Umgangsvereitelung

Psychologische Aspekte


 

 

 

Umgangsvereitelung ist die bewusste oder unbewusste Unterbindung des Kontaktes zwischen Kind und nichtbetreuenden Elternteils durch den betreuenden Elternteil, ohne dass hierfür triftige dem Kindeswohl zugrunde liegende Gründe vorliegen. Bei der Umgangsvereitelung fehlt in der Regel die Bereitschaft des vereitelnden Elternteils, durch Inanspruchnahme professioneller Beratung, Therapie, etc. an einer kindeswohlorientierten Lösung zu arbeiten. Statt dessen werden "Gründe" für die Umgangsvereitelung imaginiert oder verstärkt wie "das Kind will ja nicht", "der Vater könnte das Kind entführen", "der Vater ist gewalttätig", "der Vater könnte das Kind missbrauchen" etc. Dies fällt ihr um so leichter,  wenn es bestimmte Verhaltensweisen beim Vater gibt, die die mögliche Begründetheit solcher Vorwürfe stützen, so z.B. wenn der Vater (im Zorn) schon einmal geäußert hat, er würde das Kind mitnehmen, er zu aufbrausenden, cholerischen Reaktionen neigt, er gegenüber dem Kind zu Distanzlosigkeit neigt.. 

Umgangsvereitelung liegt nicht vor, wenn das Kind durch den umgangssuchenden Elternteil in starkem Maße Gewalt, andauernde Frustrationen  oder Gleichgültigkeit erfahren hat und demzufolge die Ablehnung dieses Elternteils durch das Kind verständlich und nachvollziehbar ist.

Ursachen von Umgangsvereitelung sind häufig ungelöste und fortgesetzte Partnerschaftskonflikte, woran in der Regel auch der Vater seinen Anteil hat. Diese Konflikte sind wiederum häufig Reflexe auf ungelöste Konflikte von Mutter und Vater aus ihrer eigenen Kindheit.

Hass und Rachegefühle der Mutter auf den ehemaligen Partner; Bedürfnis nach Machtausübung; Ängste (z.B. das Kind an den Vater zu verlieren; oder davor, dass der Vater für das Kind schädlich sein könnte), führen zum Bedürfnis der Mutter, den Kontakt zwischen Kind und Vater zu unterbinden. vgl (1)S.223 Der Wunsch der Mutter nach ungeteilter Zuneigung des Kindes (Kind Partnerersatz) kann ein weiteres Motiv für die Behinderung des Kontaktes zwischen Kind und Vater sein. Dahinter steckt meist der Wunsch der Mutter nach Abhängigkeit und Gebrauchtwerden. Es ist deshalb nicht die Liebe zum Kind, was die Mutter so handeln läßt, sondern eigene Bedürftigkeit. vgl (4)  

Mitunter kann auch eine sexualisierte Beziehung (Missbrauch) zwischen Mutter und Kind (Sohn) Grund der Umgangsvereitelung sein.

Die Unterbindung des Kontaktes zwischen Kind und Vater durch die Mutter erfolgt meist mit der Begründung, dem Kindeswohl dienen zu wollen. Tatsächlich stellen Umgangsvereitelung und -behinderung gegen den Willen des Kindes oder durch Manipulierung des Kindes und bei fehlender Bereitschaft der Mutter zur Konfliktlösung zwischen ihr und dem Vater einen Missbrauch und eine Misshandlung des Kindes und Gewalt gegen den ausgegrenzten Elternteil dar. vgl (1)S..225 (2) (3) (4)

Die Trennung von Kind und Vater und die Instrumentalisierung der Kinder durch umgangsvereitelnde Mütter verursacht im Regelfall massive Schäden der kindlichen Psyche, die ihre Auswirkungen bis in das Erwachsenenalter des Kindes haben vgl (1) (5) (7).

Für den Vater ist die massive Einschränkung, bzw.  der vollständige Verlust des Kontaktes zu den Kindern meist mit massiven psychischen Belastungen und Traumatisierungen verbunden. Die Folge sind häufig Krankheit, Arbeitsunfähigkeit, Alkoholismus, Verlust des Arbeitsplatzes, versuchter und vollendeter Suizid vgl (6).  Aus anhaltenden Umgangsvereitelungen resultieren enorme gesellschaftliche Folgekosten durch notwendig werdende Krankenbehandlung, Sozialhilfe, Prozesskostenhilfe, Bindung von Kapazitäten in Beratungsstellen, Jugendamt, Gerichten, Gutachten, Behandlung psychosomatischer Störungen der Kinder und nicht selten Heimunterbringung des Kindes oder Jugendlichen infolge zerrütteter Beziehung zwischen Kind und betreuendem Elternteil.  

 

(1) Helmuth Figdor, "Scheidungskinder - Wege der Hilfe", Psychosozial Verlag 1997

(2) Ursula Kodjoe, Peter Koeppel „The Partental Alienation Syndrome (PAS) in „Der Amtsvormund 1/98

(3) Prof. Dr. Jörg-Uwe Jopt "Jugendhilfe und Trennungsberatung", in "Zentralblatt für Jugendrecht", 7/8/98

(4) Wera Fischer "PAS und die Interessenvertretung des Kindes - ein kooperatives Interventionsmodell für Jugendhilfe und Gericht", in Nachrichtendienst des Deutschen Vereins 10/11/98

(5) Wera Fischer „Bemerkungen zum Kindeswohl aus sozialarbeiterischer Sicht“ in „Zentralblatt für Jugendrecht“ 7/8/97

(6) Ursula Kodjoe „Die psychosoziale Situation nichtsorgeberechtigter Väter“, Diplomarbeit

(7) Anneke Napp-Peters "Familien nach der Scheidung", Verlag Antje Kunstmann

(8) Jörg-Uwe Jopt "Im Namen des Kindes. Plädoyer für die Abschaffung des alleinigen Sorgerechtes.", Rasch u. Röhrig, 1992

(9) Rituale der Umgangsvereitelung - eine psychologische Studie zur elterlichen Verantwortung, Prof. Klenner in „Zeitschrift für das gesamte Familienrecht“ Heft 24/1995

 

 

Das spurlose Verschwinden eines Kindes oder der Tod eines Kindes, stehen sicherlich an erster Stelle emotionaler Belastung und Traumatisierung, davon betroffener Väter und Mütter. In seiner Schwere sind über Monate oder gar Jahre andauernde Umgangsvereitelungen vermutlich an dritter Stelle emotionaler Belastung und Traumatisierung einzuordnen. Wenn die davon betroffenen Väter über keine oder nur eine gering ausgebildete Fähigkeit zur Trauerverarbeitung verfügen, bzw. Unterstützung wie Psychotherapie nicht nutzen, wird es zu einer Chronifizierung  der Belastungserscheinungen kommen.

 

Während es beim spurlosen Verschwinden eines Kindes zu recht eine enorme gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft für die betroffenen Väter und Mütter gibt, stehen von Umgangsvereitelung betroffene Väter dagegen zumeist völlig allein. Nicht selten werden sie sogar gesellschaftlich stigmatisiert, nach dem Motto "da muss doch was passiert sein, dass der Vater seine Kinder über Monate nicht sehen kann."

"Ein psychisches Trauma kann jede schmerzhafte Erfahrung eines Individuums sein, besonders wenn diese Erfahrung mit bleibenden Veränderungen in der Umgebung verknüpft ist. In der Regel handelt es sich bei psychischen Traumen um Verlust von Motivbefriedigungsmöglichkeiten. Diese sind >schmerzhaft<, d.h. sie lösen einen Angst-Aggressionszustand aus, der nur entweder durch aggressive Rückgewinnung der bedrohten Befriedigungsmöglichkeiten oder durch die Einrichtung von inneren Abwehrmechanismen und den schliesslichen Verzicht auf die Befriedigungsmöglichkeiten beendet werden kann." (Arnold/Eysenck/Meili: "Lexikon der Psychologie", 1991

Zum Thema "Traumatisierung" können Sie folgende Website aufrufen: www.humanprotect.de (Psychologische Soforthilfe nach Überfällen und anderen belastenden Ereignissen)

Von daher verwundert es nicht, dass von Umgangsvereitelung betroffene Väter mitunter sehr bizzarre und von Aggressivität geprägte Bemühungen unternehmen, um ihre Kinder wiedersehen zu können. Dies kann man auch als Versuch interpretieren, die ohnmächtig erlebte Situation und Traumatisierung zu beenden. Von inkompetenten Professionellen wird dies jedoch häufig als Bestätigung dafür gedeutet, dass man "diesen Vater" auf keinen Fall zu den Kindern lassen darf. Beim Familiengericht kann eine solche unqualifizierte Deutung der Situation zum gerichtlich angeordneten Ausschluss des Umganges führen.

Um die Umgangsvereitelung zu beenden bedarf es einer doppelgleisigen Intervention. Zum einen muss der Mutter von Jugendamt, Gericht etc. deutlich gemacht werden, dass der Staat in seiner Wächterfunktion Umgangsvereitelung nicht tolerieren wird. Zum anderen sollte der Mutter die Möglichkeit einer psychosozialen Unterstützung angeboten werden, bei der sie die Möglichkeit hat, die emotionale Unterstützung zu bekommen, die sie für sich selbst benötigt und die ihr hilft, ihre Bedürfnisse nicht in der destruktiven Form der Umgangsvereitelung auszudrücken.. Dieses Angebot sollte in einer Form erfolgen, in der sich die Mutter nicht als "defizitär" erlebt. Begleiteter Umgang kann eine solche sinnvolle Form der Intervention darstellen. Hier geht es vordergründig darum, den Umgang "nur" zu begleiten. Parallel dazu werden der Mutter (wie auch dem Vater) unterstützende Gesprächsmöglichkeiten angeboten. Aus der Schwere der Konflikte, die zur Umgangsvereitelung führten, wird klar, dass die hier erforderliche Qualifikation der Umgangsbegleiter/in therapeutische Kompetenzen mit umfassen muss, da ansonsten der Begleitete Umgang nur einen zeitweisen Effekt haben wird, der in dem Augenblick endet, in dem die Maßnahme abgeschlossen wird. Viele der zur Zeit in Deutschland vorgehaltenen Angebote zur Umgangsbegleitung, auch wenn es begrüßenswert ist, dass es sie überhaupt gibt, dürften dieses Kriterium nicht erfüllen. Es reicht häufig nicht aus, wenn sich eine engagierte ehrenamtliche Mitarbeiterin des Kinderschutzbundes oder auch eine misstrauische Mitarbeiterin einer Familienberatungsstelle für eine Stunde neben Vater und Kind setzt. 



Der Kampf zwischen Abhängigkeit und Autonomie

Der zentrale Faktor im Leben selbstwertschwacher Frauen ist der Kampf zwischen Eigenständigkeit und Abhängigkeit. Ihnen ist in ihrer Entwicklung die Integration von beidem nicht gelungen, so daß sie weiterhin Autonomie und Abhängigkeit als zwei voneinander getrennte Seinsweisen erleben.
Das Abhängigkeitsverhalten wird zum größten Teil schon früh geprägt. Wie ich schon beschrieb, beginnt die erste Loslösung von der Mutter ab einem Alter von circa sechs Monaten und drückt sich in dem Bedürfnis nach Distanzierung aus. Um dies erfolgreich zu verwirklichen, benötigt das Kind die Unterstützung der Mutter und ihre Erlaubnis. Erlebt die Mutter die Autonomie- und Loslösungsbestrebungen des Kindes als bedrohlich, so wird sie diese eher hemmen als fördern. Es besteht dann die Gefahr, daß die symbiotische Beziehung andauert und das Kind von der Mutter abhängig bleibt. Die Motive einer Mutter, das Kind an sich zu binden, sind vielfältig und haben oft etwas mit ihrer eigenen Trennungsangst zu tun. Denn Trennung beinhaltet immer Schmerz und Trauer. Diese Gefühle können vermieden werden, wenn die Trennung nicht vollzogen wird und der Mensch weiterhin in Abhängigkeit lebt. Die Mutter wird das Kind nur soweit eigenständig werden lassen, wie sie selbst fähig ist, es loszulassen.
Die Botschaft an die Kinder, die sich nicht separieren sollen, lautet im übertragenen Sinne: >Nur wenn du bei mir bleibst, bekommst du, was du brauchst. Wenn du gehst, entziehe ich dir meine Liebe.< Dadurch bekommt das Kind Angst und fühlt sich verlassen, wenn es sich distanziert, da ihm die Unterstützung der Mutter entzogen wird. Es gerät in eine sogenannte Verlassenheits- oder Vernichtungskrise, die mit starken Wut- und Leeregefühlen verbunden ist. Das Kind paßt sich daraufhin der mütterlichen Forderung an, bei ihr zu bleiben, muß dafür aber seine Ablösungstendenzen verleugnen. Sie werden in diesem Alter dann abgespalten und als >böse< etikettiert. Das >gute< Kind paßt sich an und trennt sich nicht, das >böse< ist wütend und will eigenständig werden, riskiert aber dadurch, die mütterliche Unterstützung zu verlieren.
Auch wenn die Separierungstendenzen nicht ausgelebt werden können, so bleiben sie doch vorhanden und verschaffen sich im Erwachsenenalter Ausdruck in neurotischen Symptomen oder EßBrech-Attacken. Der sogenannte >böse< oder auf Selbständigkeit gerichtete Teil von sich wird im Symptom ausgelebt. "Nur bei meinen Eß-Brech-Anfällen bin ich wirklich ganz bei mir. Da ist dann niemand, der mir reinredet oder was von mir will. Ich bin endlich ich selbst." Eine andere Variante ist der Trotz, der Distanz und eigenen Raum schafft, aber mit Unzufriedenheit und Beziehungsverlust bezahlt werden muß.
Wenn Separation, Eigenständigkeit und Abgrenzung nur über Krankheit und Selbstzerstörung möglich sind, können sie nicht befriedigend sein. Sie werden im Gegenteil eher wie ein Scheitern an der gefährlichen Welt erlebt und als Bestätigung. daß Eigenständigkeit schlecht ist. Die innere Stimme der >guten Mutter<, die das Kind nicht gehen lasen will, bestärkt dies: >Ich hab' doch gleich gesagt, bleib bei mir, alleine schaffst du es nicht.< Die Bedürfnisse nach Unabhängigkeit und Einssein können auf diese Weise nicht integriert werden. Denn gibt das Kind "dem Wunsch nach Symbiose nach, dann entsteht die Angst vor dem Verschlungenwerden. Beim Nachgeben gegenüber dem Trennungswunsch tritt die Angst vor der Trennung auf (Verlassenheitsdepression). Die Beziehung zur Mutter kann man daher als >stabil-instabil< bezeichnen. Das bedeutet, daß die Beziehung zwar über die Zeit erhalten, also stabil bleibt, aber in sich instabil ist, da sie zwischen symbiotischer Nähe und Distanz wechselt.
Es gibt also entweder nur Anpassung oder Autonomie, aber nicht beides zusammen. Im Erleben der Frau widersprechen sie sich aufgrund der frühen Erfahrungen, in denen Liebe und Zuwendung mit dem Aufgeben von Eigenständigkeit und Individualität verbunden war. Und das muß Beziehungen zum Scheitern bringen. Die erwachsene Frau wird in einer intimen Beziehung entweder mit Selbstaufgabe reagieren oder alleine bleiben. Sie hat nicht gelernt, eigenständig innerhalb einer Beziehung zu sein. Da, wo Liebe und Autonomie zwei sich ausschließende Erlebnisweisen darstellen, können sie nur alternativ gelebt werden, verbunden mit den entsprechenden Beziehungsproblemen.
Der Abhängigkeits-Autonomie-Konflikt ist ein zentraler Konflikt in der Entwicklung des Kindes und im Leben des Erwachsenen.

...

Schneider-Henn spricht im Zusammenhang mit der Aggressionshemmung von der >>braven Tochter, die keine Probleme macht, angepaßt und lieb ist<<, Diese Mädchen wehren sich nicht und setzen sich nicht gegenüber der Mutter durch, entweder "weil ihr Wille gebrochen ist" oder um ihre Mutter nicht zu enttäuschen. die sich mit scheinbar selbstloser Liebe und Zuwendung um die Tochter sorgt. Sie, die Mutter, ist in den seltensten Fällen ein Modell für die Tochter in bezug auf Abgrenzung und konstruktive Aggressivität. Sie demonstriert eher das Bild einer angepaßten und von der Meinung anderer abhängigen Frau, die besser weiß, was andere bedürfen, als was sie selbst braucht.

aus: Weiblicher Narzißmus. Der Hunger nach Anerkennung", S. 92ff

Bärbel Wardetzki, Kösel1991, ISBN 3-466-30320-6

 


 

"...

In den Stunden mit Andreas (Psychotherapie mit Andreas, knapp vier Jahre) - die zumeist auch Stunden mit seiner Schwester Bettina sind - konstelliert sich die Familiensituation: Frau M. hat die Trennung von ihrem Ehemann vollzogen und ist letztlich froh darüber. Sie kommt mit ihren Kindern zu mir (dem Therapeuten) als dem >neuen< Mann. Beide Kinder suchen die exklusive Dualunion mit der Mutter und grenzen mich - in der negativen Vaterübertragung - konsequent aus. Die der Familie eigene Abwehr heißt also: »Der Vater muss raus.« In der Gegenübertragung fühle ich mich hin- und hergerissen. Ich kann die Isolation zeitweise kaum aushalten und würde mich am liebsten >rein<-drängen, um auch >dazu< zu gehören. Andererseits will ich mich ganz zurückziehen und die >Rest<familie sich selbst überlassen. Erst als ich verstehe, was ich immer wieder erlebe, kann ich Sprache als triangulierendes Mittel einsetzen und die Situation spiegeln und deuten.

 

..."

 

aus: "Väter in der begleitenden Psychotherapie"

Jürgen Heinz

in: "Analytische Kinder- und Jugendlichen Psychotherapie", 2/2001, S.245-272


 

"Rituale der Umgangsvereitelung - eine psychologische Studie zur elterlichen Verantwortung" 

 

Prof. Klenner in "Zeitschrift für das gesamte Familienrecht" Heft 24/1995, S. 

 

Kommentar: Ein hervorragender Aufsatz und inzwischen ein "Klassiker" zum Thema Umgangsvereitelung 


 

Psychologisches Gutachten (Auszug)

 

In der Familiensache Alteck

 

16.02.2001

 

Fragestellung des OLG Karlsruhe:

 

ob der Mutter — Frau Ute Alteck — aus Gründen des Kindeswohls die elterliche Sorge für die ehegemeinsamen Kinder zu entziehen und auf den Vater — Herrn Thomas Alteck — zu übertragen ist

 

 

VI. Stellungnahme zur Fragestellung des Oberlandesgerichts

 

Aus dem psychologischen Befund lassen sich folgende Schlüsse ziehen:

Frau Alteck verhindert seit der Trennung der Eltern im November 1991 den Umgang zwischen dem Vater und den Töchtern Anna, Maria und Yvonne. Durch den Beziehungsabbruch verloren die Töchter eine wichtige Bezugsperson, zu der sie bis dahin eine positive emotionale Beziehung hatten. Mit der Behauptung, der Vater habe Anna und ihre beiden jüngeren Schwestern sexuell mißbraucht, lehnte die Mutter jeden Kontakt zwischen Vater und Kindern ab. Kontakte zu Freunden und Verwandten, die den Mißbrauchsvorwurf nicht teilten, wurden ebenfalls abgebrochen. Der Vater wurde den Kindern von einem Tag auf den anderen als gefährlich hingestellt, mit dem sie nicht mehr in Berührung kommen durften. Die Entwertung des Vaters, der Abbruch der Beziehungen zu allen vertrauten Personen und die Auflösung des bisherigen Lebensumfelds der Kinder führte dazu, daß die Mutter zur einzigen Bezugsperson für die Kinder wurde. Die Angst der Kinder, auch die Mutter zu verlieren, führte zur Angstbindung. Der fortgesetzte erbitterte Streit zwischen den Eltern verstärkte bei Anna, Maria und Yvonne die ausschließliche emotionale Hinwendung zur Mutter. Da Frau Alteck die Beziehung zu allen Bezugspersonen der Kinder abbrach, sind die Töchter von der Mutter vollkommen abhängig.

Der Vorwurf, der Vater habe Anna, Maria und Yvonne sexuell mißbraucht, kann als unbegründet zurückgewiesen werden. Es konnten aus psychologischer Sicht keine Gründe gefunden werden, die eine Einschränkung des Umgangs zwischen Vater und Töchtern erforderlich machen. Es ist im Gegenteil sogar unbedingt erforderlich, daß die Kinder Kontakte mit anderen, gerade auch männlichen, Bezugspersonen bekommen, um aus der Fixierung von der Mutter loszukommen.

Da die Töchter so selten Kontakt mit dem Vater hatten, kann die Ablehnung des Vaters nicht in seiner Person liegen, denn sie kennen ihn kaum. Ihnen sind die entwertenden Darstellungen der Mutter und ihre emotionale Reaktionen in bezug auf den Vater bekannt und sie erlebten die heftigen Konfliktsituationen, wenn beide Eltern aufeinander trafen. Der Grund für die Ablehnung des Vaters durch die Töchter liegt zum einen in der Angstbindung zur Mutter, die zur Idealisierung der Mutter und Entwertung des Vaters führte. Es kann jedoch auch von einer massiven Beeinflussung der Kinder durch die Mutter ausgegangen werden. Dem Vater wurden nicht nur Umgangskontakte verweigert, sondern er wurde weitgehend aus dem Leben der Kinder ausgeschlossen. Er erhielt keinerlei Informationen über die Entwicklung der Kinder.

 

Aufgrund des vorliegenden psychologischen Befunds kann festgehalten werden, daß bei einem Verbleib bei der Mutter den Kindern alle Entwicklungschancen zu einem eigenständigen Leben genommen werden. Die Umklammerung, in der sich die Kinder befinden, sollte aufgebrochen werden, damit sie selbständig eigene Erfahrungen machen können und selbst entscheiden lernen, zu wem sie eine Beziehung eingehen wollen.

 

 

Die Mutter hat bewiesen, daß sie nicht willens ist, den Töchtern Kontakte zu anderen Bezugspersonen zuzugestehen. Im Falle Annas bestimmt sie sogar mit über deren Liebesbeziehungen. Die Mutter will ganz genau informiert sein, um die Auswahl der Partner beeinflussen zu können. Es ist abzusehen, daß sie das auch mit Maria und Yvonne so handhaben wird. Frau Alteck läßt keinen Zweifel daran, daß sie Umgangskontakten mit dem Vater nicht zustimmen wird. Es ist folglich davon auszugehen, daß es auch zu keinen Umgangskontakten kommen wird, wenn sie weiterhin die elterliche Sorge ausübt. Für Anna, Maria und Yvonne ist es aber für ihre zukünftige Entwicklung unerläßlich, sich von der Mutter abzulösen. Dies ist ein normaler entwicklungsbedingter Vorgang, der zum Erwachsenwerden gehört. Stattdessen plant Frau Alteck, in eine abgelegene Gegend zu ziehen, um die Töchter noch abhängiger zu machen.

Ein Wechsel zum Vater ist aus psychologischer Sicht jedoch auch problematisch: Die Kinder lehnen es ab. Sie kommen in eine völlig neue Umgebung, verlieren ihre ganzen Sozialkontakte, die ihnen bislang Stabilität gegeben haben. Sie sollen plötzlich mit dem Vater zusammenleben, der ihnen jahrelang als "Täter" hingestellt wurde. Sie müssen mit der Partnerin ihres Vaters zusammenleben, die sie noch gar nicht kennen. Es ist zu erwarten, daß dies zu einer großen Verunsicherung führt, die sich nicht so einfach wieder legt. Andererseits erwachsen daraus auch neue Möglichkeiten und Chancen. Die Angstbindung wird aufgebrochen, neue Erfahrungen sind plötzlich möglich. Es besteht eine interne Bindungsrepräsentation des Vaters, die aktiviert werden kann. Es ist zu erwarten, daß Maria die wenigsten Probleme haben dürfte, da sie früher eine gute Beziehung zum Vater hatte. Yvonne dürfte mehr Schwierigkeiten haben, sich auf den Vater einzustellen, weil sie noch sehr klein war bei der Trennung und daher auf weniger eigene Erfahrungen mit dem Vater zurückgreifen kann. Ein Wechsel Annas zum Vater wird als nicht durchführbar gesehen und weder für Anna noch für ihre jüngeren Schwestern wünschenswert. Anna ist so intensiv auf die Mutter fixiert und so stark vom Mißbrauch überzeugt, daß sich beides nicht in absehbarer Zeit auflösen wird. Hinzu kommt, daß Anna gegenüber ihren Schwestern seit der Trennung eine privilegierte Stellung in der Familie hatte. Leben die Kinder beim Vater, bricht diese zusammen. Es ist zu erwarten, daß Anna damit nicht ohne therapeutische Hilfe zurecht kommen wird. Der Vater kann dies nicht auffangen. Anna ist mit 16 Jahren in einem Alter, in dem sie durchaus in der Lage ist, ihren Weg ohne die Eltern zu machen. Für Anna wird deshalb die Unterbringungen in einer betreuten Wohngruppe vorgeschlagen. Dies hätte den Vorteil, daß sie möglicherweise in der Nähe bleiben könnte und ihre Freundschaften erhalten blieben. Zusätzlich wird dringend empfohlen, Anna eine Therapie in einem anerkannten Psychotherapieverfahren nahezulegen, damit die Fehlentwicklungen korrigiert werden können und die Probleme, die durch die Trennung von der Mutter entstehen, aufgefangen werden können. Die Geschwistertrennung wird im Moment als weniger gravierend eingeschätzt, da zum einen die Ablösung von Anna entwicklungsbedingt sowie bald anstünde und zum anderen wird bei Maria und Yvonne erwartet, daß es für sie positive Auswirkungen hat, wenn sie nicht mehr dem dominanten Einfluß Annas ausgesetzt sind. Wie sich die Geschwisterbeziehungen tatsächlich entwickeln werden, ist langfristig schwer abzuschätzen. Sollte es zu einem Wechsel von Maria und Yvonne zum Vater kommen, sollten auch in diesem Falle therapeutische Interventionen in anerkannten Verfahren bei Bedarf durchgeführt werden. Auch Herr Alteck wird nahegelegt, fachkundige Hilfe in Anspruch zu nehmen, da der Wechsel Probleme mit sich bringen kann, die allein nicht bewältigt werden können.

Bei Abwägung der positiven und negativen Gesichtspunkte, unter denen die Beziehungen zwischen Anna, Maria, Yvonne und ihren beiden Eltern zu betrachten sind und unter Berücksichtigung der verschiedenen Entwicklungsbedingungen bei Vater und Mutter, wird aus psychologischer Sicht vorgeschlagen, die elterliche Sorge auf den Vater zu übertragen.

 

Cornelia Rombach

(Diplompsychologin)

 

 

18 UF 108/00

42 F 217/99

Oberlandesgericht Karlsruhe

- Zivilsenate in Freiburg -

 

Auszug aus dem BESCHLUSS

 

vom 8. August 2001

 

In Sachen

 

Thomas Alteck -Antragsteller-

 

gegen

 

Ute Alteck -Antragsgegnerin-

 

wegen Übertragung der elterlichen Sorge

 

 

 

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Freiburg vom 25.04.2000 (42 F 217/99) wird mit folgender Maßgabe zurückgewiesen:

 

 

Alle Kinder stehen nicht nur einem Umgangskontakt mit ihrem Vater, sondern erst recht einem Aufenthaltswechsel zu ihrem Vater ablehnend gegenüber. Nach den eigenen Feststellungen des Senats und den Feststellungen der Sachverständigen ist davon auszugehen, dass die Kindesmutter die Kinder in dem festen Glauben erzogen hat, dass sie im frühen Kindesalter von ihrem Vater sexuell missbraucht worden sind. Hierfür haben sich allerdings über all die Jahre niemals objektiv feststellbare Verdachtsmomente ergeben; auch die Sachverständige Rombach schließt einen sexuellen Missbrauch der Kinder aus. Aus ihrer Überzeugung von einem sexuellen Missbrauch leitet sich seit vielen Jahren ein großes Misstrauen gegenüber dem Vater und eine weitgehend ablehnende Haltung der Mutter gegenüber Besuchskontakten zwischen den Kindern und dem Kindesvater ab. Die Mutter ist allenfalls bereit gewesen, einen begleiteten Umgang zuzulassen. Auf diesem Hintergrund ist es immer wieder zu streitigen gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen der Kindesmutter und dem Kindesvater über das Umgangsrecht mit der Folge gekommen, dass eine kontinuierliche Beziehung zwischen den Kindern und ihrem Vater seit der Trennung und Scheidung der Eltern nicht hat aufrecht erhalten werden können, die Kinder im häuslichen Bereich einseitig von der Mutter mit dem sexuellen Missbrauch durch den Vater konfrontiert werden und sich mit der ablehnenden Haltung der Mutter gegenüber Umgangskontakten identifizieren. Die Mutter ist offenbar nicht in der Lage, überhaupt in Erwägung zu ziehen, dass der Vater zu Unrecht verdächtigt wird und den Kindern zu vermitteln, dass eine Gefährdung durch den Vater auszuschließen ist. Sie ist auch - nach eigener Bekundung - jetzt noch nicht fähig, die Kinder zu unbegleiteten Umgangskontakten zu motivieren und zu unterstützen. Mit dem von der Kindesmutter einseitig gezeichneten negativen Bild des Kindesvaters sind die Kinder aufgewachsen und haben sich, weil es das Bestreben der Mutter gewesen ist, Umgangskontakte mit dem Vater weitgehend zu unterbinden, von ihrem Vater in starkem Maße entfremdet.

Das Verhalten der Mutter - objektiv geprägt durch negative Beeinflussung der Kinder gegenüber dem Vater insbesondere mit dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs und einer damit über viele Jahre einhergehenden Verweigerung des Umgangskontaktes zwischen den Kindern und ihrem Vater - begründet schwerwiegende Zweifel an ihrer Erziehungseignung. Zwar sind - außerhalb der Umgangsproblematik und der speziellen Thematik des sexuellen Missbrauchs - in anderen Bereichen der Betreuung, Erziehung und Förderung der Kinder durch die Mutter keine gravierenden Defizite oder Mängel erkennbar geworden. Die Kinder erscheinen in ihrer allgemeinen Entwicklung, ihren schulischen Erfolgen und ihren sozialen Kontakten in einer positiven altersgemäßen Entwicklung. Für die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder besteht jedoch die tiefgreifende, ihr weiteres Leben unter Umständen schwer belastende Gefahr, dass sie ohne persönliche Beziehung zu ihrem Vater und mit einem negativ gefärbten Bild ihres Vaters aufwachsen, was eine schwere Belastung für die Kinder darstellt. Bei einem derartig gravierenden Erziehungsmangel besteht Anlass, einen Entzug des Personensorgerechts in Erwägung zu ziehen.

 

Der Senat sieht sich rechtlich gehindert, im Rahmen einer Abänderungsentscheidung nach § 1696 BGB der Kindesmutter die elterliche Sorge bzw. das Personensorgerecht zu entziehen und die elterliche Sorge für die Kinder auf den Vater oder einen Vormund bzw. das Personensorgerecht auf einen Pfleger zu übertragen. Bei jedem Eingriff in das elterliche Sorgerecht ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Prinzip des mildesten Mittels zu wahren (BGH, NJW-RR 1986, 1264, 1265 ; Staudinger/Coester, BGB, 13. Bearb. 2000, § 1696 Rdnr 48). Im Vordergund der Betrachtung steht die - wie die Vergangenheit gezeigt hat - Gefahr, dass die Kinder Maria und Yvonne - das Umgangsrecht mit Anna hat der Senat mit Beschluss vom heutigen Tag ausgeschlossen - ohne den für ihre weitere Persönlichkeitsentwicklung wichtigen Umgangskontakt mit ihrem Vater aufgrund einer von ihrer Mutter hervorgerufenen Beeinflussung aufwachsen. Dieser Gefahr kann durch Entzug des gesamten Sorgerechts bzw. des Personensorgerechts nur dann im Wege einer Abänderungsentscheidung nach § 1696 BGB begegnet werden, wenn weniger einschneidende Maßnahmen, die bei einem Verbleib der Kinder bei der sorgeberechtigten Mutter die Umgangsproblematik lösen könnten, nicht gegeben sind oder versagen (BGH, a.a.O.; Staudinger/Coester, a.a.O., Rdnr. 71; Oelkers, Sorge- und Umgangsrecht, § 3 Rdnr. 28). Die bloße Androhung und Verhängung von Zwangsmitteln (~ 33 FGG) zur Durchsetzung der Umgangsregelung gemäß Senatsbeschluss vom heutigen Tag hält der Senat angesichts der jahrelangen Streitigkeiten um das Umgangsrecht und der Einstellung der Mutter, die Kinder nicht zu Umgangskontakten motivieren und positiv unterstützen zu können, für ungeeignete mildere Mittel.

 

 

Der Senat richtet jedoch eine sog. Umgangspflegschaft ein, das heißt, das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder Maria und Yvonne wird für die jeweiligen Umgangszeiträume gemäß Beschluss des Senats vom heutigen Tag (18 UF 242/99) auf einen Ergänzungspfleger (~ 1909 BGB) übertragen, während die elterliche Sorge im übrigen bei der Mutter verbleibt. Dem Ergänzungspf leger kommt die Aufgabe zu, das vom Senat festgelegte Umgangsrecht durchzusetzen und - durch behutsames und positives Einwirken auf die Kinder - dafür Sorge zu tragen, dass zwischen dem Vater und den Kindern möglichst spannungsfreie und kontinuierliche Begegnungen stattfinden können. Die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Ergänzungspfleger im Rahmen einer sog. Umgangspflegschaft ist zwar nur dann eine geeignete mildere Maßnahme, wenn zu erwarten ist, dass sie zur Durchsetzung des Umgangsrechts führen wird oder wenigstens beitragen könnte (BGH, a.a.O.).

Sollte sich allerdings herausstellen, dass sich die Umgangspflegschaft wegen fortdauernder negativer Beeinflussung der Kinder durch ihre Mutter im Hinblick auf die Durchsetzung des Umgangsrechts als wenig wirksam erweisen, ist -gegebenenfalls nach Festsetzung eines Zwangsgeldes (OLG Hamm, FamRZ 1992, 466) - ein Entzug des Personensorgerechts der Mutter bzw. eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater ernsthaft in Betracht zu ziehen, wenn dies im wohlverstandenen Interesse der Kinder hingenommen werden kann.

 

Dr. Lange (Vors. Richter am OLG )

Winkgens-Reinhardt (Richterin am OLG)

Dr. Knaup (Richter am OLG)

 

Siehe auch unter www.alteck.de

 

 


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