Jokastes Kinder
Die Psyche der Frau im Schatten der Mutter
Christiane Olivier, dtv, 10.Auflage 1996
Das 1980 erschienene Buch der französischen Psychoanalytikerin Christiane Olivier, besser mit dem Untertitel "Die Psyche des Mannes und der Frau im Schatten der Mutter" bezeichnet, beschreibt die traditionelle Sozialisation der Jungen und des Mädchens in einer Frauenwelt, im speziellen in der Welt der Mutter. Auch wenn seitdem 20 Jahre vergangen sind, bleibt das Buch lesenswert und nach unserer Ansicht nach hochaktuell. Olivier fordert Frauen und Männer auf zu einer Veränderung tradierter Rollenverteilungen beizutragen und somit aus dem Teufelskreislauf von Frauendominanz im Bereich der Betreuung und Erziehung von Kindern, insbesondere von Jungen und damit einhergehendem männlichen Abgrenzungsbedürfnis zu Weiblichkeit und zu weiblich deklarierten und etikettierten Lebensbereichen.
Für traditionelle Feministinnen, die bei ihren einseitigen Täter-Opfer-Anschauungen bleiben wollen, ist das Buch nicht zur Lektüre geeignet, klärt es doch auch auf, woher eine wesentliche Quelle der Frauenfeindlichkeit des Mannes kommt, nämlich aus der übergrifflichen Symbiose, die er als Junge in der Frauenwelt machen musste.
"Die vom Mann so oft erwähnte berühmte ´Falle´ scheint die Symbiose mit der Mutter zu sein, die als ´einsperrend´ gesehen wird. Symbiose, Psychose? Auf jeden Fall ´Gefängnis´, das beim Mann Panik vor jeder Symbiose mit jeder anderen Frau auslösen wird. Sich nicht mehr am gleichen Ort verschmolzen wiederfinden, im gleichen Begehren, wie dem der Frau; das wird die hauptsächliche treibende Kraft hinter der Frauenfeindlichkeit des Mannes sein.
...
Aus dem Ödipus herauszukommen ist gefährlich und unsicher; der Mann bleibt auf ewig gezeichnet vom Mißtrauen gegenüber der Frau. Ein manchmal unmögliches Herauskommen, das den kleinen Jungen und seine Mutter zum Psychoanalytiker führen wird: wir sehen in diesem Lebensabschnitt dreimal so viele Jungen wie Mädchen (die werden wir später sehen). Dies allein ist schon ein Beweis für die Schwierigkeiten, die der Kampf mit der Mutter für das männliche Kind darstellt. Im Fall einer Neurose hat dieser Kampf aus dem Jungen machen können:
- Entweder ein Kind, das der Mutter so sehr hat widerstehen wollen, dass es vergessen hat, für sich selber zu leben,; ein Kind, in dem jedes Begehren abgestorben ist. ...
- ein aggressiv gewordenes Wesen, zunächst gegen seine Mutter und dann erweiternd gegenüber allen Menschen, weiblich und männlich. Er widersetzt sich dem Lehrer, streitet mit den Kameraden und macht die Mädchen herunter. Er schleppt den Krieg mit sich herum, und überall, wo er hinkommt, sät er Panik, denn er will sich unbedingt als der Stärkste erweisen. Stärker als sie und dann stärker als alle. Was er nämlich will, ist, seine Mutter zu überwinden, sie und ihre Kontrolle ...
Und was tut der Vater während dieser Zeit? Wo ist er? Sieht er nichts, weiß er nichts, obgleich er es doch selbst erlebt hat, was vorgeht? Gewiß weiß er es, erinnert er sich. Aber er wagt es nicht, seinen Sohn der weiblichen Macht zu entreißen, der einzigen, über die seine Frau unangefochten verfügt, denn alle andere Macht liegt bei ihm. Der Sohn kann kaum auf seinen Vater zählen, um aus dieser schwierigen Situation mit der Mutter herauszukommen, denn der Vater hält sich absichtlich aus dem Konflikt heraus.", S.56-57
"Das
Problem des männlichen Ödipus, hier also zusammengefaßt in seinen Grundzügen
und in seinen Wandlungen: Frucht des fatalen Aufeinandertreffens der
Geschlechter durch die Geburt des Mannes in die Hände einer Frau, denn hier
entsteht für den Mann die zärtlichste aller Lieben, gefolgt vom längsten
aller Kriege. Der Mann entrinnt ihm, gezeichnet von Mißtrauen, Schweigen,
Frauenfeindlichkeit, kurz gesagt: mit all dem, was die Frau ihm vorwirft.
Es ist keine
leichte Arbeit für den Mann, sich von der Person, die er am meisten geliebt hat
und von der er am meisten geliebt wurde, abzulösen (keine Mutter wird mir
widersprechen, wenn ich sage, daß der Junge sehr viel liebevoller ist als das Mädchen).
All dies ist wohl
das Ergebnis der Begegnung der Geschlechter innerhalb der Familie, in der die
Frau allein die Rolle der Erzieherin ausfüllt und in der sie in größter Nähe
mit ihrem Sohn leben muß.
Früher gab es den
Großvater, den Onkel, den Cousin, Mengen von Männerbildern, geeignet, dieses
gefährliche Tete-a-tete zu unterbrechen. Heute lebt die allmächtige »Mutter«
allein mit ihrem Sohn, der sie für all ihre Entbehrungen von früher entschädigen
muß, für die durch den abwesenden Vater entstandene Leere wie für das
Weggehen des Mannes. Das Kind, es ist da, es wird also für jene bezahlen. Was
wollen Sie, man muß den Mann nehmen, wo man ihn findet, und wenn es in der
Wiege ist!
Wie soll der Mann
nach dem schmerzlichen Kampf mit dieser allmächtigen Mutter sich nicht wie in
einem Meer von Mißtrauen bewegen, wenn er es mit der Frau und ihrer einengenden
Macht zu tun hat? Was anderes bleibt ihm übrig, als unseren Platz einzugrenzen,
uns mit unseren Pflichten einzuschließen? Wie könnte die Liebe eines Mannes zu
einer Frau anders sein als widersprüchlich?
Welcher Mann,
welcher Sohn kann von sich sagen, er hätte sich von seiner Mutter abgelöst?
Sicher, er hat sie verlassen, aber wie weit? In welchem Alter? Zu wessen
Vorteil? Welche Mutter könnte selbst mit achtzig Jahren sagen, sie habe ihren
Sohn aufgegeben? Er bleibt der »Einmalige«, selbst wenn dies nicht gesagt
wird, selbst wenn es der Respekt anderen gegenüber verlangt, daß man darüber
schweigt, selbst wenn die Männer mutig und die Mütter verehrenswert sind.
Das im Dunkel der
Kindheit geknüpfte Band wird den Sohn und die Mutter immer unauflöslich
miteinander verbinden, und die Frauen heiraten immer nur die Söhne einer
anderen Frau.
Daher kommen die
Schwiegermutter—Schwiegertochter-Konflikte um denselben Mann, so lange, bis
die Jüngere selbst einen Sohn hat. Sie gibt dann den Kampf mit der
Vergangenheit auf für die Zukunft mit ihrem Sohn: Sie konnte sich nicht auf
Dauer mit dem erwachsenen Mann verbinden, der nicht frei war, da er auf
geheimnisvolle Weise immer mit seiner Mutter verbunden blieb, immer hin- und
hergerissen zwischen seiner Vergangenheit und seiner Zukunft.
Eine Geschichte,
die sich von Generation zu Generation wiederholt: der heimlich seiner Mutter
verbundene Sohn nimmt eine Frau, um funktionieren und sich fortpflanzen zu können,
zu der er aber eine gewisse Distanz behält und der er keine anderen Rechte
zuerkennen wird als das der ersten Nacht und das der Mutterschaft. Ohne Mann,
ohne Entsprechung für ihr eigenes Dasein, zahlt die Frau den Preis für den
Krieg, in den sie sich hineingezogen findet, nur weil sie die Nachfolge der
>Mutter< antritt; die Frau, die in ihrem Sohn den einzigen Mann finden
wird, der ihr im Leben nahesteht. Der Kreis ist geschlossen, der Ring hat sich
vollendet: eine Frau, von ihrem Mann auf Distanz gehalten, wird sich an ihren
Sohn binden und in ihm die »Distanz« vorbereiten für die andere, kommende
Frau. Eine Frau legt die Saat der Frauenfeindlichkeit für eine andere."
S. 58/59
"Die ödipale Spur
Von den Spuren der »Mutter«
gezeichnet und vom »Vater« träumend, verlassen wir alle zutiefst verwundet
diesen Ödipus, in dem der Vater so sehr fehlte, während die Mutter um so mehr
vorhanden war.
Beim Mann bildet
sich ein Ressentiment gegen die Frau, von dem sich kein Mann je vollständig
oder endgültig lösen kann. Die Identität des Mannes ist von der Weigerung
gekennzeichnet, die Frau als gleichwertig anzuerkennen.
Bei der Frau
findet ein hemmungsloser Wettlauf hin zum männlichen Begehren statt, eine
Haltung, die sie zur Sklavin unter dem Gesetz des Mannes machen wird, mißtrauisch
gegenüber anderen Frauen. Die Identität der Frau ist vom Verlangen gekennzeichnet,
dem in ihrem Leben so lange abwesenden Mann zu begegnen.
Hier schließt
sich also der Teufelskreis, indem die in ihrer Kindheit nicht begehrte Frau im
Erwachsenenalter dem Begehren und der Anerkennung des Mannes nachjagt. Der
Mann, in die Stellung des Herrn versetzt, nutzt seine Macht, um mit der Frau
abzurechnen (in Erinnerung an die nicht geglückte Abrechnung mit seiner
Mutter). Die Frau, die die wiedergutmachende Liebe des Mannes sucht, wird auf
die kastrierende Liebe desjenigen stoßen, der endgültig entschieden hat, daß
sie nie wieder herrschen wird. Die mit Jokaste erlebte Geschichte ruft sowohl
die Eifersucht unter Frauen bei der Eroberung des Mannes als auch die
Frauenfeindlichkeit des Mannes hervor, so daß der Frau schließlich von beiden
Geschlechtern mißtraut wird, und es wird für sie schwierig sein, diesem Krieg
zu entkommen.
Es fällt schwer,
sagen zu müssen, daß die Frauen selbst erzeugt haben, worunter sie leiden,
indem sie die Erziehung des kleinen Kindes für sich allein beanspruchen, sagen
zu müssen, daß es die Mütter sind, die die zukünftigen Frauenfeinde
zurichten, unter denen ihre Töchter leiden werden
Erfahren wir,
eine wie die andere, von alldem etwas? Wohl eher nicht, scheint es, denn bei den
Frauen bleibt der Anspruch auf das kleine Kind lebendig, gleichzeitig mit dem
Bedürfnis, vom reifen Mann
»anerkannt« zu
werden. Die Frauen kommen von dem Platz nicht weg, auf den sie sich vom Mann
verwiesen finden. Darüber beschweren sie sich gegenwärtig, ohne daran zu
denken, daß dies für den Mann das einzige Mittel ist, um über seine Mutter zu
siegen: über die erste Frau seines Lebens.
Welche Gestalt
auch immer die Paarbeziehung annehmen mag, es ist immer der Bereich, in dem die
Frau sich von dem »anerkennen« lassen will, der ihr die
»Anerkennung«
nicht geben kann, ohne selbst in Gefahr zu geraten. Daher die männliche
Taubheit gegenüber den doch häufig begründeten feministischen Vorwürfen.
Die Frauen werden
die Ungerechtigkeiten nicht dadurch beseitigen können, daß sie Schlußfolgerungen
für Voraussetzungen ausgeben. Wenn sie die Voraussetzungen ändern, werden sie
andere Männer hervorbringen, die, wenn sie in ihrer Kindheit weniger ihrer
Macht ausgesetzt sind, dann auch weniger stark das Bedürfnis empfinden werden,
sich im Erwachsenenalter wehren zu müssen.",
S.66/67
Wenn er später
die gleiche Situation wiedererlebt, wird er impotent sein, an vorzeitigem oder
verzögertem Samenerguß leiden: er wird ihr nicht geben wollen — wird ihr
nicht geben können, was »sie« verlangen wird. Eine weitreichende Folge aus
dem Kampf des Sohnes mit der Mutter!
Hier beginnt der
Krieg gegen die Frau, hier wird die Frauen-feindlichkeit
geboren, über die sich so viele Frauen beklagen, von der sie aber nicht
wissen, daß ihr Ursprung eine andere Frau ist, die ihrerseits an ihrem Privileg
als >Mutter< festgehalten hat und die dem Sohn mit ihrem weiblichen
Begehren die unausrottbare Furcht vor der >Kastration< eingepflanzt hat.
In der Analphase
spielt der kleine Junge Krieg; mit den Soldaten erfindet er sich Feinde und
Freunde, und er stellt sich Siege vor. Er droht, er tötet — in Übertragung
dessen, was er fühlt: Er ist mit seiner Mutter in einen Krieg verwickelt um ein
Objekt, das ursprünglich ihm gehörte (seine Ausscheidungen) und um die man ihn
berauben will. Aber ist es nicht zu gefährlich, den Krieg zu gewinnen, indem er
dem Begehren der Mutter nicht gehorcht? Riskiert er dabei nicht, diejenige zu
verlieren, die er liebt? Von daher kommt die Ambivalenz gegenüber der Frau.",
S. 80
Auf der anderen
Seite gibt es die Möglichkeit plötzlichen Stillstands, gibt es die Ablehnung
jeder Veränderung. Das an die Neutralität gewöhnte Mädchen weigert sich, die
mit Geschlechtsattributen geschmückte Arena des Begehrens zu betreten, und es zögert
lange, die Farben der »Frau« anzunehmen. Es kleidet sich
absichtlich asexuell, indem es alles ablehnt, was es weiblich machen könnte.
Denn das macht ihm angst und beschwört die Möglichkeit herauf, für irgend
jemanden in ein Objekt verwandelt zu werden. Manchmal versucht es, seine Brüste
flachzudrücken, um zu verhindern, daß sie sich abzeichnen, oder es kleidet
sich in wallende Gewänder, damit man seine neuen fraulichen Formen nicht
wahrnimmt.
Es hat diese Frau
zu sehr gehaßt, um jetzt selbst eine zu werden, es verbannt alle Zeichen der
Weiblichkeit, und das kann sich bis zur Magersucht steigern, wenn es sich
weigert zu essen und so seinen Körper daran hindert, sich weiterzuentwickeln,
Brüste zu bilden, mit der Monatsblutung zu beginnen ... Diese jungen Mädchen
zeigen im Vergleich zu ihren Altersgenossinnen im allgemeinen einen ungleich höheren
intellektuellen Entwicklungsstand. Das bedeutet, daß sie sich noch im Stadium
der Sublimierung befinden. Die Verlagerung der Libido auf den Körper hat noch
nicht stattgefunden.",
Es kann aber aus
verschiedenen Gründen vorkommen, daß der kleine Junge nicht den klassischen
Weg beschreiten kann, ein »Mann« zu werden, und daß er eine andere Richtung
einschlägt, wobei er auf den Kampf verzichtet, da »die Feindin« zu stark ist.
Er wählt den Weg der Regression; angesichts der von ihm geforderten Anstrengung
gibt er auf, er stirbt: Er wird apathisch oder Bettnässer oder Einkoter, er
interessiert sich für nichts, aus Angst, wieder den vermuteten Wünschen der
Mutter oder der Eltern ausgeliefert zu sein. Mit einem Wort, er zieht es vor,
lieber nicht mehr größer zu werden, als sich dem Krieg zu stellen und die
Kastration zu riskieren. Er zieht es vor, ein Kind zu bleiben, wenn
Erwachsensein bedeutet, sich dem Begehren einer Frau auszusetzen.
Einer
Frau, das wäre ja noch nichts, aber
es geht um Frauen im Plural, denn der kleine Junge ist umzingelt von Frauen! Es
gibt ja
Nichts ist härter,
als von jemandem bestraft zu werden, der nicht der gleichen Seite angehört.
Wenn es gemischte Klassen gibt, sollte es auch immer einen gemischten Lehrkörper
geben, damit sich für die Jungen und Mädchen ein Gleichgewicht gegenüber
den Machtausübenden ergibt. Dies wird offensichtlich vernachlässigt oder
ignoriert in einem Land wie dem unseren, In dem man die Versorgung des Kindes
und seine Erziehung immer wieder der Frau zuweist, weil man für sie keinen
anderen Platz in der Gesellschaft findet.
Da haben wir also
den Mann, auf einmal ohne Beziehung zum Körper und ohne Gefühl für affektive
Worte, »er hat beinahe nichts mehr zu sagen«, außer unverbindlichen Banalitäten.
Die männliche Sprache, oder die dazu erklärte, ist ein Sprachgebrauch, ist
eine Sprachsperre gegenüber der Mutter und ihren Emotionen. Der Mann versagt
sich das Weinen, die Gemütsbewegungen, auch er ist eingesperrt, aber in der Härte
gegenüber der Mutter, im Widerstand gegen die Zärtlichkeit, die früher
zwischen ihnen bestanden hat.
Der Mann ergreift
leicht das Wort oder die Feder, denn er riskiert ja nichts, da er nie mehr von
sich spricht, sondern von Dingen außerhalb seiner selbst. Berührt uns das, was
er sagt? Selten, denn er spricht nie das an, was in uns empfindungsfähig ist,
sondern das, was logisch ist.
Ein Mann sagte
mir etwas Erstaunliches: »Ich fühle mich zweigeteilt, auf der einen Seite ist
da mein Körper, der mir nicht gehört (ich habe ihn verschenkt an meine Mutter,
an meine Frau), und dann ist da mein Kopf, der sich nur für mich alleine dreht,
mit hunderttausend Umdrehungen pro Minute.«
Es ist ganz
deutlich: Eben noch hat eine Frau zu mir über ihren ständig anwesenden Körper
(allgegenwärtiger Körper, der jeden Zugang zur Sublimierung versperrt) und von
ihrem abwesenden Kopf gesprochen, und dann erzählt mir ein Mann von seinem
abwesenden Körper und von seinem Kopf, der sich nur für ihn dreht
(Sublimierung, die den ganzen libidinösen Bereich besetzt und für den Körper
keinen Platz läßt). Eine entgegengesetzte Entwicklung des Mannes und der Frau
in bezug auf die gleiche »Mutter«, eine Entwicklung, die beiden oft den
Eindruck gibt, himmelweit voneinander entfernt zu sein. Was für Dinge bilden
und lösen sich wieder in diesem Körper, in diesem Kopf! Wegen einer Frau.
Wer könnte die
schreckliche Jokaste daraus entfernen, oder wenigstens ihre Wirkung mildern,
wenn nicht ihr Mann Laios, der verschwundene Vater? Man müßte ihn
wiederbeleben können, ihn in seinen Palast zu seinen Kindern zurückführen.
Der Platz des »Vaters« sollte überall dort sein, wo auch sein Kind ist:
im Kinderzimmer, im Badezimmer, in der Küche,
im Kindergarten, beim Spielen. Überall dort, wo die Frauen herrschen, müssen
die Männer gleichberechtigt an ihrer Seite sein, wenn wir Kinder sehen wollen,
deren Sexualisierung nicht zwangsläufig auf eine Parteinahme für oder gegen
die Frau hinausläuft.
Die Feministinnen
haben erkannt, daß die Frau in der Sprache unablässig als negativer
Bezugspunkt für den Mann herhalten muß, wenn er spricht, selbst wenn er sich
an »sie« wendet. Die Männer tun das unbewußt, ohne es überhaupt zu merken,
und die Frauen sind entschlossen, ihnen diesen Kampf
auf der Ebene der Worte bewußtzumachen. Und ich habe es übernommen,
aufzuzeigen, daß der Mann, der von Frauen großgezogen ist, »ihnen« gegenüber
nur eine defensive oder aggressive Sprache haben kann!
Weiß denn der
Analytiker nicht besser als jeder andere, daß es sich dabei um eine »Geschichte«
handelt, die nur von einer anderen ausgelöscht werden kann? Insbesondere diese
hier, die in seinem Konsultationszimmer zur Sprache kommt?
Wir sehen doch,
wie der Mann in der Analyse nach und nach den gefühlsmäßigen Teil seines
Selbst wieder zurückgewinnt, den er damals aufgegeben hat, und wie seine
Starrheit einer neuen Wärme und Nachgiebigkeit Platz macht, eine Entwicklung,
die nicht zwangsläufig über die Opposition gegen die Frau führt.
Erleben wir die
Geburt einer »anderen « Frau? Einer Frau, die beginnt, aus sich selbst heraus
zu existieren, ohne daß sie um eine Identität bitten muß, weil da niemand
mehr ist, der sie ihr streitig macht? Nämlich dann, wenn sie aufgehört hat,
sich von der Überlegenheit der Mutter erdrücken zu lassen oder sich dem
Begehren des Mannes zu unterwerfen.
Anstatt die Überlebenden
des Ödipus einen nach dem anderen zu analysieren, muß man sich fragen, ob
dieser Odipus nicht anders gestaltet werden könnte, damit er nicht immer nur in
einen Krieg der Geschlechter und der Worte mündet.",
S. 143/144
"Gibt es nicht den sakrosankten Muttertag, der die Bedeutung des mütterlichen Opfers zeigt und das Bedürfnis nach Wiedergutmachung gegenüber diesen Frauen, die soviel für ihr Kind getan haben? Müssen sich die Mütter ausgebeutet fühlen, entwertet, erniedrigt, um sich plötzlich an jenem Tag auf das höchste Podest stellen lassen? Wenn die Mütter, die bei ihrem Kind bleiben, soviel Lust daraus beziehen, warum muß man ihnen dann danken? Man rehabilitiert nur jemanden, der einen Schaden erlitten hat. Es ist kein Zufall, daß diese Aufwertung zuerst auf die Mutter fiel."