Staatsterror


 

 

 

FAKT vom 26.11.2007

SEK-Einsatz wegen Grafitti

Manuskript des Beitrages

von Frank Wolfgang Sonntag

In Bayern geht man hart gegen Schmierereien an Hauswänden vor. Dabei werden potentielle Sachbeschädiger auch mal mit einem Sondersinsatzkommando zur Strecke gebracht.

 

Es ist Montag der 11. September letzten Jahres gegen 14:00 Uhr. Die bayrische Polizei stürmt die Wohnung von Familie Lindner in diesem Gehöft in der Nähe von Burghausen. Das Ehepaar hat zwei Kinder im Alter von sechs und zehn Jahren und bewohnt ungefähr 90 Quadratmeter. Doch die Polizei rückt mit einem martialischen Großaufgebot an. Der Vater wird sofort mitgenommen:

 

Das Haus der Lindners wurde durch ein Sondereinsatzkommando gestürmt; Rechte: dpa

 

Das Haus der Lindners wurde durch ein Sondereinsatzkommando gestürmt

O-Ton: Siegfried Lindner, Vater

"Sie müssen sich vorstellen, sie sehen wie fünfzehn Polizisten auf das Grundstück stürmen, mich verhaften, mich mitnehmen. Da habe ich mir natürlich Gedanken gemacht, was passiert mit meiner Frau, sie ist alleine zu Haus mit meinen zwei Kindern. Ich kann nichts machen, die nehmen mich mit, ich stehe da, machtlos, ich bin komplett machtlos. Ich sitze in dem Auto, mache mir Gedanken, was passiert jetzt weiter, was macht meine Frau mit."

Der Vater darf kein Wort mehr mit seiner schockierten Familie wechseln. Die Beamten kommen zur Hausdurchsuchung teilweise mit Maschinenpistole und schusssicherer Weste. Offensichtlich wird bewaffneter Widerstand der Familie befürchtet.

 

O-Ton: Christopher Lindner, Sohn

"Einer der Polizisten ist den Berg hoch gerannt und hatte die Maschinenpistole so in der Hand und ist zum Haus gerannt."

 

O-Ton: Petra Lindner, Mutter

"Und zwar hat er schusssichere Weste angehabt, eine Maschinenpistole und riss jede Türe auf 'Toilette gesichert!', dann nach vorne durch den Gang, die nächste Tür 'Bad gesichert!' und immer im Anschlag seine Maschinenpistole, weiter in die Küche 'Küche gesichert!'."

Was muss da vorgefallen sein, wenn die bayrische Provinzpolizei ein so großes Rad dreht? Entführung, Mord, Attentat? So ungefähr: Im idyllischen Nachbarort Marktl am Inn steht das Geburtshaus des Papstes. Böse Menschen haben es zwei Tage zuvor, unmittelbar vor dem Papstbesuch mit blauer Farbe bespritzt. Die Polizei verdächtigt Siegfried Lindner dieser Untat.

 

O-Ton: Siegfried Lindner, Vater

"Ich wurde in dem Präsidium fünf Stunden festgehalten. Mir wurden Fingerabdrücke abgenommen, ich hatte einen Speicheltest, es wurden Fotos gemacht, ich wurde also komplett erkennungsdienstlich aufgenommen, ich wurde verhört."

Der einzige Verdachtsmoment gegen den Familienvater, er hatte im Wartezimmer dieser Arztpraxis zu einem anderen Patienten gesagt, dass die 40 Millionen, die der Papstbesuch kostet, besser hätten verwendet werden können.

 

O-Ton: Siegfried Lindner, Vater

"Der Kriminalbeamte teilte mir mit, ich bin unter Verdacht aufgrund eines Gespräches im Warteraum der Arztpraxis geraten, da ich mich negativ über den Papst geäußert hatte und diese negative Aussage wurde angezeigt."

Derweil tobt bei der Familie die Hausdurchsuchung. Zunächst muss Frau Lindner ihre Kinder für eine halbe Stunde mit den Polizisten allein lassen.

 

O-Ton: Petra Lindner, Mutter

"Für mich war es die Hölle, weil ich draußen stand, die ganzen Polizisten waren im Haus und ich durfte nicht rein, ich wusste nicht, was passiert in dem Haus und die Angst um meine Kinder, unser kleiner Florian war sechs der Christopher war zehn, es war schlimm war es für mich, sehr schlimm."

Drinnen wird auch das Kinderzimmer durchsucht, die Kinder werden befragt.

 

O-Ton: Florian Lindner, Sohn

"Dann ist der Polizist ins Kinderzimmer reingegangen, 'Habt ihr einen Laptop?', dann habe ich gesagt ja, habe ich ihm die Schachtel gebracht, dem Polizisten."

Der kleine Junge zeigt seinen Spielzeuglaptop. Statt Mails von Al Qaida nur heimisches Liedgut.

 

O-Ton: Petra Lindner, Mutter

"Ich habe zu dem ersten gesagt, dass mir die Sache zuviel ist, dass ich nervlich am Ende bin und ich bin total überfordert mit dem Ganzen. Da hat er gesagt, aus diesem Grunde machen wir das, damit die Leute von der ganzen Situation her überfordert sind und halt dann Sachen ausplaudern, die sie sonst nicht sagen würden."

Schöne Methoden. Doch es gibt nichts auszuplaudern. Der Vater ist unschuldig. Nach fünf Stunden Hausdurchsuchung wird das langsam auch der Polizei klar. Das Ermittlungsverfahren ist inzwischen eingestellt. Wir wollen mit den zuständigen Behörden über ihr überzogenes Vorgehen vor der Kamera sprechen.

Für den Richter aus Altötting, der den Durchsuchungsbefehl ausgestellt hat, ist die Sache abgeschlossen. Kein Kommentar, kein Bedauern. Die zuständige Kriminalpolizei in Mühldorf verweist auf die höhere Dienststelle in Traunstein. Die Polizei in Traunstein sagt, zuständig wäre die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft gibt am Telefon Auskunft, spricht von einem normalen Einsatz. Aber kein Interview. Das bayrische Innenministerium will sich mit dem Vorgang befassen, aber kein Interview geben.

 

O-Ton: Siegfried Lindner, Vater

"Wir haben uns schriftlich über die Hausdurchsuchung beschwert, per Einschreiben, und haben bis heute von diesen Leuten keine Auskunft, keine Antwort, keine Entschuldigung, nichts bekommen."

Und sollten Sie in Bayern mal richtig was erleben wollen, reden Sie mit Ihrem Nachbarn doch einfach mal über den Papst ... Da hört der Spaß aber auf und die Gaudi fängt an.

 

zuletzt aktualisiert: 26. November 2007 | 19:50

Quelle: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

http://www.mdr.de/fakt/5039319.html

 

 

 

 

 


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