Der entmachtete Vater


 

 

 

 

Christian Gampert

Am Amtsgericht Tübingen hatte Christian Gampert nichtverheirateter Vater geklagt, um die Gemeinsame elterliche Sorge herzustellen. Das Amtsgericht wies die Klage ab. (Beschluss vom 19.5.1999 - 6 F 60/99).

Der Vater klagte daraufhin beim Oberlandesgericht Stuttgart. Dies wies seine Klage ab. Der Vater hat daraufhin Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben, dass am 29.1.03 seine Entscheidung fällte. Der Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 4.4.2001 - XII ZB 3/00 und die Beschlüsse des Oberlandesgerichtes Stuttgart vom 2.12. 1999 - 18 UF 259/99 und des Amtsgerichts Tübingen vom 19.5.199 - 6 F 60/99 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 6.

Die Sache wurde an das Oberlandesgericht Stuttgart zurückverwiesen.

 

Peinlich für das damals entscheidende Oberlandesgericht. Muss ein Vater erst zum Bundesverfassungsgericht um selbstverständliche Rechte für sich und sein Kind einzuklagen?

 

 

 


 

 

"Der entmachtete Vater"

Christian Gampert

Auszug aus Kursbuch 140 "Väter", Rowohlt, Juni 2000, Seite 161-169  

Christian Gampert

Auszug aus Kursbuch 140 "Väter", Rowohlt, Juni 2000, Seite 161-169

 

»Aber diese Wendung von der Mutter zum Vater bezeichnet überdies einen Sieg der Geistigkeit über die Sinnlichkeit, also einen Kulturfortschritt, denn die Mutterschaft ist durch das Zeugnis der Sinne erwiesen, während die Vaterschaft eine Annahme ist, auf einen Schluß und eine Voraussetzung aufgebaut. Die Parteinahme, die den Denkvorgang über die sinnliche Wahrnehmung erhebt, bewährt sich als ein folgenschwerer Schritt.«

Sigmund Freud, »Der Mann Moses und die monotheistische Religion«

 

Aus der Frauenbewegung stammt die Behauptung, dass wir in einer patriarchalen Gesellschaft leben. Der Begriff ist so sehr in das allgemeine Bewusstsein eingesickert, dass mittlerweile Politiker und Amtsträger nicht müde werden, sich selbst öffentlich zu geißeln und auf die Verderbtheit des männlichen Wesens an sich hinzuweisen. Es ist chic, gegen Männer zu sein, auch wenn man selber einer ist. Männer sind böse, geil und gewalttätig, eine Art Irrtum der Schöpfung. Man muss sie umerziehen.

 

Diese Litanei ist umso erstaunlicher, als ein Blick in die soziologische Literatur wie in den Alltag etwas Anderes lehrt: der Pater familias existiert nicht mehr. Vielleicht gibt es ihn noch in der Türkei, in Spanien, in Griechenland. In der Bundesrepublik gehen die meisten Väter (sofern sie nicht arbeitslos sind) tagsüber einem Job nach, in dem sie wenig zu sagen haben, und sie kehren abends in eine Familie zurück, in der sie als Randfiguren noch viel weniger zu sagen haben. Dies quer durch alle Schichten, Altersgruppen und Einkommensklassen - in der Familie bestimmt die Frau.

 

Die Entwertung der Vaterfigur ist, wie so vieles in der Bundesrepublik, eine Folge des Nationalsozialismus. Wer nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde, hatte wahlweise einen Täter oder einen Mitläufer zum Vater; günstigstenfalls war der Vater zu jung und nur Flakhelfer gewesen. Phantomväter waren sie alle, merkwürdige Schatten ihrer selbst. Die antiautoritären Versuche der 68er, die nun besonders verständnisvolle und interessierte Väter sein wollten, wurden von den Kindern auch nicht gerade bejubelt: die Nachgeborenen übten Nachsicht mit den progressiven Menschen, die sich so um sie bemühten. Heute, endlich, hätte zum ersten Mal eine Elterngeneration die Möglichkeit, halbwegs unbehelligt von politischen Traumata sich um ihre Kinder zu kümmern - aber nun tobt der Geschlechterkampf. Man streitet nicht nur in Beziehung und Familie sondern konkurriert auch um Arbeitsplätze und Arbeitszeiten. Wer darf wann und warum arbeiten, das ist die Frage. Mit der Folge, dass der stockdumme Pantoffelvater konventioneller Moralität halbwegs überleben wird (denn die Frau bleibt zu Hause), der postkonventionelle uneheliche Vater aber, der gegenüber seinen Kindern per se keinerlei Rechte hat, nun vollends zur Karikatur gerät.

 

An der rechtlichen Situation unehelicher Väter lässt sich schön veranschaulichen, welche Wichtigkeit die politischen Parteien der Vaterrolle überhaupt beimessen: keine. Am 1. Juli 1998 trat nach fünfzehnjährigem (!) Tauziehen und nach mehrmaligen Ermahnungen durch das Bundesverfassungsgericht ein neues Kindschaftsrecht in Kraft, das von einer großen Koalition quer durch alle Bundestagsparteien abgesegnet worden war. Der damalige Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) behauptete kühn, das neue Gesetz sorge endlich für die Gleichbehandlung von ehelichen und unehelichen Kindern 1, und seine Nachfolgerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) findet das Gesetz auch ganz toll. Die neue Regelung entpuppte sich aber sehr schnell als Fortschreibung jener verfassungswidrigen Situation, die doch gerade bereinigt werden sollte.

 

Der Pferdefuß ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen: ein gemeinsames Sorgerecht für die sogenannten unehelichen Eltern ist schon möglich - Gedankenstrich: wenn die Mutter dem zustimmt. Sagt sie nein, bleibt das Sorgerecht allein bei ihr. Das heißt: Die Frau als offenbar höher gestelltes Wesen entscheidet, ob das Kind einen Vater haben darf oder nicht. Das ist nicht nur vom Kind aus gesehen absurd, denn natürlich hat das uneheliche Kind ebenso wie das eheliche einen Anspruch auf Vater und Mutter; es ist auch demokratietheoretisch höchst bedenklich, weil hier Staatsbürger zweierlei Rechts konstruiert werden. Begründen lässt sich das nur mit einer biologistischen Argumentation, die das Grundgesetz aber sehr deutlich verbietet. 2

 

Nach wie vor ist das uneheliche Kind rechtlich ein Bürger zweiter Klasse, auch wenn seine Unehelichkeit im Alltag längst keine Rolle mehr spielt. Sein Erzeuger wird vom Gesetz primär als Zahlvater betrachtet. Es ist dies juristisch übrigens der einzige Fall, in dem eine Person nur Pflichten und keinerlei Rechte hat - vergleichbar nur der früheren Lage von Wehrpflichtigen, die zwar dienen, aber nicht wählen durften. Wie ein Asylbewerber muss der Vater auf das Wohlwollen der Frau hoffen, sich vor der hohen Anerkennungskommission bewähren, bevor er endlich als vollwertiges Familienmitglied zugelassen wird, ein Vater gnadenhalber oder eben ein hinausgeworfener Vater. Wie sehr die so entwertete Figur den Kindern imponiert, die für den tatsächlichen Status einer Person ganz feine Antennen haben, kann man sich denken. Und indem die Frauenbewegung dieser trüben Realität Beifall zollt, ihr Erziehungsmonopol verteidigt und am Grundsatz der Ungleichheit festhält, stellt sie sich in eine fragwürdige Tradition. Wer die Mutter mythologisiert und den Vater nur als Erzeuger zulässt, tut auch den Kindern keinen Gefallen - weil die sich früher oder später auf die Suche nach dem (so zu unangemessener Größe aufgeblasenen) Abwesenden begeben werden.

 

Ich möchte erzählen, zu welchen Ergebnissen die Außerkraftsetzung des Gleichheitsgebots führt - wenn also Menschen aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Herkunft unterschiedliche Rechte genießen. Ein Freund von mir, K., Literaturwissenschaftler, lebt in einer norddeutschen Großstadt. Er arbeitet in verschiedenen Jobs beim Fernsehen und ist ständig von Arbeitslosigkeit bedroht. Seine Beziehung zu A. war mir nie besonders geheuer. A. studierte seit zehn Jahren ohne Abschluss; sie schien mir unsicher und chaotisch, obgleich sie ihren Freund ständig dominierte. Nach drei Jahren, als die beiden kurz vor der Trennung stehen, wird A. schwanger. K. ist mäßig begeistert, lässt sich aber einreden, dass das Kind die Beziehung retten werde.

 

Nach der Geburt bekommt A. Depressionen; sie sei nicht mehr begehrenswert, unbrauchbar für den Arbeitsmarkt, sie langweile sich zu Hause und so fort. Ihre Beziehung zu dem Baby sei oberflächlich, sagt K., sie sei ständig nur müde und genervt und könne sich an dem Kind gar nicht freuen. K. reduziert seine Arbeit, betreut das Kind und bemüht sich um A. Durch einen Zufall, das Kind ist ein Jahr alt, bekommt A. einen Ausbildungsplatz bei einer Bank, bei schmalem Gehalt. Sie schlägt vor, das Kind zu ihrer Mutter zu geben, die 700 Kilometer entfernt in X. lebt. K. weigert sich, nimmt einen Kredit auf und bleibt nun ganz zu Hause, während A. in ihrem Job aufblüht und sich kaum noch für die Familie interessiert.

 

Nun folgt ein schon klassisches Rollenspiel, nur eben mit umgekehrten Vorzeichen: A. beginnt eine Affaire mit einem Kollegen und glaubt auf einmal an die große Liebe. Für das Kind hat sie keine Zeit, dafür hat sie aber das Sorgerecht. K. möchte sich trennen und arbeiten, kann aber das Kind nicht allein lassen. Unter diesen unwürdigen Bedingungen wohnen die beiden ein Jahr lang zusammen. Dann bekommt A. eine feste Stelle bei ihrer Bank und zieht mit dem Kind aus der gemeinsamen Wohnung aus.

 

Halten wir kurz inne, um die (von den Ministern Schmidt-Jortzig und Däubler-Gmelin behauptete) angebliche Gleichstellung von ehelichen und unehelichen Kindern zu überprüfen. Wären A. und K. verheiratet, so hätte K. gute Chancen, das alleinige Sorgerecht zu erhalten - er ist die Hauptbezugsperson des Kindes. Auf alle Fälle gäbe es eine Instanz, nämlich das Familiengericht, das bei einer Scheidung sich über das sogenannte Kindeswohl Gedanken machen müsste. Eine solche Instanz gibt es für die uneheliche M., die mittlerweile dreijährige Tochter von A. und K., keineswegs. Die Mutter hat das Sorgerecht, basta. Glücklicherweise merkt A., dass sie Zeit für ihre neue Beziehung und zum Arbeiten braucht. Sie lässt sich von K. zu einer Art Vertrag überreden: M. ist die halbe Woche bei A., den Rest der Woche bei K. Das Kind reagiert (nach Angaben von K.) mit Bettnässen, Hyperaktivität und ungewöhnlichen Verhaltensweisen.

 

K. hat nochmal Glück gehabt, sollte man denken: kein Missbrauchsvorwurf der Mutter, der an dieser Stelle gewöhnlich kommt, keine finanziellen Forderungen. Er kann wieder ein bisschen arbeiten, er betreut sein Kind. Für das kleine Mädchen sieht es schon ganz anders aus: es gerät unvermeidlich in das Spannungsfeld zwischen den Eltern, die sich getrennt haben und doch nicht trennen können. Es kann nicht verstehen, dass der Vater den netten neuen Mann der Mutter nicht besonders schätzt. Ob die gemeinsame Betreuung dem Kind nützt, bleibt zweifelhaft. Es kann sein, dass das besser ist als vieles andere, es kann aber auch nicht sein - zumal A. zunächst jeden Kontakt mit K. verweigert und über die Probleme des Kindes nicht sprechen will. Entscheidend ist aber, dass es juristisch gar keine Instanz gibt, die über das Kindeswohl befinden könnte. Für andere Kinder gibt es das Familiengericht, für M. nicht. K. ist noch nicht einmal befugt, mit dem Kind eine psychologische Beratungsstelle aufzusuchen - die medizinische Betreuung obliegt der Mutter, und die will nicht.

 

An dieser Stelle wird normalerweise folgender Einwand erhoben: Gewiss, die Geschichte sei tragisch, aber eben ein bedauerlicher Einzelfall. Gewöhnlich sei der uneheliche Vater nicht an seinem Kind interessiert, er sei unzuverlässig und mache nur Arger. Die einzige vorliegende größere Studie zur Lebenslage unehelicher Kinder, die der Soziologe Laszlo Vaskovics im Auftrag des Bundesjustizministeriums erstellt hat 3, spricht da eine ganz andere Sprache. Zwar bemerkt auch er, dass rund 50 Prozent der unehelichen Kinder (nur 50 Prozent!) bei alleinerziehenden Müttern leben. 4 Bei näherer Analyse wird allerdings klar, dass ein Großteil dieser Mütter den Kontakt des Kindes zum Vater gar nicht wünscht oder sogar aktiv unterbindet. Schon während der Schwangerschaft betrachtet ein Drittel dieser Frauen das Kind nicht als Ausdruck einer Beziehung, sondern als ihr Eigentum, das zum Vater in keinem Konnex steht. Frau will ein Kind (warum eigentlich?), einen Mann sucht sie sich später aus. Zahlen muss der leibliche Vater sowieso. Dramaturgisch ist das geschickt gemacht: Frau grenzt Vater aus - und beklagt sich dann lautstark, dass sie alles allein machen muss. Vielleicht ist das das Hauptergebnis der Emanzipationsbewegung: die Frauen haben virtuos gelernt, sich als Opfer darzustellen - und in den Medien damit zu spielen.

 

Unter diesen Umständen nimmt es wunder, dass (nach den Ergebnissen von Vaskovics) immerhin ein Viertel aller unehelichen Kinder mit beiden Eltern als Familie zusammenleben. Bis zum zwölften Lebensjahr wird etwa ein Drittel dieser Kinder von den Eltern durch Eheschließung »legitimiert«, wie Vaskovics das ausdrückt. Das heißt, die Eltern betrachten ihr Zusammenleben als eine Art Probierstadium, das man bei Gelingen dann auch steuerlich günstiger gestalten kann. Oder eben nicht.

 

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts wurden 1998 in der Bundesrepublik 417000 Ehen geschlossen, 192000 wurden geschieden. Das ergibt die schier unglaubliche Scheidungsquote von 46 (!) Prozent. Es gab fast 2 Millionen sogenannte nichteheliche Lebensgemeinschaften; in 557000 dieser Haushalte sind Kinder. Nach den (normalerweise realistischeren) Hochrechnungen des Deutschen Familiengerichtstags leben sogar 5 Millionen Menschen »unehelich« zusammen. 1998 waren von 785000 Neugeborenen 157000 uneheliche Kinder; zu deutsch: jedes fünfte Baby in der BRD wächst in einer rechtlichen Grauzone auf und muss es Mutti überlassen, ob Papa denn genehm ist.

 

Die Politik steht vor diesem neuen Liebeschaos und glotzt blöd. Die CDU als ordnungspolitische Großmacht hält eisern am »Institut der Ehe« fest und will daneben nichts gelten lassen, sondern arme allein erziehende Frauen fördern. Die Konservativen bilden eine unheilige Allianz mit Grünen und SPD-Frauen, die partout das Monopol der unehelichen Mutter retten wollen. Die Justizministerin bastelt derweil am Entwurf für die Schwulenehe, was eine intime Kenntnis schwuler Lebensgewohnheiten verrät - und nebenbei dem homosexuellen Paar mehr Rechte einräumt als unehelichen Heteros mit Kind, was noch einmal das Gleichheitsgebot verletzt. Was wohl das Bundesverfassungsgericht dazu sagen wird? Die politische Klasse selber wiederum rennt gern, Bundeskanzler Schröder als leuchtendes Beispiel, bis zu viermal aufs Standesamt, um Treue bis zum Tod zu schwören - und hält dieses infantile Gebaren auch noch für modern.

 

Das Volk ist wesentlich kundiger in Liebesdingen: es weiß, dass jeder von uns im Laufe seines Lebens mehrere wichtige, langdauernde Beziehungen hat, dass man probieren muss, dass Liebe immer auch mit Verletzung und oft eben mit Trennung verbunden ist. Deshalb wird immer weniger geheiratet - was nicht heißt, dass diese Leute für ihre Kinder keine Verantwortung übernehmen wollen. Im Gegenteil: uneheliche Väter, das zeigen die Untersuchungen, nehmen sich weitaus mehr Zeit für ihre Sprösslinge als eheliche Väter für die ihren. Nur im Fall einer Trennung sind die unehelichen Kinder wieder benachteiligt: haben die Eltern kein gemeinsames Sorgerecht, bleiben sie automatisch bei der Mutter. Eheliche Kinder dagegen, und in diesem Punkt ist das neue Kindschaftsrecht ein Riesenfortschritt, behalten beide Eltern, denn der Gesetzgeber nimmt das Fortbestehen der gemeinsamen Sorge als Normalfall an. Wer die Alleinsorge will, muss das erst mal begründen.

 

Der Vorsitzende des Deutschen Familiengerichtstags, Siegfried Willutzki, nennt das »Einigungsdruck«. Um des Kindes willen sollen die Eltern sich zusammenraufen und eigene Ressentiments anders abarbeiten. Charakteristischerweise ist die uneheliche Mutter diesem Zwang zum Konsens nicht ausgesetzt - wer das alleinige Recht hat, muss sich nicht einigen. Und es ist leicht zu sehen, dass eine solche Rechtslage schon in einer bestehenden Beziehung die Kompromissfähigkeit schwächt und Trennungsphantasien fördert - oder überhaupt erst in Gang setzt. Wer sicher sein kann, sein Kind zu behalten, trennt sich leichter.

 

Auf absurde Weise hat sich also die Alleinsorge der unehelichen Mutter, die unter ganz anderen moralischen Verhältnissen in den fünfziger Jahren etabliert wurde und dem Schutz der Kinder dienen sollte, in ein Kampfinstrument gegen die Väter verwandelt. Der Gesetzgeber, sowieso nicht mit Phantasie gesegnet, schaut gebannt auf die neue Liebesunordnung der Jahrtausendwende, murmelt die Beschwörungsformeln vergangener Zeiten und ist ziemlich ratlos.

 

Schauen wir einmal nach, wie es inzwischen A. und K. geht und ob M. sich an das Leben in zwei Elternhäusern gewöhnt hat. Leider ist nichts Gutes zu berichten: M. ist zwar im Kindergarten ein originelles Kind, aber sie weint häufig, ist aggressiv und spuckt auf der Straße fremde Leute an. Für ein Mädchen ist Letzteres sehr ungewöhnlich. K. schreibt mir viele Briefe und überlegt, ob er das Kind nicht besser der Mutter überlassen sollte, um den Konflikt zu beenden. A. ist inzwischen von ihrem Liebhaber verlassen worden; sie hat seitdem immer neue Beziehungen, die regelmäßig scheitern und M. stets in Verwirrung stürzen. K. behauptet, seine eigenen Affären von dem Kind fern zu halten.

 

Spinnen wir die Geschichte noch ein bisschen weiter: M. ist zu einem Zeitpunkt geboren, als das neue Kindschaftsrecht noch nicht galt, eine gemeinsame Sorgeerklärung der unehelichen Eltern also nicht möglich war. Nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes »begehrt«, wie es im Juristendeutsch heißt, K. nun das gemeinsame Sorgerecht, um die tatsächliche Betreuungssituation rechtlich abzusichern. A. lehnt ab - es laufe doch auch so alles wunderbar. K. sucht sich einen Anwalt, investiert Zeit und viel Geld und klagt auf gemeinsames Sorgerecht. Was wird passieren?

 

Wir stellen folgende Prognose: Nach einem halben Jahr lehnt das Amtsgericht in Y. den Antrag ab mit der Begründung, ein gemeinsames Sorgerecht gegen den Willen der Mutter sei im Gesetz nicht vorgesehen. Nach einem weiteren Dreivierteljahr kommt der Fall vor das Oberlandesgericht in Z., und hier wird nun verhandelt. A. wird eventuell konzedieren, es gebe in Fragen der Schule, der Religion und der medizinischen Versorgung keine Probleme zwischen den Eltern. Aber sie wird unter Umständen behaupten, K. kritisiere ihren Erziehungsstil und stelle ihre Kompetenz in Frage. Außerdem habe er einmal ihren Freund in Gegenwart des Kindes als Idioten bezeichnet. K. wird dies natürlich bestreiten und auf seine langjährige Erziehungsarbeit verweisen. Das Gericht, so steht zu erwarten, wird der Mutter Recht geben - denn für ein gemeinsames Sorgerecht müsse Einigkeit zwischen den Eltern herrschen. Die Mutter habe aber triftige Gründe genannt, die die Kooperationsfähigkeit der Eltern fraglich erscheinen lassen.

 

So weit, so schlecht für das Kind. Mutter kooperiert zwar täglich, will aber kein Recht gewähren. Die juristische Konstruktion für solche (immer wieder vorkommenden) Urteile ist schlicht genial: Man verlangt von zwei Menschen, die sich getrennt haben, »Einigkeit« und »Kooperationsbereitschaft« - und wer nicht will, hat schon gewonnen. Dass bestimmte Konflikte auch in der Normalfamilie zum Alltag gehören, ist nebensächlich. Gegenüber dem Kind sind die juristischen Salti mortali noch grotesker: die offensichtlich konfliktreiche Situation von M. zwischen zwei Elternhäusern ist nach Ansicht der Gerichte kein Anlass zur Besorgnis: solange das Kind keine psychopathologischen Symptome zeigt oder körperlichen Schaden nimmt, wird man nicht eingreifen. Ein gemeinsam ausgeübtes Sorgerecht der Eltern aber würde das »Kindeswohl« gefährden.

 

Ein von vornherein allen Eltern gewährtes Sorgerecht gefährdete dabei etwas ganz anderes: die Privilegien der Mutter und die seit fünfzig Jahren eingeübten juristischen Vorurteile. Dass man beim Scheitern auch unehelicher Beziehungen eventuell verhandeln müsste, ist nicht genehm. Man scheut den Verwaltungsaufwand.

 

Es ist unübersehbar, dass die bundesrepublikanische Gesellschaft dieser Jahre weiblich identifiziert ist. Die uneheliche Mutter ist unangreifbar, sie ist die heilige Kuh der deutschen Justiz. Es gibt schlechte Mütter, aber offiziell redet man nicht darüber. Mutter tritt einer Psychosekte bei, die ihr die Trennung vom langjährigen Gefährten nahelegt - und nicht nur die Frau ist weg, sondern auch das Kind. Es ist nämlich nicht verboten, einer Sekte anzugehören. »Eine missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge« nach § 1666 BGB war nicht festzustellen. Männer bauen Häuser aus und windeln Babys - wenn Mutter plötzlich nach Afrika ziehen will, lebt das Baby ab jetzt eben anderswo, kann ja nicht schaden.

 

Selbst wenn es blutig wird, ist die öffentliche Meinung immer mit den Armen und Beladenen: Väter, die ihre Kinder (und sich selber) umbringen, sind in der Presse immer Bestien, arme Irre, die die Trennung nicht verkraftet haben. Frauen, die zwar nicht sich selbst, aber ihre Kinder killen und in Kühltruhen einfrieren, sind dagegen überlastete, verzweifelte Mütter, die sich nicht anders zu helfen wussten. 5 Der verständnisvolle Rummel um die präsumptive Kindsmörderin Monika Böttcher (geschiedene Weimar) spricht für sich.

 

Was macht es den Frauen so schwer, das Bedürfnis der Kinder nach einer triangulären Struktur zu erfüllen? Während die Väter kaum Lust zeigen, als genervte Alleinerzieher durch die Welt zu laufen, und sich stattdessen lieber die Mühsal des Familienalltags antun, wollen die Frauen das immer weniger: sie wollen arbeiten und - quasi gratis - in der Familie das Erziehungsmonopol behalten. Gleichzeitig wird beides kaum gehen, aber versuchen kann »frau« es ja mal.

 

Es wird also langfristigen Ärger geben - und die Mütter haben ihre Bataillone schon in Stellung gebracht: im Kindschaftsrecht heißt der neue Kampfplatz »Anwalt des Kindes«. Kinder sollen in Umgangs- und sorgerechtlichen Gerichtsverfahren nämlich einen Beistand erhalten, der ihre »wahren« Wünsche auslotet, also: ob sie zu Mama oder zu Papa wollen oder doch zu beiden. 6 Die Anforderungen für diesen Beruf, der eigentlich nur von erfahrenen psychiatrischen Klinikern ausgeübt werden kann, sind noch nicht genau definiert. Welche Chance! Jetzt schon ist sichtbar, dass lauter engagierte Sozialpädagoginnen sich um die lieben Kleinen bemühen werden. Der Frankfurter Mütterlobbyist Ludwig Salgo, im Hauptberuf Jura-Professor, stimmt sie auf den Tagungen der Evangelischen Akademie in Bad Boll schon freundlich ein. Dort referiert dann auch die neue Bundesverfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt, auf dem SPD-Frauen-Ticket nach Karlsruhe gekommen und Salgo seit Studientagen herzlich verbunden.

 

Fast weiß man also schon, was für Urteile demnächst aus Karlsruhe zu hören sein werden- vor allem, wenn das neue Kindschaftsrecht auf dem Prüfstand steht. Justizministerin Herta Däubler-Gmelin zeigt nämlich keinerlei Lust, das Gesetz zu ändern; Parteifreundin Hohmann-Dennhardt wird sich dran halten. Warum sollten Frauen dümmer sein als das System Kohl?

 

Anmerkungen

 

1. »Informationen des Bundesministeriums der Justiz« vom 25. September und vom 17. Oktober 1997.

2. Wir machen uns keine Illusionen über den Charakter bürgerlicher Verfassungen, zitieren aber dennoch die entsprechenden Grundgesetzartikel:

GG Artikel 6 Abs. 5: »Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.«

GG Artikel 6 Abs. 1: »Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung« - wobei Ehe und Familie nach dieser sorgfältigen Formulierung zwei unterschiedliche Dinge sind und Familie auch als nicht-eheliche Familie denkbar ist.

GG Artikel 6 Abs. 2: »Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern« - notabene: der Eltern, nicht der Mutter! - »und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.« Warum sollte der uneheliche Vater, der sein Kind anerkennt, also dieses »natürliche Recht« nicht haben?

GG Artikel 3 Abs. 1: »Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.«

GG Artikel 3 Abs. 2: »Männer und Frauen sind gleichberechtigt« - wobei an dieser Stelle darauf hinzuweisen ist, dass Frauen de facto in dieser Gesellschaft Nachteile erleiden, was durch Sozialpolitik zu bekämpfen wäre, dass sie aber de iure absolut gleichberechtigt sind, also dieselben Ausbildungschancen und politischen Rechte haben wie jeder Mann. Nur der uneheliche Vater hat keinerlei Rechte, weder de iure noch de facto. Er und sein uneheliches Kind sind die einzigen Rechtsfiguren, denen die Grundrechte vorenthalten werden. GG Artikel 3 Abs. 3: »Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden« (Hervorh. v. mir).

3. L. A. Vaskovics, H. Rost, M. Rupp, »Lebenslage nichtehelicher Kinder. Rechtstatsächliche Untersuchung zu Lebenslagen und Entwicklungsverläufen nichtehelicher Kinder«. Im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz, Köln 1997.

4. Nach einer anderen, von Vaskovics zitierten Untersuchung aus dem Jahr 1993 (Statistisches Jahrbuch) lebten damals in den alten Bundesländern 355000 Kinder bei ledigen Frauen, aber immerhin 54000 bei ledigen Männern. Auch das gibt es also.

5. Ein schönes Beispiel für diese Art von identifikatorischem Journalismus bietet das Zeit-Dossier von Merle Hilbk, »Wenn Mütter morden«, Die Zeit vom 4. November 1999.

6. Auch hier haben die unehelichen Kinder krasse Nachteile: Trennen sich Eheleute, so ist das Gericht gehalten, einen Interessenvertreter des Kindes zu bestellen. Trennen sich Unverheiratete ohne gemeinsames Sorgerecht, so ist ein solcher »Anwalt des Kindes« nicht vorgesehen. Offenbar haben uneheliche Kinder keine Interessen, die vertreten werden müssten. Ein sorgerechtliches Verfahren findet gar nicht erst statt.  

 


zurück