Pubertät
aus: www.kirchenweb.at
Wenn der Körper den Geist überholt
Die Pubertät verschiebt sich nach vorn. Bei immer mehr Mädchen sprießen Brust und Schamhaare bereits mit 7 Jahren. Der Frühstart kann erhebliche Probleme bringen - körperliche und seelische.
Wie früh ist zu früh? In Europa setzt die Pubertät bei Mädchen zwischen 10-15 Jahren ein, bei Jungen zwischen 12-16. Von pubertas praecox (also vorzeitiger Entwicklung) sprechen Mediziner, wenn sich sekundäre Geschlechtsmerkmale wie Brust und Schambehaarung vor dem achten beziehungsweise zehnten Lebensjahr zu entwickeln beginnen. So weit das Ärztehandbuch Pschyrembel. Die Wirklichkeit hat die Theorie überholt. "Heute setzt die Pubertät bei ca. 10% aller gesunden Mädchen deutlich vor dem 8. Geburtstag ein", berichtet Annette Grüters, Professorin für Kinderheilkunde und pädiatrische Endokrinologie am Berliner Universitätsklinikum Charite.
Demnach zählen Mädchen, die mit 9 Jahren ihre erste Periode bekommen, zumindest in Arztpraxen nicht mehr zwingend zu Ausnahmeerscheinungen mit Krankheitswert. Auch bei Jungen zeigt sich der Trend zur frühen körperlichen Reife, doch längst nicht so gravierend wie bei Mädchen. "Wir wissen auch viel weniger über Jungen, haben keine Zahlen und kaum Studien", bekennt Grüters, die bundesweit als Pubertäts-Expertin gefragt ist.
Frühreif. Warum? Die Forschung sieht drei mögliche Ursachen: In Europa und den USA haben sich die Lebensbedingungen der Kinder stetig verbessert. Die Jüngsten werden medizinisch umfassender versorgt; sie arbeiten weniger und essen reichhaltiger als noch vor einem halben Jahrhundert. Und: Sie sind häufiger übergewichtig. Die Fettzellen der Mädchen produzieren den Botenstoff Leptin. Er dockt im Gehirn an und setzt die Pubertät in Gang. Jüngste Studien von Kinderärzten um Paul Kaplowitz von der Commonwealth University in Richmond, Virginia, untermauern den Zusammenhang von Körperfett und weiblicher Pubertät. Der erklärt auch, warum bei magersüchtigen Mädchen die Regel ausbleibt - dem Körper fehlt Leptin.
Den Faktor Lebensbedingungen im Blick, untersuchten Wissenschaftler früh pubertierende Mädchen, die in der dritten Welt heranwuchsen, bevor sie von Belgiern adoptiert wurden. Im Blut der Kinder fanden sich Spuren ihrer Herkunft: hohe Konzentrationen des Pflanzenschutzmittels DDT oder ähnlicher Wirkstoffe. Die Forscher vermuten nun, dass die Gifte im Körper ähnlich wirken wie das weibliche Hormon Östrogen. Sie schubsen den Reifeprozess an.
Medizinisch verdächtig erscheint der Wissenschaft auch das veränderte soziale Umfeld der Kinder. Wurde Sex gestern noch totgeschwiegen, sprechen Eltern heute offener darüber. Und was sie verschweigen, erfahren die Kleinsten aus den Medien und auf dem Schulhof. "Diese äußerlichen Impulse könnten den Körper stimulieren. Aber das lässt sich nur schwer belegen", urteilt Annette Grüters.
Frühstart. Was folgt? In einigen Fällen ist der Frühstart insbesondere für Mädchen mit erheblichen körperlichen und seelische Belastungen verbunden.
Körperlich, weil Pubertät und Wachstum Hand in Hand gehen. Je früher das Kind ausreift, desto früher schließen sich auch die Wachstumsfugen der Knochen. "Manchmal so früh, dass die Kinder kleinwüchsig bleiben", erzählt Annette Grüters. Seelisch, weil der Körper den Geist überholt und weit hinter sich lässt. Die Mädchen haben Östrogene im Blut, die sich auf ihre Libido auswirken - und das schon lange vor der ersten Regelblutung. Folglich gehen sie anders auf Männer zu, die das ausnutzen könnten", berichtet Grüters und rät Eltern zur Wachsamkeit. Aber auch Eltern begegnen dem scheinbar reifen Kind mit neuen Ansprüchen. "Oft klagen die Mädchen, dass sie sich überfordert fühlen."
Frühstart. Was tun? Eltern, die bei ihrem Nachwuchs Anzeichen einer vorzeitigen Pubertät bemerken, sollten mit ihm zum Kinderarzt gehen. "In Ausnahmefällen wird die Entwicklung hormonell gebremst, etwa wenn Kleinwuchs droht", sagt Annette Grüters. Und: "Klären Sie Ihr Kind auf, frühzeitig und entsprechend vorsichtig. Überlassen Sie es nicht sich selbst."