Professionellenkritik - Mediziner/innen


 

 

 

 

22.01.2004

 

Halbgötter in Grau

Auch Chefärzte machen manchmal Fehler. Doch stehen sie erst einmal an der Spitze der Klinikhierarchie, sind sie kaum zu kontrollieren

Wenn das abgegriffene Klischee eines Halbgottes in Weiß noch gilt, dann für einen Chefarzt im Krankenhaus. Er steht seiner Abteilung allein vor, ist seinen Mitarbeitern weisungsberechtigt – und kann sich selbst für die kompliziertesten Operationen einteilen. Offenbar werden Chefärzte dabei nicht immer ausreichend kontrolliert. Dabei sind auch sie Menschen, auch sie machen Fehler, mit unter Umständen schwer wiegenden Folgen für die Unversehrtheit und das Leben eines Patienten. Aktuelles Beispiel ist der Fall eines Abteilungsleiters einer Station im Bundeswehrkrankenhaus Berlin, der einem Chefarzt in einer zivilen Klinik vergleichbar ist.

Wie berichtet ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Arzt wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Der Mediziner soll mehrere Patienten fehlerhaft operiert haben, so dass schwere körperliche Schäden nur durch Nachbehandlungen vermieden werden konnten. Die Leiche eines kürzlich verstorbenen 60-jährigen Patienten des Arztes war zuvor obduziert worden.

In einem Beschwerdebrief an den Klinikchef berichtet ein Mitarbeiter, dass sich der Abteilungsleiter oft „in Verkennung seiner operativen Fähigkeiten selbst als Operateur“ eingesetzt habe. Seine ihm unterstellten Ärzte konnten ihn daran nicht hindern. Sind Patienten also einem unfähigen Chefarzt hilflos ausgeliefert? „Wer erst einmal Chefarzt geworden ist, der hat auch die entsprechende langjährigen Erfahrung und fachliche Qualifikation“, sagt die Sprecherin der Berliner Ärztekammer, Sybille Golkowski. Doch eine regelmäßige Prüfung, ob diese Fähigkeiten auch erhalten blieben und ob der Chefarzt auf der Höhe des medizinischen Fortschritts sei, gebe es nicht. Das sei auch nicht sinnvoll, sagt Golkowski. „Dann testet man an einem Tag X, ob der Arzt fit ist. Doch das schützt den Patienten nicht davor, dass der Mediziner am Tag Y trotzdem falsch liegt.“ Deshalb sei ein System zum Fehlermanagement im Krankenhaus sehr wichtig. Das bedeutet, dass alle Behandlungen penibel dokumentiert werden. So kann man sie anschließend nach Hinweisen auf Fehler überprüfen. Und schließlich müssten die verantwortlichen Ärzte jeden einzelnen Fehler diskutieren, um daraus zu lernen. Soweit die Theorie. „Doch leider steckt ein solches System in Deutschland noch in den Kinderschuhen.“ Einige Berliner Kliniken experimentierten zwar mit entsprechenden Modellen – wie zum Beispiel der landeseigene Klinikkonzern Vivantes, die Charité und andere –, aber das alles sei noch weit davon entfernt, für alle Krankenhäuser zur Pflicht zu werden.

Georg Mager, Chef der auch für zivile Patienten offen stehenden Bundeswehrklinik, sieht in seinem Hause eine „entwickelte Kultur der Fehlerdiskussion“. Er prüfe anhand der Krankenakten stichprobenartig die Qualität der Ärzte. Jede Akte eines in der Klinik verstorbenen Patienten werde ihm vorgelegt. „Da lässt sich nichts lange unter dem Teppich halten.“ Wie der aktuelle Fall beweise, hätten die Mitarbeiter keine Angst, Fehler eines Vorgesetzten zu melden. Das funktioniere im Militär-Umfeld besser als in einer zivilen Klinik, wo Chefärzte oft gottgleich die Abteilung beherrschten und jedes Weiterkommen von ihrer Gunst abhänge. 

Ingo Bach

 

http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/22.01.2004/941826.asp

 

 

 


 

Beschneidung

Zu der nachfolgenden Antwort auf eine entsprechende Anfrage erhielten wir inzwischen mehrere kritische Leser/innenmail. Es ist wohl ethisch und psychologisch doch nicht ganz so locker zu sehen, wie das von dem Arzt und Männerheilkundler H. K. beschrieben wird.

Manne, 01.10.01

 

"Die Beschneidung ist mittlerweile überhaupt kein Problem. Manche Kollegen machen diese sogar ambulant, wenn eine optimale Nachsorge gesichert ist. Insbesondere muss dafür gesorgt werden, dass post-operativ bei der Wundheilungn die Erektionen, wenn nötig auch mit Medikamenten, unterdrückt werden. Sonst kann es Einrissen der Naht kommen, die das Operationsergebnis deutlich beeinträchtigen.

Theoretisch kann jeder operativ tätige Urologe die Operation durchführen. Mann sollte sich aber vorher gut beraten lassen, welches Operationsergebnis man wünscht.

Es ist zwar "nur" ein ästhetisches Problem, aber das kann ja gerade für das männliche Selbstwertgefühl von besonderer Bedeutung sein. Neben allen anderen Argumenten die aufgeführt werden, stimmt mich die das Gefühl das ich zwischen den Zeilen heraushöre (nicht perfekt zu sein, nicht zur Gruppe gehörig zu sein) etwas bedenklich. Es wäre schöner, wenn man das Gefühl von "selbstverständlich Mann sein" heraushören könnte.

Zurück zum Operationsergebnis. In Deutschland wird die Beschneidung, bei der das innere Blatt der Vorhaut komplett entfernt wird und das äußere Blatt der Vorhaut direkt an die Kante der Eichel (Sulcus coronarius) angenäht wird bevorzugt.

Es gibt auch die Möglichkeit nur eine Teilbeschneidung durchzuführen. Dabei wird die Vorhaut nur soweit zurück geschnitten, dass sie gerade noch über die Eichel drüber geht. Die in den islamischen Ländern und bei den Juden übliche Methode ist die Komplettbeschneidung, wobei aber die Naht auf dem Penisschaft zu liegen kommt. D.h. äußeres und inneres Blatt der Vorhaut werden gleichförmig gekürzt.

 

Wie gesagt, kann in der Regel jeder operativ tätige Urologe eine Bescheidung durchführen. Es gibt aber an der Humboldt Universität in Berlin eine Abteilung für Sexualwissenschaft, Leiter Prof. Beier. Diese ist zwar mehr sozialwissenschaftlich ausgerichtet, aber man kann da sicherlich weiter helfen.

 

Mit freundlichen Grüßen

H. K.

Facharzt für Allgemeinmedizin

Praxis für Sexualmedizin und Männerheilkunde"


 

 

Zum Thema Beschneidung

 

Eine wütende Reaktion von Volker H. auf den Beitrag eines Facharzt für Allgemeinmedizin zum Thema Beschneidung 

 

Ja was bittschön soll denn das hier ?

Gut ich interpretiere daß als Provokation um ein Thema zu foccusieren. Daher hier meine Thesen zur sogenannten "Beschneidung" Jede Beschneidung erfüllt den Tatbestand der genitalen Verstümmelung.

Es gibt keinen prinzipiellen Unterschied zwischen der weiblichen und der männlichen genitalen Verstümmelung. (weder historisch, kulturell-religiös, noch soziologisch und sogar endodermisch ist der Unterschied marginal). Der Anspruch auf körperliche Unversehrtheit ist elementares Menschrecht.

Damit ist die sogenannte Beschneidung eine Menschenrechtsverletzung. Der Anspruch auf körperliche Unversehrtheit ist universell und findet lediglich dort seine Grenze wo ein Eingriff als medizinisch akut notwendig angezeigt ist oder vom volljährigen Patienten autonom und willentlich gefordert wird.

Insbesondere die "Reihen"-beschneidung von männlichen Säuglingen aus hysterisch begründeten Hygienevorstellungen, religiös-kulturellen Traditionen oder sonstigen ästhetischen Erwägungen ist juristisch zu sanktionieren und gesellschaftlich zu ächten.

Auf ein Wort Ihr verstümmelungswilligen Mediziner.  Eine Medizin die diese Eingriffe weiterhin duldet handelt als Wissenschaft unverantwortlich, muß sich den Vorwurf der ausschließlichen Mehrwertorientierung gefallen lassen und verabschiedet sich aus dem Konsens der wissenschaftliche Handelnden ihr Tun auf eine inter- und intradisziplinärer Wirkung hin zu prüfen. Ein derartige chirurgische Tätigkeit in einem hoch gesellschaftlichen Wirkzusammenhang fällt auf den medizinischen Berufsstand zurück. 

Weißgekittelte Allmachtfantasien werden bedient, Mißtrauen in die Medizin als Wissenschaft zum Wohle des Patienten gesät, pseudomedizinische Attraktivität gesteigert.

Es soll nicht unerwähnt bleiben wie diese genitale Verstümmelung bei männlichen Säuglingen vollzogen wird:

Eine Betäubung ist wegen der Schwellkörper und der Gefahr eines möglichen Anschwellen des Penis schwierig und wird in der Regel nicht durchgeführt. (In der Medizin ist die Schmerzfähigkeit von Säuglingen eine recht neue Erkenntnis)

Die noch mit der Eichel verwachsene Vorhaut wird abgerissen ("geschält") und je nach Mode eingeschnitten, abgebunden und nekrotisiert. Augenfällig ist die aktive männliche Geschlechtskonstruktion durch Schmerzen einhergehend mit dem Wunsch nachsexuellen Unempfindlichkeit des Penis.

Die Wirkung auf die menschlich-männliche Konstruktion ist fulminant. Der Penis wird schmerzbesetzt. Die Deutung der Entfernung der Vorhaut als Entfernung der weiblichen Anteile als ein die Eichel schützende Funktion und als Überhöhung und ausschließende Außenorientierung ist unübersehbar. Hier ist die Parallele zur weiblichen Genitalverstümmelung als Entfernung der außenorientierten männlichen Anteile des weiblichen Genital ebenfalls unübersehbar. Beide Vorgänge sind immer eng verknüpft mit der Vorstellung ein Kind aus seinem ungeschlechtlichen bzw. zweigeschlechtlichen Status in den Rang einer geschlechtlicht eindeutigen vollwertigen Menschen zu transformieren.

Genitale Verstümmelung ist Folter und Akteure dieser Branche sind folglich Folterknechte. Ein zorniger:

Volker H, 27.9.01


 

"Ein hervorragender Beitrag von Volker H. zur Beschneidung!

Der angesprochene Allgemeinarzt ist nicht irgendein Arzt, sondern betreibt eine "Praxis für Männerheilkunde" und bietet dort auch "ganzmedizinische Behandlung" an, wie der Homepage zu entnehmen ist. Wie die vorausgegangene rein chirurgische Antwort des "Männerarztes" auf die Frage nach der Beschneidung belegt, steht dieser aber offenbar (trotz anderer guter Absichten die psychische und soziale Dimension der Patienten zu integrieren) noch stark unter dem schulmedizinischen Einfluß (dessen grundlegendes Paradigma ist das auf den Patienten angewandte Maschinenmodell).

Männerheilkunde heißt eben noch lange nicht, sich sich mit den Übergriffen und Mißbräuchen auseinanderzusetzen, die kleinen oder älteren Jungen und erwachsenen Männern angetan wurden und noch werden oder selbst als Arzt nicht übergriffig zu sein. Dazu bedarf es noch mehr, als guter Absichtserklärungen.

Solange allerdings Schulmediziner mit dem Hegemonialanspruch ihres Berufsstandes identifiziert sind, haben verletzte männliche Patienten nur soweit eine Chance, wie dadurch die Medizinerherrschaft nicht infrage gestellt wird. Und leider fühlen sich viele männliche Ärzte (noch) durch beispielsweise einen anal vergewaltigten Patienten (obwohl dieser nichts dafür kann) sehr schnell in die Enge getrieben und reagieren überwiegend abwehrend und die Vergewaltigung verharmlosend (im Gegensatz zu der Aufgeschlossenheit inzwischen bei weiblichen vergewaltigten Patientinnen), wie ich in Interviews mit Betroffenen belegen konnte.

Hoffentlich nur ein Einzelfall ist ein vorliegendes Interview mit einem männlichen Patienten, der davon spricht, wie er von einem Urologen in dessen Praxis vergewaltigt wurde. Über die Schwierigkeiten männlicher Opfer angemessene Hilfe zu erhalten läßt sich weiteres lesen unter http://www.oeko-net.de/mabuse/zeitschrift/mab125d.htm

 

HJL"

 

PS: Auf dem Anfang November d. J. in Wien stattfindenden "Ersten Männerkongreß Männergesundheit" sind Gewalterfahrungen bzw. Gewaltübergriffe an Männern kein Thema.

Mein diesbezüglicher Hinweis an die Kongreßleitung wurde nicht einmal einer Antwort für Wert befunden. Ich haben den Eindruck, daß es bei dieser Art von medizinischer Verwertung von Männergesundheit mehr um die Stabilisierung der "Herrenmedizin" (Sloterdijk) als um die Hilfe für Männer mit (noch) tabuisierten Problemlagen geht.

 

31.09.01


 

"Der Junge, der als Mädchen aufwuchs" 

John Colapinto

Prädikat: sehr empfehlenswert. 

Einem Zwilling werden Penis und Hoden amputiert nach einer fehlgeschlagenen Beschneidung... ! Dann wird ein Mädchen aus ihm gemacht. Aber am Ende klappt das halt dann doch nicht...


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