Good Bye, Lenin!


 

 

 

 

„Good Bye, Lenin!“ - ein Film über die DDR, die deutsch-deutsche Teilung und auch über die Trennung eines Vaters von seinen Kindern.

 

 

Der zur Zeit in den Berliner Kinos mit großem Erfolg laufende Film „Good Bye, Lenin!“ ist nicht nur ein gelungener Film über die DDR, ihren kleinbürgerlich-sozialistischen Alltag, die nicht gelebten Utopien und ihren schließlichen Zusammenbruch im Herbst 1989, sondern ganz nebenbei auch ein bewegender Film zu einer langjährigen Trennung eines Vaters von seinen Kindern. Der Vater kehrt von einer Dienstreise in den Westen nicht zurück in die DDR. Erst als sein Sohn und seine Tochter, die mit der Mutter im der DDR blieben, schon erwachsen sind, verrät die Mutter kurz vor ihrem Tod das Geheimnis um den Vater.

 

 

 

Das wahre Ende der DDR

Wolfgang Beckers wundersame Komödie „Good Bye, Lenin!“ – Versuch, einen ostwestdeutschen Film-Erfolg zu verstehen

Von Kerstin Decker

Ovationen in Berlin-Hellersdorf, als der Abspann läuft. Ausverkauft: Im Prenzlauer Berg sogar schon die 15 Uhr-Vorstellung. In Rostock kann man „Good Bye, Lenin!“ dafür jetzt schon um 11 Uhr sehen. Zwanzigjährige diskutieren in der S-Bahn das Verhältnis von Fantasie und Zeitgeschichte in Wolfgang Beckers Film. Die Älteren diskutieren weniger und müssen statt dessen öfter weinen. Eine Frau gesteht, schon die „Sandmännchen“-Musik nur unter Tränen gehört zu haben. Typische Ostalgikerin? Nein, eine Zonenrandgebietlerin, westlicherseits.

Ost und West unterscheiden sich kaum in ihrer Liebe zu diesem Film, in dem eine Ost-Berlinerin im Sommer 1990 aus dem Koma erwacht – und ihre Familie errichtet ihr mitten im großen Umbaujahr schonungshalber eine DDR wie aus dem Museum. Auch im Berliner Zoo-Palast, West, spontaner Beifall, kaum dass Filmheld Alexander seine Mutter im All beerdigt hat. Seit wann klatschen wir im Kino? Am Montag wurde in Leipzig der millionste Besucher begrüßt. Nach nur zehn Tagen – Martin Scorseses „Gangs of New York“ hatte keine Chance gegen „Good Bye, Lenin!“.

Im Zuschauerschnitt pro Kopie lag „Lenin“ in der ersten Woche (mit 2133 Zuschauern) noch vor dem erfolgreichsten Film des letzten Jahres, „Harry Potter“. Seine Startzahl von 176 Kopien hat der Verleih mittlerweile verdreifacht, und bis Mittwoch haben 1,34 Millionen Besucher Beckers Familienkomödie über das (un)aufhaltsame Ende der DDR gesehen. Findet die deutsche Einheit jetzt also – mit 13 Jahren Verspätung – im Kino statt? Leander Haußmanns „Sonnenallee“ vor vier Jahren wollte ja nur beweisen, dass es möglich war, jung zu sein im Osten.

Merkwürdig: Das Land interessiert sich plötzlich für das Schicksal von Menschen, die bislang nur auf einschlägigen Plakaten vorkamen – für: rote Socken. Denn eine rote Socke ist diese Erfüllungsgehilfin des realsozialistischen Bildungswesens und angehende Koma-Patientin Christiane Kerner schon. Ausgerechnet sie (Katrin Sass) und ein junger Träumer von Gorbatschows Sozialismus (Daniel Brühl) stiften 2003 die deutsche Einheit im Kino.

Erste Deuter des unverhofften Erfolges sagen: Der Film ist so freundlich, dass er keinem weh tut, nicht mal den Ostalgikern. Sie verkennen, dass Nicht-Wehtun höchstens ein Erfolgsrezept für Festreden ist. Oder ist jetzt einfach die richtige Zeit, die DDR zu begraben? „Good Bye, Lenin!“ ist in der Tat ein DDR-Begräbnisfilm. Und das ist wichtig. Denn es hatte sie ja keiner begraben, da war kein Abschied, sie war plötzlich einfach nur weg wie die Spreewald-Gurken in Alexanders Kaufhalle, von einem Tag auf den anderen. Das Kino holt nach, wozu in der Wirklichkeit keine Zeit war.

Die alte Bundesrepublik dachte über die DDR ohnehin wie einst Kreon über Antigones verfemten Bruder: So eine(r) verdient kein Begräbnis. Und nun beginnt das Unheimliche. Denn dieser Film ist zugleich die versöhnende Grablegung der Utopie der DDR – und diese Utopie war doch in gewissem Sinne immer wirklicher als ihre lächerliche, militante, kleinbürgerliche, verstockte Wirklichkeit. Die Utopie war zwar schwer fassbar, aber sie war in den Büchern, die wir lasen, in mancher Musik, in manchen Filmen – und irgendwann hatte sie einen genauen politischen Namen: Gorbatschow.

So war die Utopie der DDR die große Untote der letzten dreizehn Jahre. Das neue gesamt-altbundesdeutsche Feuilleton hatte sie nicht begraben, nur gefällt – durch den Richtspruch über Christa Wolf, Heym, Hermlin und die paar anderen; vielleicht, weil Menschen mit Utopien keine richtigen Erwachsenen sind; und weil Gesellschaften ohne Utopien Gesellschaften mit Utopien nun mal nicht ausstehen können. Wir haben das irgendwann verstanden und den Geruch der letzten DDR- Jahre vergessen.

Vor einer Woche haben Kollegen (West) halb im Spaß, halb im Ernst die Überschrift des Tagesspiegels zur neuen Friedensdemonstration kritisiert: Das sei die größte Demonstration in der Geschichte Berlins gewesen? War die Love-Parade („Friede, Freude, Eierkuchen“) nicht größer? Die Ostberliner Demo am Alexanderplatz vom 4. November 1989 war wirklich größer: fast eine Million Menschen. Es ist einfach eine andere Geschichte. Und noch Anfang dieses Monats war da ein ungläubiges Erstaunen, als die Tagesschau plötzlich vom „ersten Deutschen im All“ sprach, von Sigmund Jähn. Die Gelegenheit zu Jähns Erwähnung war eine denkbar traurige, der Absturz der Columbia-Raumfähre. Heute aber hat dieser DDR-Kosmonaut eine merkwürdige Popularität erreicht. Und viele Menschen haben ganz neu gesehen, wie ein kleiner Junge von Sigmund Jähn und vom Weltraum träumt.

„Good Bye, Lenin!“ nimmt die DDR – durch die Groteske hindurch – noch einmal ernst. So ernst wohl, wie sie noch nie jemand genommen hat, und das hat wenig mit Ostalgie zu tun, wohl aber mit Begräbniskultur. Denn er nimmt ihre Utopie ernst, indem er der DDR ein anderes Ende erfindet. Eines, das auch Alex’ Mutter verstanden und Alex sich gewünscht hätte. Vielleicht ist es das, was die Menschen im Kino spüren.

Wie weggewischt ist das ewig Halbe im Reden über die DDR, das nie wirklich über die einfache Alternative „menschenverachtende Diktatur“ dort, „Demokratie“ hier hinausgekommen ist. Irgendwann fühlte sich jeder staatsnah, der nicht aus der DDR abgehauen ist – war er dem Staat nicht in der Tat zu nah geblieben? Wolfgang Becker braucht genau zwei Dialogzeilen und einen Blickwechsel zwischen Mutter und Sohn, um die eigentliche Tragik der DDR-Endzeit wieder aufzurufen: Mutter und Sohn sehen gemeinsam in den Nachrichten die Vorbereitungen zum 40. Jahrestag der DDR, der Sohn voller Abscheu („Da feiern sie sich selbst, die ganzen alten Säcke!“), die Mutter mit dem Satz: „Dann geh doch auch, wenn du meinst, dass Abhauen eine Lösung ist!“ Hieß das nicht: Man kann nur mit „den alten Säcken“ „die alten Säcke“ bekämpfen?

Und gleich danach erblickt diese Christiane Kerner ihren Sohn im Demonstrationszug in den Händen der Polizei – wie viele Ostberliner Eltern, die am Abend des 7. Oktober 1989 nicht wussten, wo ihre Kinder sind. Zum ersten Mal hatte sich gezeigt, dass auch der Protest eine Generationenfrage ist: die loyale Kritik der Älteren, die wie Alex' Mutter Eingabe um Eingabe schreiben, steht ohnmächtig vor der Radikalität der eigenen Kinder. Beim Anblick ihres Sohnes zwischen den Polizisten sinkt die Mutter zusammen – nicht vor Entsetzen, das eigene Kind auf der Seite der „Staatsfeinde“ zu finden, sondern das Entsetzen betrifft sie selbst: Es ist die Erkenntnis der eigenen Überlebtheit.

Nun holen das ausgerechnet ein paar Westler zurück. Wolfgang Becker und sein Drehbuchautor Bernd Lichtenberg, beide geboren in Nordrhein-Westfalen. Und Daniel Brühl? Er ging zur Schule, tief im Westen, als sein Alexander gegen die „alten Säcke“ demonstrierte. Nun muss kein Spielfilm wirklicher sein als die Wirklichkeit, im Gegenteil. Aber für ihren genial-surrealen Hochseilakt – die Wiederauferstehung der DDR im Schlafzimmer der Christiane Kerner – brauchten Lichtenberg und Becker eine doppelt gute Erdung. Ohne die Festigkeit des Untergrunds hätten sie „Good Bye, Lenin!“ an die Klamotte oder die Farce verraten. Und die große Mutter-Sohn-Liebesgeschichte ebenso.

Nach der Wende waren wir Ex-DDR-Bürger hässlich geworden. Ein diktaturgekrümmtes Volk aus Duckmäusern. Egal, in welchen Spiegel wir sahen, immer dasselbe Gesicht. Und nun zeigt dieser Film ein anderes, scharf gestellt. Es ist wohl dieses Wiedererkennen einer Wahrheit, das die Menschen zu Beifall hinreißt. Es ist eine ost-westliche Horizontverschmelzung (so nannte der Philosoph Hans-Georg Gadamer die Voraussetzung allen Verstehens). Kein rationaler, einforderbarer Akt, aber wohl das Tiefste, Intimste, was zwischen Menschen oder eben Teilvölkern geschehen kann. Die alte Bundesrepublik hatte nie ein Existenzrecht der DDR anerkannt. Mit diesem Film hat sie es symbolisch nachgeholt.

Die DDR hat ein Recht auf ein ordentliches Begräbnis. Und sei es im Himmel über Berlin, so wie es Mutter Kerner bekommt. Ein Luftbegräbnis, verboten in beiden deutschen Staaten.

 

aus: "Der Tagesspiegel" 28.2.03

 

 


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