Vateridealisierung

Trennung - Scheidung


 

 

 

Neue OZ, 7. März 1998

Unerreichbarer Daddy aus dem Disneyland

Die Ehe steckt in Deutschland nach wie vor in der Krise. Jede dritte Ehe wird geschieden. die Zahl der Scheidungskinder, die meistens bei der alleinerziehenden Mutter leben, nimmt immer mehr zu. Dass die Trennung der Eltern niemals ohne Wirkung auf die Kinder bleibt, ist nicht nur Wissenschaftlern, sondern auch den meisten Ehepartnern bekannt So weiß man, dass gerade ältere Kinder eine Scheidung selbst viele Jahre später noch als einen Akt der Zerstörung erleben und unter unbewältigten Trauergefühlen leiden. Andererseits legen sie bei ihren eigenen zwischenmenschlichen Beziehungen großen Wert auf Vertrauen und Stabilität. Bislang wenig bekannt ist jedoch darüber, wie sich ihr Verhältnis zu Vater und Mutter entwickelt.

Inge Seiffge-Krenke und Martina Tauber vom psychologischen Institut der Universität Bonn haben nun eine großangelegte Untersuchung zu diesem Thema durchgeführt. Sie befragten 243 Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren nach dem Erleben der Scheidung und ihrer Einstellung zu Vater und Mutter, wobei 22 von ihnen an einer psychiatrischen Klinik in Behandlung waren. Das Ergebnis der Studie: Martina Tauber:

"Während männliche Jugendliche aus Scheidungsfamilien bevorzugt psychische und psychosomatische Störungen entwickeln; neigen Mädchen verstärkt dazu, den abwesenden Vater zu idealisieren." Ein Ergebnis, das die Wissenschaftlerinnen zunächst überraschte, war man doch bislang davon ausgegangen, dass die Jungen bei ihrer Suche nach Vorbildern naturgemäß den Vater als männliche Idealfigur auswählen würden.

Bei näherem Hinsehen offenbart sich jedoch, warum Jungen krank werden und Mädchen den abwesenden Vater ins Unerreichbare hochloben. So werden männliche Kinder - unbeeindruckt von allen Emanzipationsbewegungen - hierzulande immer noch darauf erzogen, von ihren Gefühlen wenig oder gar nichts an ihre Mitmenschen durchdringen zu lassen. Wenn Gefühle jedoch zurückgehalten werden, führt dies nach Erkenntnissen der Mediziner fast zwangsläufig zu psychischen und psychosomatischen Erkrankungen wie Depressionen und Migräne.

Anders bei den Mädchen. Sie dürften zwar ihren Gefühlen mehr freien Lauf lassen, dafür treten sie während der Pubertät häufiger in offenen Konflikt mit der Mutter einem Vorgang, der in der Psychologie als Ablösungsphase bezeichnet wird. Und in diesem Konflikt kommt der abwesende Vater wie gerufen. Einerseits als Waffe, um die Mutter besonders hart zu treffen: "Ich gehe jetzt zu Papa, der versteht mich wenigstens!" Andererseits aber auch als Fluchtpunkt, bei dem man sich von ewigen Streitereien mit der Mutter ablenken und Zuspruch holen kann. Der Vater wird als positiver Gegenpart zur negativ erlebten Mutter aufgebaut, und wenn er sich dann noch rar macht und die wenigen Zusammentreffen mit der Tochter durch Geschenke, Schmeicheleien und tolle Ausflüge zum unvergesslichen Erlebnis gestaltet, wird er schließlich, wie die beiden Wissenschaftlerinnen herausgefunden haben, "zum Disneyland-Daddy, der keine Wünsche offen lässt".

Nicht wenige geschiedene Väter fühlen sich geschmeichelt, wenn sie von ihrer Tochter angehimmelt werden. Sie vergessen jedoch, dass dieses Verhalten eigentlich das Gegenteil von dem bedeutet, wie es nach außen hin erscheint So erkannte schon die Psychoanalytikerin Anna Freud, dass Idealisierungen nichts weiter sind als der Versuch, mit negativen Gefühlen fertig zu werden. Dies bedeutet konkret: wenn ein Mädchen ihren getrennt lebenden Vater idealisiert, bringt sie dadurch ihre Verachtung für seine wirkliche Persönlichkeit zum Ausdruck - sie idealisiert ihn hoch, weil sie Ihn nicht lieben kann, wie er tatsächlich ist. Ganz abgesehen davon, dass ein heranwachsender Mensch den Vater als kritisch-fördernde Kontaktperson braucht, und nicht als eine unerreichbare Ikone. Gründe genug also, sich mit den Kindern aus der geschiedenen Ehe so oft wie möglich zu treffen, und das unter möglichst normalen Umständen.

 

Studie:

Seiffge- Krenke, I./Tauber, M.:

Die Idealisierung des Vaters: eine notwendige Konsequenz in Scheidungsfamilien?

veröffentlicht in: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 5/1997

 

 


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