Polygraphentest
Lügendetektor
11. Oktober 2010: Ergebnisse eines Lügendetektors dürfen in Sorgerechtsverfahren nicht als Beweismittel verwertet werden
19. Zivilsenat – als Familiensenat – Az.: 19 WF 136/10
Ein Gutachten, das sich auf Ergebnisse eines Lügendetektors stützt, ist kein geeignetes Beweismittel und kann daher in Sorgerechts- und Umgangsverfahren nicht verwertet werden. Denn bei Anwendung eines Lügendetektors besteht die erhebliche Gefahr einer Fehlinterpretation der Testergebnisse. Außerdem ist das von dem Sachverständigen gewonnene Ergebnis für das Gericht nicht überprüfbar. Hinzu kommt, dass es für die Funktionsweise eines Lügendetektors keine wissenschaftlichen Belege gibt. Aus diesen Gründen bestätigte der Senat eine Entscheidung der ersten Instanz, wonach in einem Sorgerechtsverfahren die Kosten für ein Gutachten, welches unter Verwendung eines Lügendetektors erstellt wurde, nicht vom Vater zu übernehmen sind. Wegen unrichtiger Sachbehandlung fallen diese Kosten der Staatskasse zu Last.
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Gericht: KG Berlin Senat für Familiensachen
Entscheidungsdatum: 11.10.2010
Aktenzeichen: 19 WF 136/10
Dokumenttyp: Beschluss
Quelle: juris Logo
Normen: § 14 Abs 3 KostO, § 14 Abs 7 KostO, § 16 KostO, § 244 Abs 3 StPO
Leitsatz
Zur Nichterhebung der Kosten (§16 KostO) eines Polygraphentests (sog. Lügendetektor) im Sorgerechtsverfahren.
Tenor
Die Beschwerde des Bezirksrevisors gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 9. Juli 2010 wird zurückgewiesen.
Gründe
1
Das Rechtsmittel des Bezirksrevisors ist gemäß § 14 Abs. 3 KostO zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat mit Recht die Kostenrechnung um die Kosten für das Gutachten des Sachverständigen ... reduziert.
2
Diese Kosten können gemäß § 16 KostO nicht gegen den Vater angesetzt werden, da sie durch unrichtige Sachbehandlung verursacht und bei richtiger Sachbehandlung durch das Gericht nicht entstanden wären. Eine unrichtige Sachbehandlung in diesem Sinn liegt dann vor, wenn das Gericht gegen eindeutige gesetzliche Vorschriften verstoßen hat und dieser Verstoß offen zutage tritt (vgl. z.B. OLG Brandenburg FamRZ 2004, 1662; Hartmann, Kostengesetze 40. Auflage § 16 KostO Rz. 4). Dies gilt auch für die Kosten einer Beweisaufnahme, die gesetzwidrig (BayObLG JurBüro 1999, 377), ersichtlich überflüssig (OLG Brandenburg FamRZ 2004, 1662; OLG Karlsruhe FamRZ 1990, 1367) oder mit untauglichen Mitteln durchgeführt wird. Um eine solche Beweisaufnahme handelt es sich – auch zum Zeitpunkt der Beweisanordnung im Dezember 2003 deutlich erkennbar – bei dem Gutachten des Sachverständigen ....
3
Der Sachverständige hat aufgrund des Beweisbeschlusses des Amtsgerichts ein physiopsychologisches Gutachten unter Verwendung eines Polygraphentests (sog. Lügendetektor) erstellt. Zutreffend hat das Amtsgericht festgestellt, dass es sich dabei um ein untaugliches Beweismittel handelt. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat bereits mit Urteil vom 17. Dezember 1998 die polygraphische Untersuchung mittels Kontrollfragentest, wie sie auch hier durchgeführt wurde, mit ausführlicher Begründung und nach Einholung mehrerer Sachverständigengutachten als völlig ungeeignetes Beweismittel im Sinne des § 244 Abs. 3 StPO angesehen, da ihr keinerlei Beweiswert zukomme (BGHSt 44, 308). Da das Kontrollfragenverfahren konzeptionell nicht abgesichert und seine Funktionsweise nicht belegbar sei, komme einem unter seiner Verwendung gewonnenen Ergebnis grundsätzlich weder ein Beweiswert noch auch nur eine „(minimale) indizielle Bedeutung“ zu.
4
Dem hat sich der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit Urteil vom 10. Februar 1999 (NStZ-RR 2000, 35) angeschlossen. Für den Zivilprozess ist eine abweichende Beurteilung ebenso wenig gerechtfertigt (BGH NJW 2003, 2527) wie für ein Sorgerechtsverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (OLG Bremen, Beschluss vom 28.5.2001 – 5 UF 70/00, juris). Abweichende Entscheidungen, die einen Polygraphentest zur Entlastung in Sorgerechts- und Umgangssachen als zulässig erachtet haben (vgl. OLG München FamRZ 1999, 674; OLG Oldenburg, Beschluss vom 15.6.1998 – 4 UF 60/96, juris), stammen aus der Zeit vor Erlass des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 17. Dezember 1998. Wenn ein Beweismittel aus tatsächlichen, wissenschaftlich belegten Gründen als für die Beweisführung im Strafprozess ungeeignet angesehen wird, gilt dies in gleicher Weise für die Beweisführung im Zivilprozess und im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. BGH NJW 2003, 2527). Insbesondere die vom Bundesgerichtshof im Urteil vom 17. Dezember 1998 näher begründeten Gesichtspunkte, dass eine erhebliche Gefahr der Fehlinterpretation der Testergebnisse besteht und das von dem Sachverständigen gewonnene Ergebnis für das Gericht nicht überprüfbar ist, stehen einer Eignung auch in diesen Verfahren entgegen. Ein solches Gutachten ist daher auch zu einer Entlastung des Probanden nicht geeignet; die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17. Dezember 1998 ist auf die Revision des Angeklagten ergangen, der den Polygraphentest zu seiner Entlastung beantragt hatte.
5
Aus dem Akteninhalt ergibt sich nicht, dass das Amtsgericht von dieser Rechtsprechung bewusst aufgrund vertretbarer anderer Rechtsauffassung abgewichen ist, was ggf. der Nichterhebung entgegenstehen würde. Vielmehr hat es nach Hinweis auf diese Rechtsprechung erklärt, das Gutachten nicht verwerten zu wollen.
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Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet, § 14 Abs. 7 KostO.