Doppelwohnsitz
OLG Brandenburg: Doppelwohnsitz des Kindes nach Trennung der Eltern
NJOZ 2004 Heft 31 2560
Doppelwohnsitz des Kindes nach Trennung der Eltern
ZPO §§ 36 I Nr. 6, 281; FGG § 36 I 1; BGB §§ 11 S. 1, 1671
Die Trennung der sorgeberechtigten Eltern begründet für gemeinsame Kinder einen Doppelwohnsitz. Auf den tatsächlichen Aufenthaltsort des betroffenen Kindes kommt es nicht an, selbst wenn dieser einverständlich oder (bei Übertragung
OLG Brandenburg: Doppelwohnsitz des Kindes nach Trennung der Eltern NJOZ 2004 Heft 31 2561 des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil) einseitig bestimmt worden ist.
OLG Brandenburg, Beschluß vom 21. 3. 2003 - 9 AR 9/02
Zum Sachverhalt:
Die nicht verheirateten Eltern waren in Senftenberg wohnhaft. Nach der Trennung zog die Mutter mit dem minderjährigen Kind nach Westerburg. Der Ast. (Vater) hat einen Sorgerechtsantrag bei dem AG - FamG - Senftenberg eingereicht. Dieses hat das Verfahren an das AG - FamG - Westerburg verwiesen, das die Übernahme abgelehnt hat. Das OLG Brandenburg bestimmte das AG Senftenberg zum zuständigen Gericht.
Aus den Gründen:
Zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit ist das OLG Brandenburg gem. § 36 I Nr. 6 u. II ZPO berufen. Es handelt sich um eine isolierte Familiensache (Sorgerechtsverfahren) gem. § 621 I Nr. 1 ZPO. Der für Kompetenzkonflikte an sich einschlägige § 5 FGG ist damit nicht anwendbar, vielmehr gelten insoweit die zivilprozessualen Verfahrensvorschriften (vgl. § 621a I 2 ZPO) und damit die Zuständigkeitsbestimmungsregelung des § 36 ZPO.
Intern ist der Familiensenat des OLG für den bestehenden Kompetenzkonflikt zweier FamG zuständig. Zu den von den FamG entschiedenen Sachen i.S. des § 119 I Nr. 1a GVG zählen auch solche die Hauptsacheentscheidung vorbereitenden Nebenentscheidungen der AG. Eine solche Nebenentscheidung stellt auch der Streit zweier FamG um die örtliche Zuständigkeit i.V. mit den nach § 36 I Nr.6 ZPO erforderlichen Erklärungen über die eigene Unzuständigkeit dar (vgl. auch OLG Düsseldorf, FamRZ 1977, 725; Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl. [2003], § 119 GVG Rdnr. 8).
Als örtlich zuständiges Gericht ist gem. § 36 I 1 FGG i.V. mit § 11 BGB das AG Senftenberg zu bestimmen. Zwar betrifft § 36 FGG an sich das VormG, wohingegen es sich hier um eine familienrechtliche Streitigkeit handelt, für die das FamG zuständig ist (§ 23b I 1 und 2 Nr. 2 GVG). Jedoch sieht § 621a I 1 ZPO die Anwendung des FGG und damit auch der entsprechenden Zuständigkeitsvorschriften des FGG voraus, da es an einer anderweitigen Bestimmung i.S. dieser Norm fehlt. Nach § 64 III 2 FGG tritt dann an die Stelle des VormG das FamG. Insofern gilt auch für das FamG die Zuständigkeitsvorschrift des § 43 I FGG und damit wiederum diejenige des § 36 I FGG.
Nach § 36 I 1 FGG ist der Wohnsitz des betroffenen Kindes für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit maßgebend.
Ein minderjähriges Kind teilt gem. § 11 S. 1 BGB den Wohnsitz der Eltern, soweit diese sorgeberechtigt sind. Da jeder Elternteil, dem das Recht für die Person des Kindes zu sorgen zusteht, dem Kind seinen Wohnsitz vermittelt, hat dieses, wenn die Eltern verschiedene Wohnsitze haben, einen doppelten Wohnsitz. Dies ist hier der Fall, da beide Elternteile gemeinsam sorgeberechtigt sind (vgl. die sorgerechtliche Erklärung nach § 1626a Nr. 1 BGB vom 24. 8. 1999) und zugleich verschiedene Wohnorte haben. Die Trennung der sorgeberechtigten Eltern begründet damit für gemeinsame Kinder einen Doppelwohnsitz (BGH, NJWE-FER 1997, 136; OLG Stuttgart, FamRZ 2003, 395; Palandt/Heinrichs, BGB, 62. Aufl. [2003], § 11 Rdnr. 4; Keidel/Kuntze/Winkler/Engelhardt, FGG, 15. Aufl. [2003], § 36 Rdnr. 12). Das Gesetz selbst sieht die Möglichkeit eines doppelten Wohnsitzes in § 7 II BGB auch vor.
Der doppelte Wohnsitz hat zur Folge, dass der die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf sich begehrende Ast. zwischen den Gerichten, die für die beiden Wohnsitze örtlich zuständig sind, wählen kann (BGH, NJWE-FER 1997, 136; Keidel/Kuntze/Winkler/Engelhardt, § 36 Rdnr. 12). Da der Ast. sein Wahlrecht zu Gunsten des AG Senftenberg als dem für seinen und daher auch für den abgeleiteten Wohnort des Kindes örtlich zuständigen AG ausgeübt hat, folgt hieraus die örtliche Zuständigkeit des AG Senftenberg für die Sorgesache.
Die Zuständigkeit des AG Senftenberg fehlt auch nicht deshalb, weil das AG Senftenberg mit Beschluss vom 20. 8. 2002 sich für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das AG Westerburg verwiesen hat. Der Verweisungsbeschluss ist entgegen § 281 II 4 ZPO nicht bindend, da er greifbar gesetzeswidrig ist.
An der Geltung des § 281 ZPO für die isolierte Sorgerechtssache bestehen auf Grund der Ersetzung des grundsätzlich geltenden § 5 FGG durch die zivilprozessualen Verfahrensvorschriften gem. § 621a I 2 ZPO keine Bedenken (s. auch BGHZ 71, 15 [16] = NJW 1978, 888 = LM § 621a ZPO Nr. 1; Keidel/Kuntze/Winkler/Schmidt, § 1 Rdnr. 41; Thomas/Putzo, ZPO, 24. Aufl. [2002], § 621a Rdnr. 10).
Soweit Beschlüsse gem. § 281 I ZPO unanfechtbar und für das Gericht, an welches verwiesen worden ist, bindend sind (§ 281 II 2 und 4 ZPO), treten diese Wirkungen gleichwohl dann nicht ein, wenn sich der angefochtene Beschluss als greifbar gesetzeswidrig darstellt, also wenn ihm jegliche gesetzliche Grundlage fehlt und er sich daher als willkürlich darstellt (allg. Ansicht; vgl. nur Zöller/Greger, § 281 Rdnr. 17 m.w. Nachw.). Willkür in diesem Sinne ist insbesondere bei einer Häufung grober Rechtsirrtümer und bei Verweisung durch ein zuständiges Gericht unter Übergehung einer eindeutigen Zuständigkeitsvorschrift zu bejahen (Zöller/Greger, § 281 Rdnr. 17).
Die greifbare Gesetzeswidrigkeit folgt hier zum einen daraus, dass es entgegen § 281 I 1 ZPO an einem Antrag des Ast. zu einer Verweisung fehlt. Der Ast. hat auf den ihm übersandten, die Zuständigkeitsrüge enthaltenen Schriftsatz der Ag. vom 15. 7. 2002 nicht reagiert. Damit hätte das AG, so es denn seine örtliche Unzuständigkeit bejaht, aus seiner Sichtweise den gestellten Antrag als unzulässig verwerfen müssen; eine Entscheidung nach § 281 ZPO kam jedenfalls nicht in Betracht.
Als weiterer schwerer Verfahrensfehler stellt sich die aus den vorstehenden Ausführungen ergebende Zuständigkeit des AG infolge der Doppelzuständigkeit auf Grund des Doppelwohnsitzes des betroffenen Kindes dar. Entgegen den Ausführungen im Verweisungsbeschluss vom 20. 8. 2002 hat sich an der örtlichen Zuständigkeit des AG Senftenberg auch nichts dadurch geändert, dass dem AG nachträglich zur Kenntnis gelangt ist, dass das betroffene Kind bereits seit Mai 2002 bei der Mutter lebt und dort auch gemeldet ist. Auf den tatsächlichen Aufenthaltsort des betroffenen Kindes kommt es, solange das Sorgerecht beider Elternteile fortbesteht, nicht an, wie aus den oben stehenden Ausführungen ersichtlich ist. Selbst wenn die Eltern den Aufenthaltsort des Kindes einverständlich bestimmen würden oder wenn einem der Eltern das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen würde, ändert dies nichts, solange im Übrigen die gemeinsame elterliche Sorge fortbesteht (OLG Stuttgart, FamRZ 2003, 395). Insoweit kann auch mangels einer näheren Begründung im Verweisungsbeschluss nicht nachvollzogen werden, weshalb das AG zunächst zutreffend unter Berücksichtigung des bestehenden Doppelwohnsitzes seine örtliche Zuständigkeit im Eilverfahren bejaht hat (vgl. den Beschl. v. 2. 7. 2002), nunmehr aber ohne nähere Angabe einer Begründung von diesen zutreffenden Gründen abweicht und allein auf den Aufenthalt des betroffenen Kindes bei der Mutter abstellen will.
Dahingestellt sein kann, ob nicht eine Abgabe gem. §§ 46, 64 III 2 FGG in Betracht kommt, da das AG ein solches Verfahren bisher nicht eingeleitet und der Senat zudem lediglich über die Frage zur Zuständigkeit gem. § 36 I Nr. 6 ZPO zu entscheiden hat.
(Mitgeteilt von Richter am OLG F. Götsche, Brandenburg)
Anm. d. Red.:
Zu Zuständigkeitsproblemen in der familiengerichtlichen Praxis s. Schwolow, FPR 2002, 605; s. auch OLG Jena, FamRZ 2002, 625; OLG Bamberg, FamRZ 2001, 777.