auch bei dem Vorwurf, der Angeklagte habe bei der Auswahl der Sachverständigen Kämmerer, Kappstein und Kuhbandner keine Objektivität walten lassen, sondern sei „ergebnisorientiert“ vorgegangen, verstrickt sich die Kammer in Widersprüche, wenn sie meint, sie könne dem Angeklagten die Wahl der Sachverständigen vorwerfen, ohne sich auch nur ansatzweise mit den Gutachten zu beschäftigen.

Die Auswahl von Gutachtern durch Gerichte erfolgt nie im Lostrommelverfahren. Die Gerichte versuchen stets Gutachter zu beauftragen, von denen sie – aufgrund eigener Erfahrungen mit ihnen in früheren Verfahren, aufgrund von Empfehlungen von Kollegen oder aus sonstiger Kenntnis der Arbeit der Gutachter – in Inhalt und Darstellung überzeugende Gutachten erwarten. Das kann man ergebnisorientiert nennen. Wenn also die Gutachten der drei Sachverständigen allen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, vielleicht sogar hervorragend sind – was die Kammer nicht ausschließen kann, da sie sich ja mit den Gutachten inhaltlich nicht befasst hat – kann der Angeklagte also keinen Fehler gemacht haben, man müsste ihn sogar dazu beglückwünschen, dass er bei der Auswahl „den richtigen Riecher“ hatte. Die Kammer aber meint, dass der Angeklagte unabhängig von der Qualität der Gutachten diese Gutachter nicht hätte beauftragen dürfen – und ist damit im nächsten Paradox gelandet. Auch dieses Paradox fällt der Kammer offensichtlich nur deshalb wieder nicht auf, weil Vorurteile gegenüber Coronakritikern (unreflektiert) als berechtigt angesehen werden: Die Sachverständigen können so gut sein, wie sie wollen, als maßnahmenkritische Wissenschaftler dürfen sie jedenfalls nicht von einem Gericht beauftragt werden und ein Richter, der das dennoch tut, ist eben befangen.23

f. Zwischenfazit

Man kann den Vorwurf der Befangenheit noch einmal so zusammenfassen:
Die Kammer wirft dem Angeklagten vor, er habe gezielt das Verfahren angestrebt und darauf hingearbeitet, obwohl sie weiß, dass Familienrichter verpflichtet sind, Verfahren nach § 1666 BGB anzustreben und einzuleiten, wenn sie den Verdacht einer Kindeswohlgefährdung haben. Sie behauptet, er hätte der Mutter der betroffenen Kinder keine Hilfe bei der Formulierung der Anregung geben dürfen, obwohl dies rechtlich vollkommen unproblematisch ist. Sie behauptet, der Angeklagte habe das Verfahren nicht führen dürfen, weil er sich schon zuvor eine „verfestigte“ Meinung zu den Coronamaßnahmen gebildet habe, während sie bei einem Richter, der die Coronamaßnahmen vorbehaltlos befürwortete, niemals auf diesen Gedanken gekommen wäre. Sie behauptet, der Angeklagte hätte die drei Sachverständigen nicht beauftragen dürfen, obwohl die Gutachten möglicherweise hervorragend sind. Und schließlich wirft sie dem Angeklagten vor, er habe seine (angebliche) Voreingenommenheit verschleiert und während des Verfahrens darauf geachtet, dass seine vorgefasste Position nicht nach außen erkennbar wird, obwohl – das ist an dieser Stelle nachzutragen – er nicht nur die Beweisbeschlüsse an alle Beteiligten übersandt hat, sondern dem Freistaat Thüringen als Verfahrensbeteiligtem auch einen Katalog mit 18 Fragen übersandt hat,24 aus denen eine kritische Haltung zu den Coronamaßnahmen bereits deutlich ablesbar war.

4. „… zugunsten oder zum Nachteil einer Partei“

§ 339 StGB setzt als tatbestandlichen „Erfolg“ voraus, dass die Rechtsverletzung zu einem unrechtmäßigen Vorteil oder Nachteil auf Seiten einer Partei führt. Partei ist in diesem Sinne jeder Beteiligte des Verfahrens, dem ein anderer mit widerstreitenden rechtlichen Interessen gegenübersteht.25 Bei einer Verletzung des materiellen Rechts, etwa, wenn eine eindeutige Rechtsnorm des materiellen Rechts falsch oder nicht angewandt wird, ist dies unproblematisch gegeben: Die Entscheidung ist im Ergebnis rechtswidrig und da eine Entscheidung immer mindestens für eine Partei vor- oder nachteilig ist, ist der Vor- oder Nachteil unrechtmäßig erlangt.

Bei einer Verletzung des Verfahrensrechts ist dies anders. Diese muss nicht notwendig zu einer falschen Entscheidung führen. Zwar hat eine Verfahrensrechtsverletzung meist eine zumindest vorübergehende Verbesserung oder Verschlechterung der prozessualen Position einer Partei zur Folge, dies lässt aber der Bundesgerichtshof in seiner restriktiven Auslegung des Tatbestandes nicht als tatbestandlichen Vor- bzw. Nachteil genügen. Die Verfahrensverletzung muss (zumindest) zu einer konkreten (nicht nur abstrakten) Gefahr einer falschen Endentscheidung, d. h. einer gegen das materielle Recht verstoßenden und damit rechtswidrigen Entscheidung geführt haben.

Wann eine konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung gegeben ist, hat der Bundesgerichtshof vor allem in Fällen entschieden, bei denen die Verfahrensrechtsverletzung darin bestand, dass ein unzuständiger Richter entschieden hat (etwa, wenn ein nach dem Bereitschaftsdienstplan nicht zuständiger Richter in einer Haftsache entscheidet). Eine konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung besteht nach dem BGH in diesen Fällen dann, wenn der Richter das Verfahren an sich zieht, weil er einer Prozesspartei sachfremd einen Gefallen tun will oder er sonstige außerhalb des Verfahrens liegende Motive verfolgt.26 Eine konkrete Gefahr, dass die Entscheidung von sachfremden Erwägungen beeinflusst wird, soll auch dann gegeben sein, wenn der Richter eine Zuständigkeit an sich zieht, um einen zur Entscheidung berufenen anderen Richter auszuschließen, um auf diesem Wege zu einem seinen Intentionen entsprechenden Ergebnis zu kommen, das bei Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften nicht oder voraussichtlich nicht zu erreichen gewesen wäre.27

Die Frage, ob in dem Kinderschutzverfahren eine Partei einen unrechtmäßigen Vor- oder Nachteil erlangt hat, stellt sich selbstverständlich erst dann, wenn man zuvor – wie die Kammer – eine elementare Rechtsverletzung bejaht hat. Die Kammer zitiert dazu auch die soeben referierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, um dann aber zu schreiben:

„Der Angeklagte hat durch die von ihm von vornherein geplante und zielgerichtete Entscheidung als voreingenommener Richter einen elementaren Verfahrensverstoß begangen, der die Unrechtmäßigkeit der getroffenen Entscheidung zur Folge hat. Die Frage, ob die von dem Angeklagten getroffene Anordnung unter Berücksichtigung der Ausführungen der eingeholten Sachverständigengutachten inhaltlich richtig gewesen ist, vermag angesichts der Schwere des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes an der Beurteilung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung nichts zu ändern. Denn die Rechtmäßigkeit einer gerichtlichen Entscheidung wird auch durch die Einhaltung der rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze geprägt.“

Abgesehen davon, dass sachangemessene Motive für eine Missachtung der richterlichen Unabhängigkeit nicht vorstellbar sind,5 kann das bloße Fehlen gebotener Achtung niemals einen Straftatbestand erfüllen. Im geltenden Strafrecht wird tatbestandsmäßiges Verhalten, das in einem Tun oder einem Unterlassen bestehen kann, bestraft. Gedanken, Gefühle, Überzeugungen sind nicht strafbar.

Ganz so meint die Kammer das auch nicht, wenngleich sie bei der Frage des Vorsatzes (dazu unter Abschnitt 5 mehr) nur prüft, ob Vorsatz bezüglich der (angeblichen) Befangenheit bestand, also die Befangenheit als Tathandlung behandelt. In dem dem zitierten Satz nachfolgenden Satz wird vielmehr deutlich, dass sie der Auffassung ist, die Rechtsbeugung bestehe darin, dass der Angeklagte das Verfahren trotz seiner Befangenheit geführt und entschieden habe. Die gesamte richterliche Tätigkeit bei dem Verfahren soll gewissermaßen den Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllen, weil sie im Zustand der Befangenheit erfolgt sei. Auch das ist aber falsch und zwar aus dem einfachen Grund, dass es keine Rechtspflicht für Richter gibt, bei der Leitung eines Verfahrens unbefangen zu sein bzw. keinen Anlass für eine Besorgnis der Befangenheit zu liefern. Dies klingt vielleicht für den juristischen Laien überraschend, erklärt sich aber damit, dass zum einen in vielen Fällen der Richter die Besorgnis der Befangenheit gar nicht selbst in der Hand hat, etwa wenn sie sich aus persönlichen Beziehungen zu den Beteiligten ergibt (Beispiel: zu einer Partei des Verfahrens besteht eine enge Freundschaft), und es zum anderen kein „Selbstablehnungsrecht“ gibt, das es einem Richter ermöglichen würde, sein Ausscheiden aus einem Verfahren selbst herbeizuführen.

Die einzige Pflicht, die insoweit besteht, ist die zur Selbstablehnung (hier gem. § 6 FamFG i. V. m. § 48 ZPO).6 Wird diese von dem darüber zur Entscheidung berufenen Richter als begründet beurteilt, scheidet der Richter aus dem Verfahren aus. Wird sie aber für unbegründet erachtet, muss der Richter das Verfahren weiterführen und zwar auch dann, wenn die Entscheidung falsch ist, weil tatsächlich die Besorgnis der Befangenheit besteht.

Als Rechtsverletzung i. S. v. § 339 StGB kommt danach allein das Unterlassen einer gebotenen Selbstablehnung in Betracht. Sieht man hier klar, wird eine wesentlich sachlichere Betrachtung möglich, als wenn – wie im Urteil – mit hoher moralischer Aufladung das gesamte Verfahren vom Beginn bis zur Entscheidung zur Rechtsbeugungshandlung erklärt wird.

Zwar führt die Kammer auch an, dass der Angeklagte (nach ihrer Auffassung) verpflichtet gewesen wäre, eine Selbstanzeige anzubringen, aber das soll nur ein untergeordneter Teil der Tat sein. Sie meint, weil der Angeklagte nicht nur die Selbstanzeige unterlassen habe, sondern auch das Verfahren geführt und entschieden habe, liege der Schwerpunkt auf einem aktiven Tun und nicht auf einem Unterlassen (S. 127).7 Das ist, wie dargelegt, falsch. Es kommt grundsätzlich nur ein Unterlassungsdelikt in Betracht. Das hätte wiederum eine Absenkung der Mindeststrafe – eine sog. Strafrahmenverschiebung – von einem Jahr auf 3 Monate Freiheitsstrafe (§ 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB) und über § 47 Abs. 2 StGB sogar die Verhängung einer Geldstrafe ermöglicht.8

b. Rechtsbeugung durch Unterlassen der Selbstablehnung

Man muss an dieser Stelle noch einmal einen Schritt zurücktreten, um die Besonderheiten des Vorwurfs der Rechtsbeugung durch Unterlassen einer Selbstablehnung in den Blick zu bekommen.

Die Behauptung der Besorgnis der Befangenheit ist in Gerichtsverfahren, vor allem in Strafverfahren keine Seltenheit. Die meisten Ablehnungsanträge von Verteidigern haben zwar keinen Erfolg, aber es gibt selbstverständlich auch Fälle, in denen die Besorgnis der Befangenheit für begründet erklärt wird. In all diesen Fällen könnte man fragen, ob der betreffende Richter nicht verpflichtet gewesen wäre, noch vor der Ablehnung durch einen anderen Beteiligten eine Selbstablehnung bzw. Selbstanzeige anzubringen. Und da er dies offensichtlich nicht getan hat, würde sich nach der Logik der Kammer (und der Staatsanwaltschaft) stets die Frage eines Verdachts der Rechtsbeugung durch Unterlassen der Selbstanzeige stellen.

Tatsächlich wird die Frage aber in der Praxis so gut wie nie gestellt. In der Rechtsprechung und in der Kommentarliteratur zu § 48 ZPO und § 30 StPO wird bei den Folgen einer pflichtwidrig unterlassenen Selbstablehnung ausschließlich erörtert, ob dies in der Revisions- oder Berufungsinstanz gerügt werden kann, und es wird außerdem darauf hingewiesen, dass eine pflichtwidrig unterlassene Selbstablehnung für sich allein oder in der Zusammenschau mit weiteren Umständen ein Ablehnungsgesuch rechtfertigen könne.9 Nirgendwo wird hier erörtert, dass eine pflichtwidrig unterlassene Selbstablehnung als Rechtsbeugung strafbar sein könnte.

Soweit aus den veröffentlichten Entscheidungen zu § 339 StGB ersichtlich, gibt es nur einen einzigen Fall, bei dem ein Richter bei unterlassener Selbstablehnung wegen Rechtsbeugung angeklagt wurde:10 Bei diesem Fall hatte ein Richter als Gefälligkeit für einen Bekannten, der einen Zivilprozess am Amtsgericht führte, ein Ablehnungsgesuch gegen den für das Verfahren zuständigen Amtsrichter verfasst. Nachdem das Ablehnungsgesuch von dem dafür zuständigen Richter als unbegründet verworfen worden war, verfasste er auch die Beschwerde dagegen. Als die Beschwerde dann aufgrund des Geschäftsverteilungsplanes (was nicht vorhersehbar war) in seinem Dezernat landete, unterließ er die Selbstablehnung und entschied selbst über die Beschwerde. Dass dies ein wirklich schwerwiegender Fall richterlichen Fehlverhaltens ist und der Richter unter keinen, wirklich keinen denkbaren Umständen die Selbstablehnung hätte unterlassen dürfen, dürfte unter Richtern und Staatsanwälten Konsens sein.11 Die Verurteilung wegen Rechtsbeugung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten auf Bewährung wurde vom Bundesgerichtshof bestätigt.12


Dass dies der einzige Fall einer Verurteilung wegen Rechtsbeugung wegen unterlassener Selbstanzeige ist, zeigt zugleich, dass nur im absoluten Ausnahmefall eine pflichtwidrig unterlassene Selbstanzeige das Gewicht einer für den Tatbestand des § 339 StGB erforderlichen elementaren Rechtsverletzung haben kann.

Dies ergibt sich auch daraus, dass darauf zu achten ist, dass eine Rechtsverletzung, die für sich genommen nicht das Gewicht eines elementaren Rechtsverstoßes i. S. v. § 339 StGB hat, nicht über den „Umweg“ der unterlassenen Selbstablehnung doch noch den Vorwurf der Rechtsbeugung begründen soll. Denn ein Verstoß gegen das Verfahrensrecht, der für einen Rechtsbeugungsvorwurf nicht gewichtig genug ist, kann doch ohne weiteres die Besorgnis der Befangenheit begründen. Würde nun in diesem Fall das Unterlassen der Selbstanzeige als Rechtsverletzung i. S. v. § 339 StGB gewertet, würde dies zu einem Wertungswiderspruch führen.

Zu bedenken ist insoweit auch, dass letztlich bei jedem Rechtsbeugungsfall auch ein Fall der Befangenheit vorliegt, denn bei einer Rechtsbeugung zum Vor- oder Nachteil einer Partei besteht begriffsnotwendig auch die Besorgnis der Befangenheit. Es ist bisher aber noch kein Gericht auf die Idee gekommen, nachdem es bei einer Rechtsbeugungsanklage die Verwirklichung des Tatbestandes verneint hat, im Anschluss zu prüfen, ob der Richter wegen des angeklagten Verhaltens sich nicht hätte selbst ablehnen müssen und das Unterlassen nun seinerseits einen Rechtsbeugungsvorwurf tragen könnte.

Daraus ergibt sich vorliegend die Frage, wie ein nicht ergebnisoffenes Führen des Verfahrens oder eine nicht korrekte Auswahl der Sachverständigen13 – Vorwürfe, die niemals den Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllen können – über die sich daraus (angeblich) ergebende Befangenheit und die unterlassene Selbstanzeige dann doch eine Rechtsbeugung begründen sollen. Diese Frage stellt sich die Kammer aber schon deshalb nicht, weil nach ihrer Auffassung bereits die Verfahrensleitung im Zustand der Befangenheit das tatbestandsmäßige Verhalten sein soll.

Diese grundsätzlichen Einwände vorangestellt, soll im Folgenden dennoch die Argumentation der Kammer im Einzelnen nachgezeichnet werden.

c. Eine eigene Meinung als Befangenheitsgrund?

Der Vorwurf der Befangenheit soll sich nach dem Urteil aus Folgendem ergeben:
Der Angeklagte sei schon ab Februar 2021 entschlossen gewesen, „eine gerichtliche Entscheidung zur Maskenpflicht mit Öffentlichkeitswirkung zu treffen“. In diese Entscheidung habe er Sachverständigengutachten einführen wollen, „um damit den Argumentationsdruck für weitere gerichtliche Entscheidungen zu erhöhen.“ Zur „Verschleierung seiner Voreingenommenheit“ habe er für eine Anregung eines Verfahrens nach § 1666 BGB gezielt nach geeigneten Betroffenen gesucht und während des Verfahrens darauf geachtet, „dass seine vorgefasste Position … nicht nach außen erkennbar wird.“ Auch dass er das Anregungsschreiben der Familie B. „mitbearbeitet“ habe, soll ihn befangen machen (bis hier S. 125 f.). Bei der Auswahl der Sachverständigen habe er keine Objektivität walten lassen, sondern diese ergebnisorientiert ausgewählt (S. 128). Insgesamt sei das Verfahren von ihm nicht ergebnisoffen geführt worden (S. 127). Und schließlich sei er auch befangen „aufgrund seiner vorgefassten Auffassungen zu der SARS-CoV-2-Pandemie und der Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen“ (S. 127).

Auf den letztgenannten Vorwurf soll hier zuerst eingegangen werden: Die Kammer behauptet tatsächlich, der Angeklagte hätte in dieser Sache nicht entscheiden dürfen, weil er sich im Vorfeld bereits intensiv mit der Coronakrise und insbesondere den Coronamaßnahmen auseinandergesetzt und sich eine Meinung dazu gebildet hatte. Wenn das stimmen würde, dürften auch Richter, die wissenschaftliche Literatur über illegale Drogen gelesen haben und sich eine Meinung zum Thema gebildet haben, kein Betäubungsmittelverfahren mehr führen. Das ist so absurd, dass man dazu gar nichts weiter sagen muss.14 Es stellt sich allerdings die Frage, warum der Kammer die Absurdität nicht selbst auffällt.

Die Antwort scheint zu sein, dass die Kammer in Bezug auf Kritik an Coronamaßnahmen selbst befangen ist und diese Befangenheit sie daran hindert, hier klar zu sehen. Der implizite Obersatz, der das Denken der Kammer steuert, ist nämlich nicht: „Richter, die sich bereits vor einem Verfahren mit (nichtjuristischen) Fragen aus anderen Wissenschaften, die für das Verfahren bedeutsam sind, beschäftigt haben, dürfen solche Verfahren nicht führen“, der implizite Obersatz (der allerdings nicht explizit reflektiert werden darf, weil dann doch die Absurdität offenkundig würde) lautet vielmehr: „Coronamaßnahmenkritiker dürfen keine Verfahren zu Coronamaßnahmen führen.“ Dieser implizite Obersatz „funktioniert“ deshalb für die Kammer, weil grundsätzliche Kritik an der Coronapolitik in ihrem Verständnishorizont als vernunftwidrig, in gewisser Weise sogar illegitim, während Konformität mit dieser Politik als vernunftgemäß gilt. Die Idee, dem Angeklagten könnte zum Vorwurf gemacht werden, dass er sich eine kritische Meinung zu den Coronamaßnahmen gebildet hat, während einem vorbehaltlosen Befürworter der Maßnahmen ein solcher Vorwurf niemals gemacht würde, beruht damit letztlich auf der im gesellschaftlichen Diskurs erfolgten Abwertung der Maßnahmenkritiker als „Querdenker“, „Coronaleugner“, „Wissenschaftsleugner“, auch wenn die Kammer solche Vokabeln nicht verwendet und an anderen Stellen des Urteils wiederholt betont, dass sie über die Frage, ob der Beschluss des Angeklagten in der Sache richtig war, nicht entschieden habe. Mit dem Vorwurf an den Angeklagten, er habe wegen seiner kritischen Meinung zu den Coronamaßnahmen das Verfahren nicht führen dürfen, ist jedenfalls ein erster Tiefpunkt des Urteils erreicht.

d. Der Vorwurf fehlender Unparteilichkeit bei einem Verfahren von Amts wegen

Im Artikel zur Anklage15 war ausführlich die Frage erörtert worden, was eigentlich Befangenheit bei einem amtswegigen Verfahren nach § 1666 BGB bedeutet.

Die Kammer beschäftigt sich mit dieser Frage nicht. Sie zitiert, wie schon die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen das Gebot von Unparteilichkeit und Neutralität der Richter aus Art. 97 Abs. 1 und Art. 101 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz abgeleitet wird,16 wirft dem Angeklagten vor, diesem Gebot von Unparteilichkeit und Neutralität nicht genügt zu haben und damit ist die Argumentation auch schon fast beendet. Dass die zitierten Aussagen vom Bundesverfassungsgericht alle im Kontext von Parteiverfahren getroffen wurden, also in Verfahren, die von einer Partei und nicht vom Gericht begonnen werden und in denen sich zwei Parteien im Streit gegenüberstehen, und sich daher die Frage stellt, inwieweit diese Aussagen der Interpretation bedürfen, wenn es um amtswegige Verfahren geht, wird von der Kammer dabei übergangen.

In einem Kinderschutzverfahren gibt es keine sich gegenüberstehenden Parteien, es gibt ein oder mehrere betroffene Kinder und das Verfahren wird von Amts wegen vom Gericht eingeleitet, wenn ein Verdacht der Kindeswohlgefährdung besteht. Man kann sagen: Der Richter ist von der ersten Minute des Verfahrens an auf der Seite des Kindes und damit parteiisch. Man kann die Rolle des Familienrichters in einem solchen Verfahren sogar mit der Rolle eines Staatsanwaltes im Ermittlungsverfahren vergleichen: Wie ein Staatsanwalt hat der Richter das Verfahren einzuleiten, sofern es einen Anfangsverdacht gibt und hat den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (durch Anhörung von Beteiligten, ggf. auch Zeugenvernehmungen, Einholung von Gutachten etc.).17 Von der Staatsanwaltschaft wird aber keine Unparteilichkeit und Neutralität (Wem gegenüber auch, dem Verbrechen?) erwartet. Was von ihr erwartet wird, ist Objektivität. Die Staatsanwaltschaft ist der Wahrheit verpflichtet und hat deshalb nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung des Beschuldigten dienenden Umstände zu ermitteln (§ 160 StPO). Und dieselbe Objektivität in der Sache wird selbstverständlich auch von einem Richter in einem Kindesschutzverfahren nach § 1666 BGB erwartet.

Um aber die Frage zu beurteilen, ob der Angeklagte die gegenüber der Sache erforderliche Objektivität hat walten lassen, also insbesondere bei der Aufklärung der Frage, ob die Maskenpflicht in der Schule das Wohl der betroffenen Kinder gefährdet, müsste die Kammer sich mit der Sache selbst beschäftigen. Das lehnt sie aber ab und behauptet, dazu nicht verpflichtet zu sein. Welche Gefahren tatsächlich von dem SARS-CoV-2-Virus ausgingen, welchen Anteil Kinder am Infektionsgeschehen hatten, ob Maskenpflichten einen relevanten Einfluss auf das Infektionsgeschehen haben und welche Folgen physischer, psychischer und psychisch-sozialer Art eine Maskenpflicht für Kinder hat – diese Fragen hat die Kammer sämtlich für irrelevant für die Entscheidung erklärt und einen Beweisantrag der Verteidigung, der auf die Aufklärung dieser Fragen gerichtet war, zurückgewiesen.

Ganz kommt die Kammer in dem Urteil allerdings an der Frage des amtswegigen Verfahrens doch nicht vorbei. Ein diesbezüglicher Einwand der Verteidigung wird zumindest erwähnt, um dann aber mit einer beinahe kuriosen Argumentation beiseitegeschoben zu werden:

„Der Einwand des Angeklagten, ein amtswegiges Verfahren gemäß § 24 FamFG hätte keiner Anregung bedurft, sondern er hätte die Verfahren von Amts wegen einleiten können, entkräftet nicht den verwirklichten Rechtsbeugungstatbestand.18 Grundsätzlich ist eine Einleitung eines Kinderschutzverfahrens von Amts wegen gemäß §§ 1666 BGB, 24 FamFG möglich. Entscheidend ist insofern aber, dass der Angeklagte bewusst gerade keine Einleitung des Kinderschutzverfahrens von Amts wegen vorgenommen hat, wodurch die von ihm vertretene Auffassung einer Kindeswohlgefährdung durch die Maskenpflicht und der weiteren, bezüglich der SARS-CoV-2-Pandemie geltenden Regelungen nach außen hin erkennbar gewesen wäre. Selbst wenn die Verfahren von Amts wegen eingeleitet werden können, ist ein solches Verfahren nach dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens ergebnisoffen in der gebotenen Neutralität zu führen.“ (S. 128)

Dem Einwand, dass bei § 1666 BGB immer das Gericht das Verfahren einleitet und bei hinreichendem Verdacht auch einleiten muss, weshalb es grundsätzlich unproblematisch gewesen sei, dass der Angeklagte das Verfahren selbst angestrebt und der das Verfahren anregenden Familie B. Hilfestellung hinsichtlich der Formulierung der Verfahrensanregung gegeben habe, wird also mit der Behauptung begegnet, der Angeklagte habe das Verfahren gar nicht von Amts wegen eingeleitet. Die Kammer hat offensichtlich nicht verstanden, dass „Einleitung von Amts wegen“ nur heißt, dass das Gericht entscheidet, ob im Hinblick auf einen bestimmten Sachverhalt ein Verfahren begonnen wird. Das geschieht bei § 1666 BGB fast immer aufgrund einer Anregung von Dritten (meist dem Jugendamt). „Einleitung von Amts wegen“ und „aufgrund einer Anregung“ schließen sich daher überhaupt nicht aus.

Die Kammer meint offensichtlich: Wäre der Angeklagte in eine Schule gegangen, hätte sich mit Schülern über die Maskenpflicht unterhalten, sich ihre Namen sagen lassen und anschließend hinsichtlich dieser Schüler Verfahren eingeleitet, dann wäre das unproblematisch. Weil er aber auf eine Anregung einer Familie gewartet habe,19 sei er befangen. In dieser Richtung hat der Vorsitzende der Kammer in der mündlichen Urteilsbegründung am 23.08.2023 an den Angeklagten gerichtet formuliert: „Ich weiß nicht, ob man dann zu einer Rechtsbeugung gekommen wäre, wenn Sie den mutigen Weg gegangen wären, ein Verfahren von Amts wegen eingeleitet hätten und dann so entschieden hätten – quasi mit offenem Visier.“20

Abgesehen davon, dass der Vorwurf fehlenden Mutes an den Angeklagten etwas grotesk erscheint, räumt die Kammer damit selbst ein, dass es dem Angeklagten letztlich nicht vorgeworfen werden kann, dass er das Verfahren wollte und darauf aktiv hingearbeitet hat. Genau dieser Vorwurf wird dem Angeklagten aber an anderer Stelle wieder und wieder gemacht! Dort, wo die Kammer sich für einen kurzen Moment gezwungen sieht, doch die Besonderheiten eines Verfahrens nach § 1666 BGB zur Kenntnis zu nehmen, muss sie diesen Vorwurf fallenlassen und an ihre Stelle tritt sozusagen ein „Heimlichkeitsvorwurf“, der aber nur in neue Widersprüche hineinführt. Denn die Aussage des Vorsitzenden bei der mündlichen Urteilsbegründung bedeutet im Ergebnis, dass es Rechtsbeugung ist bzw. sein kann, wenn ein Richter etwas verbirgt, was er gar nicht verbergen muss. Dass das abwegig ist, liegt auf der Hand.

Festzuhalten ist daher: Der Angeklagte war verpflichtet, ein Verfahren nach § 1666 BGB anzustreben und einzuleiten, sobald er den Verdacht einer Kindeswohlgefährdung hatte. Dass die Verfahrenseinleitung aufgrund einer Anregung erfolgt, ist keine Besonderheit dieses Verfahrens, zu der der Angeklagte gegriffen hat, weil er irgendetwas verschleiern wollte, sondern es ist der Normalfall.

Genauso selbstverständlich durfte der Angeklagte Familie B. auch Unterstützung bei der Formulierung der Anregung geben. Anregungen gemäß § 24 FamFG können gemäß § 25 FamFG auch „zur Niederschrift der Geschäftsstelle“ abgegeben werden. Diese Niederschrift muss nicht durch einen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (§ 153 Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz) erfolgen, auch der Richter (oder Rechtspfleger) kann dies tun.21 Bei dieser Niederschrift soll der Urkundsbeamte dafür Sorge tragen, dass sie inhaltlich dem Begehren des Erklärenden entspricht. Insoweit besteht im Rahmen der Fürsorgepflicht und der Möglichkeiten eine Verpflichtung, den mutmaßlichen Willen zu erfragen sowie für eine klare Formulierung des Begehrens zu sorgen.22

Wenn dies alles rechtlich möglich war, durfte der Angeklagte zweifelsohne auch die bereits vorformulierte Anregung der Familie B., die ihm per E-Mail übersandt wurde, gegenlesen und auf Unklarheiten oder Fehler hinweisen, bevor sie dann tatsächlich eingereicht wurde. Nichts ist daran rechtswidrig, aber die Kammer ist in völliger Verkennung der Rechtslage der Auffassung, das „Mitbearbeiten“ der Anregung der Familie B. disqualifiziere den Angeklagten als Richter in diesem Verfahren und zwar mindestens im gleichen Maße wie den Freiburger Richter das Verfassen der Beschwerde für seinen Bekannten.

e. Gute Gutachten, aber von den falschen Sachverständigen?

Auch bei dem Vorwurf, der Angeklagte habe bei der Auswahl der Sachverständigen Kämmerer, Kappstein und Kuhbandner keine Objektivität walten lassen, sondern sei „ergebnisorientiert“ vorgegangen, verstrickt sich die Kammer in Widersprüche, wenn sie meint, sie könne dem Angeklagten die Wahl der Sachverständigen vorwerfen, ohne sich auch nur ansatzweise mit den Gutachten zu beschäftigen.

Die Auswahl von Gutachtern durch Gerichte erfolgt nie im Lostrommelverfahren. Die Gerichte versuchen stets Gutachter zu beauftragen, von denen sie – aufgrund eigener Erfahrungen mit ihnen in früheren Verfahren, aufgrund von Empfehlungen von Kollegen oder aus sonstiger Kenntnis der Arbeit der Gutachter – in Inhalt und Darstellung überzeugende Gutachten erwarten. Das kann man ergebnisorientiert nennen. Wenn also die Gutachten der drei Sachverständigen allen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, vielleicht sogar hervorragend sind – was die Kammer nicht ausschließen kann, da sie sich ja mit den Gutachten inhaltlich nicht befasst hat – kann der Angeklagte also keinen Fehler gemacht haben, man müsste ihn sogar dazu beglückwünschen, dass er bei der Auswahl „den richtigen Riecher“ hatte. Die Kammer aber meint, dass der Angeklagte unabhängig von der Qualität der Gutachten diese Gutachter nicht hätte beauftragen dürfen – und ist damit im nächsten Paradox gelandet. Auch dieses Paradox fällt der Kammer offensichtlich nur deshalb wieder nicht auf, weil Vorurteile gegenüber Coronakritikern (unreflektiert) als berechtigt angesehen werden: Die Sachverständigen können so gut sein, wie sie wollen, als maßnahmenkritische Wissenschaftler dürfen sie jedenfalls nicht von einem Gericht beauftragt werden und ein Richter, der das dennoch tut, ist eben befangen.23

f. Zwischenfazit

Man kann den Vorwurf der Befangenheit noch einmal so zusammenfassen:
Die Kammer wirft dem Angeklagten vor, er habe gezielt das Verfahren angestrebt und darauf hingearbeitet, obwohl sie weiß, dass Familienrichter verpflichtet sind, Verfahren nach § 1666 BGB anzustreben und einzuleiten, wenn sie den Verdacht einer Kindeswohlgefährdung haben. Sie behauptet, er hätte der Mutter der betroffenen Kinder keine Hilfe bei der Formulierung der Anregung geben dürfen, obwohl dies rechtlich vollkommen unproblematisch ist. Sie behauptet, der Angeklagte habe das Verfahren nicht führen dürfen, weil er sich schon zuvor eine „verfestigte“ Meinung zu den Coronamaßnahmen gebildet habe, während sie bei einem Richter, der die Coronamaßnahmen vorbehaltlos befürwortete, niemals auf diesen Gedanken gekommen wäre. Sie behauptet, der Angeklagte hätte die drei Sachverständigen nicht beauftragen dürfen, obwohl die Gutachten möglicherweise hervorragend sind. Und schließlich wirft sie dem Angeklagten vor, er habe seine (angebliche) Voreingenommenheit verschleiert und während des Verfahrens darauf geachtet, dass seine vorgefasste Position nicht nach außen erkennbar wird, obwohl – das ist an dieser Stelle nachzutragen – er nicht nur die Beweisbeschlüsse an alle Beteiligten übersandt hat, sondern dem Freistaat Thüringen als Verfahrensbeteiligtem auch einen Katalog mit 18 Fragen übersandt hat,24 aus denen eine kritische Haltung zu den Coronamaßnahmen bereits deutlich ablesbar war.

4. „… zugunsten oder zum Nachteil einer Partei“

§ 339 StGB setzt als tatbestandlichen „Erfolg“ voraus, dass die Rechtsverletzung zu einem unrechtmäßigen Vorteil oder Nachteil auf Seiten einer Partei führt. Partei ist in diesem Sinne jeder Beteiligte des Verfahrens, dem ein anderer mit widerstreitenden rechtlichen Interessen gegenübersteht.25 Bei einer Verletzung des materiellen Rechts, etwa, wenn eine eindeutige Rechtsnorm des materiellen Rechts falsch oder nicht angewandt wird, ist dies unproblematisch gegeben: Die Entscheidung ist im Ergebnis rechtswidrig und da eine Entscheidung immer mindestens für eine Partei vor- oder nachteilig ist, ist der Vor- oder Nachteil unrechtmäßig erlangt.

Bei einer Verletzung des Verfahrensrechts ist dies anders. Diese muss nicht notwendig zu einer falschen Entscheidung führen. Zwar hat eine Verfahrensrechtsverletzung meist eine zumindest vorübergehende Verbesserung oder Verschlechterung der prozessualen Position einer Partei zur Folge, dies lässt aber der Bundesgerichtshof in seiner restriktiven Auslegung des Tatbestandes nicht als tatbestandlichen Vor- bzw. Nachteil genügen. Die Verfahrensverletzung muss (zumindest) zu einer konkreten (nicht nur abstrakten) Gefahr einer falschen Endentscheidung, d. h. einer gegen das materielle Recht verstoßenden und damit rechtswidrigen Entscheidung geführt haben.

Wann eine konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung gegeben ist, hat der Bundesgerichtshof vor allem in Fällen entschieden, bei denen die Verfahrensrechtsverletzung darin bestand, dass ein unzuständiger Richter entschieden hat (etwa, wenn ein nach dem Bereitschaftsdienstplan nicht zuständiger Richter in einer Haftsache entscheidet). Eine konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung besteht nach dem BGH in diesen Fällen dann, wenn der Richter das Verfahren an sich zieht, weil er einer Prozesspartei sachfremd einen Gefallen tun will oder er sonstige außerhalb des Verfahrens liegende Motive verfolgt.26 Eine konkrete Gefahr, dass die Entscheidung von sachfremden Erwägungen beeinflusst wird, soll auch dann gegeben sein, wenn der Richter eine Zuständigkeit an sich zieht, um einen zur Entscheidung berufenen anderen Richter auszuschließen, um auf diesem Wege zu einem seinen Intentionen entsprechenden Ergebnis zu kommen, das bei Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften nicht oder voraussichtlich nicht zu erreichen gewesen wäre.27

Die Frage, ob in dem Kinderschutzverfahren eine Partei einen unrechtmäßigen Vor- oder Nachteil erlangt hat, stellt sich selbstverständlich erst dann, wenn man zuvor – wie die Kammer – eine elementare Rechtsverletzung bejaht hat. Die Kammer zitiert dazu auch die soeben referierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, um dann aber zu schreiben:

„Der Angeklagte hat durch die von ihm von vornherein geplante und zielgerichtete Entscheidung als voreingenommener Richter einen elementaren Verfahrensverstoß begangen, der die Unrechtmäßigkeit der getroffenen Entscheidung zur Folge hat. Die Frage, ob die von dem Angeklagten getroffene Anordnung unter Berücksichtigung der Ausführungen der eingeholten Sachverständigengutachten inhaltlich richtig gewesen ist, vermag angesichts der Schwere des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes an der Beurteilung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung nichts zu ändern. Denn die Rechtmäßigkeit einer gerichtlichen Entscheidung wird auch durch die Einhaltung der rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze geprägt.“

Abgesehen davon, dass der zweite Satz sprachlich (wohl nicht zufällig!) verunglückt ist, zeigt dieser Absatz, dass die Kammer die Rechtsprechung des BGH nicht verstanden hat und deshalb auch nicht den Sachverhalt subsumieren kann. Wenn die von dem Angeklagten getroffene Anordnung inhaltlich richtig gewesen ist, was die Kammer für möglich hält (!), ist die Entscheidung nicht falsch und dann hat durch sie auch keine Partei einen unrechtmäßigen Vor- oder Nachteil erlangt. Der Freispruch für einen Unschuldigen wird nicht deshalb falsch, weil im Prozess Verfahrensvorschriften verletzt wurden. Genau das ist ja der Ausgangspunkt der Überlegungen des BGH zur Frage des Vor- bzw. Nachteils bei einem Verfahrensverstoß!28 Die Kammer hat dagegen das Problem nicht einmal erkannt, wenn sie schreibt, der (angebliche) Verfahrensverstoß mache die Entscheidung rechtswidrig. Das ist erschreckend.

5. Rechtsbeugungsvorsatz?

Rechtsbeugung kann nur vorsätzlich begangen werden. Der Vorsatz des Täters muss sich auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale beziehen, also nicht nur auf die Verletzung einer Rechtsnorm, sondern auch auf die Begünstigung oder Benachteiligung einer Partei.29 Bedingter Vorsatz ist ausreichend.

Da – die rechtliche Bewertung des Sachverhalts durch die Kammer im Übrigen vorausgesetzt – als einzige Tathandlung das Unterlassen der Selbstanzeige in Betracht kommt, würde (bedingter) Vorsatz hier verlangen, dass dem Angeklagten bewusst war, dass er möglicherweise verpflichtet sein könnte, eine Selbstanzeige anzubringen, die Verletzung dieser Pflicht aber billigend in Kauf nahm und dass er außerdem davon ausging, dass durch das Unterlassen der Selbstanzeige die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung geschaffen wurde und auch das billigend in Kauf nahm.

Da die Kammer, wie oben dargelegt, aber die Befangenheit an sich als Rechtsbeugungshandlung betrachtet, prüft sie nur, ob der Angeklagte Vorsatz hinsichtlich seiner (angeblichen) Befangenheit hatte. Dabei meint sie, der Vorsatz ergebe sich daraus, dass der Angeklagte Anfang März 2021 in einer E-Mail geschrieben hatte, er wolle sich „kein Befangenheitsproblem einhandeln“, dass er eine Zeugin, von der er sich eine Anregung für das Verfahren erhoffte, bat, sie solle eine eventuelle Nachricht nicht an ihn weiterleiten, sondern ihm separat Bescheid geben, dass er die Sachverständigen von seiner privaten E-Mail-Adresse angeschrieben habe und dass er nicht mit der verfahrensanregenden Kindesmutter direkt kommuniziert habe, sondern über einen Zeugen.

Die naheliegende Interpretation der Äußerung, er wolle sich „kein Befangenheitsproblem einhandeln“, heißt allerdings nur, dass er keinen Anlass für einen Befangenheitsantrag geben, also nicht den Anschein von Befangenheit vermitteln wollte. Dass er sich tatsächlich für befangen gehalten hat, ergibt sich daraus nicht. Auch die anderen von der Kammer angeführten „Indizien“ lassen nicht den Schluss zu, dass der Angeklagte der Meinung war, er dürfte das Verfahren wegen Befangenheit an sich nicht führen und müsste versuchen, sich durch eine Selbstablehnung selbst „aus dem Rennen zu nehmen“. Das wäre vielleicht auch der Kammer klargeworden, hätte sie Vorsatz hinsichtlich des Unterlassens der Selbstanzeige und nicht hinsichtlich Befangenheit geprüft und sich daher die Frage gestellt, ob sie dem Angeklagten nachweisen kann, dass er den Gedanken hatte, dass er (möglicherweise) eine Selbstanzeige anbringen müsste. Diesen Beweis zu führen erscheint nach allem, was die Kammer ermittelt hat, unmöglich.

Nur am Rande sei bemerkt, dass sich die Kammer bei der Vorsatzfrage auch mit der Einlassung des Angeklagten zur Sache30 hätte auseinandersetzen müssen. Die Kammer referiert zwar auf fast 10 Seiten (S. 47-56), was der Angeklagten in der mündlichen Verhandlung gesagt hat, um dann aber nur lapidar zu schreiben, dass diese Einlassung durch die Beweisaufnahme widerlegt sei. Von einer echten Auseinandersetzung mit der Einlassung, bei der die Kammer die Darstellung der Vorgänge durch den Angeklagten hinsichtlich Schlüssigkeit und Plausibilität genau durchzubuchstabieren gehabt hätte, kann nicht ansatzweise die Rede sein.

Dass sie die Frage des Vorsatzes nicht nur hinsichtlich der mutmaßlichen Tathandlung, sondern auch hinsichtlich eines unrechtmäßigen Vorteils oder Nachteils für eine Partei bzw. einer insoweit bestehenden konkreten Gefahr prüfen müsste, wird von der Kammer gleich ganz übersehen und deshalb nicht erörtert.

6. Was die Staatsanwaltschaft in dem Verfahren antreibt

Die Staatsanwaltschaft hat in ihrem Plädoyer eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren beantragt. Auch Richter, die wenig Sympathien für den Angeklagten und seinen Beschluss vom 08.04.2021 hatten, dürften angesichts eines solchen Antrages etwas erschrocken sein. Eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren, die (gem. § 56 Abs. 2 StGB) nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann, wegen einer Tat der Rechtsbeugung hat es in Deutschland, soweit aus den veröffentlichten Entscheidungen ersichtlich, in den letzten 30 Jahren nur ein einziges Mal gegeben.31 Der Staatsanwaltschaft genügte es nicht, dass Richter Dettmar bei einer Verurteilung sein Richteramt verlieren würde. Sie wollte ihn im Gefängnis sehen.

Was die Staatsanwaltschaft zu dieser Unerbittlichkeit antreibt, ist nicht ganz leicht zu erkennen, weil der Jurist, der im Rechtsstaat der Bundesrepublik sozialisiert wurde, damit nicht unbedingt rechnet. Dabei muss man die Staatsanwaltschaft nur bei ihrem Wort nehmen:

In der Anklageschrift werden ganz zu Beginn die Vorwürfe gegen den Angeklagten so zusammengefasst, dass es ihm allein aus persönlichen Motiven darauf angekommen sei, im einstweiligen Anordnungsverfahren eine mit Sachverständigengutachten unterlegte unanfechtbare Entscheidung mit Breitenwirkung in der Öffentlichkeit zu fällen, mit der die Unwirksamkeit und die Schädlichkeit von Coronamaßnahmen habe festgestellt und die zu Grunde liegenden landesrechtlichen Vorschriften für verfassungswidrig erklärt werden sollen.

Man kann sich an dieser Stelle wundern, warum die Anklage nicht, wie üblich, mit der Schilderung des mutmaßlichen tatbestandlichen Verhaltens beginnt, sondern mit der Darlegung von Motiven und Absichten des Angeklagten. Auch am Ende der Anklage wird erneut wiederholt, dass es ihm um die Veröffentlichung der Gutachten gegangen sei und er mit seiner Entscheidung „seinen Beitrag im Kampf gegen die staatlichen Maßnahmen“ habe leisten wollen.

Auch in ihrem Plädoyer in der Verhandlung vom 18.08.2023 hat die Vertreterin der Staatsanwaltschaft bereits zu Beginn zusammenfassend erklärt, der Angeklagte habe unter Ausnutzung seiner Autorität und Macht als Richter mit seiner Entscheidung und den Gutachten „ein Fanal“ gegen die seinerzeit bestehenden staatlichen Maßnahmen setzen wollen. Der Vorwurf, ein Fanal setzen zu wollen, wurde von ihr im Plädoyer noch zweimal wiederholt und gegen Ende erklärte sie, dem Angeklagten sei es nicht um die Kinder gegangen, sondern um „eine Generalabrechnung mit den staatlichen Coronamaßnahmen“. Bei der Begründung des Antrages erklärte sie dann, dass es strafschärfend zu berücksichtigen sei, dass der Angeklagte über Wochen geplant habe, wie er „seine Position als Familienrichter ausnützen könne, um die staatlichen Coronamaßnahmen an den Pranger zu stellen.“

Im Artikel zur Anklage (Abschnitt 4) war diese Hervorhebung der behaupteten Motive und Absichten des Angeklagten noch so gedeutet worden, dass die einzelnen Vorwürfe von Rechtsverletzungen in eine „Rahmenerzählung vom Missbrauch des Verfahrens für andere Zwecke“ eingebettet würden. Diese Deutung bedarf der Korrektur, denn damit ist die Intention der Staatsanwaltschaft nicht präzise erfasst. Es handelt sich nicht um eine Rahmenerzählung, sondern um den eigentlichen Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Der Kernvorwurf gegen den Angeklagten lautet nicht, dass er in dem Verfahren (angeblich) bestimmte prozessuale Normen in schwerwiegender Weise verletzt hat, sondern dass er als Richter öffentlichkeitswirksam die staatlichen Coronamaßnahmen kritisiert hat!

Das ist nur deshalb für den Juristen so schwer zu erkennen – dem juristischen Laien fällt es vielleicht leichter –, weil dieser Vorwurf überhaupt keinen Straftatbestand erfüllt. Die Politik der Landesregierung öffentlich zu kritisieren, ist in einer Demokratie nicht strafbar, auch dann nicht, wenn dies durch einen Richter geschieht.

Die einzelnen Vorwürfe von Rechtsverletzungen sind für die Staatsanwaltschaft daher nur von Bedeutung, um die Erfüllung des Rechtsbeugungstatbestandes behaupten zu können. Sie sind gewissermaßen nur notwendige Bedingung der Strafbarkeit, aber nicht der eigentliche Grund. Damit erklärt sich auch die Beliebigkeit des bunten Straußes an Rechtsverletzungsvorwürfen, den die Staatsanwaltschaft in der Anklage präsentiert hat, bis hin zu dem absurden Vorwurf, der Angeklagte habe sich der Rechtsbeugung schuldig gemacht, indem er die Eignung des Verfahrensbeistandes der Kinder nicht ordentlich geprüft habe.

Wenn die Staatsanwaltschaft aber dem Angeklagten im Kern vorwirft, dass er die Politik der Landesregierung kritisiert hat, was – noch einmal! – nicht strafbar ist, dann hat sie hier von Anfang an ein Verfahren politischer Justiz betrieben. Sie verfolgt Richter Dettmar, weil er die Coronapolitik kritisiert hat und verhehlt dies noch nicht einmal. Wer dachte, politische Strafjustiz32 gibt es nur in Diktaturen und autoritären Staaten, wird durch die Staatsanwaltschaft Erfurt eines Besseren belehrt.

Sieht man das klar, überrascht auch der Antrag von 3 Jahren Freiheitsstrafe nicht mehr und auch nicht, dass die Staatsanwaltschaft Revision mit der Begründung eingelegt hat, 2 Jahre seien nicht schuldangemessen. Für die Staatsanwaltschaft ist das Handeln von Richter Dettmar eine Art Staatsverbrechen und das muss dann auch hart geahndet werden.

7. Zusammenfassung

Die Kammer sagt: Mit dem, was in den drei Gutachten steht, müssen wir uns nicht beschäftigen, weil es für die Entscheidung irrelevant ist. Sie verkennt damit, dass die Frage, ob ein elementarer Rechtsverstoß vorliegt, immer auf der Grundlage einer wertenden Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist.33 Die Kammer sagt damit – und nichts daran ist überspitzt, alles logische Konsequenz ihrer Argumentation: „Selbst wenn durch den Beschluss des Angeklagten – wenn er Bestand gehabt hätte – viele Kinder vor erheblichen physischen und/oder psychischen Schäden bewahrt worden wären und die Aufhebung des Beschlusses durch das Oberlandesgericht genau zu diesen Schäden geführt hat, wäre der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren zu verurteilen. Richter, die zwar Kindern helfen, dabei aber Rechtsregeln verletzen, sind hart zu bestrafen.“

Das ist unmenschliches Strafrecht.

Es lohnt sich, den Fall noch einmal als Narration wiederzugeben, in der auch der Anlass und gesellschaftliche Hintergrund des von dem Angeklagten geführten Verfahrens sowie die in ihm aufgeworfenen tatsächlichen Fragen vorkommen. Dies erscheint auch wichtig, um den Kontrast zu dem von der Staatsanwaltschaft eingeführten und von der Kammer zumindest teilweise übernommenen Narrativ von dem unerhörten und verwerflichen Anschlag eines Richters auf die Politik der Landesregierung deutlich zu machen.

Bei allen Fragen, die die Kammer offen gelassen hat, ist dabei nach dem Grundsatz in dubio pro reo („im Zweifel für den Angeklagten“) die für den Angeklagten günstigste Möglichkeit zugrundezulegen. Die Geschichte, die in Anspruch nimmt, im Einklang mit den Feststellungen des Urteils zu stehen und nichts Wesentliches wegzulassen, lautet so:

Zugunsten des Angeklagten ist davon auszugehen, dass die Thüringische Landesregierung die mit dem SARS-CoV-2-Virus verbundenen Gefahren für die Bevölkerung weit überschätzt hat. Es ist auch davon auszugehen, dass die Maskenpflicht in der Schule keinen relevanten positiven Einfluss auf das Infektionsgeschehen hatte.34 Weiter ist davon auszugehen, dass durch die Maskenpflicht (und weitere Maßnahmen wie Abstandsgebot und Testpflicht) in der Schule das Wohl der betroffenen Kinder in physischer und/oder psychischer und/oder psychosozialer Hinsicht gefährdet wurde. Schließlich ist davon auszugehen, dass die Coronamaßnahmen in der Schule bei einer relevanten Anzahl von Schülern zumindest mitverantwortlich sind für Schäden wie Angsterkrankungen, Depressionen, Essstörungen, selbstverletzendes Verhalten und Schulversagen. Da der Angeklagte sich schon frühzeitig intensiv mit den Coronamaßnahmen beschäftigt hatte und sich bereits eine – möglicherweise auch verfestigte – Meinung zu ihnen gebildet hatte, hatte er den Verdacht einer Kindeswohlgefährdung durch die Maßnahmen. Als Familienrichter, der bei einem Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung ein Verfahren gem. § 1666 BGB einzuleiten hat, hat er auf ein solches Verfahren aktiv hingearbeitet. Davon, dass ihm als Familienrichter das Recht die entsprechenden Kompetenzen verliehen hätte, ging er aus. Da er negative Konsequenzen eines Verfahrens zur Kindeswohlgefährdung durch Coronamaßnahmen in der Schule für die betroffenen Kinder bzw. ihre Familie nicht ausschließen konnte, wollte er ein solches Verfahren nur aufgrund der Anregung von Eltern, die die damit verbundenen Risiken bewusst einzugehen bereit waren, beginnen. Um einen etwaigen Beschluss auf eine solide fachliche Grundlage zu stellen und ihm mehr Überzeugungskraft zu verschaffen, holte er drei Gutachten von qualifizierten Wissenschaftlern ein. Zu seinen Gunsten ist davon auszugehen, dass die in den Gutachten getroffenen wissenschaftlichen Feststellungen vollumfänglich zutreffend sind. Mit seiner Entscheidung wollte der Angeklagte die von ihm durch die Gutachten als hinreichend bewiesen erachteten Kindeswohlgefährdung(en) für die betroffenen Schüler abwenden.35 Darüber hinaus war ihm auch an Öffentlichkeitswirksamkeit für seinen Beschluss gelegen, da nicht nur an den beiden Schulen, auf die sich seine Entscheidung bezog, sondern deutschlandweit Kinder von der Maskenpflicht in der Schule betroffen waren und er hoffte, dass andere Gerichte sich seiner Rechtsauffassung anschließen und zugunsten von Kindern entscheiden könnten. So kam es zu dem Beschluss vom 08.04.2021 und zu dem, was dann folgte.

8. Die Frage nach den Ursachen

Wie ist eine solche Entscheidung möglich?

Unter 3. c. und e. ist bereits darauf hingewiesen worden, dass die Kammer in ihrem Denken ganz offensichtlich nicht unbeeinflusst ist von der Abwertung und Ausgrenzung grundsätzlicher Kritik an der Coronapolitik im öffentlichen Diskurs als vernunftwidrig und illegitim.

Hinzu kommt ein weiteres. Die Kammer sah sich auch hinsichtlich des konkreten Verfahrens einem massiven Einfluss durch die öffentliche bzw. veröffentlichte Meinung ausgesetzt: Von Beginn an wurde der Beschluss vom 08.04.2021 zu einem Skandal und Richter Dettmar quasi zur Unperson erklärt. Beteiligt daran waren die regionale und die überregionale Presse, das Thüringer Bildungsministerium, Anzeigeerstatter wie die Vizepräsidentin des Thüringer Landtags und nicht zuletzt die Staatsanwaltschaft Erfurt, die nicht nur gegenüber der Presse, sondern auch mit den Durchsuchungen bei dem Beschuldigten, bei Sachverständigen und Zeugen die Botschaft vermittelte, dass es sich hier um einen geradezu beispiellosen Fall von Kriminalität eines Richters handele. Dieser Vorverurteilung in der veröffentlichten Meinung folgte eine Anklageschrift, in der die Staatsanwaltschaft sich alle Mühe gab, das Verhalten von Richter Dettmar als geradezu infamen Skandal darzustellen und ein möglichst negatives Bild von der Person des Angeklagten zu zeichnen.

Diesem massiven Druck hätte sich die Kammer erst einmal entziehen müssen, um ruhig und sachlich die Argumente von Staatsanwaltschaft und Verteidigung zu prüfen. Das war ihr offensichtlich nicht möglich. Wie bereits bemerkt: Die vielen logischen Brüche in der Argumentation sind nicht einfach durch Unvermögen zu erklären (obwohl das juristisch-argumentative Niveau tatsächlich erschreckend ist!). Sie weisen darauf hin, dass auf Seiten der Kammer vor aller sachlichen Beschäftigung ein Vorurteil bestand, das dem der veröffentlichten Meinung entsprach: Was Richter Dettmar getan hatte, war „etwas ganz Schlimmes“, etwas Unverzeihliches. Musste es dann nicht Rechtsbeugung sein?

Es sind auch nicht nur die Widersprüche in der Argumentation, die darauf hindeuten, dass das Urteil nicht (allein) auf der argumentativen Prüfung des Sachverhalts, sondern (auch) auf den bestehenden Vorurteilen beruht. Auch dass eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Einlassung des Angeklagten und dem Vorbringen der Verteidigung im Urteil überhaupt nicht stattfindet, kann nur so erklärt werden, dass die Kammer nicht bereit war, sich auf Gegenargumente ernsthaft einzulassen. Und es sind auch nicht nur die Argumente des Angeklagten und der Verteidigung, die im Urteil „herumstehen“, als wären sie Teil einer fremden Realität, mit der die Kammer nichts zu tun haben will. Es ist auch die Sache selbst, auf die sich die Kammer am Ende nicht einlassen will. Die Weigerung, die Besonderheiten eines amtswegigen Verfahrens zur Kenntnis zu nehmen, ist vielleicht das krasseste Beispiel dafür. Am Ende drängt sich der Eindruck auf, dass die Kammer sich von einem von Anfang an eingeschlagenen Weg nicht abbringen lassen wollte.

Das alles kann man Befangenheit nennen und es ist eine bittere Ironie des Verfahrens, dass hier Richter, denen es selbst an der notwendigen Objektivität, inneren Unabhängigkeit und Souveränität für ein hochpolitisiertes Strafverfahren fehlte – wobei sie sich insofern aber sicher keine Sekunde lang im Verdacht hatten –, über einen Kollegen zu Gericht saßen und ihn wegen (angeblicher) Befangenheit zu einer Strafe verurteilten, die bei Rechtskraft den Verlust seiner beruflichen Existenz bedeuten würde.

 

Endnoten

1
Das schriftliche Urteil wurde (bisher) nicht veröffentlicht, liegt KRiStA aber vor. Allgemein zugänglich ist auf der Webseite eines der Verteidiger des Angeklagten eine professionelle stenografische Mitschrift der mündlichen Urteilsbegründung.
2
Die subjektive Seite (Vorsatz) wird von der Kammer im Sachverhalt (entgegen den Üblichkeiten) nicht dargestellt, sondern erst in der rechtlichen Würdigung erörtert.
3
Abschnitte 3 bis 7.
4
Angesichts dessen wird deutlich, dass es der Staatsanwaltschaft in dem Verfahren keineswegs allein um die Wahrheit, sondern offenbar (auch) um andere Dinge ging. Denn dieser Vorwurf war schon durch die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das OLG Jena in dem Beschluss vom 14.05.2021 vom Tisch, weil das OLG damit erklärte, dass die Frage auch aus seiner Sicht keineswegs abschließend geklärt sei (vgl. Artikel zur Anklage, Abschnitt 3).
5
Die Kammer übernimmt für das Urteil häufig Sätze und Formulierungen aus der Anklageschrift, die sie teilweise umformuliert. Das gelingt nicht immer. Die Vorlage (S. 4 der Anklage) lautete hier: „… führte der Angeschuldigte unter Missachtung der verfassungsrechtlich gebotenen richterlichen Unabhängigkeit allein aus persönlichen sachfremden Motiven heraus, …“
6
Im Zivilrecht (§ 48 ZPO) ist von Selbstablehnung die Rede, im Strafrecht (§ 30 StPO) von Selbstanzeige. Dies ist nur ein begrifflicher, kein sachlicher Unterschied.
7
Dies dürfte von dem Urteil des LG Freiburg, 03.03.2009, 2 KLs 210 Js 4263/08, BeckRS 2009, 29798, Rn. 19, übernommen worden sein.
8
Ein Beispiel für eine Verurteilung wegen Rechtsbeugung durch Unterlassen und zu einer Geldstrafe ist der Fall des Hamburger Richters Schill. Schill, dem vorgeworfen wurde, er habe die Bearbeitung einer Beschwerde gegen einen Ordnungshaftbeschluss absichtlich verzögert, um eine frühere Entlassung der Inhaftierten durch das Beschwerdegericht zu verhindern, wurde in erster Instanz vom Landgericht Hamburg zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt. In der Revision wurde das Urteil vom BGH (04.09.2001, 5 StR 92/01, juris) aufgehoben.
9
BeckOK ZPO/Vossler ZPO § 48 Rn. 7; Zöller/Vollkommer ZPO § 48 Rn. 11; KK-StPO/Heil StPO § 30 Rn. 6; BeckOK StPO/Cirener StPO § 30 Rn. 6.
10
LG Freiburg, 03.03.2009, 2 KLs 210 Js 4263/08, BeckRS 2009, 22988.
11
Der Angeklagte hat in dem Verfahren laut Urteilsfeststellungen auch eingeräumt, dass ihm klar war, dass er eine Selbstanzeige hätte machen müssen (a. a. O. Rn. 10).
12
BGH, Beschluss vom 05.08.2009, 1 StR 366/09. – Die Kammer führt den Fall auch an und meint tatsächlich, dass der Unrechtsgehalt der Handlungen des Angeklagten Dettmar deutlich höher zu bewerten sei als im Freiburger Fall, weil er nicht nur über eine von ihm mitbearbeitete Anregung entschieden habe, sondern zielgerichtet darauf hingewirkt habe, dass er ein Verfahren in seiner Zuständigkeit zur Entscheidung bekommt und deren Ergebnis von vornherein vorgefasst war (S. 134). Dass dies eine geradezu phänomenale rechtliche Fehlbewertung ist, wird im Folgenden noch im Detail aufgezeigt.
13
Dazu sogleich näher unter c. und d.
14
S. dazu bereits Artikel zur Urteilsverkündung.
15
Abschnitt 5.
16
Das ausschließliche Zitieren des Grundgesetzes und von Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an dieser Stelle, anstatt sich mit der umfangreichen Rechtsprechung zur Befangenheit auseinanderzusetzen, dient erkennbar dazu, die Vorwürfe möglichst „hoch anzuhängen“.
17
Dass der Richter am Ende dann auch noch selbst über die Sache abschließend entscheiden muss, während der Staatsanwalt „nur“ Anklage erheben kann, ist für den Vergleich ohne Belang.
18
Ein Einwand kann selbstverständlich nur ein Argument entkräften, nicht einen verwirklichten Straftatbestand. Solche sprachlichen Schwächen, die nicht für scharfes Denken sprechen, sind keine Seltenheit in dem Urteil.
19
Der Angeklagte hat in seiner Einlassung dazu erklärt, dass er das Verfahren wegen von vornherein für möglich gehaltener negativer Konsequenzen keiner Familie zumuten wollte, die das Verfahren nicht selbst gewollt habe.
20
Stenografisches Protokoll der Hauptverhandlung am Landgericht Erfurt am 23.08.2023 S. 13.
21
Sternal/Sternal FamFG § 25 Rn. 26; BeckOK FamFG/Burschel/Perleberg-Kölbel FamFG § 25 Rn. 6.
22
Sternal/Sternal a. a. O, Rn. 24.
23
Die Staatsanwaltschaft hatte in der Anklage noch ganz offen die Auffassung vertreten, dass die Gutachter schon deshalb nicht hätten beauftragt werden dürfen, weil sie Mitglieder in dem Verein Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie (MWGFD) e. V. waren.
24
Im Urteil wörtlich wiedergegeben auf den Seiten 22-24.
25
LK-StGB/Hilgendorf, § 339, Rn. 81; MüKoStGB/Uebele StGB § 339 Rn. 58.
26
BGHSt 42, 343, juris Rn. 24.
27
BGHSt 42, 343, juris Rn. 26.
28
Wörtlich z. B. BGH, 20.09.2000, 2 StR 276/00: “Allerdings liegt es bei Verfahrensverstößen nicht ohne weiteres auf der Hand, dass durch die Rechtsverletzung eine Besserstellung oder Benachteiligung einer Partei bewirkt wird. Die Nichtbeachtung von Zuständigkeitsnormen kann für sich genommen für das Ergebnis indifferent sein, da der Richter bei der Sachentscheidung an die gleichen rechtlichen Bestimmungen gebunden ist, wie der an sich zuständige Richter.“
29
MüKoStGB/Uebele StGB § 339 Rn. 61, Schönke/Schröder/Heine/Hecker StGB § 339 Rn. 13 m. w. N.
30
Erwiderung des Angeklagten auf die Verlesung der Anklageschrift.
31
LG Hagen, 18.11.2021, 46 KLs 8/21, juris. Das Landgericht Hagen verurteilte mit dieser Entscheidung eine Richterin wegen Rechtsbeugung in 10 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung und in 6 Fällen in Tateinheit mit Verwahrungsbruch und Urkundenunterdrückung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten. In die Gesamtstrafe gingen zwei Einzelstrafen von 2 Jahren und 6 Monaten (Einsatzstrafe) bzw. 2 Jahre und 2 Monate Freiheitsstrafe ein, die übrigen Einzelstrafen lagen unter 2 Jahren. Das Urteil wurde vom BGH (29.11.2022, 4 StR 149/22, juris) im gesamten Strafausspruch aufgehoben und im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass die tateinheitliche Urkundenunterdrückung in allen 6 Fällen entfiel.
32
Vgl. dazu Ostendorf, Politische Strafjustiz in Deutschland.
33
Vgl. dazu schon Artikel zur Anklage, Abschnitte 1 und 8 und Artikel zur Urteilsverkündung.
34
Aktuell dazu Welt 08.12.2023: Forscher finden keinen Beweis für Wirksamkeit der Corona-Maskenpflicht für Kinder.
35
Das hält die Kammer nicht nur für möglich, sondern davon geht sie positiv aus (S. 136).

https://netzwerkkrista.de/2023/12/15/nur-ein-schwaecheanfall-der-justiz-noch-einmal-das-urteil-des-landgerichts-erfurt-gegen-christian-dettmar/

 

 

 


 

 

 

Schock-Urteil: Mutiger Maskenrichter von Weimar zu zwei Jahren Haft verurteilt Gericht setzt die Strafe zur Bewährung aus

VERÖFFENTLICHT AM 23. Aug 2023

Das Landgericht Erfurt hat den Weimarer Familienrichter Christian Dettmar zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wegen Rechtsbeugung. Das Gericht setzte die Strafe zur Bewährung aus, so dass ihm zumindest der Gang ins Gefängnis erspart bleibt; seine berufliche Existenz wäre aber vernichtet, wenn das Urteil rechtskräftig wird. Dies könnte auch das Ziel des ganzen Verfahrens gewesen sein – ein klares Zeichen zu setzen dafür, dass Widerstand gegen absurde staatliche Zwangsmaßnahmen existenzvernichtend sein kann. Zum Vergleich: In Augsburg wurde 2021 ein Richter lediglich zu einer Geldstrafe von 1.800 Euro verurteilt, nachdem er Tausende Kinderporno-Bilder in seinen Besitz gebracht hatte – unter anderem aus Strafakten, für die er zuständig war (dazu unten mehr).

Die Staatsanwältin, die der rot-rot-grünen Landesregierung gegenüber weisungsgebunden ist, wollte Dettmar sogar ins Gefängnis schicken und hatte drei Jahre Haft ohne Bewährung gefordert. Der Verteidiger des bereits suspendierten Richters hatte auf Freispruch plädiert..

Der Staatsanwältin ist das Urteil offenbar nicht hart genug, sie kündigte sofort an, dass sie eine Revision beim Bundesgerichtshof prüfen werde – offenbar mit dem Ziel, Dettmar doch noch ins Gefängnis zu bringen. Auch die Verteidiger des Richters sagten laut MRD, sie würden Rechtsmittel prüfen. Sollte das Urteil Bestand haben, würde Dettmar nicht nur sein Richteramt, sondern auch seine Pension verlieren.

Der Vorsitzende Richter sagte laut MDR in der Begründung für die Entscheidung, der Angeklagte habe ein Urteil gefällt, „das er von vornherein so beabsichtigt hatte“. Das Verfahren am Amtsgericht Weimar, in dem er seine Entscheidung fällte, habe er aktiv generiert.

Der Familienrichter habe dazu den Verein „Kritische Richter und Staatsanwälte“ mitgegründet, so das Gericht. Der damals am Amtsgericht Weimar tätige Jurist ordnete im April 2021 an, dass die Kinder an zwei Weimarer Schulen keine Masken mehr tragen müssten. Er begründete seine einstweilige Anordnung mit dem Kindeswohl.

Interessant ist, wie der MDR in seinem Bericht manipuliert. Darin heißt es etwa: „Der Jurist habe gar keine Zuständigkeit für die ihm vorgelegte Frage gehabt, entschied zum Beispiel das Thüringer Oberlandesgericht. Der Bundesgerichtshof hat diese Auffassung inzwischen bestätigt.“ Dass zwischenzeitlich aber das Karlsruher Oberlandesgericht genau umgekehrt entschieden hat, enthält der MDR seinen Zuhörern vor. Dabei ist dies entscheidend: Es belegt, dass Dettmar damit vor der Entscheidung des Bundesgerichtshofs durchaus gute Gründe gehabt haben konnte, eine andere Meinung zu haben als später die obersten Richter.
Mutiger Widerstand

Der Weimarer Familienrichter Christian Dettmar hatte Anfang April 2021 bundesweit für Schlagzeilen gesorgt: In einem Gerichtsentscheid verbot er die Masken-, Abstands- und Testpflicht an zwei Weimarer Schulen. In seinen Augen war sie Kindeswohlgefährdung. Damals galt eine solche Ansicht noch als Ketzerei. Heute setzt sie sich immer mehr durch. Doch Dettmar hatte es gewagt, sich gegen die staatlichen Maßnahmen zu stellen. Und so schlug die Justiz mit voller Härte gegen ihn zu. Und auch gegen andere Beteiligte. Es gab Durchsuchungen von Wohnungen und Büroräumen von Richter Dettmar, dem Verfahrensbeistand der Kinder, einer Mutter sowie von den Gutachtern Prof. Ulrike Kämmerer, Prof. Dr. Christian Kuhbandner, Prof. Dr. Ines Kappstein und Uli Masuth, und einem Kandidaten der Partei „dieBasis“. Handys, Computer und Unterlagen wurden dabei von der Polizei beschlagnahmt. Zustände, wie man sie sonst aus autoritären Staaten gewohnt ist. Fast erübrigt es sich zu erwähnen, dass die Entscheidung des Richters aufgehoben wurde.

In dem Verfahren hatte die Staatsanwältin den Sachverhalt im voll besetzten Saal des Erfurter Landgerichts umgedreht in einer Art und Weise, die an Romane von Kafka und Orwell erinnerte: Der Angeklagte habe sein Amt mit Füßen getreten und dem Rechtsstaat geschadet. Sie warf Dettmar also genau das vor, was Kritiker ihr und ihrer ganzen Behörde vorwerfen. Die Staatsanwältin ist gebunden an Weisungen der rot-rot-grünen Landesregierung bzw. der grünen Justizministerin Doreen Denstädt, einer ehemaligen Sachbearbeiterin bei der Polizei, die durch die Quote ins Amt gerutscht ist.

Besonders pikant: Zu Beginn der Ermittlungen war der damalige Justizminister noch Dirk Adams von den Grünen. Der hat sich seine politischen Sporen als Mitarbeiter im Wahlkreisbüro der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt verdient und sich für Schnellverfahren nach Corona-Protesten ausgesprochen – also für genau das, womit sich die Grünen bei Kriminellen oft sehr schwertun.


Gerechte Justiz?

Der Prozess ist auch deshalb brisant, weil die Justiz bisher fast ausschließlich gegen Kritiker der Corona-Maßnahmen vorgeht, sowie Ärzte und Richter, die sich diesen widersetzten. Die Verantwortlichen für diese Maßnahmen schont die Justiz ebenso wie die Hetzer, die massive Vorbehalte und Hass gegen Ungeimpfte schürten.

Statt einer kritischen Aufarbeitung der Corona-Zeit erleben wir aktuell das Gegenteil – eine Jagd der Justiz auf diejenigen, die für eine Aufarbeitung stehen.

Zum Schluss hier noch der oben bereits erwähnte Vergleich. Dettmar wurde zu zwei Jahren verurteilt, weil er eine, wie wir heute wissen, absurde Regelung außer Kraft setzte. In Augsburg wurde 2021 ein Richter wegen Besitzes von Kinderpornografie zu einer Geldstrafe von 1.800 Euro verurteilt. Der Mann war dafür bekannt, besonders harte Urteile zu fällen. 2018 brummte er einem Bäckerei-Verkäufer 1800 Euro Strafe auf (genauso viel wie er später selbst bekam)– weil der Schnitzel und Wurst für 19,87 Euro geklaut hatte! Der Richter hatte sich Tausende Kindesmissbrauchsdarstellungen besorgt – unter anderem aus Strafakten, die er als Richter hatte. Er wurde, anders als der Maskenrichter, nur zu einer Geldstrafe verurteilt. Vorausgegangen war ein „Deal“ – dafür, dass der Kinderporno-Konsument sein Richteramt niederlegte, bekam der eine derart milde Strafe. Ein Augsburger Jurist erzählte mir kürzlich, dieser Fall habe ihm den Glauben an die Justiz genommen.

https://reitschuster.de/post/schock-urteil-mutiger-maskenrichter-von-weimar-zu-zwei-jahren-haft-verurteilt/




 


 

 

 

Familienrichter kippte Maskenpflicht an Schulen: Staatsanwaltschaft fordert Haft

Von Heike Pührer

22. August 2023

Eine Prozessbeobachterin berichtete unserer Redaktion im Verfahren gegen den Weimarer Familienrichter Christian Dettmar vom letzten Verhandlungstag in Erfurt (18. August 2023) – vor der Urteilsverkündung. Der Richter ist wegen Rechtsbeugung im Amt angeklagt.

Mitte Juni begann am Erfurter Landgericht die Verhandlung gegen den Weimarer Familienrichter Christian Dettmar (60) wegen mutmaßlicher Rechtsbeugung im Amt. Er hob die Corona-Maßnahmen an zwei Weimarer Schulen im April 2021 auf, weil er die Gefahr einer Kindeswohlgefährdung sah.

Aus Sicht der Staatsanwaltschaft habe Dettmar allein aus persönlichen „sachfremden“ Motiven mit Gutachten eine „unanfechtbare Entscheidung“ herbeigeführt, so der Vorwurf. Um das Wohl der Kinder soll es ihm dabei nicht gegangen sein, wirft man dem dreifachen Vater vor.

Nun also stand der letzte Verhandlungstag vor der Urteilsverkündung an. An ihm nahm Heike Pührer teil. Sie ist Mitgründerin der „Bewegung Zwickau“, einer Bürgerbewegung, die als Montagsdemo gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen entstand und sich nach eigenen Angaben für „Demokratie, in der die Macht vom Volke ausgeht“, einsetzt. Seitdem trifft man sich regelmäßig zu öffentlichen Demonstrationen mit dem Hauptmotto: „Wir müssen reden!“ Hier ihr Bericht aus dem Gerichtssaal:

Für den heutigen Tag waren die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung sowie das letzte Wort von Familienrichter Christian Dettmar angekündigt. Nach doppelter Überprüfung der Kleidung und der Person durch Justizbeamte erreichte man den gut gefüllten Gerichtssaal (circa 30 Interessierte inklusive Presse). Gewünscht hatte ich mir einen überfüllten Saal oder eine große Menschenmenge vor dem Gericht.

...

Vor den Plädoyers der Staatsanwältin und der Rechtsanwälte ging es bis 13:45 Uhr in die Mittagspause. Wie vorher schon angekündigt, hielt die Staatsanwältin ein zweistündiges zähes Plädoyer mittels chronologischer Auflistung von E-Mails, Chatverläufen von WhatsApp und Telegram. Sie bezogen sich auf die Mitarbeit des Familienrichters im sich neu gegründeten Verein KriStA – Netzwerk kritischer Richter und Staatsanwälte (www.netzwerkkrista.de).

...

Die vielen Wiederholungen dienten wohl dazu, die Mutmaßungen der Staatsanwaltschaft als einzige Wahrhaftigkeit in die Köpfe der Richter und Schöffen zu meißeln. Zum Schluss wurde von der Staatsanwaltschaft eine Strafe für den Familienrichter von drei Jahren Haft gefordert.
Kurzes Plädoyer von Verteidiger Strate

Nach einer kurzen Pause begann der Verteidiger Rechtsanwalt Dr. h.c. Gerhard Strate aus Hamburg mit seinem sehr kurzen Plädoyer. Die von der Staatsanwaltschaft in diesem langen Vortrag gemutmaßten Ziele des Richters Dettmar dementierte er. Auch dass ein Familienrichter sich im Vorfeld Fachwissen über eventuell zu verhandelnde Fälle aneignet und eine gewisse Vorarbeit leiste, sei durchaus in Ordnung. „Die Kindeswohlgefährdung stand aufgrund des staatlich angeordneten Maskenzwangs und den ständigen Tests, bei denen schon damals die Korrektheit der Ergebnisse widerlegt waren, sehr wohl im Vordergrund“, so Strate.

Den zweiten Teil begann Rechtsanwalt Peter Tuppat, der zweite Verteidiger des Familienrichters, damit, dass ein Freispruch zwingend erforderlich sei. Die Vehemenz der Staatsanwaltschaft, den Richter zu verfolgen, ohne die inhaltlich richtige Einschätzung des Richters einzubeziehen, sei erschütternd. Schließlich ginge es Herrn Dettmar um die Gesundheit und das Wohl unserer Kinder. Die hier vorgetragene Geschichte mit „hätte“, „könnte“ und so weiter hielte dabei nicht stand und seien nur Mutmaßungen.

...

https://www.epochtimes.de/politik/deutschland/familienrichter-kippte-maskenpflicht-an-schulen-staatsanwaltschaft-fordert-haft-a4382252.html?welcomeuser=1

 

 

 


 

 


Staatsanwaltschaft will Weimarer Maskenrichter in Knast bringen Drei Jahre Gefängnis gefordert, weil er Kinder von Masken befreite

VERÖFFENTLICHT AM 20. Aug 2023
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Der Weimarer Familienrichter Christian Dettmar hatte Anfang April 2021 bundesweit für Schlagzeilen gesorgt: In einem Gerichtsentscheid verbot er die Masken-, Abstands- und Testpflicht an zwei Weimarer Schulen. In seinen Augen war sie Kindeswohlgefährdung. Damals galt eine solche Ansicht noch als Ketzerei. Heute setzt sie sich immer mehr durch. Doch Dettmar hatte es gewagt, sich gegen die staatlichen Maßnahmen zu stellen. Und so schlug die Justiz mit voller Härte gegen ihn zu. Und auch gegen andere Beteiligte. Es gab Durchsuchungen von Wohnungen und Büroräumen von Richter Dettmar, dem Verfahrensbeistand der Kinder, einer Mutter sowie von den Gutachtern Prof. Ulrike Kämmerer, Prof. Dr. Christian Kuhbandner, Prof. Dr. Ines Kappstein und Uli Masuth, und einem Kandidaten der Partei „dieBasis“. Handys, Computer und Unterlagen wurden dabei von der Polizei beschlagnahmt. Zustände, wie man sie sonst aus autoritären Staaten gewohnt ist. Fast erübrigt es sich zu erwähnen, dass die Entscheidung des Richters aufgehoben wurde.

Doch damit endete der Rachefeldzug nicht. Richter Dettmar, einer der wenigen, der für das Grundgesetz und gegen dessen Verletzung entschied, steht nun seinerseits in Erfurt vor Gericht. Ihm, der sich der damals weit verbreiteten Rechtsbeugung widersetzte, wird nun ausgerechnet Rechtsbeugung vorgeworfen. Das wirkt wie aus einem absurden Theater-Stück. Doch es geht noch weiter: Im Prozess gegen den suspendierten Familienrichter hat die Staatsanwaltschaft am Freitag drei Jahre Haft gefordert, wie der „MDR“ mitteilt.

Der Vorwurf der Staatsanwältin: Der 60-Jährige habe die Maskenpflicht an zwei Weimarer Schulen aufgehoben, obwohl er dafür nicht zuständig gewesen sei. Dabei gibt es viele gute Gründe, die für eine Zuständigkeit sprachen (siehe hier). Der MDR ignoriert das und gibt die Meinung der Staatsanwaltschaft als seine eigene aus: „Der Richter war gar nicht zuständig.“

Die Staatsanwältin verdrehte den Sachverhalt im voll besetzten Saal im Erfurter Landgericht in einer Art und Weise, die an Romane von Kafka und Orwell erinnerten: „Der Angeklagte habe sein Amt mit Füßen getreten und dem Rechtsstaat geschadet.“

Sie wirft Dettmar also genau das vor, was Kritiker ihr und ihrer ganzen Behörde vorwerfen. Die Staatsanwältin ist gebunden an Weisungen der rot-rot-grünen Landesregierung bzw. der grünen Justizministerin Doreen Denstädt, einer ehemaligen Sachbearbeiterin bei der Polizei, die durch die Quote ins Amt gerutscht ist.

Besonders pikant: Zu Beginn der Ermittlungen war der damalige Justizminister noch Dirk Adams von den Grünen. Der hat sich seine politischen Sporen als Mitarbeiter im Wahlkreisbüro der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt verdient und sich für Schnellverfahren nach Corona-Protesten ausgesprochen – also für genau das, womit sich die Grünen bei Kriminellen oft sehr schwertun.

Vor Gericht zitierte die Staatsanwältin „aus Mails und Chats, die nach ihrer Überzeugung belegen, dass der Angeklagte gezielt nach Kindern suchte und suchen ließ, für deren Namen er zuständig war“, wie der MDR berichtet.

Laut Staatsanwaltschaft soll Dettmar elementare Verfahrensvorschriften missachtet und materielles Recht verletzt haben. „Sein Beschluss gegenüber Leitungen und Lehrenden zweier Schulen sowie den Vorgesetzten der Schulleitungen sei ‚willkürlich'“, so die Staatsanwältin laut „MDR“: „Dabei habe er schließlich zwei Kinder gefunden, deren Eltern ihm die Einleitung eines Kinderschutzverfahrens ermöglichten. Diese seien für ihn aber nur Mittel zum Zweck gewesen, um gegen Corona-Schutzmaßnahmen vorzugehen“.

Die Verteidiger plädierten auf Freispruch, so der „MDR“. Sie machten geltend, Richter Dettmar habe nur das Wohl der Kinder im Auge gehabt. Auch der angeklagte Richter Dettmar selbst beteuerte, er habe bei seiner Entscheidung nur an die Kinder gedacht und würde sie jederzeit wieder so treffen. Das Urteil wird in der nächsten Woche erwartet.

Der Prozess ist auch deshalb brisant, weil die Justiz bisher fast ausschließlich gegen Kritiker der Corona-Maßnahmen vorgeht, sowie Ärzte und Richter, die sich diesen widersetzten. Die Verantwortlichen für diese Maßnahmen schont die Justiz ebenso wie die Hetzer, die massive Vorbehalte und Hass gegen Ungeimpfte schürten.

https://reitschuster.de/post/staatsanwaltschaft-will-weimarer-maskenrichter-in-knast-bringen/

 

 

 

Dieses Strafverfahren ist ein politisches Verfahren“ Prozess gegen Sensationsrichter Dettmar vertagt

20.04.2023

Am Dienstag hätte vor dem Landgericht Erfurt der von vielen Beobachtern mit Spannung erwartete Prozess gegen den Sensationsrichter Christian Dettmar beginnen sollen. Bis Anfang Juli waren insgesamt zehn Verhandlungstage angesetzt. Eigentlich. Doch wenige Tage vor dem Auftakt verkündete das Gericht am vergangenen Freitag die Vertagung auf den 15. Juni 2023. Als Grund wurde die Bestellung eines weiteren Verteidigers zur Verfahrensabsicherung genannt. Dettmar wird bereits durch den Wahlverteidiger Gerhard Strate vertreten. Da dieser aber aus Hamburg kommt, bestellte das Gericht als Pflichtverteidiger zudem Peter Tuppat, einen Rechtsanwalt aus dem nähergelegenen Jena. Darüber hinaus sehen Juristen die Vertagung des Prozesses gegen Dettmar auch aus verfahrenstechnischen Gründen als sinnvoll an. Aktuell ist vor dem Oberlandesgericht Jena noch ein Beschwerdeverfahren in dieser Sache anhängig, dessen Ausgang eine durchaus relevante Bedeutung für das Verfahren in der Hauptsache beigemessen wird. ...

Zwischen den Zeilen der Erklärung der kritischen Richter und Staatsanwälte wird immer wieder deutlich: Die Staatsanwaltschaft Erfurt kann sich eine Niederlage vor Gericht kaum erlauben, sie braucht einen Schuldspruch gegen Richter Christian Dettmar. ...

https://reitschuster.de/post/dieses-strafverfahren-ist-ein-politisches-verfahren/

 

 

 

 


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