Pippi Langstrumpf


 

 

 

 

"Pippi Langstrumpf"

Astrid Lindgren

Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg

ISBN 3-7891-2944-5

 

 

 

Pippi spielt Fangen mit Polizisten

"In der kleinen Stadt wurde es bald allgemein bekannt, dass ein neunjähriges Mädchen allein in der Villa Kunterbunt wohnte. Die Mütter und Väter der Stadt fanden, dass das durchaus nicht ginge. Alle Kinder müssten doch jemanden haben, der sie ermahnt, und alle Kinder müssten in die Schule gehen und rechnen lernen. Und darum bestimmten alle Mütter und Väter, dass das kleine Mädchen in der Villa Kunterbunt sofort in ein Kinderheim solle.

Eines schönen Nachmittags hatte Pippi Thomas und Annika zu Kaffee und Pfefferkuchen eingeladen. Sie deckte zum Kaffee auf der Verandatreppe. Da war es so sonnig und schön und alle Blumen in Pippis Garten dufteten.

Herr Nilsson kletterte am Verandageländer rauf und runter. Und hin und wieder streckte das Pferd seine Nase vor, um einen Pfefferkuchen zu kriegen.

´Wie schön ist es doch zu leben´, sagte Pippi und streckte ihre Beine weit aus.

Gerade da kamen zwei Polizisten in voller Uniform durch die Gartentür.

´Oh´, sagte Pippi`, `ich muss heute wieder einen Glückstag haben. Polizisten sind das Beste, was ich kenne - gleich nach Rhabarbergrütze.` Sie ging den Polizisten entgegen und strahlte vor Entzücken über das ganze Gesicht.

`Bist du das Mädchen, das in die Villa Kunterbunt eingezogen ist?`, fragte einer der Polizisten.

`Im Gegenteil`, sagte Pippi. `Ich bin eine ganz kleine Tante, die in der dritten Etage am anderen Ende der Stadt wohnt.´ Pippi sagte das nur, weil sie einen Spaß machen wollte. Aber die Polizisten fanden das durchaus nicht lustig. Sie sagten, Pippi solle nicht versuchen, Witze zu machen. Und dann erzählten sie, gute Menschen in der Stadt hätten dafür gesorgt, dass Pippi einen Platz in einem Kinderheim bekäme.

´Ich hab schon einen Platz in einem Kinderheim´, sagte Pippi.

`Was sagst du, ist das schon geregelt?“, fragte der eine Polizist. `Wo ist das Kinderheim?`

`Hier`, sagte Pippi stolz. `Ich bin ein Kind, und das hier ist mein Heim, also ist es ein Kinderheim. Und Platz habe ich hier. Reichlich Platz.`

`Liebes Kind`, sagte der Polizist und lachte, `das verstehst du nicht. Du musst in ein richtiges Kinderheim und brauchst jemand, der sich um dich kümmert.`

`Kann man in eurem Kinderheim Pferde haben?`, fragte Pippi.

`Nein, natürlich nicht`, sagte der Polizist.

`Das hab ich mir gedacht`, sagte Pippi düster. `Na, aber Affen?“

`Natürlich nicht, das musst du doch verstehen.`

`Ja, sagte Pippi, `dann müsst ihr euch von anderswoher Kinder für euer Kinderheim besorgen. Ich habe nicht die Absicht, dahin zu gehen.`

`Aber begreifst du nicht, dass du in die Schule gehen musst?`, sagte der Polizist.

`Wozu muss man in die Schule gehen?`

`Um alles Mögliche zu lernen natürlich.`

`Was alles?`, fragte Pippi.

`Vieles`, sagte der Polizist, `eine ganze Menge nützlicher Sachen, zum Beispiel Multiplikation, weißt du, das Einmaleins.`

`Ich bin gut neun Jahre ohne Plutimikation zurechtgekommen`, sagte Pippi, `da wird es auch weiter so gehen.`

`Ja, aber stell dir vor, wie unangenehm es für dich sein wird, so wenig zu wissen, wenn du mal groß bist. Vielleicht fragt dich dann jemand, wie die Hauptstadt von Portugal heißt, und du kannst keine Antwort geben.`

`Doch kann ich eine Antwort geben“, sagte Pippi. `Ich antworte nur: Wenn es so verzweifelt wichtig für dich ist, zu wissen, wie die Hauptstadt von Portugal heißt, dann schreib doch direkt nach Portugal und frage!`

`Ja, aber glaubst du nicht, dass es dir unangenehm sein würde, dass du es nicht selbst weißt?`

`Kann schon sein`, sagte Pippi. `Vielleicht würde ich manchmal abends wach liegen und fragen und fragen: Wie in aller Welt heißt die Hauptstadt von Portugal? Na ja, man kann nicht immer nur Spaß haben“, sagte Pippi und stellte sich ein bisschen auf die Hände. `Übrigens war ich mit meinem Papa in Lissabon`, fuhr sie fort, während sie noch auf den Händen stand, denn auch so konnte sie reden.

Aber jetzt sagte einer der Polizisten, Pippi solle nicht glauben, dass sie machen könne, was sie wolle. Sie habe mit ins Kinderheim zu kommen, und das augenblicklich! Er ging auf sie zu und griff sie am Arm. Aber Pippi machte sich schnell los, tippte ihn ein bisschen an und sagte: `Fang mich!`

Und ehe er sich‘s versah, hatte sie einen Sprung auf das Verandageländer gemacht. Mit ein paar Sätzen war sie oben auf dem Balkon, der über der Veranda war. Die Polizisten hatten keine Lust, ihr auf dem gleichen Weg nachzuklettern. Sie liefen ins Haus und in das obere Stockwerk hinauf. Aber als sie auf den Balkon kamen, war Pippi schon halb auf dem Dach. Sie kletterte ungefähr so, als ob sie ein Affe wäre. Im Nu stand sie auf dem Dachfirst und sprang schnell auf den Schornstein. Unten auf dem Balkon standen die beiden Polizisten und rauften sich die Haare, und auf dem Rasen standen Thomas und Annika und schauten zu Pippi hinauf.

`Ist das lustig, Fangen zu spielen!, ` schrie Pippi. `Und wie nett von euch herzukommen. Auch heute hab ich meinen Glückstag, das ist klar.`

Nachdem die Polizisten eine Weile überlegt hatten, gingen sie runter und holten eine Leiter, die sie gegen den Hausgiebel lehnten. Und nun kletterten sie hinauf, zuerst der eine und dann der andere, um Pippi runterzuholen. Doch sie sahen etwas ängstlich aus, als sie auf dem Dachfirst ankamen und auf Pippi zu balancierten.

`Habt keine Angst`, rief Pippi, `es ist nicht gefährlich. Nur lustig.`

Als die Polizisten noch zwei Schritte von Pippi entfernt waren, sprang sie schnell vom Schornstein runter, und unter Geschrei und Gelächter lief sie den Dachfirst entlang zum anderen Giebel. Ein paar Meter vom Haus entfernt stand ein Baum.

 

`Jetzt tauche ich!` , schrie Pippi und dann sprang sie direkt in die grüne Baumkrone hinunter, hängte sich an einen Ast, schaukelte ein bisschen hin und her und ließ sich schließlich auf die Erde fallen. Und dann schoss sie zum anderen Giebel und nahm die Leiter weg.

Die Polizisten hatten etwas verdutzt ausgesehen, als Pippi sprang, aber noch verdutzter, als sie auf dem Dachfirst entlang zurückbalanciert waren und die Leiter wieder runterklettern wollten. Jetzt wurden sie furchtbar böse und riefen Pippi, die unten stand und sie anschaute, zu, sie solle sofort die Leiter wieder hinstellen, sonst würde sie etwas erleben.

`Warum seid ihr so böse?`, fragte Pippi vorwurfsvoll. `Wir spielen ja bloß Fangen, und da soll man sich doch vertragen, finde ich.`

Die Polizisten überlegten eine Weile, und schließlich sagte der eine mit verlegener Stimme:

`Also hör mal, willst du nicht so nett sein und die Leiter hinstellen, dass wir runterkommen können?`

`Klar will ich das`, sagte Pippi und stellte sofort die Leiter hin. `Und dann können wir wohl Kaffee trinken und es uns ein bisschen gemütlich machen.`

Aber die Polizisten waren wirklich hinterlistig, denn sobald sie unten waren, stürzten sie sich auf Pippi und schrien:

`Jetzt kriegst du‘s aber, du abscheuliches Ding!` Aber Pippi sagte:

`Nein, jetzt hab ich keine Zeit mehr weiterzuspielen. Obwohl es ja ganz lustig ist, das geb ich zu.`

Und sie packte die beiden Polizisten am Gürtel und trug sie den Gartenweg entlang durch die Gartentür auf die Straße hinaus. Da setzte sie sie ab, und es dauerte eine ganze Weile, ehe sie so weit waren, dass sie sich bewegen konnten.

`Wartet mal`, rief Pippi und lief in die Küche. Sie kam mit ein paar Pfefferkuchenherzen zurück.

`Wollt ihr probieren?`, fragte sie freundlich. `Es macht wohl nichts, dass sie ein bisschen verbrannt sind?`

Dann ging sie zurück zu Thomas und Annika, die mit aufgerissenen Augen dastanden und nur staunten. Und die Polizisten beeilten sich, dass sie in die Stadt zurückkamen, und erzählten allen Müttern und Vätern, Pippi wäre nicht richtig für ein Kinderheim geeignet. Sie sagten nichts davon, dass sie oben auf dem Dach gewesen waren. Und die Mütter und Väter meinten, es wäre wohl am besten, Pippi in der Villa Kunterbunt wohnen zu lassen. Und wenn sie in die Schule gehen wollte, könnte sie ja selbst dafür sorgen.

..."

 

 

 


zurück