Traumhochzeit


 

 

 

DER SPIEGEL 3/2008 - 14. Januar 2008

 

SCHEIDUNGEN

Kein Cent mehr für die Ex

 

Von Barbara Schmid

Eine Prozesswelle rollt auf die Familiengerichte zu. Das neue Unterhaltsrecht gilt auch für seit Jahren geschiedene Paare. Viele Männer wollen sich nun ihrer alten Verpflichtungen entledigen.

Es war eine Traumhochzeit mit 130 Gästen in der Kirche, mit weißem Brautkleid und langem Schleier. Sie haben sich Liebe und Treue geschworen - "bis dass der Tod uns scheidet".

AP

Bundesverfassungsgericht: Gleicher Unterhalt für eheliche und nichteheliche Kinder

Dass es einmal anders kommen würde, war für Kerstin Schuster* damals im April 1991 unvorstellbar. Für ihren Traummann, einen angehenden Mediziner, hatte die damals 24-jährige Münchnerin ihr Studium aufgegeben und einen Bankjob angenommen. Sie bekamen zwei Söhne, waren aktiv in der Kirche und im Skiclub.

Bis ihr Mann, heute Oberarzt der Neurologie an einem oberbayerischen Krankenhaus, mit einer 13 Jahre jüngeren Krankenschwester anbandelte. Inzwischen hat er zwei weitere Kinder, und das Traumpaar von einst streitet nur noch ums Finanzielle.

Im Dezember 2007 hatte ein Gericht entschieden, dass er neben dem Geld für die Söhne auch seiner Frau einen Betreuungsunterhalt in Höhe von monatlich 750 Euro zahlen muss; rückwirkend ab April 2006. Als Ausgleich zwischen seinem Gehalt als Oberarzt und ihrem Einkommen als Bankangestellte in Teilzeit. Vor ein paar Wochen kündigte ihr der Noch-Gatte jedoch süffisant an, dass sie keinen Cent mehr von ihm zu erwarten hätte - ab Januar gelte schließlich das neue Unterhaltsrecht. Ansprüche vieler Ex-Frauen werden darin drastisch einschränkt.

Das tückische am reformierten Paragrafenwerk: Es regelt nicht nur die neuen Scheidungsfälle, es gilt auch für längst geschiedene Paare. Auf die Familiengerichte rollt eine gewaltige Prozesswelle zu. Viele tausend Altfälle müssen neu verhandelt werden, wenn vor allem Männer auf Abänderung ihrer Unterhaltsverpflichtung klagen, weil sie nicht mehr zahlen wollen.

Erst vor zwei Wochen ist das Gesetz in Kraft getreten, doch auf dem Schreibtisch der Mainzer Familienanwältin Alice Vollmari türmen sich schon zwei Dutzend solcher Fälle. Freud und Leid liegen da zwischen bunten Aktendeckeln eng beieinander. Seit 24 Jahren kümmert sich die Juristin um den Scheidungsärger ihrer Mandanten, vertritt Männer wie Frauen. Aber so einen Run auf die Gerichte hat sie noch nicht erlebt.

Vor ihr sitzt ein strahlender Mandant und rührt glücklich ein Tütchen Zucker in seinen Espresso. Für Männer wie Peter G. ist die Gesetzesänderung ideal. Der 52jährige Jurist aus Mainz ist in zweiter Ehe verheiratet und hat mit seiner ersten Frau drei Kinder, mit der zweiten eine Tochter.

Solche Zweitfamilien sollen nach der Reform nicht mehr benachteiligt werden. Für Justizministerin Brigitte Zypries ein "wichtiger Schritt zu einer modernen Familienpolitik", die den gesellschaftlichen Wandel widerspiegelt - mit Patchworkfamilien und Lebensgemeinschaften. Rund 40 Prozent aller Ehen werden geschieden, fast jedes dritte Kind kommt nicht ehelich zur Welt. Darum haben jetzt alle Kinder, ehelich oder nicht, den gleichen Unterhaltsanspruch. Das hat das Bundesverfassungsgericht angemahnt. Das Kindeswohl steht an erster Stelle, und von den Frauen wird erwartet, dass sie nach einer Trennung schneller wieder Geld verdienen - frühestens, wenn das Kind drei Jahre alt ist.

Darauf setzt nun auch Peter G., Vollmaris Klient. Seit 14 Jahren zahlt der Jurist für seine geschiedene Frau mehrere tausend Euro im Monat. Die Architektin hat das Haus behalten, für ein paar Jahre ist sie mit den Kindern nach Mallorca ausgewandert, jetzt lebt sie in der Nähe von Köln.

"Sie hat sich mit Bachblütentherapie und Yoga die Zeit vertrieben", schildert ihr Ex-Mann bitter. In ihrem Beruf hat sie seit der Geburt des ersten Kindes 1985 nie mehr gearbeitet. Bis auf einen 400-Euro-Aushilfsjob in einem Hotel sieht sich seine geschiedene Frau außerstande, etwas zum eigenen Lebensunterhalt beizutragen.

Seine zweite Frau hat ihre Berufstätigkeit hingegen nur kurz unterbrochen, als vor zehn Jahren ihre gemeinsame Tochter geboren wurde. "Wir könnten unseren Lebensstandard nicht halten, wenn meine Frau nicht berufstätig wäre", erklärt der Jurist.

Und das hat Folgen. Immer wieder frage die Tochter, warum Mama so oft nicht zu Hause sei. Peter G. hält es für hochgradig ungerecht, wenn die erste Frau mit erwachsenen Kindern gar nicht arbeiten müsse und die zweite Frau vor lauter Arbeit zu wenig Zeit für ihr kleines Mädchen habe.

Noch Anfang 2007 entschied das Oberlandesgericht Koblenz, dass G. "ohne zeitliche Befristung" seiner ersten Frau weiter Unterhalt zahlen müsse. Da gab es noch das alte Recht. Seit dem 1. Januar 2008 gilt die Reform, weshalb der Mann jetzt erneut klagen will.

Das neue Gesetz beseitigt für Anwältin Vollmari eine "totale Ungerechtigkeit in der Rechtsprechung, die die erste Ehefrau bisher absolut bevorzugt hat". Sie sehe aber auch die Gefahr, dass die Unterhaltspflicht der Ex-Männer jetzt an die Sozialämter abgeschoben werde, zu Lasten aller Steuerzahler. Das gelte für viele sogenannte Altfälle, die auf eine lebenslange Alimentation vertraut haben, aber auch für viele junge Frauen. Knapp 40 Prozent aller Mütter mit minderjährigen Kindern sind heute nicht berufstätig, nur jede fünfte hat einen Vollzeitjob, viele arbeiten Teilzeit oder haben geringfügige Beschäftigungsverhältnisse mit wenig Einkommen.

"Wir sind vom einen Extrem ins andere gefallen. Lange wurde die Erstfrau begünstigt, jetzt bekommt sie teilweise gar kein Geld mehr", kritisiert die Münchner Anwältin Renate Maltry, Vizepräsidentin des Deutschen Juristinnenbundes. Vergeblich habe ihr Verband während des Gesetzgebungsverfahrens Übergangsfristen für Altfälle gefordert. Wegen verfassungsrechtlicher Bedenken sei es zu keiner besseren Regelung gekommen. Rechtssicherheit erwarten die Juristinnen in frühestens zwei Jahren, wenn die ersten Abänderungsprozesse in zweiter Instanz entschieden worden sind. Denn die Reform lässt vieles offen: Gleich zwölfmal findet sich im neuen Unterhaltsrecht der Ausdruck "billig" und "unbillig" - damit ist gemeint, ob etwas zumutbar ist oder nicht. Vollmari sieht darin ein "hohes Potential für Streitigkeiten".

Was ist etwa mit getroffenen Vereinbarungen, auf die sich ehemalige Paare bei ihrer Scheidung geeinigt haben? Das Gesetz lässt die Neuregelung auch hier zu. Betroffen ist eine Klientin von Vollmari, Hilde Stoldt*. Sie und ihr früherer Mann hatten sich für eine altmodische Hausfrauen-Ehe entschieden: Er machte als Beamter in einer hessischen Behörde Karriere, sie kümmerte sich um die Erziehung der beiden Kinder und schaffte für alle ein gemütliches Zuhause.

Vor fünf Jahren zerbrach die Idylle an einer jüngeren Frau, die beiden damals 50-Jährigen trennten sich so anständig es ging: Ein Scheidungsfolgenvertrag sicherte Hilde Stoldt den monatlichen Unterhalt zu, 1500 Euro bis zur Rente.

Heute ist sie 55 Jahre alt und fürchtet den Absturz auf Hartz-IV-Niveau. Denn ihr inzwischen wieder verheirateter früherer Mann hat es sich anders überlegt und klagt auf Streichung des Unterhalts. "Der Gesetzgeber kann nicht gewollt haben, dass diese Frau zum Sozialfall wird", sagt Vollmari und rechnet sich Chancen aus, den Unterhalt für ihre Mandantin auch in Zukunft zu sichern, schließlich gebe es so etwas wie Vertrauensschutz.

Dramatische Verlierer des neuen Rechts können auch Geschiedene werden, die nun eine Ganztagsstelle annehmen müssen, um für sich selbst zu sorgen - für die der Arbeitsmarkt aber nichts zu bieten hat. Ursula M., 51, ist so ein Fall: Die gelernte Apothekerin hatte, als ihre beiden Kinder klein waren, gar nicht gearbeitet, später nur in Teilzeit. Die Apotheke, in der sie heute beschäftigt ist, kann ihr lediglich eine Halbtagsstelle bieten; anderen Arbeitgebern ist die Frau zu alt.

Ihr Ex-Mann könnte es sich durchaus leisten, sie neben der neuen Frau zu unterhalten. Er verdient als Investmentbanker rund 200.000 Euro im Jahr. Den bisherigen Unterhalt von 3500 Euro will er jedoch nicht mehr bezahlen und hat eine Abänderungsklage eingereicht. "Wir waren 22 Jahre verheiratet", erzählt die Apothekerin, "ich habe unsere Kinder aufgezogen und mich darauf verlassen, dass ich versorgt bin bis zum Renteneintritt."

Die Münchnerin Schuster, die für ihren Traummann das Studium aufgab, ärgert sich über die politische Kurzsichtigkeit der Reform. Wenn sich die Väter aus dem Staub machen, würde den Frauen in der Regel die Verantwortung für die Kinder aufgebürdet - und jetzt müssten sie auch noch das größere finanzielle Risiko tragen.

Auf die Karriere würde Kerstin Schuster heute nicht mehr verzichten. Jungen Frauen rät sie, berufliche Auszeiten für die Kindererziehung nur zu akzeptieren, wenn der Partner dafür im Fall einer Trennung vertraglich einen Ausgleich zusichert.

In der Zukunft lässt sich so etwas nur noch mit umfangreichen Eheverträgen regeln, glaubt Vollmari. "Früher wurden solche Verträge abgeschlossen, um Ansprüche auszuschließen. Jetzt sind sie nötig, damit Frauen, die Kinder erziehen, nicht zum Sozialfall werden." Sie hat ihre Zweifel, ob die Reform, die eigentlich dem Kindeswohl dienen soll, wirklich kinderfreundlich ist.

 

 

* Namen geändert.

 

 

URL: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,528227,00.html

 

 

Kommentar Väternotruf:

Die Unterstellung, die Steuerzahler/innen müssten nun für den Unterhalt der Ex-Gattinnen aufkommen, ist vermutlich völliger Blödsinn, denn gut verdienende Unterhaltspflichtige, die durch die Reform entlastet werden, zahlen zum einen dann häufig mehr Geld für ihre Kinder und zum anderen sind sie selbst in nicht unerheblichen Maße Steuerzahler/innen.

Zum anderen aber war es so, dass Unterhaltspflichtige bisher kaum eine Motivation hatten, ihr hohes Einkommen auch nach einer Scheidung beizubehalten. Viele Tausende Unterhaltspflichtige sind selber durch die finanzielle Plünderung ihres Einkommens und die damit verbundenen massiven psychischen Belastungen zum Sozialfall geworden. Das könnte sich nun Gott sei dank ein wenig ändern. Und den holden Ex-Gattinnen kann es auch nicht schaden, wenn sie sich wie im Märchen vom König Drosselbart, endlich mal um eine Erwerbsarbeit kümmern, statt wie früher als Schmarotzerin am Königshof zu leben.

 

 

 


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