Schmähkritik
„Dämliches Stück Hirn-Vakuum“ – Landgericht weist Klage ab
29.03.2023
Das Landgericht in Heilbronn hat eine Klage der Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli wegen Beleidigung abgewiesen.
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Chebli war in einem Facebook-Eintrag von 2020 mit den Worten „Selten so ein
dämliches Stück Hirn-Vakuum in der Politik gesehen wie Sawsan Chebli“ beleidigt
worden. Dagegen hatte die frühere Staatssekretärin im Berliner Senat geklagt und
eine Entschädigung verlangt.
Die Richterin begründete ihre Entscheidung
damit, dass die Aussage „noch von der Meinungsfreiheit“ umfasst sei. Nicht von
der Meinungsfreiheit umfasst sei im Falle von Wertungen die „Schmähkritik,
Formalbeleidigung sowie Angriffe auf die Menschenwürde“, führte die Richterin
aus.
...
Scientology-Anänger
Landgericht Saarbrücken - 11.02.2016 - 4 O 347/15 - Urteil: Streit in der Familienpartei.
Zur Unzulässigkeit einer nicht nachgewiesenen Behauptung, der Kläger "wende scientology-artige Methoden an, bzw. er sei Scientology-Anänger"
Martin Jung (geb. zensiert durch Anordnung des "Berliner Beauftragten für Datenschutz" 1955) - Vorsitzender Richter am Landgericht Saarbrücken (ab 15.06.2001, ..., 2016) - im Handbuch der Justiz 2014 ab 15.06.2001 als Vorsitzender Richter am Landgericht Saarbrücken aufgeführt. Landgericht Saarbrücken - 11.02.2016 - 4 O 347/15 - Urteil: Streit in der Familienpartei. Zur Unzulässigkeit einer nicht nachgewiesenen Behauptung, der Kläger "wende scientology-artige Methoden an, bzw. er sei Scientology-Anänger". Namensgleichheit mit: Dr. Hendrike Jung (geb. zensiert durch Anordnung des "Berliner Beauftragten für Datenschutz" 1975) - Richterin am Landgericht Saarbrücken (ab 19.07.2009, ..., 2014) - im Handbuch der Justiz 2008 ab 17.05.2004 als Richterin auf Probe im OLG-Bezirk Saarbrücken - beurlaubt - aufgeführt. Im Handbuch der Justiz 2010 ab 19.07.2009 als Richterin am Landgericht Saarbrücken - Lst - aufgeführt. Im Handbuch der Justiz 2014 ab 19.07.2009 als Richterin am Landgericht Saarbrücken - Lst, halbe Stelle - aufgeführt.
Gericht / Entscheidungsdatum: AG Rostock, Urt. v. 11.07.2012 - 46 C 186/12
Leitsatz: Verbotswidriges Parken auf einem Behindertenparkplatz - "Parkplatzschwein“ im konkreten Fall keine Beleidigung
AG Rostock
46 C 186/12
Im Namen des Volkes
Urteil
Verkündet am 11.07.2012
In dem einstweiligen Verfügungsverfahren pp.
hat das Amtsgericht Rostock durch den Richter am Amtsgericht Richter am 11.07.2012 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14.06.2012 für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Verfügungskläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Verfügungskläger kann die Vollstreckung des Verfügungsbeklagten wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aus dem Urteil beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht dieser vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Am 21.04.2012 befand sich der Verfügungskläger auf dem Parkplatz O. Park in R. mit einem Werttransporter mit dem amtlichen Kennzeichen ... Wegen einer Baustelle auf dem Parkplatz stellte er sein Fahrzeug auf einem Behindertenparkplatz ab, um von dort den günstigen Zugang zur Geldentsorgung aus dem X.-Markt zu nutzen. Der Verfügungsbeklagte kam auf das Fahrzeug zu, fotografierte es und steckte hinter den Scheibenwischer einen Zettel mit der Aufschrift „Sie Parkplatzschwein“. Wegen des Inhaltes dieses Zettels wird auf die Anlage 1, Bl. 9 der Akte, verwiesen.
Als der Verfügungskläger das Fahrzeug verließ, wurde er vom Verfügungsbeklagten mit „Parkplatzschwein“ beschimpft. Dieser sei ihm bis zum Haupteingang des Centers gefolgt und habe diese Beleidigung mehrfach wiederholt. Im Internet-Online Magazin Y. veröffentlichte der Verfügungsbeklagte ein Foto des Fahrzeuges und einen Bericht unter der Rubrik „Parkplatzschwein“. In dieser Rubrik waren noch mehrere ähnliche Vorfälle mit Fotos von Fahrzeugen, die widerrechtlich Behindertenparkplätze benutzten, dargestellt. Mit Schreiben vom 30.04.2012 wurde der Verfügungsbeklagte aufgefordert, eine strafbewehrte Erklärung dahingehend abzugeben, dass er es ab sofort unterlasse, den Verfügungskläger als „Parkplatzschwein“ und „tickende Zeitbombe“ zu bezeichnen und ferner diese Äußerung aus dem Internet zu entfernen.
Der Verfügungskläger geht davon aus, dass die Bezeichnung „Parkplatzschwein“ ihn verunglimpfe und eine ehrverletzende Schmähkritik darstelle, weil sie fernab von jeder sachbezogenen Auseinandersetzung sich in der Herabsetzung einer Person erschöpfe. Diese Beleidigung setzte der Verfügungsbeklagte im Internet fort. Er sei daher zur Unterlassung dieser Äußerung nach §§ 1004 Abs. 1,823 Abs. 2 BGB analog i. V. m. § 185 StGB verpflichtet.
Der Verfügungskläger beantragt,
der Antragsgegner hat es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfalle Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß den Antragsteller als „Parkplatzschwein“ zu bezeichnen.
Der Verfügungsbeklagte beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Richtig sei, dass der Verfügungskläger das im Antrag vom 24.05.2012 benannte Fahrzeug ohne Ausliegen eines dazu berechtigenden Ausweises auf einem Behindertenparkplatz und damit unberechtigt abgestellt hat und zum Tatzeitpunkt der Verfügungsbeklagte mit seiner Lebensgefährtin, Frau I den O. Park S. unterwegs war.
Richtig sei, dass der Verfügungsbeklagte den Verfügungskläger einmal als „Parkplatzschwein“ bezeichnet hat, als dieser das Fahrzeug verließ und dass er im Anschluss an diesen Vorgang die Angelegenheit auf der Internetseite http:Y.net unter der Rubrik „Parkplatzschweine“ veröffentlicht hat. Nach interner Besprechung der Betreiber wurde die Rubrik „Parkplatzschweine“ ohne Anerkennung einer Rechtspflicht umbenannt in „Falsche Behindertenparkplatzfreunde“. Dies sei erfolgt, um engagierte Leute, wie den Verfügungsbeklagten vor Verfahren, wie dem jetzigen, zu bewahren. Der Verfügungsbeklagte sei ein engagierter Vertreter der sogenannten „Behindertenrechte“. Mit der Veröffentlichung von Fotos der Pkw-Fahrer will er zusammen mit dem Betreibern der Internetseite auf den Missstand und die Geringschätzung der Behindertenrechte hinweisen . Ein Anordnungsanspruch sei weder aus §§ 1004, 823 Abs. 2 i. V. m. § 185 StGB gegeben. Die Veröffentlichung unter der Rubrik „Parkplatzschweine“ und der inhaltsgleichen Betitelung stelle keine strafbare Beleidigung nach § 185 StGB dar.
Nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingehende Schriftsätze wurden gemäß § 296 a ZPO bei der Entscheidung nicht berücksichtigt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Verfügungskläger hat gegen den Verfügungsbeklagten keinen Anspruch auf Unterlassung gemäß §§ 1004,823 Abs. 2 i. V. m. § 185 StGB.
Unstreitig ist der Werttransporter, der nach der Klagdarstellung durch den Verfügungskläger gefahren wurde, auf einem Behindertenparkplatz abgestellt worden. Die von dem Verfügungskläger dazu kurz getroffene Beschreibung „um von dort den günstigen Zugang zur Geldentsorgung zu nutzen“ stellt insoweit keine Berechtigung zur Nutzung eines Behindertenparkplatzes dar. Ebenfalls unstreitig, weil durch den Verfügungskläger nicht bestritten, ist der Verfügungsbeklagte, deren Lebensgefährtin behindert ist, Verfechter sogenannter Behindertenrechte.
Das Gericht musste in der mündlichen Verhandlung vom 14.06.2012 zur Kenntnis nehmen, dass zwar nach Auffassung des Verfügungsklägers, die ihm gegenüber durch den Verfügungsbeklagten gewählte Betitelung „Parkplatzschwein“ eine grobe strafrechtliche Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte darstellen soll; gleichwohl ein Unrechtsbewusstsein hinsichtlich der unberechtigten Benutzung eines Behindertenparkplatzes in keiner Weise zu erkennen war.
Das Gericht geht auch davon aus, dass die Betitelung „Parkplatzschwein“, welche nach Akteninhalt maximal einmal gegenüber dem Verfügungskläger geäußert wurde, im vorliegenden Fall keine Beleidigung darstellt.
Die Feststellung, dass eine Äußerung eine Beleidigung darstellt, erfordert eine umfassende Aufklärung aller Umstände unter denen sie gefallen ist. Die Äußerung des Verfügungsbeklagten gegen den Verfügungskläger darf nicht aus dem Sachzusammenhang gerissen werden. Ein nach den objektiv vorliegenden Akten war der Verfügungskläger nicht berechtigt, einen Behindertenparkplatz zu benutzen. Wie auch während der Anhörung durch das Gericht war ein Unrechtsbewusstsein des Verfügungsklägers, der in der Anhörung entgegen der Darstellung der Klage dann behauptete, er sei lediglich Beifahrer gewesen, gleichwohl ein Unrechtsbewusstsein nicht zu erkennen. Danach ist zu prüfen, ob die Feststellung, ob eine Äußerung den Schutz des Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz genießt und ob sie die Tatbestandsmerkmale eines der in Artikel 5 Abs. 2 Grundgesetz bezeichneten Gesetze erfüllt, sowie die dann erforderliche fallbezogene Abwägung setzt voraus, dass die Äußerung in ihrem Sinngehalt zutreffend erfasst wird. Daher stellt Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz nicht nur auf Anforderung an die Auslegung und Anwendung mehrheitsbeschränkender Gesetze, sondern auch an die Erfassung und Würdigung der Äußerung selbst. Anders lässt sich ein wirksamer Schutz der Meinungsfreiheit nicht gewährleisten. Ein Verstoß gegen Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz liegt infolge dessen nicht nur dann vor, wenn eine Äußerung fälschlich dem Schutz des Grundrechts entzogen und wenn dieses bei Auslegung und Anwendung der Gesetze nicht ausreichend beachtet worden ist. Vielmehr verstößt die Verurteilung gegen eine Äußerung schon dann gegen Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz, wenn diese den Sinn, den das Gericht hier entnommen und der Verurteilung zugrunde gelegt hat, nicht besitzt oder wenn bei mehrdeutiger Äußerung, die zur Verurteilung führende Deutung zugrunde gelegt worden ist, ohne dass ein Anderer, ebenfalls mögliche Deutungen mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden sind. Allerdings muss die Meinungsfreiheit stets zurücktreten, wenn die Äußerung die Menschenwürde eines anderen antastet. Auch tritt bei herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter dem Ernstschutz zurück. Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung aber für sich genommen noch nicht zur Schmähung, hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen. Lässt sich die Äußerung weder als Angriff auf die Menschenwürde noch als Formalbeleidigung oder Schmähung einstufen, so kommt es für die Abwägung auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter an. Ziel der Deutung, ob der Sinn einer Äußerung zutreffend erfasst worden ist, ist die Ermittlung des objektiven Sinnes eine Äußerung. Maßgeblich ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden, noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch vom sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht und von den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird daher den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittelung regelmäßig nicht gerechtfertigt. Dabei ist ohnehin davon auszugehen, dass eine möglicherweise abfällige Bemerkung allein schon danach einen unterschiedlichen Sinn haben kann (Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 02.10.2001, 2 Sa 879/01).
Dass der Verfügungskläger diese Äußerung so formal betrachtet, ergibt sich aus dem von ihm vorgenommenen Zitat des Urteils des OLG Hamburg vom 16. Juni 2009,7 U 9/09, welches eben nicht zutrifft. Bereits aus dem Wort heraus ergibt sich, dass der Verfügungsbeklagte offensichtlich nicht die negativen Eigenschaften eines „Schweines“, welches nach Auffassung des OLG Hamburg gemeint ist, als schmutzend und stinkend angesehen wird, gemeint hat, sondern den Begriff „Schwein“ zwingend im Zusammenhang mit „Parkplatzschwein“, nämlich mit der Wertung „rücksichtslos, nur im eigenen Interesse handelnd - vorliegend „parkend“ meint. Die Berücksichtigung der Umstände des Gesamtzusammenhanges, dass nämlich der Verfügungsbeklagte in Anwesenheit seiner behinderten Lebensgefährtin den Verfügungskläger auf das unberechtigte Benutzen eines Behindertenparkplatzes angesprochen hat, führt im Zusammenhang der Situation dazu, dass die „Parkplatzschwein“-Äußerung, wenn nicht durch die Meinungsfreiheit nach Artikel 5 Grundgesetz gedeckt, dann zumindest nicht als Beleidigung oder ehrverletzende Schmähkritik gesehen werden kann. Denn nach der Haltung des Verfügungsklägers, hätte dieser offensichtlich auch die Betitelung „Falschparker“ bzw. „Falschparker auf einem Behindertenparkplatz“ als eine ehrverletzende Schmähkritik angesehen. Zusammenfassend lässt sich die Äußerung weder als Angriff auf die Menschenwürde noch als Formalbeleidigung oder Schmähung einstufen, so dass ein Verfügungsanspruch nicht erkennbar ist.
Darüber hinaus ist Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch, die auf Tatsachen begründete objektiv ernstliche Besorgnis, dass in Zukunft gegen eine bestehende Unterlassungspflicht erstmals oder wiederholt verstoßen wird. Hat ein Eingriff bereits stattgefunden, begründet dies für gleichartige Verletzungshandlung die widerlegbare Vermutung einer Wiederholungsgefahr (BGH NJW 94, 1281). Die Widerlegung dieser Wiederholungsgefahr verlangt, dass entweder ein erneuter Eingriff nicht mehr rechtswidrig ist (BGH NJW 05,594) oder das Verhalten des Störers eine sichere Gewähr gegen weitere Eingriffe bietet (KG NJW-RR10, 1424) oder die tatsächliche Entwicklung einen neuen Eingriff unwahrscheinlich macht (BGH NJW 66, 448). Vorliegend geht das Gericht davon aus, dass eine Beleidigung des Verfügungsklägers nicht erfolgt ist. Selbst wenn man jedoch von einer solchen ausgehen würde, ergibt sich schon aus dem Sachverhalt, dass eine tatsächliche Wiederholungsgefahr sich nach dem unstreitigen Sachvortrag nur ergeben könnte, wenn der Verfügungskläger sich wiederum bewusst entscheidet, unberechtigt einen Behindertenparkplatz zu nutzen. Da der Verfügungsbeklagte allerdings die Titulierung „Parkplatzschwein“ auf der Internetseite geändert hat, und das Gericht davon ausgeht, dass die Prozessparteien grundsätzlich die sich aus der StVO ergebenden Pflichten erfüllen, kann im vorliegenden Fall von einer Wiederholungsgefahr als Anspruchsvoraussetzung für den Unterlassungsanspruch nicht ausgegangen werden. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO abzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziff. 11,711 ZPO.
http://www.burhoff.de/insert/?/asp_weitere_beschluesse/inhalte/1979.htm
Amtsgericht Dachau
Geldstrafe für Schmähkritik
27.10.2011, 13:15
Von Gregor Schiegl
Ein 27-Jähriger kämpft um das Sorgerecht für seinen Sohn. Er greift dabei zu ungewöhnlichen Mitteln. Nicht alle sind legal.
Ein Kombi, vollgeklebt mit Flugblättern, steht am Mittwoch vor dem Dachauer Amtsgericht - mit Werbeanhänger. Er hat eine schwarz-rot-goldene Abdeckplane. "Nein danke zum Jugendamt" steht in großen Lettern darauf. Ein 27-jähriger Familienvater hat dort an diesem Tag eine Verhandlung. Er sitzt wegen Beleidigung einer Sachbearbeiterin des Jugendamts auf der Anklagebank. Und mit ihm seine Mutter, die gar nicht angeklagt ist, aber es sich nicht nehmen lässt, sich "als Beistand" zu ihm zu setzen. In den Zuschauerreihen sitzen auch einige seiner Unterstützer: die Familie, die auch der Ansicht ist, dass ein Kind Vater und Mutter braucht.
Dem muss man vorausschicken, dass der Angeklagte aus Mittelfranken einen dreijährigen Sohn hat; die Beziehung ging in die Brüche, die Mutter zog schon nach wenigen Monaten 180 Kilometer weg nach Petershausen. Der Vater bekam sein Kind kaum zu Gesicht. Seitdem laufen die Sorgerechtsstreitigkeiten. Der Mann wirft dem Jugendamt vor, "dass es immer nur zum Wohle der Mutter agiert". Insbesondere mit der zuständigen Sachbearbeiterin geriet der Maurer immer wieder hart aneinander.
Angeblich hatte sie ihre Position so beschrieben: "Wenn es der Mutter gutgeht, geht es dem Kind gut." In einer Mail an die zuständige Abteilungsleiterin im Landratsamt kritisiert der Angeklagte die Aussagen als "totalitär" und "krank" und vergleicht die Sachbearbeiterin mit dem Diktator Mao Zedong.
Das sei eine reine Meinungsäußerung, verteidigt sich der Angeklagte. "Das Opfer bin ich!" Über weite Strecken tritt der erstaunlich eloquente Bauarbeiter eher als Ankläger des Jugendamts auf denn als Verteidiger. Immer wieder ermuntert er die Staatsanwältin, diesen oder jenen Vorwurf gegen die Behörde mitaufzunehmen. Einmal applaudieren seine Unterstützer auf der Hinterbank sogar, womit sie sich aber eine scharfe Rüge von Richterin Petra Nolte einhandeln.
Ich bin massiv diskriminiert und schikaniert worden", sagt der Angeklagte - und schildert seine Version: Als er beantragt, seinen Sohn alle zwei Wochen für drei und nicht nur zwei Stunde sehen zu dürfen, lädt ihn das Jugendamt zu einen Termin ein - wo er auf einmal genötigt wird, einen Drogentest zu machen. Als er seinen Sohn am vereinbarten Wochenende sehen will, ist die Mutter mit dem Kleinen untergetaucht. Trotz seiner Bitten bleibt das Jugendamt untätig, er benehme sich "wie ein Arschloch", heißt es; die Polizei muss erst ausrücken und die Mutter zur Herausgabe des Kindes zwingen. .
Das Jugendamt hat mich meiner Grundrechte beraubt", empört sich der Vater. In einer Notiz habe das Jugendamt geschrieben, er könne sich ja einklagen, "Europäischer Gerichtshof blablabla". Entweder habe sich die Behörde damit über ihn oder über die Gerichtsbarkeit lustig machen wollen. "In diesem Haus liegt einiges im Argen." Nun will er weiter gegen die Behörde vorgehen: Er kündigt seinerseits Strafanzeige an - wegen Beleidigung und wegen Beihilfe zum Kindsentzug. Es klingt wie der Auftakt für einen juristischen Kreuzzug.
Die Richterin verurteilt ihn zu 300 Euro Geldstrafe. "Die Meinungsfreiheit endet dort, wo Schmähkritik beginnt", sagt die Staatsanwältin. Unter anderen Umständen hätte man das Verfahren womöglich eingestellt, lässt die Richterin durchblicken. Aber der Angeklagte hat 2009 schon einmal einen Strafbefehl wegen Körperverletzung erhalten, 2010 wurde er wegen Beleidigung und vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt. "Das ist der Grund, warum wir heute hier sitzen", sagt die Richterin.
Stadt mit dubioser Homepage verlinkt
14.04.2011
Von Heinz-Georg Breuer
GOSLAR. Umgehend reagiert hat nach Angaben des Ersten Stadtrats Klaus Germer das Rathaus nach Vorwürfen in der Bürgerfragestunde am Dienstag, auf der offiziellen Homepage der Stadt Goslar würde per Link auf eine Seite im Netz mit äußerst fragwürdigem Inhalt verwiesen. Die Verlinkung mit www.vaeternotruf.de wurde entfernt.
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Die Väternotruf-Seite enthält unter anderem ein abstruses Sammelsurium von Attacken gegen Staatsorgane und politische Parteien, die straf- und verfassungsrechtlich relevant sein dürften. So werden die Richter am Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof mit ihrer „üblen, mutterfixierten, reaktionären und väterdiskriminierenden Rechtsprechung“ in die geistige Nähe zu „Herrn Hitler aus Braunau“ gerückt und die bundesdeutschen Kanzler von Adenauer bis Merkel in eine Reihe mit dem NS-Diktator gestellt, die als jeweilige Führer ihrer Nation „Vätern und Kindern in massiver Weise ihre Grundrechte beschnitten und vorenthalten“ hätten. Zudem fordert die Homepage dazu auf, statt der „Blockparteien“ (es folgen alle im Bundestag vertretenen Parteien) die „Piraten“ zu wählen – womit die Stadt Goslar über die Verlinkung indirekt unzulässige Wahlwerbung getrieben hat.
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http://www.goslarsche.de/Home/harz/goslar_arid,190983.html
Kommentar Väternotruf:
Wenn die Politbürokraten in der DDR mit ihrem Latein am Ende waren und keine Argumente mehr fanden, dann haben sie die Politkeule rausgeholt, um ihre Gegner mundtot zu machen. Heute geschieht das subtiler. Keiner kommt mehr nach Bautzen in das "Gelbe Elend", denn dies wird für solche Zwecke nicht mehr vorgehalten. Mit ähnlichen Argumenten wie die des Herrn Breuers, hat man in der Alt-BRD linke Kritiker mundtot machen wollen, nach dem Motto: Dann geh doch nach dem Osten, wenn es Dir hier nicht gefällt.
Statt sich einmal zu fragen, warum der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Bundesrepublik Deutschland am 03.12.2009 wegen Verletzung der Menschenrechte im Fall Zaunegger gegen Deutschland verurteilt hat, versucht Herr Breuer dem ahnungslosen Goslarer Bürger, der jeden Abend um 22 Uhr brav zu Hause vor der Glotze sitzt, weil um diese Zeit die Bürgersteige in Goslar hochgeklappt werden, die fixe Idee zu verkaufen, die Väternotruf-Seite enthalte "unter anderem ein abstruses Sammelsurium von Attacken gegen Staatsorgane und politische Parteien, die straf- und verfassungsrechtlich relevant sein dürften". Tatsächlich abstrus ist in diesem Land, dass von 1949 bis heute nichtverheiratete Väter und ihre Kinder als Menschen zweiter Klasse kategorisiert werden, trotz Grundgesetz, das eine solche Diskriminierung kategorisch ausschließt. Und es war gerade das Bundesverfassungsgericht unter seinem damaligen Präsidenten Papier, dass diese Diskriminierung als mit der Verfassung vereinbar verkaufen wollte, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dieser absurden "Rechts-sprechung" mit vollem Recht widersprochen.
Wollen wir hoffen, dass die mündigen Bürger Goslars - und auch die gibt es, wie wir aus eigener Erfahrung wissen - sich ihr eigenes Bild machen und sich nicht von Herrn Breuer die Augen trüben lassen.
Im übrigen kann man sich in Goslar bei dieser Gelegenheit gleich mal mit der braunen NS-Vergangenheit der Goslaer Richterschaft im Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit beschäftigen. Die eine oder andere Vergangenheit dürfte der intensiven Beleuchtung wert sein und einige Einsichten ermöglichen. Einen ersten Einblick erhält man dazu auf unseren Seiten - www.vaeternotruf.de/amtsgericht-goslar.htm und www.vaeternotruf.de/nationalsozialismus.htm.
Zitierung: BVerfG, 1 BvR 1793/07 vom 15.4.2008, Absatz-Nr. (1 - 22), http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20080415_1bvr179307.html
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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1793/07 -
Bundesadler
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Rechtsanwalts K...
gegen a) den Beschluss des Anwaltsgerichts für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main vom 13. Juni 2007 - III AG 66/06 -,
b) den Bescheid der Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main vom 19. Juli 2006 - III B 5321/05 -,
c) den Rügebescheid der Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main vom 4. April 2006 - III B 5321/05 -
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Hohmann-Dennhardt
und die Richter Gaier,
Kirchhof
am 15. April 2008 einstimmig beschlossen:
1. Der Beschluss des Anwaltsgerichts für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main vom 13. Juni 2007 – III AG 66/06 – und die Bescheide der Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main vom 19. Juli 2006 - III B 5321/05 - und vom 4. April 2006 - III B 5321/05 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Diese Entscheidungen werden aufgehoben.
2. Die Sache wird an das Anwaltsgericht für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main zurückverwiesen. Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
1
Der Beschwerdeführer, ein Rechtsanwalt, wendet sich gegen eine ihm wegen der Verletzung des Sachlichkeitsgebots erteilte berufsrechtliche Rüge.
I.
2
1. Der spätere Mandant des Beschwerdeführers war durch Schreiben eines Rechtsanwalts zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 2.500 € an dessen Auftraggeber aufgefordert worden, weil er - nachdem er sich „in Rambomanier“ im Straßenverkehr bewegt habe - den Anspruchsteller „mit Schimpfwörtern grundlos beleidigt, bedroht und tätlich angegriffen“ und „nach diesseitigem Dafürhalten … den Straftatbestand der Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c des Strafgesetzbuchs <StGB>) verwirklicht“ habe. Bei der zuständigen Staatsanwaltschaft sei bereits Strafanzeige erstattet, der Mandant werde in dem „zu führenden Verfahren ... als Nebenkläger auftreten“. Der Beschwerdeführer meldete sich für seinen Mandanten und widersprach dieser Sachverhaltsschilderung. Er wies die geltend gemachten Ansprüche zurück und schrieb dem gegnerischen Rechtsanwalt, der Anspruchsteller habe „sich durch die Geltendmachung einer fingierten Forderung über 2.500 € wegen eines Verbrechens der Erpressung strafbar gemacht“. Er werde „deswegen … noch von der Staatsanwaltschaft hören“.
3
Die Rechtsanwaltskammer erteilte dem Beschwerdeführer eine Rüge. Die vom Beschwerdeführer aufgestellte Tatsachenbehauptung, der Anspruchsteller habe sich eines Verbrechens der Erpressung strafbar gemacht, verstoße gegen das Sachlichkeitsgebot aus § 43a Abs. 3 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Beleidigungsstraftaten seien immer auch eine berufsrechtliche Pflichtwidrigkeit. Hier liege eine üble Nachrede (§ 186 StGB) vor; denn der Beschwerdeführer habe mit der genannten Tatsachenbehauptung gegenüber dem Anspruchsteller eine nicht erweislich wahre Tatsache behauptet, die geeignet sei, denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen.
4
Nachdem der Einspruch des Beschwerdeführers ohne Erfolg geblieben war, wies das Anwaltsgericht auch seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurück. Dabei legte das Anwaltsgericht nicht wie die Rechtsanwaltskammer eine strafbare üble Nachrede des Beschwerdeführers zugrunde, sondern hielt für entscheidend, dass der Anspruchsteller und dessen Rechtsanwalt dem Beschwerdeführer keinen Anlass zu der unsachlichen Äußerung gegeben hätten.
5
2. Mit der gegen die Bescheide der Rechtsanwaltskammer und gegen den Beschluss des Anwaltsgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG.
6
Die ihm erteilte Rüge berücksichtige nicht, dass die Gegenseite seinem Mandanten schwere unbewiesene Straftaten wie ein Vergehen nach § 315c StGB, zweimaliges Zufahren auf Personen mit rasender Geschwindigkeit und einen tätlichen Angriff in „Rambomanier“ vorgeworfen und damit einen Erstschlag ausgeübt habe. Wer in dieser massiven Weise einen anderen als Straftäter hinstelle, könne nicht erwarten, dass er selbst mit Samthandschuhen angefasst werde.
7
3. Zu der Verfassungsbeschwerde haben die Bundesrechtsanwaltskammer, die Gegnerin des Ausgangsverfahrens und der Deutsche Anwaltverein Stellung genommen.
II.
8
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG.
9
1. Eingriffe in die Berufsfreiheit, die - wie die dem Beschwerdeführer erteilte Rüge - auf das Sachlichkeitsgebot gestützt werden, können vor Art. 12 GG nur dann Bestand haben, wenn sie sich durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls rechtfertigen lassen, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen und sich zudem auch innerhalb der vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gezogenen Grenzen halten (vgl.BVerfGE 76, 171 <191 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. Juli 1996 - 1 BvR 873/94 -, NJW 1996, S. 3268).
10
2. Grundlage der gegenständlichen Rüge ist § 43a Abs. 3 BRAO, wonach es dem Rechtsanwalt untersagt ist, sich bei seiner Berufsausübung unsachlich zu verhalten. Unsachlich ist nach Satz 2 dieser Norm insbesondere die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten oder solcher herabsetzender Äußerungen, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensablauf keinen Anlass gegeben haben. Diese Regelung entspricht dem, was zur Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Rechtspflege unerlässlich ist, und ist daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl.BVerfGE 76, 171 <193>).
11
3. Allerdings ist die wertsetzende Bedeutung der Grundrechte auch auf der Rechtsanwendungsebene zu gewährleisten. Hierzu müssen die Fachgerichte der Bedeutung und Tragweite der Grundrechte Rechnung tragen, wenn im Zuge der Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Normen grundrechtlich geschützte Positionen berührt werden (vgl.BVerfGE 7, 198 <205 ff.> ; stRspr). Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts sind zwar vornehmlich Aufgabe der Fachgerichte, sie werden jedoch vom Bundesverfassungsgericht - neben Verstößen gegen das Willkürverbot - darauf überprüft, ob sie Fehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der betroffenen Grundrechte, insbesondere vom Umfang ihres Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Norm die Tragweite der Grundrechte nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl.BVerfGE 18, 85 <92 f., 96>; 97, 12 <27> ; stRspr). Um dies zu vermeiden, ist in der Regel eine im Rahmen der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale vorzunehmende Abwägung zwischen der Bedeutung des eingeschränkten Grundrechts und der Schwere seiner Beeinträchtigung einerseits und der Bedeutung des von dem angewandten Gesetz geschützten Rechtsguts und der Schwere seiner Beeinträchtigung durch die Grundrechtsausübung andererseits erforderlich. Dabei haben die Gerichte beide Positionen hinreichend zu berücksichtigen und in ein Verhältnis zu bringen, das ihnen angemessen Rechnung trägt. Ein Grundrechtsverstoß, den das Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat, liegt insbesondere dann vor, wenn das Fachgericht den grundrechtlichen Einfluss überhaupt nicht berücksichtigt oder unzutreffend eingeschätzt hat und die Entscheidung auf der Verkennung des Grundrechtseinflusses beruht (vgl.BVerfGE 95, 28 <37>; 97, 391 <401>).
12
So liegt es hier. Die angegriffenen Entscheidungen werden dem Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 GG nicht gerecht. Die Tragweite der Berufsausübungsfreiheit ist nicht ausreichend beachtet und die grundrechtliche Freiheit des Beschwerdeführers unverhältnismäßig beschränkt worden.
13
a) Die Ansicht der Rechtsanwaltskammer, die Äußerung des Beschwerdeführers sei unsachlich im Sinne von § 43a Abs. 3 BRAO, weil der Beschwerdeführer eine nicht erweislich wahre, den Anspruchsteller verächtlich machende oder in der öffentlichen Meinung herabsetzende Tatsache behauptet und damit den Tatbestand der üblen Nachrede gemäß § 186 StGB verwirklicht habe, ist verfassungsrechtlich zu beanstanden, weil die Rechtsanwaltskammer nicht berücksichtigt habe, ob die Äußerung des Beschwerdeführers in Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgte.
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aa) Es erscheint bereits zweifelhaft, ob die Auffassung der Rechtsanwaltskammer, die Erklärung des Beschwerdeführers, der Anspruchsteller habe sich „durch die Geltendmachung einer fingierten Forderung wegen eines Verbrechens der Erpressung strafbar gemacht“, stelle eine Tatsachenbehauptung dar, den durch Art. 5 Abs. 1 GG gebotenen Anforderungen an die Deutung umstrittener Äußerungen genügen kann. Dieser Einordnung liegt nämlich die isolierte Betrachtung eines bestimmten Äußerungsteils zugrunde, die den verfassungsrechtlichen Maßgaben für eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht wird (vgl.BVerfGE 93, 266 <295>).
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bb) Aber selbst wenn eine Tatsachenbehauptung angenommen wird, tragen die angegriffenen Bescheide der Rechtsanwaltskammer der grundrechtlich gewährleisteten Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) nicht hinreichend Rechnung. Ein Verhalten, das einen Beleidigungstatbestand erfüllt, kann nur dann als Verletzung beruflicher Pflichten beanstandet werden, wenn es nicht in Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgt ist (vgl.BVerfGE 76, 171 <193> ). Im Rahmen der Prüfung der Wahrnehmung berechtigter Interessen ist eine fallbezogene Abwägung zwischen den Grundrechten der Berufsfreiheit - gegebenenfalls unter Einbeziehung auch der Meinungsfreiheit - und den Rechtsgütern, deren Schutz die einschränkende Norm bezweckt, verfassungsrechtlich geboten (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. Februar 2000
- 1 BvR 390/95 -, NJW 2000, S. 3413 <3415>). Für das Strafrecht wird eine solche Abwägung durch § 193 StGB ermöglicht, wonach Äußerungen, die zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden, nur insofern strafbar sind, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht. Eine herabsetzende Äußerung nimmt dann den Charakter einer Formalbeleidigung oder Schmähkritik an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person, die gleichsam an den Pranger gestellt wird, bestehen (vgl.BVerfGE 82, 272 <284>).
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Die Rechtsanwaltskammer hat sich in den angegriffenen Bescheiden nicht damit auseinandergesetzt, inwieweit im Vorwurf der Erpressung eine Formalbeleidigung oder Schmähkritik liegen kann. Für eine Abwägung der Berufsausübungsfreiheit einerseits und dem Schutz der persönlichen Ehre sowie den Belangen einer funktionierenden Rechtspflege andererseits lassen sich weder dem Rügebescheid noch der Einspruchsentscheidung Hinweise entnehmen, obwohl vieles für das Vorliegen dieses Rechtfertigungsgrundes spricht. Er ist zumindest in Erwägung zu ziehen, wenn sich ein Rechtsanwalt - wie hier - im Rahmen der Zurückweisung einer geltend gemachten Forderung für seinen Mandanten äußert. Die in den Entscheidungen der Rechtsanwaltskammer unterbliebene Abwägung zwischen namentlich dem Grundrecht der Berufsfreiheit und den Rechtsgütern, deren Schutz die einschränkende Norm bezweckt, widerspricht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.
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b) Auch die Entscheidung des Anwaltsgerichts berücksichtigt nicht hinreichend die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers. Das Anwaltsgericht hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen, weil der Anspruchsteller und dessen Rechtsanwalt - auch wenn der Vorgang anders beurteilt werden könnte, als von diesen behauptet - dem Beschwerdeführer keinen Anlass zu einer herabsetzenden Äußerung gegeben hätten.
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Mit Blick auf die Berufsfreiheit können herabsetzende Äußerungen, die ein Rechtsanwalt im Zusammenhang mit seiner Berufsausübung und der dabei zulässigen Kritik abgibt, nur dann Anlass für berufsrechtliche Maßnahmen sein, wenn besondere Umstände hinzutreten. Dies ist der Fall, wenn die Herabsetzungen nach Inhalt und Form als strafbare Beleidigungen zu beurteilen sind, ohne durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt zu sein. Darüber hinaus ist das Sachlichkeitsgebot dann verletzt, wenn ein Rechtsanwalt unprofessionell handelt, indem er entweder bewusst Unwahrheiten verbreitet oder eine rechtliche Auseinandersetzung durch neben der Sache liegende Herabsetzungen belastet, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben (vgl.BVerfGE 76, 171 <193>).
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Daran gemessen tragen Auslegung und Anwendung des Sachlichkeitsgebots durch das Anwaltsgericht der Berufsfreiheit des Beschwerdeführers nicht hinreichend Rechnung. Das Anwaltsgericht hat nicht festgestellt, dass die Äußerung des Beschwerdeführers einen Straftatbestand insbesondere in Gestalt einer Formalbeleidigung erfüllt habe. Vielmehr wird zur Begründung der Berufswidrigkeit nur darauf verwiesen, dass die Gegenseite zu einer Antwort wie im Schreiben des Beschwerdeführers keinen Anlass gegeben habe. Keine Feststellungen trifft das Anwaltsgericht jedoch dazu, dass diese Reaktion auch eine neben der Sache liegende Herabsetzung darstellen soll. Damit bleibt außer Acht, dass die Äußerung des Beschwerdeführers inhaltlich und zeitlich in direktem Zusammenhang mit der Schmerzensgeldforderung erfolgte, die die Gegenseite zwar mit nachdrücklichen Formulierungen („Rambomanier“, „mit Schimpfwörtern grundlos beleidigt, bedroht und tätlich angegriffen“, „nach diesseitigem Dafürhalten … den Straftatbestand der Gefährdung des Straßenverkehrs ... verwirklicht“), jedoch ohne Schilderung eines konkreten Geschehens geltend gemacht hatte. Hierauf hat der Beschwerdeführer in vergleichbar pauschaler und massiver Weise geantwortet. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat in ihrer Stellungnahme zutreffend darauf hingewiesen, dass sich die gleichermaßen grobe Reaktion des Beschwerdeführers sprachlich und instrumental auf der von der Gegenseite vorgegebenen Ebene bewegte.
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Eine neben der Sache liegende Herabsetzung, deren Unterbindung im Lichte von Art. 12 Abs. 1 GG und unter Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gerechtfertigt wäre, kann darin nicht gesehen werden. Rechtsanwälte nehmen im freiheitlichen Rechtsstaat als berufene Berater und Vertreter der Rechtsuchenden neben Richtern und Staatsanwälten eine eigenständige wichtige Funktion in rechtlichen Auseinandersetzungen wahr. Der Rechtsanwalt soll als Organ der Rechtspflege zu einer sachgerechten Entscheidung beitragen und das Gericht - ebenso Staatsanwaltschaft oder Behörden - vor Fehlentscheidungen bewahren (vgl.BVerfGE 76, 171 <192> ). Die Wahrnehmung dieser Aufgaben erlaubt es dem Anwalt - ebenso wie dem Richter - nicht, immer so schonend mit den Verfahrensbeteiligten umzugehen, dass diese sich nicht in ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt fühlen. Der Rechtsanwalt darf daher auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen. Es ist nicht entscheidend, ob der Rechtsanwalt seine Kritik auch anders hätte formulieren können (vgl.BVerfGE 76, 171 <192> ). Wie der Rechtsanwalt die ihm anvertrauten Mandanteninteressen vertritt, ist seiner freien Berufsausübung überlassen. Sein Mandant kann hierauf mit entsprechenden Vorgaben einwirken oder sich ein eigenes Urteil über die Zweckmäßigkeit des von ihm bevollmächtigten Rechtsanwalts bilden und entsprechend reagieren.
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4. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf diesen verfassungsrechtlichen Defiziten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Rechtsanwaltskammer und das Anwaltsgericht unter Berücksichtigung der Bedeutung und Tragweite insbesondere des Grundrechts der Berufsfreiheit zu einem anderen Ergebnis gekommen wären. Die angegriffenen Entscheidungen sind daher aufzuheben und das Verfahren ist an das Anwaltsgericht zurückzuverweisen, das nur noch über die Kosten zu befinden hat (vgl.BVerfGE 84, 1 <3 f.>).
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5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Hohmann-Dennhardt Gaier Kirchhof
http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20080415_1bvr179307.html
Die Grenze zur Schmähkritik
Staatsanwaltschaft Dessau - Pressemitteilung Nr.: 001/08
Dessau, den 15. Januar 2008
(StA DE) Ermittlungen gegen Udo Gebhardt sind eingestellt
Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau hat die Ermittlungen gegen Udo Gebhardt, Mitglied der SPD-Fraktion im Dessau-Roßlauer Stadtrat und Landesvorsitzender des DGB, wegen Beleidigung aus rechtlichen Gründen eingestellt.
Den Ermittlungen lagen eine Strafanzeige und ein Strafantrag des Rechtsanwalts Ingmar Knop, Mitglied des Dessau-Roßlauer Stadtrates für die DVU, vom September 2007 zugrunde, mit welcher er Udo Gebhardt vorgeworfen hatte, ihn im Rahmen einer Debatte in Gegenwart anwesender Mitglieder des Stadtrates, Angehörigen der Verwaltung und der auch durch die Presse vertretenen Öffentlichkeit „lauthals als Neonazi“ bezeichnet und dadurch beleidigt zu haben.
Wie dem Anzeigeerstatter bereits im Dezember 2007 mitgeteilt worden ist, hat Udo Gebhardt zur Überzeugung der Staatsanwaltschaft mit der Verwendung des Begriffs „Neonazi“ im Zusammenhang mit einer von ihm vor dem Stadtrat abgegebenen Erklärung den Tatbestand der Beleidigung (§ 185 Strafgesetzbuch) nicht verwirklicht, sondern von seinem durch Art. 5 Grundgesetz gewährten und geschützten Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht. Diesem Grundrecht ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung breiter Raum zu gewähren. Dessen Grenzen sind erst dort überschritten, wo eine Äußerung den Charakter der Schmähkritik in sich trägt, wenn also der andere ausschließlich verunglimpft werden soll. Die Staatsanwaltschaft hat bei ihrer Entscheidung berücksichtigt, dass vor dem Hintergrund der in der Öffentlichkeit diskutierten „rechten Gewalt“ der Begriff Neo – Nazi als Sammelbegriff für sämtliche Personen gebraucht werde, die in irgendeiner Art und Weise dem politisch rechten Spektrum zuzurechnen seien. Hinsichtlich einer Gruppenzugehörigkeit innerhalb des rechten Spektrums werde dabei von der breiten Öffentlichkeit nicht differenziert. Insoweit sei die DVU, die sich als „Bündnispartner“ der NPD verstehe, als Partei des rechten Spektrums einzuschätzen. Durch die eindeutige Bezugnahme auf die Mitgliedschaft des Anzeigeerstatters in der DVU sei der erforderliche tatsächliche Anhaltspunkt gegeben, wonach die Grenze zur Schmähkritik von Udo Gebhardt nicht überschritten worden sei.
Preissner
Pressesprecher
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