Der brave Schüler Ottokar


 

 

 

Wichtig in der Erziehung ist auch das Geheimnis, wo die Kinder herkommen.

Eines Tages war unsere Margit Skrowonneck, welche auch Bummelchen gerufen wird, zu spät in der Schule erschienen. Und sie ist ganz rot im Gesicht gewesen und zitterig. Unser Herr Klassenlehrer hat gleich eine strenge Miene gemacht und gefragt, wer da so spät kommt. Wir riefen alle, es ist das Bummelchen, weil wir dachten, unser Herr Klassenlehrer hat den Namen vergessen. Aber dann hat er sich gleich wieder erinnern können und gesagt, man muß jetzt einmal genau hinhören, warum das Bummelchen nicht pünktlich ist.

Zuerst hat das Bummelchen ein paarmal geschnauft, und wie es fertig war, sprach es: Der Storch hat mir ein Brüderchen gebracht. Eine Weile war es ganz still, und dann fingen welche von den Knaben an zu lachen und auch die Mädchen. Unser Herr Klassenlehrer zog eine Stirn wie ein Rolloo und schimpfte, man muß sich freuen über das Brüderchen, und was es da zu lachen gibt!

Mein Freund Harald hat sich gleich gemeldet und sprach, daß die kleinen Brüderchen nicht der Storch bringt, sondern sie wachsen ganz alleine, und es ist wie bei seinem Dackel. Auch weilen die Störche des Winters im Süden. Unser Herr Klassenlehrer hat jetzt ein Gesicht gemacht, wie wenn ihm ein Backenzahn schmerzt, und er antwortete: Man muß das ein andermal untersuchen, wo die kleinen Brüderchen herkommen, und das Bummelchen soll sich setzen.

Da ist unsere Wally aufgestanden, welche fünf Stück solcher Brüderchen hat, und sie weiß ganz genau, wo sie hergekommen sind, und es ist kein Geheimnis. Ihre Mutter war immer ganz krank von dieser Ankunft, wogegen ihr Vater sehr fidel war und andauernd Bier für seine Kollegen holen mußte. Unser Herr Klassenlehrer hat wieder mit den Händen abgewunken und gefragt, ob wir jetzt die Verhältniswörter dran haben oder was? Der lange Peter soll sagen, was er für Verhältniswörter kennt. Der lange Peter nannte: an, auf, hinter, in, neben, über, unter, vor, zwischen. Und dann sagte er, daß er schon einmal gelauscht hat, wie sich seine Mutter mit einer anderen Frau über das Kinderkriegen unterhalten hat. Aber er weiß nicht, was das ist, wenn sich ein Kind senkt. Unser Herr Klassenlehrer schaute jetzt aufgeregt auf die Uhr und sprach, daß brave Knaben nicht an den Türen lauschen und lieber weglaufen oder hineingehen sollen. Und dann wollte der Herr Klassenlehrer wissen, was die Bärbel andauernd dort hinten flüstert, und sie soll es laut sagen, weil es keine Geheimnisse gibt zwischen uns. Bärbel Silbermann sagte ganz laut, die kleinen Brüderchen wachsen in der Mutti, und man kann es sehen, wenn sie größer werden. Einige Kinder riefen, das stimmt, und der Schweine-Sigi fragte, wieso die wachsen können, und unser Herr Klassenlehrer soll bitte einmal sagen, wo sie essen. Unser Herr Klassenlehrer rief Schluß, und wenn wir älter sind, dann wissen wir alles, auch wie die Brüderchen essen und entstehen. Jetzt müssen wir erst einmal üben. Klaus Bieber fängt an und sagt die Verhältniswörter im zweiten Fall. Klaus Bieber hat nicht gleich richtig gehört und nur etwas vom Fall verstanden. Darum sprach er: Wenn ein Brüderchen wächst, dann muß man sehr aufpassen. Zum Beispiel darf eine Mutter nicht ausrutschen und hinfallen. Das kann leicht passieren auf einer Obstschale oder einem Bonbonpapierchen oder einem Kirschkern. Junge Pioniere schmeißen nichts auf den Fußboden und spucken die Kerne lieber woanders hin. Unser Herr Klassenlehrer ist jetzt richtig fuchtig geworden und rief: Setzen, du Schlafmütze, und die Sonja Zunder soll weitermachen.

Die Sonja sagte, es muß nicht ein Brüderchen sein, es kann auch ein Schwesterchen sein; und wenn die Mutti viel ißt, dann wächst es schneller, und wenn sie weniger ißt, dann wächst es langsamer. Auch essen die Muttis meist alles durcheinander, zum Beispiel ein Stück Kuchen mit Mostrich und einer sauren Gurke oder Salzkartoffeln und ein paar Pralinen dazu. Wenn die Mutti schläft, dann klopft das kleine Kind manchmal leise an, und davon werden die Muttis meistens wach.

Unser Herr Klassenlehrer hat auf einmal ganz krank ausgesehen und seine Finger in die Ohren gesteckt. Auch wollte er wissen, wo er ist. In der Mütterberatung oder wo? Wir sagten, unser Herr Klassenlehrer ist in der Schule, und mein Freund Harald fügte dazwischen, es gibt auch ein Buch von Herrn Professor Neubert, wo alles drinsteht, wie es kommt. Unser Herr Klassenlehrer erwiderte, daß solche Bücher nicht im Lehrplan stehen; auch ist jetzt die Stunde sowieso gleich um, und wir sollen in Gottes Namen fragen. Die mit den Fingern schnipsen und hier schreien, kommen nicht dran, sondern Gerlinde Bunzel.

Gerlinde Bunzel sagte, manche Muttis machen ein Geheimnis um das alles, und am meisten spinnt meine Oma. Wie meine Mutti einmal vom Krankenhaus kam, hat sie gleich ein neues Schwesterchen mitgebracht, und meine Oma sagte, die kleinen Babys wachsen im Kohlkopf. Aber es war Winter, wo kein Kohl wächst. Mein Freund Harald antwortete, wenn es so wäre, dann könnten sich ja die Muttis beim Gärtner Krause in seinem warmen Gewächshaus ein Kind bestellen. Und mein Freund Harald kann sich gar nicht denken, daß der Gärtner Krause so viel Zeit hat. Und es ist eine falsche Ausrede von der Großmutter, weil sie denkt, man muß sich schämen, wenn jemand ein Kind bekommt. Auch sagte mein Freund, daß es für jedes neugeborene Kind viel Geld gibt, und zwar vom Staat. Deshalb kommen jetzt immer mehr Kinder zur Schule.

Unser Herr Klassenlehrer sprach, das ist richtig, wogegen das Märchen vom Kohlkopf ein Aberglaube ist. Und die Eltern müssen einem Kind die Wahrheit sagen, weil es sonst von den Klassenkameraden was anderes hört, und es ist meistens nicht schön.

Plötzlich hat mich der Herr Klassenlehrer entdeckt und gefragt, warum ich mich noch nicht gemeldet habe, und ob ich vielleicht schon alles weiß?

Ich sagte, daß ich fast schon alles weiß, aber noch nicht, wie ein Vater entsteht. Auch gibt es ein Sprichwort, welches heißt, Vater werden ist nicht schwer, Mutter sein dagegen sehr. Wie kommt das? Aber da klingelte es, die Stunde war um, und unser Herr Klassenlehrer sagte Gott sei Dank!

 

aus: "Der brave Schüler Ottokar", Ottokar Domma, Eulenspiegel Verlag, Berlin, 1968

 

 

 


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