Kindergeldanrechung
Halbteilungsgrundsatz
Kindergeldklau verfassungswidrig?
AMTSGERICHT KAMENZ - Familiengericht -
Verkündet am 30. Januar 2001 - 001 F 00210/00
In Sachen ...
verkündet das Amtsgericht Kamenz durch den Richter am Amtsgericht Dr. Böttner aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23.01.2001 am 30.01.2001 folgenden
BESCHLUSS
Das Verfahren wird ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung über die Vereinbarkeit von § 1612b V BGB mit der Verfassung, insbesondere mit Art. 3 I GG i.V.m. Art. 6 I und II GG, vorgelegt.
G r ü n d e:
I.
Nach Teilurteil über die Abstammung der Klägerin vom Beklagten und Teilversäumnisurteil über monatlichen Unterhalt in Höhe von 100% des Regelbetrages der ersten Altersstufe gem. § 2 der Regelbetrags-VO abzüglich hälftigen Kindergeldes von derzeit 135,00 DM, begehrt die am 2.2.1998 geborene, durch X Beistand vertretene Klägerin darüber hinaus, ihr monatlichen Kindesunterhalt ohne volle hälftige Anrechnung des Kindergeldes gem. § 1612b V BGB wie folgt zuzusprechen:
- Bis 31. 1. 2004 100% des jeweiligen Regelbetrages der ersten Altersstufe gem. § 2 der Regelbetrags-VO abzüglich eines anteiligen Kindergeldes von 21,00 DM.
- Ab 1. 2. 2004 bis 31. 1. 2010 100% des jeweiligen Regelbetrages der zweiten Altersstufe gem. § 2 der Regelbetrags-VO ohne Anrechnung von Kindergeld.
- Vom 1. 1. 2010 an 100% des jeweiligen Regelbetrages der dritten Altersstufe gem. § 2 der Regelbetrags-VO ohne Anrechnung von Kindergeld.
II.
Gemäss Art. 100 I S. 1 GG ist das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG über die Vereinbarkeit von § 1612b V BGB mit der Verfassung herbeizuführen. Das Familiengericht ist zu der Überzeugung gelangt, daß diese Vorschrift wegen Verstosses gegen Art. 3 I GG in Verbindung mit Art. 6 I und II GG verfassungswidrig ist.
1. Ob und inwieweit die weiter verfolgte Klage begründet ist, hängt entscheidend von der Verfassungsmässigkeit des § 1612b V BGB ab (a.), einer Frage, mit der sich das BVerfG bisher nicht zu befassen hatte (b.).
a. Ist die Norm verfassungsgemäß, so wäre die Klage wie beantragt zuzusprechen. Denn die ... dem Antrag zugrunde gelegte Berechnungsweise entspricht, wie im einzelnen noch auszuführen sein wird, der Auslegung des Gesetzes im Sinne seiner Begründung. Mit 21,- DM nennt der Antrag für den Zeitraum bis zum 30.6.2001 den Betrag, um den das hälftige Kindergeld zusammen mit dem tatsächlich geschuldeten Betrag, hier dem Regelbetrag, 135% des Regelbetrages übersteigt (Vgl. Familienrechtsreformkommentar-Häußermann, Rn. 13 zu § 1612b BGB a.F. entsprechend; vgl. Scholz in FamRZ 2000, 1541;vgl. Vossenkämper in FamRZ 2000, 1547 ff.; vgl. unter 2.). Für die Zeit ab 1. 7. 2001 errechnete sich wegen der ab diesem Zeitpunkt zu erwartenden Anhebung der Regelbeträge allenfalls ein noch niedrigerer Anrechnungsbetrag. Mit der Anhebung der Regelbeträge geht angesichts der nicht linear sondern prozentual steigenden Berechnungsgrösse (135 Prozent) in § 1612b V BGB nämlich regelmäßig eine weitere Reduzierung des vom hälftigen Kindergeld anzurechnenden Anteils einher. Insoweit wird über den 30.6.2001 hinaus jedenfalls nicht mehr als möglich beantragt.
Ist die Norm verfassungswidrig, so wäre die Klage abzuweisen. Denn gem. §§ 1612b I, 1606 Abs. 3 S. 2 BGB und entsprechend § 31 EStG ist das Kindergeld bei - vorliegend gegebener - Nichtauszahlung an den Barunterhaltspflichtigen hälftig auf den Erziehungs- und hälftig auf den Barunterhalt anzurechnen.
Ein Mangelfall im Sinne der allgemeinen Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, auf den die Vorschrift mangels Anspruches wegen des zu wahrenden Selbstbehaltes des Schuldners und demzufolge nicht gegebener Anrechnungsmöglichkeit ohne Auswirkung bliebe, liegt nicht vor. "Jeder Unterhalt ist in Höhe des bestehenden Bedarfs nur dann geschuldet, wenn die entsprechende Leistungsfähigkeit des Verpflichteten gegeben ist. Ist das nicht der Fall, so besteht ein Mangelfall" (Wendl/Staudigl-Gutdeutsch, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 5. Auflage, Rn. 1 zu § 5; vgl. ausführlicher auch unter 2c.).
Unbestritten ist der Beklagte nur gegenüber einem minderjährigen Kind unterhaltspflichtig, so daß sein Selbstbehalt in jedem Fall gewahrt ist. Seine unbestrittene Leistungsfähigkeit (vgl. zum Anspruch auf den Regelbetrag auch nach dem 1.7.1998: KG in FamRZ 1999, 405, und OLG Dresden in FamRZ 2000, 296) in Höhe des dem Regelbetrag entsprechenden Einkommens (Unterhaltsleitlinien des OLG Dresden vom 1.7.1999: 1800 DM) wurde bei wie auch immer gearteter Anrechnung hälftigen Kindergeldes nicht unter den Selbstbehalt (Unterhaltsleitlinien* des OLG Dresden vom 1.7.1999: 1370 DM) sinken (1800 DM - 324 DM als gegenwärtiger Regelbetrag der betr. ersten Altersstufe für die neuen Bundesländer ohne Anrechnung von Kindergeld = 1476 DM).
b. Das BVerfG hatte sich bisher mit dieser Frage nicht zu befassen.
2. Eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift im Sinne einer gleichmässigen hälftigen Anrechnung des Kindergeldes auch auf den Barunterhalt von unterhalb von etwa 3500 DM/Monat (neue Bundesländer) Leistungsfähigen entsprechend §§ 1612b I, 1606 III S.2 BGB, 31 EStG ist nicht möglich.
a. Nach dem Wortlaut des § I612b V BGB unterbleibt eine Anrechnung von Kindergeld, "soweit der Unterhaltspflichtige ausserstande ist, Unterhalt in Hohe von 135% des Regelbetrages nach der Regelbetrag-Verordnung zu leisten" (BGBl Teil I vom 7.11.2000, S. 1479 f.). Insoweit stellt die Neufassung lediglich eine graduelle Veränderung gegenüber der seit der Kindesunterhaltsreform vom 1. 7. 1998 gültigen alten Fassung dar. In dieser wurde die Anrechnung von Kindergeld bis zu einer Leistungsfähigkeit von 100 % des Regelbetrages ausgeschlossen.
Alter und neuer Wortlaut sind aber weniger "auf den ersten Blick kompliziert anmutend" (so Schumacher, einer der Verfasser des Referentenentwurfs zum Kindesunterhaltsgesetz, in FamRZ 1999, 699), als vielmehr in ihrer Bedeutung zumindest unklar. Dies kommt u. a. auch darin zum Ausdruck, daß diese Vorschrift mangels darauf gestützter Antrage jedenfalls in der Praxis des hiesigen Familiengerichts noch nicht zur Anwendung gelangt ist, sodaß sich auch die Frage einer Vorlage gem. Art. 100 I S. 1 GG bisher nicht gestellt hat.
Schon Becker hatte mit seinem eigenen Verständnis der Vorschrift (dazu ausführlicher unter 2c.) auf die unzureichende Formulierung hingewiesen und prophezeit: "Da der Rechtsanwender aber davon ausgeht, daß eine gesetzliche Regelung einen Sinn haben muß, steht zu befürchten, daß diese Vorschrift noch für viel Verwirrung sorgen wird" (Becker in FamRZ 1999, 65 ff (68).
Diese "unglücklich formulierte und daher nur schwer verständliche Vorschrift" (Scholz in FamRZ 2000, 1541 ff (1542)) lässt sogar Zweifel an ihrer verfassungsrechtlich gebotenen Bestimmtheit aufkommen. Denn Grundvoraussetzung dafür, daß sich eine Norm im Sinne ihrer Begründung - wie aufgezeigt - auslegen lasst, ist, daß sich eine solche Bedeutung dem Wortlaut und seinem Sinnzusammenhang überhaupt entnehmen läßt:
"Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objetivierte Wille des Gesetzgebers so, wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist".
"Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können" (BVerfGE 1, 299 (312)).
Die gemeinte Bedeutung könnte zwar durch den Wortlaut nicht von vornherein ausgeschlossen sein, lasst sich aber erst der Gesetzesbegründung entnehmen.
b. Die Begründung der ursprünglich als § 1612 c Abs. 5 BGB vorgesehenen Vorschrift a.F. lautet:
"In Fällen, in denen der Barunterhaltspflichtige aufgrund seiner mangelnden Leistungsfähigkeit nicht in der Lage ist, Unterhalt in Höhe des Regelbetrages zu leisten, soll eine Anrechnung des Kindergeldanteils unterbleiben, soweit der für den Unterhalt des Kindes zur Verfügung stehende Betrag, also der tatsächlich geschuldete Unterhalt, hinter dem Regelbetrag zurückbleibt. Der Kindergeldanteil gemäß Absatz 1 wird in diesen Fallen nur angerechnet, soweit er zusammen mit dem tatsächlich geschuldeten Unterhalt den Regelbetrag übersteigt. Kann also der Barunterhaltspflichtige für ein Kind nach der 1. Altersstufe 300 DM Unterhalt leisten, wird das Kindergeld nur in Hohe von 51 (1997: 61) DM angerechnet. In Hohe von 49 DM unterbleibt die Anrechnung. Zu zahlen waren also in diesem Fall 249 (1997: 239) DM. Diese Regelung erscheint im Interesse des Kindes sachgerecht.
Sie entspricht im Ergebnis der Rechtsprechung einiger Oberlandesgerichte, nach der das Kindergeld in Mangelfällen ohne weitere Voraussetzungen unmittelbar für den Kindesunterhalt zu verwenden ist und bis zur Deckung der Mindestbedarfssätze aller Unterhaltsberechtigter ausnahmsweise zum unterhaltspflichtigen Einkommen zu zahlen ist (Nachw. bei Palandt-Diederichsen, BGB, 55. Aufl., § 1602 BGB Rn. 17). Bei der steuerrechtlichen Prüfung der Frage, ob durch das im Wege des zivilrechtlichen Ausgleichs geleistete Kindergeld die steuerrechtlich gebotene Freistellung erreicht wurde (§ 31 Satz 5 EStG), ist aber nach wie vor der hälftige Kindergeldanteil zu berücksichtigen. Denn der Ausgleichsberechtigte wird so gestellt, als habe er den hälftigen Anteil gemäß Absatz 1 zwar erhalten, aber - ganz oder teilweise - zur Erfüllung seiner Unterhaltsverpflichtungen eingesetzt. ..." (BT-Drucksache 13/7338 S. 30, 31).
Die Begründung der Neufassung zum 1.1.2001 hat den Wortlaut:
"Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 10. November 1998 - 2 BvR 1057/91 u.a. - (Vgl. FamRZ 99, 285, 291) erneut festgestellt, dass "der Staat ... den Unterhaltsaufwand für Kinder des Steuerpflichtigen in dem Umfang als besteuerbares Einkommen lassen (muss), in dem dieses zur Gewährleistung des Existenzminimums der Kinder erforderlich ist." Daneben betont das Bundesverfassungsgericht, dass der Betreuungsbedarf der Kinder "als Bestandteil des kindbedingten Existenzminimums steuerlich zu verschonen" sei und dass schliesslich ein Erziehungsbedarf des Kindes vom Gesetzgeber zu berücksichtigen sei (2 BvR 1057/91 u.a., dort unter B I.3a sowie unter C II.). Entsprechend dieser Entscheidung ist der Familienleistungsausgleich in einer ersten Stufe ab dem Jahr 2000 durch das Gesetz zur Familienforderung neu geregelt worden.
In Ergänzung zu dem Familienförderungsgesetz sind die Alleinerziehenden nun auch unterhaltsrechtlich zu entlasten. Dies ist umso dringender angezeigt, als nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die früher der Entlastung dienende Vorschrift des § 33c EStG wegen deren Unvereinbarkeit mit Artikel 6 GG entfallen ist. Erst durch eine solche unterhaltsrechtliche Neuregelung kann sichergestellt werden, dass das Existenzminimum des Kindes nicht nur steuerrechtlich freigestellt wird, sondern auch Anknüpfungspunkt für die Verteilung bzw. Verwendung des Kindergeldes wird.
Hiernach kann nicht länger bereits in solchen Fallen, in denen der Barunterhaltspflichtige lediglich Unterhalt in Höhe der Regelbeträge leistet, eine Anrechnung des Kindergeldanteils vorgenommen werden; vielmehr hat eine derartige Anrechnung des Kindergeldes zu unterbleiben, soweit der für den Unterhalt des Kindes zur Verfügung stehende Betrag, also der tatsächlich geschuldete Unterhalt, hinter dem Barexistenzminimum zurückbleibt.
Insoweit zieht diese Änderung des § 1612b Abs. 5 BGB auch eine Konsequenz daraus, dass sich die Regelbeträge nicht allein am wirklichen Bedarf des Kindes ausrichten. Der hälftige Kindergeldanteil gemäß § 1612b Abs. I BGB wird künftig nur angerechnet, soweit er zusammen mit dem tatsächlich geschuldeten Unterhalt das Barexistenzminimum übersteigt. Diese Regelung erscheint im Interesse des Kindes sachgerecht.
Der neu geregelte Absatz 5 führt auf diese Weise zu einer geänderten Verwendung des Kindergeldes unter Übernahme des Barexistenzminimums als maßgeblicher Grenze, ohne dass von der in § 1612b Abs. 1 BGB angeordneten Halbteilung des Kindergeldes abgewichen wurde. Denn nach wie vor verbleibt es zunächst bei dieser Halbteilung des Kindergeldes, wie sie sich letztlich auch aus der in § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB festgestellten grundsätzlichen Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt ergibt. Das Unterhaltsrecht folgt damit auch dem Familienförderungsgesetz, wonach das Kindergeld gemäß § 31 EStG der steuerlichen Freistellung des Barexistenzminimums sowie des Betreuungsbedarfs des Kindes dienen soll. Der Barunterhaltsleistende wird jedoch so lange verpflichtet, die ihm zustehende Hälfte des Kindergeldes für den Unterhalt des Kindes zu verwenden, bis das Barexistenzminimum des Kindes gesichert ist. Ausgehend von den Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts wäre auch eine Regelung, die das hälftige Kindergeld beim Barunterhaltsverpflichteten zu dessen freier Verfügung beliesse, selbst wenn dieser das Existenzminimum des Kindes noch nicht sichergestellt hat, kaum mehr zu rechtfertigen. Unberührt bleibt hiervon das Erfordernis, in Mangelfällen auch den notwendigen Selbstbehalt des Barunterhaltspflichtigen zu wahren.
Weiterhin hat das Bundesverfassungsgericht dargelegt, welcher Bedarf des Kindes zur Ermittlung der freizustellenden Unterhaltsleistungen im Einzelnen zu berücksichtigen ist (2 BvL 42/93, dort unter C I. 5), und es hat dabei in gleicher Weise wie der von der Bundesregierung periodisch vorgelegte Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien (zuletzt auf Drucksache 14/1926) die hiernach maßgeblichen Mindestbeträge unter Zugrundelegung des "Mehrbedarfes" als Richtgrösse für den einzusetzenden Wohnbedarf des Kindes ermittelt. Für die neue Regelung in § 1612b Abs. 5 BOB ist hiernach in gleicher Weise von dem Existenzminimumsbericht auszugehen. Eine höhere Grenze als Bezugsgrösse in § 1612b Abs. 5 BGB liesse sich nicht mit dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts rechtfertigen.
Der Entwurf verzichtet dabei in dem neu gefassten § 1612b Abs. 5 BGB darauf, das Barexistenzminimum des Kindes autonom zu definieren, um nicht durch die Einführung einer weiteren Bezugsgrösse die ohnehin komplizierte Berechnung des Kindesunterhalts noch weiter zu erschweren. Vielmehr hat ein eingehender Abgleich der Entwicklung der Betrage des Existenzminimums einerseits sowie der Regelbeträge andererseits ergeben, dass die ohnehin beizubehaltenden Regelbeträge eine treffsichere Rechengrundlage abgeben und dass sich hiernach das Existenzminimum mit 135 Prozent des jeweiligen, nach Altersgruppen gestaffelten Regelbetrages darstellen lasst. Mit diesem Prozentsatz der Regelbeträge wird zum einen sichergestellt, dass in allen Altersgruppen an einen Barunterhalt in Hohe des Existenzminimums angeknüpft wird. Zum anderen gewährleistet eine Verwendung der Relation 135 Prozent eine bruchlose Umsetzung in der familiengerichtlichen Praxis; denn diese richtet sich bei der Festlegung der Unterhaltshöhe grundsätzlich nach der Düsseldorfer Tabelle, in der bereits eine solche Gruppe mit einem Prozentsatz von 135 Prozent ausgewiesen ist. Auch in Zukunft wird dabei zu beachten sein, ob sich diese Korrelation als nachhaltig tragfähig erweist." (BT-Drucksache 14/3781 S. 7 - 8).
Diese Begründungen sprechen eindeutig für die angesichts des Wortlautes nicht eben naheliegende Auslegung, wie sie auch der einschlägigen Kommentatur zu entnehmen ist: "Der Kindergeldanteil gemäß Abs. 1 wird nur angerechnet, soweit er zusammen mit dem tatsächlich geschuldeten Unterhalt den
Regelbetrag übersteigt", bzw. 135% davon (Familienrechtsreformkommentar-Häußermann, Rn. 13 zu § 1612b BGB a.F.; vgl. auch Scholz a.a.O. und Vossen-kämper a.a.O.).
c. Die Norm lässt sich - jedenfalls in ihrer Neufassung - auch nicht mehr als ein blosses "Paradoxon" ohne konkrete Auswirkung (Becker in FamRZ 1999, 65, zu § 1612b V BGB a.F.) - verfassungskonform - verstehen, auch wenn sie genau auf das Mißverständnis zurückgehen dürfte, welches Becker aufzeigt. Denn die Tatsache, daß Kindergeld keine Rolle spielt, wenn ein Mangelfall vorliegt, bedeutet eben nicht, daß Kindergeld solchenfalls nicht - auf den Bedarf - angerechnet wird, sondern daß ein Anspruch insoweit gar nicht gegeben ist, weil der Schuldner nicht leistungsfähig ist. Ein Anspruch besteht nämlich nur bis zum Selbstbehalt des Schuldners (vgl. Becker a.a.O. S. 65). Bezeichnend ist allerdings, daß - jedenfalls auf den ersten Blick - auch Schumachers Erwiderung auf Becker das gleiche Verständnis der Vorschrift zugrunde liegt: "Der Ausschluss jeglicher Anrechnung des Kindergeldes sollte sich jedoch ... auch in diesem Fall aus dem Gesetz selbst ergeben und nicht gegen die Vorschrift des § 1612b I BGB aus Erwägungen der Judikatur hergeleitet werden müssen, ..." (Schumacher a.a.O. S. 699). Diese Äusserung dürfte aber entgegen ihrem Wortlaut eher auf einem Missverständnis des von Becker zutreffend definierten Mangelfalles beruhen.
Wenn man die Nichtberücksichtigung von Kindergeld in einem Mangelfall im Sinne der Rechtsprechung wegen § 1612b I BGB tatsächlich nur hatte klarstellen wollen, wofür allerdings der in der ursprünglichen Begründung enthaltene - wenngleich indifferente - Hinweis auf die Rechtsprechung immerhin ein gewisser Anhaltspunkt sein konnte (vgl. Becker a. a. O. S. 67; vgl. unter 2b.), so hatte dies mit folgendem Wortlaut geschehen können:
Im Mangelfall gilt das ausgezahlte Kindergeld als mit dem Bedarf des Kindes verrechnet. Ein Mangelfall liegt vor, wenn der Barunterhaltspflichtige die Beträge, die er unter Anrechnung hälftigen Kindergeldes zahlen musste, wegen des zu wahrenden Selbstbehaltes nicht zahlen kann.
Falls eine solche, vor dem Hintergrund von Art. 3 I und 6 I und II GG unbedenkliche Bedeutung dem Wortlaut der Vorschrift des § 1612b V BGB überhaupt entnommen werden konnte, so scheiterte eine solche - verfassungskonforme - Auslegung aber jedenfalls an dem der Gesetzesbegründung zu entnehmenden und entgegenstehenden Willen des Gesetzgebers (vgl. unter 2b.).
3. Der aufgezeigte Regelungsgehalt der Vorschrift wirkt sich in der Praxis folgendermassen aus. Zunächst macht er zusätzliche Berechnungen des bis zur vollen hälftigen Anrechnung jeweils noch anzurechnenden Kindergeldanteils erforderlich. Von dem sich aus der bisherigen Unterhaltstabelle entsprechend dem Einkommen ergebenden Unterhaltsbetrag zuzüglich hälftigen Kindergeldes ist der 135prozentige Regelbetrag der betreffenden Altersstufe abzuziehen. Der errechnete Betrag stellt den anrechenbaren Kindergeldanteil dar, um den die Tabellenwerte zu reduzieren sind (vgl. Familienreformkommentar-Häußermann a.a.O. Rn. 13 zu § 1612b V BGB a.F. entsprechend, Scholz a.a.O. S. 1541, Vossenkämper a.a.O. S. 1547 ff).
Das ist vor allem für die Praxis des vereinfachten Verfahrens eher weniger tauglich. Folgerichtig kursieren bei Jugendämtern und Rechtspflegern bereits zusätzliche Tabellen für die betroffenen 100 bis 135% der Regelbeträge. Ihr Umfang steht dem der gesamten bisherigen Unterhaltstabelle kaum nach. Speziellen Lehrgängen Ende vergangenen und Anfang diesen Jahres war es vorbehalten, die Art und Weise der gemeinten Anrechnung und deren mehrstufige Errechnung zu vermitteln, nachdem die Regelung zum 1.7.1998 in der Praxis mehr oder weniger wirkungslos geblieben war. Die zusätzlichen Tabellen werden überdies alle zwei Jahre mit Erhöhung der Regelbeträge für die alten und die neuen Bundesländer jeweils neu zu errechnen sein. Die Unterhaltstabellen der Oberlandesgerichte in den neuen Bundesländern dürften um einen Wert entsprechend dem 135prozentigen Regelbetrag zu ergänzen sein.
Die Zusatztabellen machen sichtbar, dass die Leistungsfähigkeit als entscheidendes Kriterium der Verpflichtung zum Barunterhalt aus dem Blickfeld gerät (vgl. den Abdruck bei Graba in NJW 2001, 249 ff (250)). Anders als in den Unterhaltstabellen der Oberlandesgerichte, welche sich an Einkommensgrenzen orientieren, bilden hier die teilweise sogar auf volle Prozentpunkte von 100 bis 135 vom Regelbedarf errechneten "Bruttobeträge" (Tabelle des Jugendamtes Dresden) die vertikale Tangente der Tabelle. Bin bestimmtes Einkommen läßt sich diesen ohne weiteres gar nicht mehr zurechnen. Es wird jedenfalls nicht ausgewiesen. Die ausgeworfenen "Zahlbeträge" machen vollends deutlich, dass sie sich an der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners nicht orientieren. Trotz steigender Bruttobeträge, also steigender Leistungsfähigkeit, bei einer Bandbreite von 324 bis 438 DM (0-5 J.), 392 bis 530 DM (6-11 J.) bzw., 465 bis 628 DM (12-17 J.) bleibt der Zahlbetrag mit 303, 395 bzw. 493 DM jeweils der gleiche.
In Erinnerung zu rufen sind auch die schon von den angehörten Richtern Scholz, Büttner und Gerhardt (vgl. Gerhardt in FamRZ 2001, 73 f) und später vom Rechtsausschuss des Bundesrates in seiner Empfehlung zur Streichung der Vorschrift aufgezeigten Folgen:
"Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Regelbeträge der geltenden Regelbetrag-VO nicht den Unterhaltsbedarf eines Kindes in der jeweiligen Altersstufe decken. Der mit der Gesetzesänderung beschrittene Weg, an Stelle einer Anhebung der Regelbeträge die Anrechnung des Kindergeldes in wesentlich erweitertem Umfang auszuschliessen, stellt jedoch einen systemwidrigen und die gerichtliche wie jugendamtliche Praxis erheblich belastenden Eingriff in das Kindesunterhaltsrecht dar. Die Regelung bringt insbesondere folgende schwerwiegenden Nachteile mit sich:
Mit der Grenze von 135 % wird eine neue gesetzliche Abstufung des Unterhalts - zwischen dem Regelbetrag und der für das vereinfachte Verfahren geltenden Obergrenze von 150 % eingeführt. Dies führt zu einer weiteren Unübersichtlichkeit des Unterhaltsrechts insbesondere für die betroffenen Gläubiger und Schuldner.
Die Neuregelung betrifft nach realistischen Schätzungen wohl mindestens 70 % aller Titel über Kindesunterhalt, weil nur eine Minderzahl der Pflichtigen mehr als 135 % des Regelbetrages aufzubringen im Stande ist. Künftig wird aber der weit überwiegenden Zahl der Unterhaltsgläubiger damit der Vorteil einer Dynamisierung ihrer Unterhaltstitel genommen. Denn durch die alle zwei Jahre seit dem 1. Juli 1999 vorzunehmende Anhebung der Regelbeträge ändert sich jeweils automatisch auch der neue Grenzbetrag von 135 % und damit der anzurechnende Kindergeldanteil. Bei jeder Anhebung der Regelbeträge müssen alle bestehenden Titel mit Unterhaltsbetragen bis zu 135 % des Regelbetrages hinsichtlich der Kindergeldverrechnung auf Antrag nach § 655 ZPO - bzw. durch Neubeurkundung - geändert werden. Dies bedeutet jeweils eine ganz erhebliche Mehrbelastung für die Familiengerichte, aber auch und besonders für die Jugendämter. In jedem Fall wird der mit der Einführung des KindUG zum 1 Juli 1998 herausgestellte Vorteil einer fortlaufenden Dynamisierung aller an Hand von Regelbetragen oder eines Prozentsatzes hiervon errichteten Unterhaltstitel durch alle Altersstufen hindurch für weit mehr als zwei Drittel aller Unterhaltstitel wieder beseitigt.
Bezieht ein Kind Leistungen nach dem UVG, führt die Neuregelung stets zu einer Zweigleisigkeit seines Unterhaltsanspruches. Denn die Höhe des Unterhaltsvorschusses entspricht dem Regelbetrag abzüglich
dem hälftigen Kindergeld (§ 2 Abs. 1 und 2 UVG). Nur insoweit geht aber der Unterhaltsanspruch des Kindes auf das Land über (§ 7 Abs. 1 UVG). Da der dem Kind selbst zustehende Unterhaltsanspruch aber nunmehr anders berechnet werden soll und deshalb regelmäßig höher liegt, ist es als Gläubiger gehalten, den Unterschiedsbetrag selbst einzuziehen. Dies wird - abgesehen von den Fällen einer treuhänderischen Rückübertragung - zu häufiger Zweispurigkeit der Unterhaltsverfolgung, nämlich einerseits durch die Gläubigerbehörde und andererseits durch das Kind, führen. Es ist absehbar, dass sich allein deshalb die Zahl notwendiger Beistandschaften durch das Jugendamt erhöhen und die Zahl gerichtlicher Festsetzungs- bzw. Vollstreckungsverfahren häufig verdoppeln wird. Das Zusammenwirken dieser Nachteile (weitere Komplizierung des Unterhaltsrechts, Wegfall der automatischen Dynamisierung für die Mehrzahl der Titel mit zusätzlicher Arbeitsbelastung für Justiz und Jugendämter, Zweigleisigkeit der Unterhaltsverfolgung in vielen Fällen) zeigt, dass es sich um einen systemwidrigen und nicht hinreichend durchdachten Eingriff in das geltende Recht des Kindesunterhalts handelt. Die Vorschrift ist deshalb zu streichen." (BR-Drucksache 519/1/00, S. 1-3).
Diese Prognose dürfte für die neuen Bundesländer zu modifizieren sein. Hier haben wir es - verglichen mit den alten Bundesländern - vermehrt mit Ehen zu tun, in denen beide Eheleute - bei annähernd gleichem Verdienst berufstätig sind, allerdings jeweils auf niedrigerem Einkommensniveau. Die klassische Einverdienerehe - ggf. mit Zusatzeinkommen des anderen Teils - ist hier seltener anzutreffen. Dies hat zur Folge, dass bei - überwiegend - mehr als einem minderjährigen unterhaltsberechtigten Kind der Barunterhaltspflichtige unter Wahrung seines zur Einkommenserzielung notwendigen Selbstbehalts vielfach nicht mehr voll leistungsfähig ist. Für die durchzuführende Mangelfallberechnung kommt es auf den Kindergeldanteil - wie aufgezeigt - nicht an. Die Anteile am zu verteilenden Betrag werden mittels der Tabellenbeträge ermittelt (vgl. Unterhaltsleitlinien des OLG Dresden vom 1.7.1999 unter V. Nr. 35). Allein für die Frage, ob ein Mangelfall vorliegt, bleibt der abzuziehende Kindergeldanteil von Gewicht. Fällt dieser - wie aus der Tabelle er-sichtlich - geringer aus als bei voller hälftiger Anrechnung, so wird auch der Anteil der Mangelfälle mit Anwendung der Neufassung des § 1612 b V BGB spürbar zunehmen, in denen jegliche Anrechnung mangels Anspruches ausgeschlossen ist.
4. Der Ausschluss oder die nur teilweise Anrechnung des hälftigen Kindergeldes auf den Barunterhalt entgegen der Leistungsfähigkeit ist verfassungswidrig. Sie verstösst gegen das verfassungsrecht1iche Gebot zur Gleichbehandlung (Art. 3 I GG) und das verfassungsrechtliche Verbot, Ehe und Familie zu benachteiligen (Art. 6 I und II GG).
a. Der Gleichheitssatz des Artikel 3 I GG gilt unmittelbar und bindet den Gesetzgeber (BVerfGE 1, 208 (233); BVerfGE 1, 14 (52); v. Münch-Gubelt, GG-Kommentar Bd. l, 4. Auflage, Rn. 2 und 8 zu Art. 3). Seine Anwendbarkeit hat zur Voraussetzung, daß Sachverhalte gleich oder ungleich behandelt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum materiellen Gehalt des Gleichheitssatzes hat der Gesetzgeber "bei steter Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln" (BVerfGE 3, 58 (135 f).
Der Gleichheitssatz ist jedenfalls immer dann verletzt, wenn sich die Regelung als willkürlich im objektiven Sinne (BVerfG NJW 91, 157) erweist, sich für sie "keine vernünftigen Erwägungen finden lassen, die sich aus der Natur der Sache ergeben oder sonstwie einleuchtend sind" (BVerfGE 10, 234 (246); 1, 14 (52); 71, 39 (58)).
Entscheidend ist dabei "eine am Gerechtigkeitsdenken orientierte Betrachtungsweise". Die tatsächlichen Ungleichheiten in dem jeweils in Betracht kommenden Zusammenhang müssen so bedeutsam sein, dass sie beachtet werden müssen (BVerfGE 1, 264 (276); vgl. v. Münch-Gubelt, a.a.O., Rn. 11 zu Art. 3 GG).
Der Gleichheitssatz des Art. 3 I GG verbietet, "daß eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen konnten. ... Auf dieser Grundlage darf er generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen verwenden ... . Die Typisierung setzt allerdings voraus, daß die durch sie eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten regelmäßig nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist" (BVerfG FamRZ 1993, 164 (165)).
Der Rechtsprechung des BVerfG sind darüber hinaus folgende nach Art der Ungleichbehandlung und Regelungsgegenstand differenzierte Maßstäbe zu entnehmen.
"Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhaltnismäßigkeitserfordernisse reichen. Die Abstufung der Anforderungen folgt aus dem Wortlaut und Sinn des Art. 3 I GG sowie aus seinem Zusammenhang mit anderen Verfassungsnormen.
Da der Grundsatz, daß alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern soll, unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmässig einer strengen Bindung (vgl. BVerfGE 55, 72, 88). ... Die engere Bindung ist jedoch nicht auf personenbezogene Differenzierungen beschränkt. Sie gilt vielmehr auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt. Bei lediglich verhaltensbezogenen Unterscheidungen hängt das Maß der Bindung davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird (vgl. BVerfGE 55, 72, 89). Überdies sind dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers um so engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (vgl. BVerfGE 60, 123, 134 ...).... Kommt als Maßstab nur das Willkürverbot in Betracht, so kann ein Verstoß gegen Art. 3 I GG nur festgestellt werden, wenn die Unsachlichkeit der Differenzierung evident ist (vgl. BVerfGE 55, 72, 90). Dagegen prüft das BVerfG bei Regelungen, die Personengruppen verschieden behandeln Oder sich auf die Wahrnehmung von Grundrechten nachteilig auswirken im einzelnen nach, ob für die vorgesehene Differenzierung Grunde von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 82, 126, 146)" (BVerfG FamRZ 1993, 657 ff (658)).
Im konkret entschiedenen Fall hat das BVerfG es für unvereinbar mit Art. 3 I GG angesehen, Transsexuellen unter 25 Jahren die Vornamensänderung nach § 1 I Nr. 3 Transsexuellengesetz zu versagen, die älteren Transsexuellen gewährt wird.
"Außerdem kann sich eine Einschränkung der dem Gesetzgeber danach zustehenden Gestaltungsfreiheit aus anderen Verfassungsnormen ergeben. Differenziert der Gesetzgeber zum Nachteil von Ehe und Familie, so ist der besondere Schutz zu beachten, den der Staat nach Art. 6 I GG der Ehe und der Familie schuldet (vgl. BVerfGE 18, 257, 269 = FamRZ 1965, 29; BVerfGE 67, 186, 195 f)." (BVerfG FamRZ 1993, 164 ff (165)).
Art. 6 GG schützt Ehe und Familie (Abs. I) und das Eltern-Kind-Verhältnis (Abs. II und III). Sie werden als Einrichtungen im staatlich-gesellschaftlichen Bereich anerkannt, garantiert und verfassungsrechtlich geschützt (v. Münch-v. Münch, a.a.O., Rn. 1 zu Art. 6 GG) und haben durch die Rechtsprechung des BVerfG konkrete Ausprägung erfahren. So kann eine "Ungleichbehandlung von Alleinverdiener- und Doppelverdienerehe ... durch sachliche Grunde nicht gerechtfertigt" sein. "Sie ist im Gegenteil geeignet, in der gesellschaftlichen Wirklichkeit die Hausfrauenehe zu begünstigen. Dem steht Art. 6 II GG entgegen, der eine Festschreibung überkommener Rollenverteilungen zum Nachteil von Frauen verbietet" führt das BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der durch § 138 I Nr. 2, III Nr. 9 AFG a.F. vorgeschriebenen Einkommensanrechnung unter nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten aus, welche die zuvor beide Erwerbstätigen gegenüber denen, von denen nur einer erwerbstätig war, sowie gegenüber Alleinstehenden benachteilige (BVerfG FamRZ 1993, 164 ff (166)).
"Außerdem muss der Gesetzgeber, wenn er dem Gebot des Art. 6 I GG gerecht werden will, Regelungen vermeiden, die geeignet sind, in die freie Entscheidung der Ehegatten über ihre Aufgabenverteilung in der Ehe einzugreifen (vgl. BVerfGE 66, 84, 94 = FamRZ 1984, 346)" (BVerfG FamRZ 1993, 164 ff (166)).
b. Die Art und Weise der Ungleichbehandlung durch die Regelung des § 1612 b V BGB ist offensichtlich. Das hälftige Kindergeld, nicht ausgezahlt an den barunterhaltspflichtigen Elternteil, wird ab einer für die neuen Bundesländer noch nicht genau bestimmten Einkommensgrenze oberhalb von 3.500 DM netto/Monat nach wie vor entsprechend § 1612 b I BGB voll auf den Barunterhalt angerechnet. Bei den darunter liegenden, niedrigeren Einkommen wird das hälftige Kindergeld gar nicht oder nur noch zu mit geringerem Einkommen abnehmenden Teilbetragen auf den Barunterhalt angerechnet.
Die Ungleichbehandlung einer bestimmten Gruppe von Barunterhalt schuldenden Elternteilen knüpft damit an ihre Einkommensverhältnisse an. Sie müssen unterhalb von etwa 3500 DM/Monat netto liegen. Dies ist Voraussetzung dafür, daß sie gegenüber den übrigen, mehr verdienenden Barunterhaltspflichtigen und gegenüber den erziehenden Elternteilen schlechter gestellt werden. Diese Ungleichbehandlung hat davon abgesehen auch noch eine steuerrechtliche Komponente (vgl. Schumacher/Grün in FamRZ 1998, 778 ff (785)).
Darüber hinaus findet auch innerhalb der ungleich behandelten Gruppe eine Ungleichbehandlung statt. Denn die Höhe der teilweisen Anrechnung steigt mit zunehmendem Einkommen. Es wird also nicht mit abnehmendem Einkommen entsprechend geringerer Leistungsfähigkeit mehr anteiliges hälftiges Kindergeld angerechnet, sondern weniger.
Die weiter zu beachtenden tatsächlichen Verhältnisse liegen ebenfalls auf der Hand. Es gilt die gemeinsame tatsächlichen Bedingung, daß das Kindergeld (so in der Regel) voll an den betreuenden Elternteil - jedenfalls aber nicht an den Barunterhaltspflichtigen - ausgezahlt wird (§ 1612 b I BGB).
Wie bisher wird es nur noch dann voll hälftig auf den Barunterhalt angerechnet, wenn die Barunterhaltspflichtigen mindestens über ein so hohes unterhaltsrelevantes Nettoeinkommen verfügen, daß der 135prozentige Regelbetrag auch unter Berücksichtigung vollen hälftigen Kindergeldabzugs gewährleistet ist.
Unter Berufung auf seinen periodischen Bericht zum Existenzminimum von Kindern und Familien (BT-Drucksache 14/1926) geht der Gesetzgeber davon aus, dass der 135prozentige Regelbetrag dem Existenzminimum eines Kindes der betreffenden Altersstufe entspricht (BT-Drucksache 14/3781 S. 8, vgl. unter 2b.).
c. Nach der aufgezeigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kristallisiert sich für die verfassungsrechtliche Beurteilung folgender Prüfungsmaßstab heraus.
Sämtliche Ungleichbehandlungen knüpfen wie aufgezeigt an die Leistungsfähigkeit und damit an das Einkommen der Barunterhaltspflichtigen an. Zweifellos liegt darin die Differenzierung nach Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, nämlich zur Gruppe der nur über ein bestimmtes Einkommen Verfügenden. Diese Gruppe ist damit in ihrem Differenzierungskriterium auch durchaus der Gruppe der unter 25 Jahre Alten in der unter 4a. zitierten Entscheidung des BVerfG vergleichbar (BVerfG FamRZ 1993, 657 ff (658)). Eine lediglich verhaltensbezogene Unterscheidung liegt nicht vor. Jedenfalls sind die Betroffenen im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG FamRZ 1993, 657 ff (658) m.w.N.; vgl. unter 4a.) nur sehr bedingt in der Lage, durch ihr Verhalten die Verwirklichung - bzw. Nichtverwirklichung - der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird.
Der Gesetzgeber unterliegt im vorliegenden Fall also einer strengen Bindung. Es ist nicht nur im Sinne eines Verstosses gegen das Willkürverbot, sondern vielmehr im einzelnen nachzuprüfen, ob für die vorgesehene Differenzierung Gründe von solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können (vgl. BVerfG FamRZ 1993, 657 ff (658) m.w.N.; vgl. unter 4a.).
Davon abgesehen ist im vorliegenden Fall auch noch der besondere Schutz zu beachten, den der Staat nach Art. 6 GG Ehe und Familie und dem Eltern-Kind-Verhältnis schuldet (BVerfG FamRZ 1993, 164 ff (165) m.w.N.; vgl. unter 4a.). Eine Ungleichbehandlung von Bar- und Erziehungsunterhalt, könnte mittel- und langfristig durchaus eine Förderung der Einverdiener - zulasten der Mehrverdienerehe und eine Förderung der Ohne-Kinder- oder Ein-Kind-Ehe zulasten der Mehr-Kinder-Ehe bewirken. Dies entspräche jedenfalls nicht dem Gebot der unter Punkt 4b zitierten Rechtsprechung des BVerfG, wonach der Gesetzgeber eine Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit der Ehegatten über ihre Aufgabenverteilung zu vermeiden hat.
Insbesondere aber ist die aufgezeigte Schlechterbehandlung der Barunterhaltspflichtigen, zumal dergestalt, daß sie nicht entsprechend sondern entgegen der Leistungsfähigkeit geschieht, geeignet, die bei einer Trennung der Eltern zu treffende Entscheidung über den Aufenthaltsort des Kindes, welcher über die Barunterhaltspflicht entscheidet, unter Tangierung des Kindeswohls sachfremd zu beeinflussen.
d. Für die aufgezeigte Differenzierung bestehen nicht nur keine Gründe von solchem Gewicht, daß sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können. Es lassen sich für sie vielmehr bei einer am Gerechtigkeitsdenken orientierten Betrachtungsweise noch nicht einmal vernünftige Erwägungen finden, die sich aus der Natur der Sache ergeben Oder sonstwie einleuchtend sind. Die Unsachlichkeit der Differenzierung ist evident.
Gründe von Gewicht finden sich in den Gesetzesmotiven teilweise schon (aa.), nicht aber solche für die zur Beurteilung stehende Differenzierung. Und allein darauf kommt es an (bb.).
aa. Die Motive des zum 1.7.1998 in Kraft getretenen Kindesunterhaltsgesetzes beschränken sich im Wesentlichen auf eine Erläuterung dessen, was mit der Regelung beabsichtigt ist, was mit ihr bewirkt werden soll. Sachliche Erwägungen zur Begründung der Ungleichbehandlung fehlen fast völlig. Selbst der indifferente Hinweis auf die "Rechtsprechung einiger Oberlandesgerichte ... Nachw. bei Palandt ...", erschöpft sich im Hinweis auf deren "Ergebnis", nach dem "das Kindergeld in Mangelfällen ohne weitere Voraussetzungen unmittelbar für den Kindesunterhalt zu verwenden ist und bis zur Deckung der Mindestbedarfssätze aller Unterhaltsberechtigter ausnahmsweise zum unterhaltspflichtigen Einkommen zu zahlen" sei (vgl. unter 2b.). Letztwiedergegebener Auffassung durfte zudem das bereits aufgezeigte Mißverständnis vom Mangelfall und der diesbezüglichen Rechtsprechung zugrunde liegen. Insoweit wird Bezug genommen auf die Ausführungen unter 2c.). Möglicherweise geht sie auch auf ein falsches Verständnis der Kindergeld-Mangelfall-Entscheidung des BGH (FamRZ 1997, 806 ff) zurück, welche einen nachehelichen Unterhaltsanspruch betrifft, dessen Mangelfall-Quote nach den Bedarfsbeträgen ohne Kindergeldausgleich errechnet wird (vgl. dazu Becker a.a.O. S. 68).
Demgegenüber sind der Gesetzesbegründung zur am 1.1.2001 in Kraft getretenen Neufassung von § 1612b V BGB als essentielle Leitmotive zu entnehmen
- die unterhaltsrechtliche Entlastung der Alleinerziehenden und
- die Sicherung des Existenzminimums des Kindes. Ausdrücklich wird an der "Halbteilung des Kindergeldes" festgehalten unter Berufung auf die "Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt" (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB) und die dieser entsprechende Zielsetzung des Familienförderungsgesetzes, "wonach das Kindergeld gemäß § 31 EStG der steuerlichen Freistellung des Barexistenzminimums sowie des Betreuungsbedarfs des Kindes dienen soll" (Vgl. unter 2b.).
Sowohl diese Zielsetzung als auch die Beibehaltung der Halbteilung des Kindergeldes sind sicherlich nicht nur sachlich begründet und vertretbar. Beides entspricht vielmehr der Gesetzeslage bzw. den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts an den Gesetzgeber, auf welche die Gesetzesmotive ausdrücklich und umfänglich Bezug nehmen.
bb. Verfassungsrechtlich kommt es vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung des BVerfG allerdings entscheidend darauf an, ob diese Motive des Gesetzgebers von solchem Gewicht sind, daß sie die aufgezeigte Schlechterstellung einkommensschwacher Barunterhaltsschuldner untereinander und gegenüber den einkommensstärkeren sowie gegenüber den Erziehungsunterhalt Leistenden rechtfertigen, unter Berücksichtigung der besonderen Verpflichtungen des Gesetzgebers aus Art. 6 I und II GG.
Warum die aufgezeigten und an sich legitimen Ziele ausgerechnet zu Lasten der Einkommensschwächsten unter den Barunterhaltspflichtigen befördert werden sollen, geht aus den Gesetzesmotiven nicht hervor. Auch Gründe für den Wegfall der bzw. die nur noch teilweise Anrechnung hälftigen Kindergeldes entgegen der Leistungsfähigkeit benennen die Gesetzesmotive nicht. Sie lassen sich auch bei grösster Anstrengung nicht finden. Weder die Wahrung des Existenzminimums noch die Entlastung von Alleinerziehenden stellen jedenfalls für die Schlechterstellung weniger Leistungsfähiger eine sachliche Begründung dar, gerade und insbesondere auch vor dem Hintergrund der möglichen Auswirkungen auf die Schutzgüter des Art. 6 I und II GG (vgl. unter 4c.).
Die ausführliche Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherstellung des Existenzminimums und die entsprechende Definierung des Kindergeldes durch den Gesetzgeber rechtfertigt ebenfalls nicht die verabschiedete Regelung. Mit dem völligen bzw. partiellen Anrechnungsausschluss hälftigen Kindergeldes zu Lasten Einkommensschwacher kommt der Gesetzgeber nicht nur den ihm vom Bundesverfassungsgericht auferlegten steuerrechtlichen Verpflichtungen zur Sicherung des Existenzminimums von Familien und Kindern nicht nach, sondern konterkariert - im Umfang der versagten Anrechnung - sogar die eigene, seit dem 1. 1. 1996 dem Kindergeld gegebene Zweckbestimmung als insoweit vorweggenommene Steuererstattung (vgl. dazu Schumacher/Grün a.a.O. S. 785).
Einer am Gerechtigkeitsdenken orientierten Betrachtungsweise konnte allenfalls - wie im Steuerrecht und in den Unterhaltstabellen der Oberlandesgerichte bereits praktiziert - eine Ungleichbehandlung entsprechend der Leistungsfähigkeit genügen, nicht aber eine solche entgegen der Leistungsfähigkeit.
Der Sicherung des Existenzminimums förderlicher, systematisch konsequent und im Lichte von Art. 3 I, 6 I und II GG unverfänglich wäre dagegen eine Erhöhung des Kindergeldes für jedes Kind auf mindestens 135% des niedrigsten Regelbetrages (derzeit: 330 DM) sowie eine Anhebung der Regelbeträge auf Existenzminimumniveau (135%).
"Leider ging der Gesetzgeber aus fiskalischen Erwägungen nicht den einzig vernünftigen Weg, eine im Ergebnis zu begrüßende Besserstellung der minderjährigen Kinder zu erreichen, indem er die Regelbeträge entsprechend anhob" (Gerhardt a.a.O. S. 73).
Einem Gemeinwesen, welches den - teureren - Folgen abnehmender und immer älterer Bevölkerung für die Sozialversicherung, insbesondere die Kranken- und Rentenversicherung, bereits entgegensieht, sollte dies "billig" sein.
Und hier liegt auch der eigentliche Bruch zwischen Gesetzesbegründung und Handeln des Gesetzgebers. Wenn es ihm um die Sicherung des Existenzminimums des Kindes geht, warum wurde dann nicht die Regelbetragsverordnung der Vorschrift des § 16l2b V BGB angepasst und auch zugunsten der Vorschussleistungen von einer vollen Anrechnung hälftigen Kindergeldes abgesehen. Diese Unterlassung verstärkt den Eindruck, als werde ausgerechnet den ohnehin schon weniger Leistungsfähigen quasi ein Sonderopfer zugemutet, während sich das an sich leistungsfähige Gemeinwesen bedeckt hält.
Dieses ganz offensichtlich in sich widersprüchliche, unsoziale und am Gerechtigkeitsempfinden vorbeigehende Ergebnis dürfte neben der wenig glücklich geratenen Formulierung des Gesetzes ein weiterer Grund für die schon in der seit 1.7.1998 gültigen Fassung mangelnde Resonanz der Regelung sein. Soweit jetzt erstmals Ansprüche auf die Neuregelung gestützt geltend gemacht werden, geschieht dies fast ausnahmslos mit einem entschuldigend wirkenden Hinweis auf die Gesetzeslage. Als am Gerechtigkeitsdenken orientiert wird die aufgezeigte Ungleichbehandlung nicht empfunden.
Der Differenzierung des § 16l2b V BGB fehlen damit nicht nur "gewichtige Gründe" sondern schon "am Gerechtigkeitsdenken orientierte vernünftige Erwägungen" im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Vorschrift verstößt bereits gegen das Willkürverbot. Die von Scholz angedeuteten Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit (Scholz a.a.O. S. 1543) sind im Ergebnis berechtigt. Die in Erwiderung darauf von Graba geäußerte Auffassung, eine Verfassungswidrigkeit sei zu verneinen (Graba a.a.O. S. 252) lässt - wie die Gesetzesbegründung - eine Auseinandersetzung mit der eigentlichen verfassungsrechtlichen Problematik vermissen.
Dr. Böttner
Richter am Amtsgericht
"Ist die Neuregelung der Kindergeldanrechnung auf den Barunterhalt in §1612b Abs. 5 BGB verfassungsgemäß?
Richter am Amtsgericht Dr. Friedrich Böttner, Bautzen/Kamenz
in: "Neue Justiz - Zeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtssprechung in den Neuen Ländern", 4/2001, S.169
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