Strafbefehl


 

 

 

Strafbefehl

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Das Strafbefehlsverfahren ist im deutschen Recht ein vereinfachtes Verfahren zur Bewältigung der leichten Kriminalität durch einen schriftlichen Strafbefehl. Die Besonderheit des Strafbefehlsverfahrens liegt darin, dass es zu einer rechtskräftigen Verurteilung ohne mündliche Hauptverhandlung führen kann. Dies entlastet Gericht und Staatsanwaltschaft und kann dem (insbesondere geständigen) Angeschuldigten die Bloßstellung durch eine öffentliche Hauptverhandlung ersparen.

 

Allgemeines

Durch Strafbefehl können nur Vergehen im Sinne des § 12 Abs. 2 StGB, sowie Ordnungswidrigkeiten geahndet werden.

Als Rechtsfolgen der Tat kommen gemäß § 407 Abs. 2 StPO in Betracht:

* Geldstrafe

* Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB)

* Fahrverbot (§ 44 StGB)

* Verfall (§ 73 StGB)

* Einziehung (§ 74 StGB)

* Vernichtung (nur in strafrechtlichen Nebengesetzen vorgesehen)

* Unbrauchbarmachung (§ 74d StGB)

* Bekanntgabe der Verurteilung (z. B. § 183 Abs. 2, § 165, § 200 StGB)

* Geldbuße gegen eine juristische Person oder Personenvereinigung (§ 30 OWiG)

* Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), wenn die Sperre für die Wiedererteilung gemäß § 69a StGB nicht mehr als zwei Jahre beträgt.

* Absehen von Strafe (§ 60 StGB).

 

Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr kann festgesetzt werden, wenn der Angeschuldigte einen Verteidiger hat und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird.

Verfahren

Den Erlass eines Strafbefehls beantragt die Staatsanwaltschaft bei Gericht. Zuständig ist der Strafrichter des Amtsgerichts.

Nach dem Gesetzeswortlaut können Strafbefehle auch beim Schöffengericht beantragt werden. Da aber gemäß § 25, § 28 GVG das Schöffengericht erst dann zuständig ist, wenn es um die Ahndung von Verbrechen geht oder eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren zu erwarten ist, durch Strafbefehl eine derartige Strafe aber nicht festgesetzt werden darf, kommen Strafbefehle beim Schöffengericht praktisch nicht vor.

Gemäß § 408 StPO hat der Richter folgende Möglichkeiten, wie er auf den Strafbefehlsantrag reagiert:

* Stehen dem Erlass des Strafbefehls keine Bedenken entgegen, hat er den Strafbefehl zu erlassen. Soll im Strafbefehl Freiheitsstrafe festgesetzt werden und hat der Angeschuldigte keinen Verteidiger, bestellt der Richter gemäß § 408b StPO dem Angeschuldigten zunächst einen Pflichtverteidiger.

* Hält der Richter den Angeschuldigten für nicht hinreichend verdächtig, lehnt er den Erlass des Strafbefehls durch Beschluss ab. Gegen diesen Beschluss kann die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde einlegen, § 210 StPO. Beschwerdebefugt sind auch der Nebenkläger und (eingeschränkt) der Privatkläger, nicht hingegen der Verletzte und der Anzeigende.

* Der Richter beraumt die Hauptverhandlung an, wenn er Bedenken hat, ohne eine solche zu entscheiden, wenn er von der rechtlichen Beurteilung der Tat im Strafbefehlsantrag abweichen will oder wenn er eine andere als die beantragte Rechtsfolge festsetzen will. In diesem Fall hat er aber zuvor der Staatsanwaltschaft die Gelegenheit zu geben, Stellung zu nehmen und gegebenenfalls den Strafbefehlsantrag zu ändern.

Gegen einen erlassenen Strafbefehl kann der Angeklagte innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Einspruch einlegen (§ 410 StPO) und dadurch erreichen, dass eine mündliche Hauptverhandlung stattfindet. In der mündlichen Verhandlung ersetzt der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls die Anklageschrift und der Strafbefehl selbst den Eröffnungsbeschluss. Die Beweisaufnahme ist entsprechend den Vorschriften über das beschleunigte Verfahren vereinfacht (§ 411 Abs. 2 Satz 2, § 420 StPO). Hat der Angeklagte seinen Einspruch auf die Höhe der Tagessätze beschränkt, kann das Gericht mit Zustimmung der Verfahrensbeteiligten in diesem Falle auch ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden (§ 411 Abs. 1 Satz 3 StPO).

Wird innerhalb von zwei Wochen nach der Zustellung kein Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt, so gilt der Strafbefehl als rechtskräftiges Urteil und ist damit vollstreckbar. Verzichtet der Angeklagte noch vor Ablauf der Zwei-Wochen-Frist schriftlich auf Rechtsmittel (z.B. weil er eine Strafe wie etwa ein Fahrverbot möglichst früh antreten und damit früher beenden möchte), tritt bereits damit die Rechtskraft ein.

Der Angeklagte kann den Einspruch auch auf bestimmte Rechtsfolgen beschränken. Beispiel: Der Strafbefehl enthält eine Geldstrafe und die Entziehung der Fahrerlaubnis nebst einer Sperrfrist von zehn Monaten. Der Beschuldigte kann, wenn er mit der Dauer der Sperrfrist nicht einverstanden ist, seinen Einspruch auf diese Folge beschränken. In der Hauptverhandlung wird somit nur über den angefochtenen Teil der Rechtsfolgen, hier über die Dauer der Sperrfrist, verhandelt und entschieden.

Ist der Einspruch verspätet eingelegt worden, verwirft das Gericht ohne mündliche Verhandlung den Einspruch durch Beschluss als unzulässig (§ 411 Abs. 1 StPO). Gegen diesen Beschluss kann der Angeschuldigte sofortige Beschwerde einlegen.

Anders als in normalen Strafverfahren, dem beschleunigten Verfahren oder dem Verfahren nach Anberaumung einer Hauptverhandlung gemäß § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO braucht der Angeklagte in der Hauptverhandlung nach Einspruch gegen den Strafbefehl nicht selbst zu erscheinen. Der Angeklagte kann sich durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lassen (§ 411 Abs. 2 Satz 1 StPO). Das Gericht kann aber das persönliche Erscheinen des Angeklagten anordnen und notfalls erzwingen (§ 236 StPO).

Erscheint der Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung in der Hauptverhandlung nicht und ist er auch nicht ordnungsgemäß vertreten, wird der Einspruch durch Urteil ohne Verhandlung zur Sache verworfen (§ 412, § 329 StPO). Gegen dieses Urteil ist Berufung, Revision oder Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich.

Der Angeklagte kann den Einspruch jederzeit vor Verkündung eines Urteils zurücknehmen. Hat die Hauptverhandlung begonnen (durch den Aufruf der Sache durch das Gericht), muss die Staatsanwaltschaft der Rücknahme zustimmen, damit diese wirksam wird. Erfolgt keine Zustimmung, muss über den Einspruch verhandelt werden.

Das Gericht ist in der Hauptverhandlung nicht an Schuldspruch und Rechtsfolgen des Strafbefehls gebunden. Das Gericht kann – nach Erteilung eines Hinweises gemäß § 265 StPO – den Angeklagten wegen einer anderen, auch einer schwerwiegenderen Straftat als im Strafbefehl verurteilen (zum Beispiel wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 StGB statt wegen einfacher Körperverletzung gemäß § 223 StGB) oder eine höhere Strafe festsetzen als im Strafbefehl vorgesehen war. Daher birgt die Einlegung eines Einspruchs für den Angeklagten immer ein gewisses Risiko.

Der Erlass eines Strafbefehls ist auch nach Erhebung einer Anklage möglich. Diese Verfahrensweise (§ 408a StPO) ist zulässig, wenn der Beschuldigte trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erscheint und die Voraussetzungen für den Erlass eines Strafbefehls (siehe oben) vorliegen.

Eine Person, welcher ein Strafbefehl zugestellt worden ist, wird als Angeklagter bezeichnet. Die Zustellung des Strafbefehls steht somit der Eröffnung des Hauptverfahrens gleich (§ 433 Abs. 1 Satz 1 StPO), in welchem die Person mit dem Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens zum Angeklagten wird (§ 157 StPO. Abweichungen von diesem Grundsatz in § 409 und § 410 StPO) Beachte: Die Zustellung des Strafbefehls kann auch an den bestellten Verteidiger ( § 145a STPO) mit Wirkung für und gegen den Angeklagten erfolgen. Mit der Zustellung an den Verteidiger gilt die Zustellung als bewirkt mit der Folge, dass die Einspruchsfristen zu laufen beginnen.

 

Anwendungsfälle

Das Strafbefehlsverfahren wird in der Praxis vor allem in Fällen der so genannten Massenkriminalität angewendet. Typische durch Strafbefehle geahndete Delikte sind Verkehrsdelikte wie Trunkenheit im Verkehr, Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, Gefährdung des Straßenverkehrs oder Fahren ohne Fahrerlaubnis, weiter Diebstähle (insbesondere Ladendiebstähle), so genannte einfache Körperverletzungen gemäß § 223 StGB (also keine gefährlichen oder schweren Körperverletzungen), Sachbeschädigungen, Leistungserschleichung (so genanntes Schwarzfahren in öffentlichen Verkehrsmitteln), Beleidigung (§§ 185, 194 StGB), Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 StGB.

Oft angewendet wird das Strafbefehlsverfahren auch bei Steuerhinterziehung, wobei hier die Besonderheit besteht, dass statt der Staatsanwaltschaft auch die Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamts den Strafbefehl bei Gericht beantragen kann. Wird jedoch eine Hauptverhandlung durchgeführt, muss die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung anwesend sein, die Bußgeld- und Strafsachenstelle kann jedoch an der Hauptverhandlung ebenfalls teilnehmen. Die Vollstreckung des Strafbefehls schließlich obliegt auch bei Steuerstraftaten ausschließlich der Staatsanwaltschaft.

 

Sonderfälle

: Gegen Jugendliche kann kein Strafbefehl verhängt werden, jedoch ist im so genannten vereinfachten Jugendverfahren ein Urteil ohne Anklage aufgrund eines kurzen schriftlichen oder mündlichen Antrags der Staatsanwaltschaft möglich. Gegen Heranwachsende (18 bis 20 Jahre) ist ein Strafbefehl, dessen Rechtsfolge eine Freiheitsstrafe ist, nicht zulässig (vgl. §§ 79, 80, 109 JGG). Gegen sie darf ein Strafbefehl nur dann erlassen werden, wenn das allgemeine Strafrecht anzuwenden ist (§ 109 Abs. 2, § 79 Abs. 1 JGG). Zuständig ist der Jugendrichter.

 

Literatur

* Jörg Burkhard, Strafbefehl im Steuerstrafrecht. Frankfurt 1997

* Detlef Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren. 5. Aufl., 2006

* Klaus Jochen Müller: Das Strafbefehlsverfahren (§§ 407ff. StPO). Eine dogmatisch-kriminalpolitische Studie zu dieser Form des schriftlichen Verfahrens unter besonderer Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung – zugleich ein Beitrag zum StVÄG 1987. Frankfurt am Main u.a.: Lang 1993.

* Strafprozessordnung, Fassung 08/2005

* StPO Kommentar Kleinknecht/Meyer-Goßner, 49. Aufl. München 2006

* Alexander Vivell: Das Strafbefehlsverfahren nach Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 408a StPO). Eine kritische Untersuchung und Analyse. Frankfurt am Main u.a.: Lang 2006.

 

 

http://de.wikipedia.org/wiki/Strafbefehl

 

 


 

 

 

Waffe im Schlafzimmer

Vater des Winnenden-Amokläufers wegen fahrlässiger Tötung angeklagt

Stuttgart - Mit gezielten Schüssen hat Tim Kretschmer am 11. März in Winnenden und Wendlingen 15 Menschen niedergestreckt, darunter acht Schülerinnen, einen Schüler und drei Lehrerinnen. Die Angehörigen der Opfer wollen, dass dafür jemand zur Rechenschaft gezogen wird. Der 17-jährige Amokläufer brachte sich selbst um. Jetzt soll sein Vater für die Tat büßen: Auf Weisung der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart wird die Staatsanwaltschaft Anklage gegen ihn erheben. Das bestätigte das baden-württembergische Justizministerium am Donnerstag. Damit kommt es voraussichtlich zu einem öffentlichen Prozess vor dem Landgericht Stuttgart.

Die Staatsanwaltschaft wollte es eigentlich bei einem Strafbefehl bewenden lassen. "Die Eltern sind froh, dass es zu einer Gerichtsverhandlung kommt", sagte einer der drei Opferanwälte, Jens Rabe. "Für sie geht es nicht um Bestrafung des Vaters, sondern darum, die Hintergründe des Amoklaufs aufzuarbeiten." Die Bluttat hatte eine Diskussion über das Waffenrecht und Computerspiele ausgelöst. Das Waffenrecht wurde verschärft. Tim Kretschmer beging den Amoklauf mit der Waffe und der Munition seines Vaters. Die Pistole lag im Kleiderschrank im elterlichen Schlafzimmer. Der Vater hatte sie nicht - wie vorgeschrieben - verschlossen aufbewahrt.

Die Richter müssen nun entscheiden, inwieweit der Vater die psychische Erkrankung seines Sohnes wahrnehmen und daher vorhersehen konnte, dass Tim Kretschmer mit der Waffe eine Straftat begeht. Gegen den Vater wurde wegen fahrlässiger Tötung in 15 Fällen und fahrlässiger Körperverletzung in 13 Fällen ermittelt. Er lebt mit seiner Familie an einem unbekannten Ort. Als Strafmaß für eine fahrlässige Tötung sieht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe vor. Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger wollte keine Details bekanntgeben: "Wir bestätigen die Dinge erst, wenn die Betroffenen davon Kenntnis bekommen", sagte er. "Für eine Anklage spricht generell, dass wir keinen Strafbefehl beantragen, wenn manche Dinge ungeklärt sind." Der Vater gilt in dem Fall als Nebentäter, weil er seine Sorgfaltspflicht verletzte, indem er seine Waffe offen aufbewahrte. dpa

13.11.2009 03:15 Uhr

http://www.sueddeutsche.de/z5w38C/3143701/Waffe-im-Schlafzimmer.html

 

 

Kommentar Väternotruf:

"Die Eltern sind froh, dass es zu einer Gerichtsverhandlung kommt", sagte einer der drei Opferanwälte, Jens Rabe. "Für sie geht es nicht um Bestrafung des Vaters, sondern darum, die Hintergründe des Amoklaufs aufzuarbeiten.", heißt es in der Pressemeldung. Merkwürdig, wozu muss ich als hinterbliebener Elternteil die Hintergründe der ehrbaren Familie wissen, deren Sohn 15 Menschen tötet? Eigentlich muss ich nur wissen, dass da eine schussbereit Pistole griffbereit im Schlafzimmer der Eltern des Täters lag und dieser seinem narzisstischen Geltungs- und Rachebedürfnis in mörderischer Weise freien Lauf ließ. Wenn man das alles noch mal von einem teuren Gutachter für 50.000 € vorgetragen bekommt, was ändert es am Tod des eigenen Kindes?

Jetzt geht es um Bestrafung oder Nichtbestrafung des Vaters und Waffeninhabers, das ist nun mal die Idee eines Strafverfahrens, danach gibt`s dann Freispruch, Einstellung des Verfahrens oder Verurteilung des Vaters. Die 15 Opfer und ihre nächsten Angehörigen würden einen Freispruch aber wohl kaum verstehen, schließlich ist eine Pistole keine Tischtenniskelle, die man eben mal so rumliegen lässt. Nächstens kommen noch die Taliban auf die Idee mit der Maschinenpistole durch Winnenden zu bummeln und keiner stört sich daran.

 

 

 


 

 

 

Marwa-Prozess in Dresden

Tödliche Messerstiche im Gerichtssaal: Angeklagter gesteht

Alex W., der Angeklagte im Dresdner Marwa-Prozess, spricht von seinen Motiven für die tödlichen Messerstiche gegen die Ägypterin Marwa el-Scherbini – Fremdenhass war es nicht, behauptet er.

Von Andrea Dernbach, Dresden

4.11.2009 16:45 Uhr

Am siebten Verhandlungstag spricht Alex W. – drei Worte. „Ja“, sagt er auf die Frage der Richterin, ob die Erklärung seiner Anwälte mit ihm abgesprochen sei. Auf eine weitere Frage folgt ein „Korrekt“. Und dann ein „Nein“. Nein, Nachfragen zur Erklärung werde er nicht beantworten. Dann verschwindet das Gesicht des 28-Jährigen, der vor vier Monaten ein paar Saaltüren weiter im Dresdner Landgericht die 31-jährige ägyptische Apothekerin Marwa el-Sherbini vor den Augen ihres Mannes und ihres kleinen Sohnes erstach, wieder hinter seinen Händen und hinter der schützenden Kapuze seines Pullovers. Marwa el-Sherbinis Ehemann, der die Verhandlung seit anderthalb Wochen Tag für Tag auf einem Platz verfolgt, starrt ins Leere, die Hände vor dem Gesicht gefaltet.

In der sechsseitigen Erklärung, die sein Anwalt dann vorträgt, ist viel von Hilflosigkeit, Verständnislosigkeit und Ohnmacht die Rede. Von der des Täters. Durch die Vorladung zum Beleidigungsprozess habe er sich „vom Staat, nein von Bürokraten“ schikaniert gefühlt. Schon „der Strafbefehl war ein totaler Schock“. Er habe danach drei Tage lang Schnaps getrunken und sei entsprechend betrunken gewesen. Alex W. hatte ihn erhalten, weil er Marwa el-Sherbini als „Islamistin“ und Terroristin beleidigte, als sie ihn auf einem Dresdner Spielplatz bat, eine Schaukel für ihren zweijährigen Sohn freizugeben. Auch das Hin und Her des Prozesses schließlich „habe ich nicht verstanden. Ich hatte Angst, ich war panisch.“

Die Tat leugnet Alex W. nicht. Zu viele Zeugen haben sie beschrieben, die Wucht, mit der er auf die Frau einstach, die sich nicht schützen konnte, und auf ihren Mann, der ihr zur Hilfe kam und von Alex W.’s Messer ebenfalls 16 Mal getroffen wurde. Aber er stellt das Gemetzel im Gerichtssaal am 1. Juli als Ergebnis eines psychischen Ausnahmezustands dar: Er sei wochenlang depressiv gewesen und habe am Abend vor der Tat „verhältnismäßig viel Alkohol getrunken“, Kurz vor dem Angriff sei er „sehr aufgeregt gewesen.“ „Ich habe mir selbst das Kommando gegeben, die Zeugin anzugreifen“, heißt es in der Erklärung, die der Anwalt verliest. An alles danach erinnere er sich nur noch in Bruchstücken. „Es stimmt, dass ich eine ausländerfeindliche Gesinnung hatte“, aber das sei nicht der Grund für seine Tat, sondern jener „komische Zustand“; in dem er sich befand und der seit Beginn des Verfahrens „alle meine Entscheidungen beinflusste“

Am Vormittag hatten zwei Zeugen Alex W.’s Hass auf Menschen bestätigt, die seiner Meinung nach in Europa nichts zu suchen hatte. Der 21-jährige Johann K., der wie W. in Russland geboren wurde, berichtete, Alex W. habe gesagt, er hasse besonders Türken und Muslime. „Er nannte sie Terroristen und sagte, wenn er eine automatische Waffe hätte, würde er sie umbringen.“

Alex W. schließt seine Sicht der Dinge mit einem Wort des Bedauerns. Als er später die Erinnerung wiedergefunden habe, habe ihm „leid getan, dass es geschehen war, dass ich mir mein Leben versaut habe und dass ich nicht selbst bei der Aktion erschossen wurde“. Über die getötete schwangere Frau und das Leben ihres Mannes und ihres kleinen Sohnes seit der Tat sagt Alex W. nichts.

http://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland/Dresden-Islam-Marwa;art122,2941393

 

 

 

 


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