Erzwingungshaft
Rechtspflegergesetz
§ 4
(2) Der Rechtspfleger ist nicht befugt,
1.
2.Freiheitsentziehungen anzudrohen oder anzuordnen,, sofern es sich nicht um Maßnahmen zur Vollstreckung
a)
b)
c) der Erzwingungshaft nach §97 des Gesetzes über die Ordnungswidrigkeiten handelt
Der erste Feldbefreier im Gefängnis
Imker Michael Grolm bereitet sich auf Erzwingungshaft vor
Am 27. August wird der Gentechnikgegner und Berufsimker Michael Grolm im Gefängnis in Suhl erwartet. Statt traurigem Haftantritt steht eine farbenfrohe Demonstration auf dem Programm für den endgültigen Stopp der Gentechnik in der Landwirtschaft.
Da Michael Grolm zunächst in Weimar bei der Gerichtsvollzieherin vorsprechen muss, gibt es dort eine Demo zum Mitmachen, später eine Mahnwache und Soliaktionen in Suhl.
Der Grund für die jetzige Inhaftierung liegt schon eine Weile zurück: Im Jahr 2007 fand die dritte große freiwillige Feldbefreiung auf einem Genmaisfeld in Brandenburg statt. Mit dabei erneut Michael Grolm aus Thüringen. Weil er als Feldbefreier schon bekannt war, ließ ihm der Genmais-Anbauer per Gerichtsvollzieherin eine einstweilige Verfügung überbringen, die ihn aufforderte, das Genmaisfeld zu meiden und ihm ansonsten eine hohe Strafe androhte. Der Imker ließ sich nicht aufhalten, ging mit vielen Gleichgesinnten und zahlreichen Journalisten im Schlepptau auf das Feld und half tatkräftig dabei, Genmaispflanzen unschädlich zu machen.
2008 fand der Zivilprozess um die Missachtung der Verbots- Verfügung in Frankfurt/Oder statt. Kein guter Tag für den Monsanto-Anwalt, der den Genmais-Bauern vertrat. Anstatt Grolm zur Zahlung der geforderten 10.000 Euro zu verurteilen, reduzierte das Gericht auf 1.000 Euro.
Womit auch neun Zehntel der Gerichtskosten beim Kläger verblieben. 1.000 Euro, so hatte es der Gentech-Anwalt gefordert, entsprechen in diesem Urteil zwei Tagen Haft.
Der Feldbefreier war von Anfang an bereit, diese zwei Tage auch im Gefängnis verbringen, um seine Entschlossenheit deutlich zu machen und erneut für die gentechnikfreie Landwirtschaft zu werben. Allerdings verlangte das Gericht einen Offenbarungseid, bevor die Ordnunghaft in Anspruch genommen werden könnte. Den will Grolm nicht ablegen und muss nun in Erzwingungshaft. Wie lange diese dauert, ist ungewiss. Allerdings schreibt das Recht vor, dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben muss.
Termine:
Bei der Gerichtsvollzieherin in Weimar wird Micha am 27.8.um 8.00 Uhr morgens erwartet. Wir sind dabei: zur Demo! Treffen um 7.30 Uhr vor der Johann-Sebastian-Bach-Straße 1 a. Traktoren und Solidaritäts-Transparente werden erwartet. Wer einen Übernachtungsplatz benötigt, melde sich bitte bei aktion@gendreck-weg.de
Beim Gefängnis in Suhl: Genaue Ankunft unbekannt. Eine Mahnwache beginnt um 10.00 Uhr vor dem Gefängnisgebäude.
Eine weitere Mahnwache ist geplant für den 29.08. ab 20:00 Uhr
- mit Gentechnik-Vortag vor dem Gefängnis.
Ansprechpartner für die Mahnwachen Frank Schellhorn:
03685 - 77 28 72 oder 0160 - 43 23 04 2
** Schreibt Solibriefe nach Suhl!
Michael Grolm freut sich über Post von Gleichgesinnten. Jeder Brief wird auch zeigen, dass er viel Unterstützung für sein Handeln erfährt und wie viele Menschen für gentechnikfreie Landwirtschaft aktiv bleiben. Spätestens nach Michas Knastaufenthalt gibt es einen Bericht für alle, die sich gemeldet haben.
Die Adresse lautet: Michael Grolm, z.Z. JVA Goldlauter, Zellaer Str. 154, 98528 Suhl.
** Aufruf Solispenden
Jeder Tag Gefängnis ist einer zu viel. Dennoch: Jeder Tag Gefängnis kann auch ein Tag des Erstarkens des Widerstandes gegen die Agrogentechnik werden. Micha wünscht sich, dass möglichst viele Menschen für jeden Tag, den er im Knast verbringt eine kleine Spende auf das Rechtshilfekonto von Gendreck-weg überweisen. Denn so machen wir ihnen einen Strich durch die Rechnung: Wir werden nicht klein und leise, weil ein Feldbefreier eingesperrt ist, sondern stärker und lauter!
Konto: Rechtshilfe Gendreck-weg, Kontonummer 401 687 1300
bei der GLS Bank Bochum, BLZ 430 609 67
http://www.szenepunkt.de/news.php
Unerwartete Post
Plötzensee zum Nulltarif
Neulich in meinem Briefkasten: Ein länglicher weißer Umschlag. Oben rechts steht "Staatsanwaltschaft Leipzig", darunter "Ladung zum Antritt der Erzwingungshaft". Warum ich in spätestens einer Woche eine Haftstrafe antreten muss.
Von Henryk M. Broder
Ich kann mich über einen Mangel an Abwechslung wirklich nicht beklagen. Zuerst wurde ich am Flughafen Tempelhof vorübergehend festgenommen, weil ich dort fotografiert hatte; dann wurde ich in Kreuzberg beraubt, worauf mir ein Mitarbeiter der Kripo erklärte, so was käme in Berlin öfter vor, man würde solche Fälle „wegverwalten“.
Mein Glaube an den Rechtsstaat geriet ins Wanken – bis ich vor zwei Tagen einen Brief in meinem Briefkasten fand, einen länglichen weißen Umschlag mit einem Sichtfenster, in dem meine Adresse zu lesen war. Auf der Rückseite stand kein Absender. Da die Polizei einem dringend abrät, Post anzunehmen, deren Absender man nicht persönlich kennt, wollte ich den Brief schon im Müll entsorgen, wie ich es seit Jahren mit den Briefen der Gebühreneinzugszentrale und des Polizeipräsidenten, Abt. Ordnungswidrigkeiten, halte. Dann siegte doch die Neugierde, und ich machte den Umschlag auf.
Oben rechts stand „Staatsanwaltschaft Leipzig“, darunter „Ladung zum Antritt der Erzwingungshaft“. Das sah viel versprechend aus, also las ich weiter. „Sehr geehrter Herr Broder, das Stadt Leipzig Ordnungsamt hat Ihnen mit Bußgeldbescheid vom 6.10.2006 – Aktenzeichen XYZ – eine Geldbuße in Höhe von 0,00 Euro auferlegt, die Sie bisher nicht bezahlt haben. Das Amtsgericht Leipzig hat daher mit Beschluss vom 2.5.2008 – Aktenzeichen UPS – Erzwingungshaft von 3 Tagen angeordnet. Sie werden aufgefordert, die Haft bis spätestens 28.7.2008 in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee... anzutreten.“ Es folgten „Allgemeine Hinweise“, was man alles in die Haft mitbringen darf (Brillen, einige Bücher zur Fortbildung oder Freizeitbeschäftigung) und was nicht Alkohol, Waffen, Fahrräder).
Schade, dachte ich, denn ich hatte mir gerade ein Klapprad gekauft, das man auf kleinstem Raum abstellen kann. Andererseits: Drei Tage Plötzensee bekommt nicht jeder angeboten. Das ist ja eine Topadresse unter den Haftanstalten, sozusagen das Waldorf-Astoria der Knackis.
Um sicher zu sein, dass ich alles verstanden hatte, las ich die „Ladung zum Antritt der Erzwingungshaft“ noch einmal. Und da erst fiel mir auf, dass die Geldbuße, die ich zu zahlen versäumt hatte, 0,00 Euro betrug. 0,00 Euro! Ein glatter Betrag, den man sich leicht merken kann.
Was tun? Beschwerde einlegen und um eine Stundung des Betrages bitten oder zur Bank gehen, eine Überweisung über 0,00 Euro ausfüllen und riskieren, dass die Bank mir wegen Unzurechnungsfähigkeit das Konto kündigt?
Ich bin ja wirklich nicht auf Krawall aus, in diesem Fall möchte ich es aber wissen: Wie kommt so was zustande? Angenommen, ich habe tatsächlich irgendwann in Leipzig falsch geparkt oder eine Ampel übersehen: Der Fall kommt vor das zuständige Amtsgericht, der Amtsrichter (sechs Jahre Jurastudium, erstes und zweites Staatsexamen) schaut sich die Akte an, sieht, dass ich die Geldbuße in Höhe von 0,00 Euro nicht bezahlt habe und ordnet automatisch drei Tage Erzwingungshaft an. Dann gibt er die Akte an die Staatsanwaltschaft Leipzig weiter, der zuständige Staatsanwalt (acht Jahre Jurastudium, erstes und zweites Staatsexamen, eventuell Promotion) schaut sich alles noch einmal an, denkt: „Dem werde ich es jetzt besorgen!“, und stellt die „Ladung zum Antritt der Erzwingungshaft“ aus. Den Rest erledigt kostengünstig die Pin AG.
Jetzt ist mein Glaube an den Rechtsstaat wiederhergestellt. Gewiss, es gibt noch einige Schwierigkeiten bei der Verfolgung von Intensivtätern, die Polizei lässt Räuber laufen, die „zustellfähige Adressen“ haben, Straßenkriminalität wird „wegverwaltet“. Aber dort, wo es darauf ankommt, zeigt die Justiz, dass sie zum Durchgreifen entschlossen ist. Bei 0,00 Euro gilt: null Toleranz.
Freilich, es kann auch eine andere Erklärung für so viel Übermut im Amt geben: Die Staatsanwaltschaft gilt seit jeher als die Kavallerie der Justiz – schneidig, aber dumm.
Der Autor ist Reporter beim „Spiegel“.
22.07.2008
www.tagesspiegel.de/meinung/kommentare/;art141,2576741
Erzwingungshaft wegen nicht gezahlter 5,00 € für Parkverstoß
Amtsgericht Viechtach - 3 OWi 5095/517830-06/9 - Beschluss vom 23.08.2007 - Richterin Herzog
Kommentar Väternotruf:
Da ging es ja in der DDR vergleichsweise gemütlich zu. Woran man mal wieder sehen kann, dass das CSU regierte Bayern eben noch nicht so ganz zu Deutschland gehört, sondern in seinen Rechtsvorstellungen doch eher in Richtung Russland tendiert.
Einigkeit und Recht und Freiheit.
Oder wie die Bundesrepublik Freie Fahrt für Freie Castoren erzwingen will.
Viel Spaß beim Lesen
Das Team vom Väternotruf
05.04.2004
n'Abend...
vor einer woche war ich noch in eisleben. ich bin froh, wieder draussen zu sein und es hinter mir zu haben - aber ich habe es nicht bereut. und ich fand es auch nicht "schlimm". denn 1. wusste ich ja, warum ich dort bin, und 2. Sind drei tage einfach kurz.
mit dieser mail möchte ich euch berichten, wie es mir dort ergangen ist. es ist ein recht langer text, der auch im rundbrief des ökodorfes erscheinen wird.
ich möchte mich bei allen menschen bedanken, die in der vergangenen woche und in der zeit davor an mich gedacht, mich unterstützt, mir geschrieben und gemailt oder mich angerufen haben und/oder über das thema diskutiert haben und es hoffentlich weiterhin tun. viele haben in der jva angerufen und die beamten auf trab gehalten. "berge" von post wurden mir (gleich, nicht erst bei der entlassung) ausgehändigt, dafür vielen dank an jörg, erika, tobias, bernward, juan, mareike, christina, dominique und gisela.
ich hoffe, dass dieser text mehr menschen ermutigen wird, diesen schritt zu gehen.
liebe grüße,
Sandra :)
Kontakt: sleepwalking@gmx.de
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"Wir sind geboren, um frei zu sein..."
Für das Sitzen auf der Castor-Transportstrecke im März 2001 sollte ich mit 75,- Euro "büßen". Nachdem ich das nicht freiwillig tat, wurde mir der Gerichtsvollzieher vorbeigeschickt (der mich nicht antraf) und als ich dann immer noch nicht zahlte, ordnete das Amtsgericht Hannover 3 Tage Erzwingungshaft gegen mich an.
Am Dienstag, den 5. Dezember, bin ich mit Irma aus dem Ökodorf, Erika aus Stendal und einer Freundin von ihr nach Lutherstadt/Eisleben gefahren. Im dortigen Frauengefängnis hat Erika von Mai bis Juni sechs Wochen Erzwingungshaft abgesessen - und ich war kurz davor, eine Haft von drei Tagen anzutreten.
Nach einer kurzen "Demonstration" vom Bahnhof, vorbei an einem Kinderspielplatz, auf dem zu Ehren Erikas eine Rutsche errichtet wurde, zur Justizvollzugsanstalt haben wir dort unsere Transparente an den Zaun gehängt, ich habe mich von den drei Frauen verabschiedet, Irma sang mir noch "may the road rise with you..." hinterher und dann, um 13:00 Uhr, fiel das Tor hinter mir ins Schloss... ich war drin.
Der Empfang war eher genervt als übermäßig freundlich. Verübeln kann ich das den Menschen dort nicht - ich habe ihnen schließlich wegen 75,- € bzw. drei Tagen ziemlich viel Aufwand gemacht! Das ging damit los, dass sie mich fragten, ob ich nicht doch zahlen will. Nö, will ich nicht. Also die Aufnahmen beginnen. Alle möglichen Bögen ausfüllen. Sachen, die ich mit auf die Zelle nehmen darf, genauestens vermerken: ich durfte fast alles behalten, sogar die Brotaufstriche, die ich in Erwartung einer unmöglichen Verpflegungssituation (weil nicht vegan) mitgenommen hatte. Plus alle sechs Bücher. Dann wurde ich belehrt, dass Zwangsmittel gegen mich angewendet werden, wenn ich mich nicht an die Sicherheitsregeln halte (z.B. Fesselung, körperliche Gewalt,...). Und dass ich durch Zahlung der Geldforderung die Haft abwenden kann. Zuletzt haben sie mich in eine Durchgangs-Einzelzelle gebracht, in der Gefangene eigentlich nur vorübergehend bleiben. Der Flur dort vor der Zelle war recht "heimelig" - sah eher aus wie eine alte Jugendherberge als ein Gefängnis. Bis zur offiziellen Aufnahme bleiben Gefangene "unter Verschluss", das heisst, die Zelle wird nur zum Essen holen geöffnet, gegessen wird in der Zelle, Freigang (1 Stunde am Tag) allein - bei mir war das nicht anders.
Die Zelle (8 m²) ist mit allem notwendigen ausgestattet: Bett, Tisch, Stuhl, Regal, Spind, Waschbecken, Klo. Auf dem Bett liegen Decken, Bezüge, ein Beutel mit allen Utensilien von Klopapier über Zahnbürste bis Besteck. Ein Berg von Papier wird mir ausgehändigt, den ich innerhalb der nächsten Stunde lesen und unterschreiben soll. Lauter weitere Belehrungen, zu Briefverkehr, Anstaltskleidung, Fernseh-/Radiogeräte, Einweisung in den Haftraum, Ausstattung, Besuchszeiten. Pro Woche sind drei Telefonate gestattet, um die machen zu können, muss ich einen Zettel mit sechs Adressen und Telefonnummern ausfüllen, das sind dann die einzigen Leute, die ich anrufen darf.
"Um die in §6 StVollzG (Strafvollzugsgesetz) geforderte Erforschung meiner Persönlichkeit und meiner Lebensverhältnisse" zu unterstützen, kann ich einen Lebenslauf und einen Fragebogen ausfüllen. Das spare ich mir, bei drei Tagen Haft (bzw. generell bei Erzwingungshaft) werden sie wohl kein Vollzugsprogramm ausarbeiten, für das sie die abgefragten Daten brauchen.
Besuche muss übrigens der- oder die Gefangene beantragen. Das wird von der Anstaltsleitung genehmigt, und dann kann der/die Gefangene den genehmigten Antrag an die Person schicken, die zu Besuch kommen will. Das hatte sich dann bei drei Tagen recht schnell erledigt, zumal mir das eine Woche vorher am Telefon so genau nicht erklärt wurde.
Am Mittwoch, nach einer unruhigen Nacht und um 6:00 Uhr zum Frühstück geweckt werden, muss ich zur stellvertretenden Anstaltsleitung. Diese ist eigentlich die Sozialarbeiterin und macht die eigentliche Aufnahme mit mir. Als erstes wird mir gesagt, dass schon mehrere Leute für mich angerufen haben, und dass das ja eigentlich nicht üblich sei. Außerdem hat ein Mensch aus München Fax geschickt, und will mich besuchen - ob ich wüsste, wer das ist? Keine Ahnung, ich kenne niemanden in München... Der Anstaltsleiter hat jedenfalls schon "einen dicken Hals bekommen heute morgen".
Als ich, zurück in der Zelle, eine der Wärterinnen frage, ob ich denn jetzt auch mit den anderen Frauen im Gemeinschaftsraum essen darf, heisst es "Nein, Sie bleiben unter Verschluss." Auf meine Frage, warum, wurde mir nur gesagt, das hätte ich ja die stellvertretende Chefin fragen können. Da musste ich zum Glück noch einmal für ein Foto hin, so dass ich nachhaken kann. Die Antwort: "Anordnung von oben, von der Chefin. Sie könnten ja zahlen, dann wären Sie frei!" Im StVollzG (wie gut, dass ich es dabei habe!) steht dazu, dass Gefangene im Offenen Vollzug untergebracht werden sollten, solange die Sicherheit der Anstalt, der anderen Gefangenen oder des Gefangenen selbst nicht gefährdet ist...
Das Essen ist wirklich schlecht. Morgens und Abends Graubrot mit "Fett" (Margarine), Käse oder Wurst für die anderen, Pflaumenmus und mein mitgebrachter Aufstrich für mich. Mittags Bohnensuppe, Gemüsereis. Ich hatte um viel Obst und Gemüse gebeten, deshalb bekomme ich noch eine Tüte zu meinem Mittagessen dazu, mit Kiwis, Äpfeln, Mandarinen, Paprika. Die anderen bekommen Abends ein Stück Obst. Immerhin haben sie verstanden, dass ich nichts vom Tier esse - auch wenn ich der Küche nicht abgenommen habe, dass die Wurst am Freitag Mittag aus Tofu war, dafür roch sie einfach zu echt. Leider konnte ich keinen Fragen, weil das Essen aus Volkstedt geliefert wird.
Mit dem Pastor habe ich ein längeres Gespräch. Ich weiss nicht, wie das sonst abläuft, aber in diesem Fall war es so, dass ich ihm eine Menge neuer, spannender Dinge erzählen konnte, von denen er noch nie gehört hatte. Es ging los bei vegan leben, über den Hof meines Vaters zum Seminarbetrieb ausbauen bis hin zu Komposttoiletten und Pflanzenkläranlagen und ihre Funktionsweise. Warum ich aus der Kirche ausgetreten bin wollte er auch noch wissen, mit dem eindringlichen Hinweis "so Leute wie Sie brauchen wir doch! Und Ihre Lebensweise ist doch garnicht so fern von dem, was Jesus gelebt hat." Na, das ist wohl ein bisschen übertrieben, und ob die in der Kirche so viel mit mir anfangen könnten - ich weiss ja nicht...
Mich erwarten am Dienstag schon zwei Postkarten, am Donnerstag bekomme ich einen ganzen Stapel Post: vier Briefe, zwei Postkarten und eine e-mail, die mir sogar ausgedruckt wurde. Drei der AbsenderInnen kenne ich nicht einmal, und ich bin begeistert von der Solidarität, die ich von außen erfahre.
Dem Arzt werde ich am Donnerstag vorgeführt. Er füllt noch einen Fragebogen aus, dann macht er noch Andeutungen, dass ich doch zahlen solle - die deutsche Justiz wäre grade bei so kleinen Beträgen sehr hartnäckig... und er verabschiedet mich mit den Worten "Wenn sie wirklich nicht bereit sind zu zahlen, sehen wir uns wohl noch wieder!"
Der Freigang ist langweilig und kalt aber trotzdem besser, als den ganzen Tag in einer muffigen Zelle zu hocken. Wenn ich den Fußboden oder den Himmel anschaue, kann ich die Mauern und Gitterstäbe und den Natodraht überall vergessen und mir vorstellen, ich sitze irgendwo im Ruhigen auf einer Parkbank.
Am Freitag, als ich schon garnicht mehr damit gerechnet habe, ist plötzlich noch eine Frau im Hof. Erst zögere ich, dann spreche ich sie doch an und frage, warum sie allein draußen sein muss. Sie sei noch nicht aufgenommen, weil die Chefin krank ist. Sie müsse drei Jahre hier bleiben... Warum? Totschlag im minderschweren Fall, sie hat plötzlich zuhause ihr Kind bekommen und wusste nicht, was sie machen soll - es ist gestorben. Eine sechsjährige Tochter zuhause, die nicht weiss, dass ihre Mutter im Knast ist, weil sie sicher mit einigen Kindern aus dem Kindergarten nicht mehr spielen dürfte, wenn sie es dort erzählt. Die Eltern der Mutter verurteilt zu zwei Jahren wegen unterlassener Hilfeleistung... Alles schnürt sich in mir zu. Ich habe es gespürt, die drei Tage lang, aber nicht gehört: die Schicksale, die hier hinter den Mauern leben. Was soll in einem solchen Fall eine Haft bewirken!?
Kurz nach dieser Begegnung wird meine Entlassung eingeleitet. Um Punkt 13:00 Uhr, genau 72 Stunden nach meiner Aufnahme, bin ich wieder auf freiem Fuß. Zwei Bücher habe ich in der Zeit gelesen, viel Papier vollgeschrieben, mich über Briefe gefreut. Mich auf Jörg gefreut, den ich hinterher besuchen fahre. Ich konnte nur erahnen, wie es wäre, hier Monate oder Jahre eingesperrt zu sein. Froh war ich, wenn ich abends vor "Einschluss" viel Gelächter und Herumgerenne gehört habe. Das Mißtrauen, das mir entgegenschlug, wenn ich der Frau in der Küche Grüße von Erika auftrage oder darüber schmunzele, dass auf jedem Brief der Absender richtig draufstehen muss, sprach Bände.
In meinem Fall ist das Zahlen eines Bußgeldes ein Eingeständnis der eigenen Schuld. Das Bußgeld sollte eine Strafe sein für eine Tat, die darauf hinweisen will, dass tagtäglich tonnenweise Atommüll produziert wird, für den es kein "Entsorgungskonzept" (ent-Sorgen, sich keine Sorgen mehr machen müssen - was für ein Hohn) gibt - und keine Instanz, die die BetreiberInnen von Atomkraftwerken bestraft... dabei sind sie es doch, die das Leben auf diesem Planeten gefährden, vergiften, verstrahlen, unsicher machen.
Die Proteste gegen die Atommülltransporte haben mehrere Ziele: auf die unklare "Endlagerfrage" hinzuweisen und damit bei PolitikerInnen ein Umdenken bewirken, die Transporte teuer machen, und damit bei PolitikerInnen ein Umdenken bewirken, für einen wirklichen Atomausstieg protestieren und damit bei PolitikerInnen ein Umdenken bewirken, usw.
Demonstrationen sind dabei schon lange nicht mehr das alleinige Mittel: immer mehr Menschen nehmen an Aktionen des "Zivilen Ungehorsams" teil, um aufzurütteln und überhaupt wahrgenommen zu werden. Wenn solche Aktionen dann mit Bußgeldern belegt werden, ist es für immer mehr Menschen die logische Konsequenz, diese nicht zu zahlen, sondern "mit Freude" in Erzwingungshaft zu gehen - was die Handlungsmöglichkeiten des Staates ganz einfach untergräbt.
Grundsätzlich ist dies jedoch ein unglaubliches Privileg - bei einem solchen Geldbetrag und der bestehenden Solidarität in der "Szene" in Haft gehen zu können, zu wählen, das zu tun. Wie viele Menschen haben garkeine andere Wahl, als sich für Monate oder gar Jahre wegsperren zu lassen, sei es, weil sie eine Geldstrafe nicht zahlen können, oder weil sie eine Haftstrafe bekommen haben. Doch was bringen Gefängnisse überhaupt!? Ich habe im StVollzG nachgelesen, was der Sinn und Zweck von Gefängnissen sein soll. Darin steht zu Beginn in den Erläuterungen: "(...) Daher bestimmt §2 des StVollzG als Aufgabe, dass im Vollzug der Freiheitsstrafe der Gefangene fähig werden soll, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel). Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient aber auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. (...)" In wie vielen Fällen wird dieses (erstere) Ziel erreicht? Wie soll Haft bewirken, dass ein Mensch in "sozialer Verantwortung" leben wird, obwohl die Haft an sich nichts an der Ausgangssituation verändert!? Welche Aussichten haben Menschen, die Monate oder Jahre im Knast sind - während sich draußen alles so sehr und so schnell verändert?
Drei Tage sind so absehbar. Ich würde wieder in Erzwingungshaft gehen, um damit meinen politischen Standpunkt zu vertreten. Doch die drei Tage haben das Gefühl, dass Knäste ungerecht sind und dass sie (wie so vieles) nicht die Ursachen bekämpfen, sondern nur die Symptome, in eine Gewissheit verwandelt...
Wie die Postkarte von einem Tobias mir in den drei Tagen immer wieder sagte:
"Dennoch kann nichts auf der Welt das Gefühl des Menschen verhindern, für die Freiheit geboren zu sein." (Simone Weil)